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100 Jahre Groß-Berlin (Rights reserved)

Bibliographic data

100 Jahre Groß-Berlin

Description

Title:
100 Jahre Groß-Berlin / Herausgeber Amt für Statistik Berlin-Brandenburg ; Redaktion Martin Axnick, Robert Budras, Katja Niemann-Ahrendt
Other:
Axnick, Martin
Budras, Robert
Niemann-Ahrendt, Katja
Publisher:
Amt für Statistik Berlin-Brandenburg
Publication:
Potsdam: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, September 2020
Language:
German
Scope:
1 Online-Ressource (91 Seiten)
Note:
Datum des Herunterladens: 02.10.2020
Berlin:
B 8 Allgemeines: Statistik B 129 Geschichte: Groß-Berlin 1920
Urban Studies:
Kws 130 Städtebau. Stadtplanung. Stadtentwicklung: Stadtplanung. Stadtentwicklung Berlin
DDC Group:
310 Statistik
URN:
urn:nbn:de:kobv:109-1-15411840
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Urban construction, urban planning, urban development Senate departments General Regional Studies History, Cultural History

Contents

Table of contents

  • 100 Jahre Groß-Berlin (Rights reserved)

Full text

statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin Impressum 100 Jahre Groß-Berlin Erschienen im September 2020 Herausgeber Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Steinstraße 104–106 14480 Potsdam Telefon: 0331 8173-1777 Telefax: 030 9028-4091 info@statistik-bbb.de Redaktion Martin Axnick, Robert Budras, Katja Niemann-Ahrendt Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Gestaltung, Satz, Informationsgrafiken und Illustrationen Lena Teuber – www.visualtraces.com Henrik Hofmeister – www.double-age.com Druck DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH www.druckhaus-berlin.de Kostenloser Download www.statistik-berlin-brandenburg.de © Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Auszugsweise Vervielfältigung und Verbreitung mit Quellenangabe gestattet. Auskunft und Beratung Steinstraße 104–106 14480 Potsdam Telefon: 0331 8173-1777 Telefax: 030 9028-4091 info@statistik-bbb.de 100 Jahre Groß-Berlin 3 statistik Berlin Brandenburg Grußwort © Lena Giovanazzi des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller, anlässlich der Sonderveröffentlichung des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg zum hundertjährigen Jubiläum Groß-Berlins Michael Müller Regierender Bürgermeister von Berlin Die Berlinerinnen und Berliner haben in den letzten 100 Jahren seit der Gründung Groß-Berlins am 1. Oktober 1920 viele Spuren in der Entwicklung der Stadt hinterlassen. Statistikerinnen und Statistiker tragen seit jeher Zeugnisse dieser Spuren in Form von Zahlen, Daten und Fakten zusammen. Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg legt in dieser Publikation eine Auswertung einer Vielzahl von Statistiken vor, um Entwicklungen und Ereignisse im Zeitraum von 1920 bis heute durch die Linse der Zahlen erfassbar zu machen. Der lange Zeitraum rückt dabei aktuelle Diskussionen in eine historische Perspektive. Wohnungsnot und der stetige Wandel der Wirtschaftsstruktur waren immer wieder Thema der Spreemetropole, genauso wie der Zugang zu Erholungsflächen und der eigene Kleingarten. Es findet sich kein Thema, das in den letzten 100 Jahren völlig aus der Mode gekommen wäre: Zuwanderung, der Zugang zu Bildungseinrichtungen, die Lage auf dem Arbeitsmarkt, Sport, Kunst und Kultur. Historische Weltereignisse und der lange Weg zu einem geeinten und demokratischen Berlin werden in den Daten – und im Fehlen von Daten – ersichtlich. Für die dunkleren Jahre der Stadt waren nicht immer Daten vorhanden oder müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Als führender Informationsdienstleister für die freie und friedlich geeinte Stadt stellt heute das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg unabhängig erhobene und ausgewertete Daten bereit. Bürgerinnen und Bürger, Wissenschaft, Regierung und Parlament sind auf unabhängige Erhebung und Auswertung dieser Daten und Fakten angewiesen. Ich danke den Beschäftigten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg für ihre wertvolle Arbeit und wünsche den Leserinnen und Lesern viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre der Sonderveröffentlichung. 100 Jahre Groß-Berlin 5 statistik Berlin Brandenburg Vorwort Jörg Fidorra Vorstand des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg Vor 100 Jahren wurde die Einheitsgemeinde Groß‑Berlin aus der Taufe gehoben. Die Stadt durchlebte in den zurückliegenden 100 Jahren Zeiten der Blüte, der tiefen Depression und des absoluten Tiefpunkts der deutschen Geschichte. Diese 100 Jahre umfassen die Weimarer Republik, die totalitäre Herrschaft des Nationalsozialismus mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, die Spaltung der Stadt und Europas sowie den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung der Stadt und des Landes. Mit dieser Veröffentlichung wollen wir ein statistisches Bild dieser von großen Brüchen und Erschütterungen gezeichneten 100 Jahre aufspannen. Wir greifen dafür auf eine Auswahl von Daten zurück, die die amtliche Statistik seit 1862 für die Stadt Berlin erhebt. 1862 wurde mit dem Statistischen Bureau der Stadt Berlin das erste städtestatistische Amt Deutschlands gegründet. In der wechselvollen Geschichte des Amtes spiegelt sich die Zeit wider: Zunächst war es für Alt-Berlin tätig und von 1920 bis 1948 für das erweiterte Groß-Berlin. Mit der politischen Teilung Berlins im Jahre 1948 teilte sich auch die Zuständigkeit für die amtliche Statistik. 1951 wurde diese im Westteil vom Statistischen Landesamt Berlin und ab 1960 im Ostteil von der Bezirksstelle Berlin der Staatlichen Zentralverwaltung der Statistik der DDR durchgeführt. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 war das Statistische Landesamt Berlin für ganz Berlin zuständig. Mit der Fusion der Berliner und Brandenburger Statistik entstand Anfang 2007 das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Mit der wechselvollen Geschichte des Amtes und des Zeitgeschehens korrespondieren die Veränderungen, der die statistischen Erhebungen unterworfen waren. Eine Statistik aus dem Jahr 1920 ist nicht ohne weiteres mit einem Statistikdatum aus dem Jahr 2020 vergleichbar. Änderungen etwa der Definition eines zu erhebenden Tatbestandes oder eine neue Methodik der Erhebung erschweren die Vergleichbarkeit der Zahlen über einen so langen Zeitraum. Sicher und verlässlich interpretieren lassen sich jedoch die Größenordnungen der Zahlen, sie geben ein zutreffendes Bild wieder. Eine weitere Einschränkung ergibt sich durch die Verfügbarkeit der Daten, die eine durchgehende Zeitreihe häufig nicht zulassen. Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern eine interessante Lektüre und vielleicht den einen oder anderen überraschenden Einblick, den die meist nur scheinbar kühlen Zahlen in die Lebenswelt der Menschen ermöglichen. 100 Jahre Groß-Berlin 7 statistik Berlin Brandenburg Inhaltsübersicht 1 STADTGEBIET 4 WOHNEN 2 WAHLEN 5 ARBEITSMARK T Vergrößert, geteilt, wieder vereint . . . . . . . . . 10 Weimarer Republik: Berliner Ergebnisse der Wahlen zum Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Kriegsende und Besatzungszeit: Stadtverordnetenwahl 1946 . . . . . . . . . . . . . . 21 Teilung: Abgeordnetenhauswahlen in Berlin-West 1950 bis 1989 . . . . . . . . . . . . . . 22 Wende: Wahl zur Volkskammer 1990 in Berlin-Ost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Wiedervereinigtes Berlin: Abgeordnetenhauswahlen 1990 bis 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3 BEVÖLKERUNG Bevölkerungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Von der Pyramide zum Tannenbaum . . . . . 30 Ausländische Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . 32 Geburten und Sterbefälle . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Heute hier, morgen dort – Wanderungsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Wann das Leben und der Tod Saison haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Hochzeit in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 … bis der Richter euch scheidet . . . . . . . . . . 39 Totgeburt und Säuglingssterblichkeit . . . . . 40 Häufigste Todesursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Mord und Totschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Suizide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Berlin baut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Von der Werkbank an den Computer . . . . . 50 Auf der Suche nach Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 53 6 WIRTSCHAFT Der Weg der Berliner Industrie . . . . . . . . . . . . 56 Berlin unter Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Immer eine Reise wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 7 LANDWIRTSCHAFT Vom Gutshof zum Agrar-Großbetrieb . . . . . 64 Mehr Stadt – weniger Land . . . . . . . . . . . . . . . 65 Vom Feld auf den Teller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Schweine, Rinder & Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 8 BILDUNG Ab auf die Schulbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Universitätsstadt Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 9 KUNST UND KULTUR Bühne (frei) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Film ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Gebundenes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Blick in die Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 10 FREIZEIT UND SPORT Grünes Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Hauptstadt der Kleingärten . . . . . . . . . . . . . . 88 Sport frei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Berliner Bäderkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Auf den Hund gekommen . . . . . . . . . . . . . . . . 91 11 KLIMA Berlin schwitzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Sonne und Regen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Berlin Kapitel 1 Stadtgebiet STADTGEBIET 10 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Vergrößert, geteilt, wieder vereint Die Bildung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin war nicht die erste, aber die größte Stadterweiterung in der Berliner Geschichte. 1861 existierten bereits 270 Bezirke. Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 wurde Berlin zu dessen Hauptstadt. Die starke Zuwanderung im Zuge der Industrialisierung überstieg die damaligen Wohnraumkapazitäten auf der Fläche Alt-Berlins. Gepaart mit dem anhaltenden industriellen Wachstum verlegten immer mehr Unternehmen Teile ihrer Produktion in benachbarte Gemeinden. Dies machte den Ausbau von Versorgungs- und Verkehrsanbindungen notwendig, sodass die Verflechtung der Stadt mit dem Umland immer weiter voranschritt. Auf politischer Ebene beharrten die benachbarten Gemeinden jedoch auf ihre Eigenständigkeit. Ein erster Versuch der verwaltungstechnischen Vereinheitlichung der Verkehrs- und Städteplanung wurde mit der Gründung des „Zweckverbandsgesetzes für Groß-Berlin“ unternommen. Der Zweckverband von 1912 umfasste die Stadtkreise Berlin, Charlottenburg, Wilmersdorf, Rixdorf-Neukölln, Lichtenberg, Spandau sowie die Landkreise Teltow und Niederbarnim. Die Aufgaben des Verbandes bestanden in der Koordination von Bebauungsplänen, in der abgestimmten Planung des öffentlichen Schienenverkehrs sowie im Erwerb und der Erhaltung größerer Wälder und Grünflächen, welche im Dauerwaldvertrag geregelt wurden. Der Zweckverband blieb acht Jahre bestehen, war allerdings in seiner Wirksamkeit eher beschränkt. Trotzdem ist es dem Zweckverband zu verdanken, dass der Grunewald seit 1915 ein Teil Berlins ist. Als Berlin wirtschafts- und verkehrstechnisch bereits zusammengewachsen war, ist es 1920 auch zum politisch-administrativen Zusammenschluss gekommen. Unterdessen war die Zahl der Berliner Bezirke auf der Fläche der heutigen Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg (Ortsteil) auf über 450 angestiegen. STADTGEBIET statistik Berlin Brandenburg Am 1. Oktober 1920 reduzierte sich die Zahl auf nunmehr 20 Bezirke, entstanden aus sechs innerstädtischen Bezirken, die bisher die Kernstadt Berlins ausmachten, sieben eingemeindeten Stadtgemeinden (Charlottenburg, Cöpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau, Wilmersdorf) sowie 59 ehemaligen Landgemeinden und 27 Gutsbezirken. Mit der Gründung Groß-Berlins hat sich seine Fläche verdreizehnfacht – von 65,9 km² auf 878,1 km². Die Provinz Brandenburg verlor damit 2 % ihres Gebietes. Noch stärker hat sich die Stadterweiterung auf die Einwohnerzahl Brandenburgs und Berlins ausgewirkt. Mit der Bildung der Einheitsgemeinde Berlin trat die preußische Provinz 44 % ihrer Bevölkerung an Berlin ab, dessen Einwohnerzahl sich damit verdoppelte – von 1,9 Mill. auf 3,8 Mill. Einwohnerinnen und Einwohner. Mit Ausnahme einiger kleinerer Gebietsveränderungen in den Folgejahren hat Berlin seine Struktur von damals bis heute beibehalten. 100 Jahre Groß-Berlin 11 Berliner Bezirke 1920 gegenüber 1990 1920 19 20 8 9 10 Bezirksgrenzen 1990 Alt-Berlin Bezirke 1920 3 4 18 7 2 1 5 17 6 11 12 13 14 15 16 1990 20 8 9 10 1 2 3 4 19 18 22 3 4 21 7 2 1 5 23 17 6 11 12 13 14 15 16 Mitte Tiergarten Wedding Prenzlauer Berg (bis 1921 Prenzlauer Tor) 5 Friedrichshain 6 Kreuzberg (bis 1921 Hallesches Tor) 7 Charlottenburg 8 Spandau 9 10 11 12 13 Wilmersdorf Zehlendorf Schöneberg Steglitz Tempelhof 14 Neukölln 15 Treptow 16 Köpenick 17 Lichtenberg 18 Weißensee 19 20 21 22 23 Pankow Reinickendorf Marzahn (ab 1979) Hohenschönhausen (ab 1985) Hellersdorf (ab 1986) 12 100 Jahre Groß-Berlin Gebietsreform 1938 STADTGEBIET statistik Berlin Brandenburg 1938 kam es im Zuge einer Gebietsreform zu innerstädtischen Grenzverschiebungen und Begradigungen. Dabei ging beispielsweise ein großer Teil des Grunewalds vom Bezirk Wilmersdorf an Zehlendorf über. Die Wuhlheide und Oberschöneweide wurden von Treptow an Köpenick übergeben. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Berlin vom Alliierten Kontrollrat verwaltet. Hierzu wurde die Stadt in vier Sektoren aufgeteilt. Reinickendorf und Wedding wurden dem Französischen Sektor zugeteilt. Spandau, Tiergarten, Charlottenburg und Wilmersdorf bildeten den britischen Sektor. Der amerikanische Sektor umfasste Steglitz, Zehlendorf, Neukölln, Schöneberg, Tempelhof und Kreuzberg. Der östliche Teil der Stadt mit Pankow, Prenzlauer Berg, Mitte, Treptow, Köpenick, Weißensee, Friedrichshain und Lichtenberg wurden dem sowjetischen Sektor zugeordnet. Erst 59 Jahre nach der Gründung Groß-Berlins wuchs die Anzahl der Bezirke abermals. Im Zuge von großflächigen Neubauprojekten entstand zunächst Marzahn (1979, davor Ortsteil von Lichtenberg). Bei seiner Gründung setzte sich der junge Bezirk STADTGEBIET statistik Berlin Brandenburg aus den ehemaligen Lichtenberger Ortsteilen Hellersdorf, Kaulsdorf, Biesdorf und Mahlsdorf zusammen. Sieben Jahre später wurde aus den Ortsteilen Hellersdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf der Bezirk Hellersdorf gegründet. 1985 wurden die ehemaligen Weißenseer Ortsteile Hohenschönhausen, Falkenberg, Wartenberg sowie das östliche Malchow zum Bezirk Hohenschönhausen zusammengeschlossen. 1990 erstreckte sich die geeinte Hauptstadt mit 23 Bezirken über eine Fläche von 892 km². 2001 setzte das Berliner Abgeordnetenhaus eine Gebietsreform durch, die die Anzahl der Bezirke auf zwölf reduzierte. Dadurch sollte die Stadt in vergleichbar leistungsfähige Bezirke mit jeweils 215 000 bis 300 000 Einwohnerinnen und Einwohnern aufgeteilt werden. Mit Ausnahme von Spandau, Reinickendorf und Neukölln wurden jeweils zwei beziehungsweise drei Bezirke zusammengelegt. Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte setzen sich jeweils aus Bezirken des ehemaligen Berlin-Ost und -West zusammen. In den vergangenen 100 Jahren wurde die Stadt vergrößert, geteilt und schließlich wieder vereint. 100 Jahre Groß-Berlin 13 Berlin 1945 gegenüber 1990 Sektorengrenze 1945 Bezirksgrenzen 2001 1945 Bezirke 1990 1 2 4 3 Berlin 2001 gegenüber 1990 2001 3 12 5 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Mitte Friedrichshain-Kreuzberg Pankow Charlottenburg-Wilmersdorf Spandau Steglitz-Zehlendorf Tempelhof-Schöneberg Neukölln Treptow-Köpenick 4 6 1 7 2 11 10 8 10 Marzahn-Hellersdorf 11 Lichtenberg 12 Reinickendorf 9 1 2 3 4 Französischer Sektor Britischer Sektor Amerikanischer Sektor Sowjetischer Sektor Stimmz e ttel 1 Stimmzettel 1 11 1 2 1 3 4 5 Kapitel 2 Wahlen WAHLEN 16 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Wahlverteilung Wahlverteilung Wahlergebnisse KPD KPD USPD USPD SED/PDS/DieLinke Linke SED/PDS/Die SPD SPD AL/Bündnis90/Die 90/DieGrünen Grünen AL/Bündnis DDP DDP LDP/FDP LDP/FDP CDU CDU Zentrum Zentrum AfD AfD DVP DVP DNVP DNVP 5050 %% 2020 %% 10 10 % % NSDAP NSDAP Sons�ge Sons�ge StadtverordnetenStadtverordnetenwahl wahl Reichstagswahlen Reichstagswahlen Beginn Beginn NS-Herrschaft NS-Herrschaft Weltkrieg 2. 2. Weltkrieg AbgeordnetenhauswahlBerlin-West Berlin-West Abgeordnetenhauswahl Teilung Teilung Unfreie Unfreie Wahlen Wahlen WahlWahlbeteiligung beteiligung 79,6%% 79,6 76,6%% 76,6 78,0%% 78,0 78,9%% 78,9 81,4%% 81,4 81,6%% 81,6 81,0%% 81,0 87,3%% 87,3 92,3%% 92,3 90,4%% 90,4 91,8%% 91,8 92,9%% 92,9 89,9%% 89,9 86,2%% 86,2 06.06.1920 06.06.1920 04.05.1924 04.05.1924 07.12.1924 07.12.1924 20.05.1928 20.05.1928 14.09.1930 14.09.1930 31.07.1932 31.07.1932 06.11.1932 06.11.1932 05.03.1933 05.03.1933 20.10.1946 20.10.1946 03.12.1950 03.12.1950 05.12.1954 05.12.1954 07.12.1958 07.12.1958 17.02.1963 17.02.1963 12.03.1967 12.03.1967 11 22 33 44 55 66 77 WAHLEN statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 17 Abgeordnetenhauswahl Berlin-West Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus Wiedervereinigung Wahlbeteiligung 88,9 % 87,8 % 85,4 % 85,3 % 83,6 % 79,6 % 80,8 % 68,6 % 65,5 % 68,1 % 58,0 % 60,2 % 66,9 % 14.03.1971 02.03.1975 18.03.1979 10.05.1981 10.05.1985 29.01.1989 02.12.1990 22.10.1995 13.06.1999 21.10.2001 17.09.2006 18.09.2011 18.09.2016 1 2 3 4 6 7 5 WAHLEN 18 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Weimarer Republik: Berliner Ergebnisse der Wahlen zum Reichstag Groß-Berlin entstand am 1. Oktober 1920 und damit etwa zwei Jahre nach der Ausrufung der Weimarer Republik am 9. November 1918. Die Wahl zur Nationalversammlung – erstmalig hatten sich Frauen in Deutschland das Wahlrecht erstritten – fand am 19. Januar 1919 statt. Wegen der aufgeheizten und unsicheren politischen Situation trat die Nationalversammlung nicht in Berlin, sondern in Weimar zusammen. Zwischen dem Beginn der Weimarer Republik und der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 fanden sieben Reichstagswahlen statt, deren Ergebnisse die großen gesellschaftlichen Konflikte und Kräfteverschiebungen in Momentaufnahmen festgehalten haben. Zur Orientierung lässt sich die Weimarer Republik in drei Zeitabschnitte unterteilen: 1919–1923: Krisenjahre, Bewältigung der Folgen des Krieges, Abwehr von Umsturzversuchen, Hyperinflation mit schwerwiegenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verwerfungen. 1924–1929: Relative Stabilität und wirtschaftlicher Aufschwung („Goldene Zwanziger Jahre“), was mit dem Börsencrash („Schwarzer Freitag“) und der Weltwirtschaftskrise 1929–1932 endete. 1930–1933: Aufstieg des Nationalsozialismus und Niedergang der republikanischen Kräfte, was zum Untergang der Weimarer Republik und zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur führte. Getragen wurde die erste parlamentarische Demokratie Deutschlands von den Sozialdemokraten (SPD), der katholischen Zentrumspartei (Z) und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Diese Parteien, die uneingeschränkt zur Republik standen, werden als „Weimarer Koalition“ bezeichnet. Sie konnten bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 etwa drei Viertel der Stimmen auf sich vereinen. Bereits bei der ersten Reichstagswahl am 6. Juni 1920 ging die absolute Mehrheit der Koalition verloren und konnte nicht wiedergewonnen werden. Die meisten Stimmen entfielen in Berlin (Gebietsstand vor Gründung Groß-Berlins) mit 43 % auf die Unabhängige Sozialdemokratische Relativ stärkste Partei in den Berliner Bezirken bei den Reichstagswahlen 1 2 04.05.1924 3 07.12.1924 4 20.05.1928 14.09.1930 Wahlverteilung statistik Berlin Brandenburg KPD USPD SED/PDS/Die Linke SPD AL/Bündnis 90/Die Grünen DDP WAHLEN AfD DVP DNVP LDP/FDP CDU Zentrum 50 % 20 % NSDAP Sons�ge 10 % Stadtverordnetenwahl Reichstagswahlen Beginn NS-Herrschaft Reichstagswahl 2. Weltkrieg 100 Jahre Groß-Berlin 19 Abgeordnetenhauswahl Berlin-West Teilung Unfreie Wahlen KPD USPD SPD Wahlbeteiligung KPD USPD SPD KPD USPD SPD DDP Zentrum DVP DDP Zentrum DVP DNVP NSDAP Sons�ge 79,6 % 76,6 % 78,0 % 78,9 % 81,4 % 81,6 % 81,0 % 87,3 % 92,3 % 06.06.1920 04.05.1924 07.12.1924 20.05.1928 14.09.1930 31.07.1932 06.11.1932 05.03.1933 20.10.1946 1 2 3 4 5 6 7 5 7 6 31.07.1932 06.11.1932 05.03.1933 DDP Zentrum DVP DNVP NSDAP Sons�ge DNVP NSDAP Sons�ge 90,4 % 91,8 % 92,9 % 89,9 % 86,2 % 03.12.1950 05.12.1954 07.12.1958 17.02.1963 12.03.1967 WAHLEN 20 100 Jahre Groß-Berlin Partei (USPD),gefolgt von der SPD, die auf 18 % kam; die Deutsche Volkspartei (DVP) erhielt 14 %, die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) 12 %, und die anderen Parteien erzielten einstellige Ergebnisse. Zusammen kamen die Koalitionsparteien, die uneingeschränkt zur Republik standen, in der Stadt Berlin auf 28 %. 1924 fanden zwei Reichstagswahlen statt, deren Ergebnisse für Groß-Berlin vorliegen. Mit dieser Wahl setzte der Erholungsprozess der SPD ein, die bei der Mai-Wahl auf 20 % und bei der Dezember-Wahl auf 30 % kam. Zulegen konnte auch die DDP. Während die linke USPD ihr politisches Gewicht einbüßte, erreichte die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die das politische und wirtschaftliche System der Weimarer Republik entschieden ablehnte, erst 18 % und dann 16 %. Bei der Reichstagswahl im Mai 1928 erzielten die Sozialdemokraten mit 33 % das beste Ergebnis im betrachteten Zeitraum. Ein Viertel der Wählerinnen und Wähler stimmte für die KPD. Bis zu diesem Zeitpunkt spielten die Nationalsozialisten bei Wahlen keine bedeutende Rolle. Dies sollte sich bei der ersten Wahl nach dem großen Crash 1929 und der Weltwirtschaftskrise statistik Berlin Brandenburg im September 1930 ändern. Die NSDAP kam auf 15 %, ein erdrutschartiger Zuwachs. Diesen Wahlerfolg konnte sie im Juli 1932 mit 29 % weiter vergrößern. Bei der letzten freien Wahl im November Wahlverteilung 1932 verloren die Nationalsozialisten leicht und erreichten 26 %. Stärkste Partei bei dieser Wahl war in Berlin SozialdemoKPDmit 31 % die KPD. DieSPD LDP/FDP USPDnoch auf 23 %. Im März AL/Bündnis 90/Die Grünen CDU kraten kamen fand die DDP mehrere SED/PDS/Die Linke Zentrum letzte Reichstagswahl statt, an der Parteien teilnahmen. Frei war diese Wahl längst nicht mehr, der Parteivorstand der SPD war nach Reichstagswahlen Prag emigriert, Verhaftungswellen trafen Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter und auf der Straße herrschte der Terror durch SA, SS und Stahlhelm. Für die NSDAP stimmten 35 % der Wählerinnen und Wähler bei einer Wahlbeteiligung von 87 %. Eine klare Mehrheit hatte die NSDAP nicht, aber es gab auch keine Mehrheit für die Republik. Während der NS-Diktatur fanden mehrere Wahlen statt, die keine freien Wahlen waren, sondern Scheinwahlen zur Bestätigung vorgegebener Einheitslisten. Bei der Novemberwahl 1933 kam die NSDAP in Deutschland auf 92 %, in der Großstadt Berlin schnitt sie mit 79 % schwächer ab. Stadtverordnetenwahl Berlin NSDAP AfD DVP DNVP 50 % 20 % Sons�ge SED SPD LDP CDU Stadtverordneten- 10 % wahl Beginn NS-Herrschaft 2. Weltkrieg Teilung Unfreie Wahlen Wahlbeteiligung 79,6 % 76,6 % 78,0 % 78,9 % 81,4 % 81,6 % 81,0 % 87,3 % 92,3 % 90,4 % 91,8 % 06.06.1920 04.05.1924 07.12.1924 20.05.1928 14.09.1930 31.07.1932 06.11.1932 05.03.1933 20.10.1946 03.12.1950 05.12.1954 1 2 3 4 5 6 7 WAHLEN statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 21 Kriegsende und Besatzungszeit: Stadtverordnetenwahl 1946 Der Zweite Weltkrieg endete in Europa am 8. Mai 1945 und damit auch die nationalsozialistische Herrschaft. Berlin war durch die Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich in vier Sektoren gegliedert worden. Die Besatzungszeit endete 1949 mit der Gründung der zwei Staaten Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik. Während dieses Zeitabschnitts hatte sich der Ost-West-Konflikt zwischen den großen Machtund Systemblöcken ausgebildet. In Berlin trafen diese Gegensätze zwischen den Blöcken direkt aufeinander. Die erste demokratische Wahl seit dem Ende der Weimarer Republik und der Zerschlagung des NS-Staates war die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung am 20. Oktober 1946. Sie fand unter der Aufsicht der Alliierten statt und war gleichzeitig die letzte demokratische Gesamtberliner Wahl bis zur Wiedervereinigung 1990. Bei einer Wahlbeteiligung von 92 % stimmten 49 % für die SPD, 22 % für die Christliche Demokratische Union Deutschlands (CDU), 9 % für die Liberalen von der LPD und 20 % für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Die SPD schlug die SED auch im sowjetischen Sektor mit 44 % der Stimmen gegenüber 30 % deutlich. Eine stabile Magistratsbildung scheiterte an den politischen Spannungen und der Spaltung der Stadt zwischen den Machtblöcken. Die Neuwahl zur Stadtverordnetenversamm­ lung im Dezember 1948 fand in einer sehr zugespitzten Lage statt. Im Juni 1948 wurde eine Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen und stufenweise in den Berliner Westsektoren durchgeführt. Beginnend mit dem 24. Juni 1948 unterband die Sowjetunion mit der Berlin-Blockade die Versorgung der Westsektoren auf dem Land- und Wasserweg. Eine Versorgung war nur noch über eine Luftbrücke zu den Flugplätzen Tempelhof und Gatow möglich. Gewählt wurde nur in den drei westlichen Sektoren. Von der SED wurde die Wahl zu einer WestBerliner Stadtverordnetenversammlung als nicht legitim betrachtet. Die SPD kam bei dieser Wahl auf 65 % der Stimmen, die CDU auf 19 % und die liberale LPD auf 16 %. Vor dem Hintergrund der sehr angespannten Lage wurde eine Koalition bestehend aus diesen drei Fraktionen gebildet. Ernst Reuter wurde zum Oberbürgermeister gewählt und von den drei Westmächten anerkannt, die sowjetische Militärverwaltung sah ihn als nicht legitim an. Im sowjetischen Sektor wurde eine eigene Stadtregierung eingesetzt. Ergebnisse der Stadtverordnetenwahl für das Abgeordnetenhaus von Berlin am 20. Oktober 1946 Berlin-West Berlin-Ost 51,7 % 43,6 % 50 % 40 % Berlin-West Berlin-Ost 13,7 % 29,8 % Berlin-West Berlin-Ost 24,3 % 18,7 % 30 % 20 % Berlin-West Berlin-Ost 10,2 % 7,8 % 10 % 0% SPD CDU SED LDP WAHLEN 22 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Teilung: Abgeordnetenhauswahlen in Berlin-West 1950 bis 1989 Am 3. Dezember 1950 – die Berlin-Blockade war Außenministers der Bundesrepublik Deutschland. überstanden – wurde erstmalig das Berliner AbBei den Folgewahlen näherten sich SPD und CDU geordnetenhaus im Westteil Berlins gewählt. Die prozentual einander an. Zwischen 1958 und 1971 SPD kam auf 45 % der Stimmen und verlor damit schnitt die SPD oberhalb von 50 % ab. Überflügelt Wahlverteilung gegenüber der Wahl zur Stadtverordnetenverwurden die Sozialdemokraten von der CDU bei sammlung 1948 rund 20 Prozentpunkte. Mit 45 % der Wahl am 2. März 1975 mit 43,9 % gegenüber 50 % war sie aber deutlich stärkerSPD als die CDU mit 25 % 42,6 %LDP/FDP der Stimmen. In den KPD AfD darauffolgenden NSDAP 20 % DVP Vorsprung gegenUSPD AL/Bündnis 90/Die Grünen CDUkonnte die CDU ihren Sons�ge und die FDP mit 23 %. Wahlen 10 % DNVPauf die politische SED/PDS/Die Linke1954 undDDP Abgeordnetenhauswahl Berlin-West Bei den Wahlen 1958 gewann die CDU über Zentrum der SPD ausbauen. Neu Wahlbühne trat 1979 die Partei Alternative Liste deutlich hinzu, während die Liberalen starke VerFDP SED luste hinnehmen mussten. Erstmalig kandidierte (AL), die späteren Grünen. Sie konnte 4 % erzielen. StadtverordnetenCDU SPD Reichstagswahlen Abgeordnetenhauswahl Berlin-West Willy Brandt 1958 für die Sozialdemokraten und Zwei Jahre später zog sie mit 7 % in das Abge- wahl AL Sons�ge holte – bei einer Rekordwahlbeteiligung von 93 % – ordnetenhaus ein. Beginn 2. Weltkrieg Teilung NS-Herrschaft mit 53 % die absolute Mehrheit. Ein noch besseBei der letzten Abgeordnetenhauswahl vor Teilung res Ergebnis konnte die SPD am 17. Februar 1963, der Wiedervereinigung kam die CDU auf 37,7 %, Unfreie ungefähr eineinhalb Jahre nach dem Bau der die SPD auf 37,3 % und die AL konnte Wahlen 11,8 % der Berliner Mauer am 13. August 1961, mit 62 % gültigen Stimmen gewinnen. Mit diesem Ergebnis der Stimmen erzielen. Willy Brandt trat Ende endete 1989 das Wahlgeschehen in Berlin-West. 1966 als Regierender Bürgermeister zurück Regierender Bürgermeister war in dieser Phase und übernahm das Amt des Vizekanzlers und Walter Momper, der einen rot-grünen Senat führte. Wahlbeteiligung 79,6 % 76,6 % 78,0 % 78,9 % 81,4 % 81,6 % 81,0 % 87,3 % 92,3 % 90,4 % 91,8 % 92,9 % 89,9 % 86,2 % 06.06.1920 04.05.1924 07.12.1924 20.05.1928 14.09.1930 31.07.1932 06.11.1932 05.03.1933 20.10.1946 03.12.1950 05.12.1954 07.12.1958 17.02.1963 12.03.1967 1 2 3 4 5 6 7 WAHLEN statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 23 Wende: Wahl zur Volkskammer 1990 in Berlin-Ost Auf die Öffnung der Mauer am 9. November 1989 folgte die Wahl der Volkskammer der Deutschen Demokratische Republik (DDR) am 18. März 1990, die erstmalig als freie und geheime Wahl nach de­ mokratischen Grundsätzen durchgeführt wurde. Am 23. August 1990 beschloss die neu gewählte Volkskammer den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland für den 3. Oktober 1990 und damit das geschichtliche Ende der DDR. Die Wahlbeteiligung lag in Berlin-Ost bei 91 %. Stärkste Partei wurde die SPD mit 35 %, gefolgt Wahlvon zumderBerliner Abgeordnetenhaus PDS mit 30 %, der CDU mit 18 % und von Bündnis 90 und dem Unabhängigen Frauenverband mit 6 %. Abgeordnetenhauswahl Berlin-West Wiedervereinigung Ergebnisse der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990 in Berlin-Ost 40 % 34,8 % 30,2 % 30 % 18,3 % 20 % Wahlbeteiligung 6,3 % 10 % 88,9 % 87,8 % 85,4 % 85,3 % 83,6 % 79,6 % 80,8 % 68,6 % 65,5 % 14.03.1971 02.03.1975 18.03.1979 10.05.1981 10.05.1985 29.01.1989 02.12.1990 22.10.1995 0% 13.06.1999 1 2 3 68,1 % 58,0 % 60,2 % 21.10.2001 SPD 4 17.09.2006 PDS 5 18.09.2011 CDU 6 10,4 % 66,9 % 18.09.2016 Bündnis 90/ 7 Die Grünen Sonstige WAHLEN 24 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Wiedervereinigtes Berlin: Abgeordnetenhauswahlen 1990 bis 2016 Zwei Monate nach der Wiedervereinigung fand am 2. Dezember 1990 die Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin statt. Es war die erste Gesamtberliner Wahl seit 1946. Die Wahlbeteiligung lag bei 81 %. Stärkste Partei wurde mit 40 % die CDU, gefolgt von der SPD mit 30 %. Die Liberalen kamen auf 7 % und Bündnis 90/Die Grünen (Grüne) sowie die PDS auf 9 % der Stimmen. Die Grünen traten in den – noch getrennten Wahlgebieten – in Berlin-West als Alternative Liste und in Berlin-Ost als Bündnis 90/Die Grünen an. CDU und SPD bildeten eine große Koalition, Regierender Bürgermeister wurde Eberhard Diepgen. Die Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober 1999 gewann mit deutlichem Vorsprung die CDU (41 %) vor der SPD (22 %). Die PDS kam auf 18 % und die Grünen erzielten 10 %. Bei der zwei Jahre später stattfindenden Wahl am 21. Oktober 2001 lösten die Sozialdemokraten unter Klaus Wowereit die regierende CDU, welche nur noch auf 24 % kam, ab und erreichten 30 %. Die Grünen kamen auf 9 %. Bei der bisher letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September 2016 erreichte die SPD 22 % und die CDU 18 %, die Partei Die Linke kam auf 16 %, die Grünen erreichten 15 % und die FDP 7 %. Neu in das Abgeordnetenhaus zog die Alternative für Deutschland (AfD) mit 14 % ein. Es bildete sich eine Regierungskoalition aus SPD, Die Linke und Grüne. Regierender Bürgermeister wurde Michael Müller. Relativ stärkste Partei in den Berliner Bezirken bei den Abgeordnetenhauswahlen 1 2 02.12.1990 3 22.10.1995 4 13.06.1999 21.10.2001 WAHLEN statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 25 Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus Wiedervereinigung Wiedervereinigung PDS/Die Linke SPD Die Grünen PDS/Die Linke SPD Die Grünen 83,6 % 79,6 % 80,8 % 68,6 % 65,5 % 68,1 % 58,0 % 10.05.1985 29.01.1989 02.12.1990 22.10.1995 13.06.1999 21.10.2001 17.09.2006 1 2 3 4 5 6 17.09.2006 5 PDS/Die 60,2 % Linke 66,9 % FDP SPD 18.09.2011 18.09.2016 CDU Die Grünen AfD 6 7 7 18.09.2011 18.09.2016 FDP CDU AfD Sons�ge FDP CDU AfD Sons�ge Sons�ge Kapitel 3 Bevölkerung BEVÖLKERUNG 28 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Bevölkerungsentwicklung Berlin 2. Weltkrieg Berlin-West Teilung Berlin-Ost Versorgungsbevölkerung Wiedervereinigung Zensus 4,5 Mill. Einwohner 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 29 Bevölkerungsentwicklung Mit Inkrafttreten des Groß-Berlin-Gesetzes verdoppelte sich die Bevölkerung Berlins auf einen Schlag von 1,9 Mill. Personen im Jahr 1919 auf 3,9 Mill. Personen im Jahr 1920. Dieser Zuwachs fand nur auf dem Papier durch den Zusammenschluss der umliegenden Gebietskörperschaften zur Spreemetropole statt. 1920 war Berlin hinter London und New York die drittgrößte Stadt der Welt. Sehr real für die Berlinerinnen und Berliner war die Fortsetzung des Einwohnerwachstums in den 1920er Jahren, das nur im Krisenjahr 1923 unterbrochen wurde. Seit 1925 bis zum Zweiten Weltkrieg lebten mehr als 4 Mill. Menschen in Berlin. Von 1923 bis 1930 wuchs die Stadt um 414 000 Personen beziehungsweise 10,6 %. Das mit Wohnraumknappheit und steigenden Mieten verbundene Wachstum von 2011 bis 2018 war mit 9,6 % nur ein Prozentpunkt niedriger als jenes in den 1920er Jahren. Allerdings ist das Wachstum mit 319 000 Personen um 100 000 Personen geringer ausgefallen. Während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre sank die Bevölkerung Berlins – zwischen 1930 und 1934 um 115 000 Personen (−2,6 %). Bis zum Jahr 1942 stieg die Bevölkerungszahl auf fast 4,5 Mill. Menschen an. Allerdings war sie zu diesem Zeitpunkt bereits überzeichnet, da viele Menschen die Stadt verließen, ohne sich polizeilich abzumelden, vor allem mit dem Einsetzen der großflächigen Bombardements ab 1943 und dem Heranrücken der Front zum Ende des Krieges. Daher wurde die Versorgungsbevölkerung ermittelt. Das ist, wie im Statistischen Taschenbuch für 1945 erläutert wird, „die Zahl der in die Lebensmittel-, (Fett-)versorgung einbezogenen Einwohner einschl. der Selbstversorger, aber ohne die von der Wehrmacht und anderen Formationen außerhalb der zivilen Versorgung verpflegten Personen. Die Versorgungsbevölkerung stellt die tatsächliche Einwohnerzahl dar[…]“1. Von 1939 bis 1942 lebten um die 4 Mill. Menschen in Berlin. Ab Mitte 1943 sank die Einwohnerzahl rapide bis auf 2,6 Mill. Anfang 1945. Im Oktober 1946 lebten wieder fast 3,2 Mill. Menschen in Berlin. Seither war die Bevölkerungsentwicklung von Stagnation geprägt. Dabei sank vor allem in Berlin-West die Einwohnerzahl seit Ende der 1950er bis Ende der 1980er Jahre kontinuierlich um über 300 000. In Berlin-Ost sank sie in den 1950er Jahren, stieg dann aber allmählich um circa 200 000 bis Ende der 1980er Jahre an. Mit der Volkszählung 1987 gewann der Westen Berlins durch die aufgedeckte Untererfassung der fortgeschriebenen Bevölkerungszahl knapp 132 000 Personen hinzu und zählte damit erstmalig seit 1974 wieder mehr als 2 Mill. Einwohnerinnen und Einwohner. Direkt nach der Wiedervereinigung stieg zwar die Bevölkerung Berlins an, ging in den folgenden Jahren jedoch vor allem aufgrund der einsetzenden Suburbanisierung zurück. In der Spitze zogen allein 1998 fast 30 000 Menschen aus Berlin ins Berliner Umland. Erst 2008 erreichte Berlin mit 3,4 Mill. Menschen wieder das Niveau von 1990. Seit 2011 wächst Berlin im Mittel um 40 000 Personen pro Jahr. Zuletzt hat sich das Wachstum maßgeblich durch wieder steigende Fortzüge ins Berliner Umland abgeschwächt. 2019 lebten 3 669 491 Personen in Berlin und damit 209 918 weniger als 1920. BEVÖLKERUNG 30 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Von der Pyramide zum Tannenbaum Die Bevölkerungspyramide ist die wohl bekannteste und eine sehr anschauliche Darstellung der Alters- und Geschlechtsstruktur einer Population. 1910 ähnelte die Bevölkerungspyramide Alt-Berlins noch am ehesten der Form einer klassischen Pyramide. Auffällig ist jedoch der breite „Flügel“ bei den Kohorten der 20- bis etwa 35-Jährigen, die bereits vor 100 Jahren die besonders mobilen Altersklassen bildeten. Diese sind aufgrund von Zuwanderung um bis zu 50 % stärker besetzt als die jüngeren Kohorten. Neben der Wanderung wird die Bevölkerungsstruktur maßgeblich von Krisen beeinflusst. Die beiden Weltkriege formten die Bevölkerungspyramiden der darauffolgenden Jahrzehnte. Ohne ihren Einfluss würde aufgrund der höheren Lebenserwartung der weiblichen Bevölkerung in den älteren Kohorten ein Frauenüberschuss vorliegen. Auf der anderen Seite werden immer etwas mehr Jungen als Mädchen geboren, sodass in den jüngsten und jüngeren Kohorten ein Männerüberschuss vorliegt. 1939 ist der verheerende Einfluss des Ersten Weltkrieges zu erkennen. Die gefallenen Soldaten haben in der Altersklasse der 40- bis 55-Jährigen zu einem markanten Frauenüberschuss geführt. Zugleich waren besonders viele Menschen im erwerbsfähigen Alter, während vergleichsweise wenige Ältere und vor allem Jugendliche versorgt werden mussten. Durch den Zweiten Weltkrieg ist die Bevölkerungspyramide noch weiter zerklüftet. Der Frauenüberschuss ist durch die unzähligen Gefallenen in den entsprechenden Altersklassen weiter angestiegen und Kinder wurden zum Kriegsende kaum noch geboren. Die Bevölkerungspyramide von 1970 ist davon geprägt, dass die Kohorten, die vor dem Ersten Weltkrieg geboren wurden, durch Alterung aus der Erwerbsfähigkeit ausscheiden. Gleichzeitig sind durch den sogenannten Babyboom die jüngeren Kohorten stark angewachsen. Die älteren und jüngeren Personen müssen von der erwerbsfähigen Bevölkerung versorgt werden. Das Verhältnis von erwerbsfähiger Bevölkerung und nicht erwerbsfähiger Bevölkerung war dabei 1970 ungünstiger als heute. Die Altersstrukturentwicklung ist ein natürlich-dynamischer Prozess, der maßgeblich von Zu- und Abwanderung geprägt ist. Während der Teilung Deutschlands profitierte Berlin kaum noch von der Zuwanderung der jüngeren Altersklassen. Erst bei den Bevölkerungspyramiden der Nachwendezeit ist der Flügel, wie er in den 1920er Jahren zu sehen war, wieder zu erkennen. Berlin profitiert auch heute noch stark von Zuwanderung, hauptsächlich aus dem Ausland. Dadurch wächst die Kohorte der 20- bis 35-Jährigen stetig nach. Gleichzeitig zieht es vor allem Familien ins Berliner Umland. Folglich schrumpfen die Kohorten der Minderjährigen und deren Eltern im Alter von etwa 30 bis 45 Jahre. Heute erinnert die Berliner Bevölkerungspyramide eher an einen Tannenbaum als an eine klassische Pyramide. Bevölkerungspyramiden 1910 Männer Frauen 100 Jahre 90 80 Frauenüberschuss 70 60 50 40 30 20 Männerüberschuss 10 40000 20000 0 20000 40000 BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 1939 Männer 40000 1970 Frauen 100 Jahre 20000 100 Jahre Groß-Berlin 31 Männer 2019 Frauen 100 Jahre Männer 90 90 90 80 80 80 70 70 70 60 60 60 50 50 50 40 40 40 30 30 30 20 20 20 10 10 10 0 20000 40000 40000 20000 0 20000 40000 40000 Frauen 100 Jahre 20000 0 20000 40000 BEVÖLKERUNG 32 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Ausländische Bevölkerung Berlin ist Anziehungspunkt für Menschen aus den verschiedensten Ländern. Die Hauptherkunftsgebiete haben sich im Zeitverlauf allerdings etwas verschoben, wenngleich auch Konstanten erkennbar sind. 1925 waren die polnische vor der österreichischen die größten ausländischen Gemeinschaften in Berlin, aber auch türkische Staatsbürger spielten mit über 1 000 Personen bereits eine nennenswerte Rolle. Der Ausländeranteil betrug damals 2,6 %. 1973 war der Ausländeranteil in Berlin-West mit 8,7 % bereits um ein Vielfaches höher. Durch die Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte hat sich die Zahl der Türkinnen und Türken in Berlin-West auf 79 500 Personen (44,6 % der ausländischen Bevölkerung in Berlin-West) fast um den Faktor 70 erhöht. Gerade in den 1960er und 1970er Jahren stieg ihre Zahl deutlich, mitunter um mehrere 1 000 Personen pro Jahr. 2019 stellten die Türkinnen und Türken mit 87 000 Personen immer noch die größte Bevölkerungsgruppe ohne deutsche Staatsangehörigkeit in der Bundeshauptstadt. Ihr Anteil an der gesamten ausländischen Bevölkerung betrug 12,3 %. Aus Polen kamen 2019 über 50 000 Personen, womit sie die zweitgrößte Ausländergruppe in Berlin waren. Es folgten knapp 39 000 Personen mit syrischem Pass. Der Ausländeranteil lag bei 19,2 %. Herkunft der ausländischen Bevölkerung 700 000 Einwohner Gesamt 706 066 600 000 500 000 1925 400 000 300 000 200 000 100 000 2019 deutsch . . . . . . 3 917 582. . . .2 963 425 ausländisch . . . . 106 583. . . . . 706 066 darunter: Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . 1 173. . . . . . . . 86 979 Polen . . . . . . . . . . . . . . 22 499 . . . . . . . . 50 309 Sonstige Italien . . . . . . . . . . . . . . 1 688. . . . . . . . 27 626 Frankreich . . . . . . . . . . . . 661. . . . . . . . 17 359 Vietnam 1 439 . . . . . . . . 14 590 Großbritannien . . . . . Syrien Österreich . . . . . . . . . 15 270 . . . . . . . . . 9 754 USA Niederlande . . . . . . . . 1 754. . . . . . . . . .6 011 Niederlande USA... . . . . . . . . . . . . . . . . 1 145. . . . . . . . 20 398 Österreich Syrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 310 Vietnam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 571 Großbritannien Sonstige . . . . . . . . . . . 60 954. . . . . . . 416 159 Frankreich Gesamt 106 583 Italien Dargestellt ist eine Auswahl von Staatsangehörig- keiten, die auf den häufigsten Staatsangehörigkeiten Polen von 1925 basieren zuzüglich einiger heute stark ver- 0 1925 2019 Türkei tretener Staatsangehörigkeiten. BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 33 Geburten und Sterbefälle Abrupte Veränderungen des Geburten- und Sterbeverhaltens sind zumeist auf einschneidende Ereignisse beziehungsweise Perioden zurückzuführen. Während Kriegen steigt die Sterblichkeit und sinkt die Fertilität. Ansonsten sind die auftretenden Wellen im Fertilitäts- und Mortalitätsverlauf von der Altersstruktur der Bevölkerung bestimmt. Bei der Fertilität kommen noch Veränderungen im Geburtenverhalten hinzu sowie Vorzieh- und Nachholeffekte. Geburten, die beispielsweise aufgrund einer Krise nicht stattfanden, werden (zum Teil) zu einem späteren Zeitpunkt und damit in einem höheren Alter der Mutter nachgeholt. Umstände, die eine frühe Geburten Geburten und und Sterbefälle Sterbefälle Lebendgeburten Lebendgeburten 2. Weltkrieg 2. Weltkrieg 80 000 80 000 Mutterschaft befördern, können zu einem Vorziehen von Geburten führen. Im Gegenzug werden einige Jahre später, wenn die Mütter etwas älter geworden sind, weniger Kinder geboren. Sterbefälle Sterbefälle Teilung Teilung Geburtenüberschuss Geburtenüberschuss Geburtendefizit Geburtendefizit Wiedervereinigung Wiedervereinigung 74 74 574 574 Sterbefälle Sterbefälle 74 74 903 903 Geburten Geburten 70 000 70 000 60 000 60 000 50 000 50 000 40 000 40 000 30 000 30 000 20 000 20 000 30 30 980 980 Sterbefälle Sterbefälle 22 22 894 894 Geburten Geburten 10 000 10 000 0 0 1920 1920 1925 1925 1930 1930 1935 1935 1940 1940 1945 1945 1950 1950 1955 1955 1960 1960 1965 1965 1970 1970 1975 1975 1980 1980 1985 1985 1990 1990 1995 1995 2000 2000 2005 2005 2010 2010 2015 2015 2020 2020 34 100 Jahre Groß-Berlin Statistisch wurden im Jahr 1941 mit knapp 75 000 Geburten die meisten Kinder im Betrachtungszeitraum geboren. Fünf Jahre später wurde mit weniger als 23 000 Geburten das absolute Minimum erreicht. Seit dem Kriegsende ist die Geburtenzahl in Berlin recht konstant und schwankt zwischen 30 000 und 40 000 Geburten pro Jahr. Das Ende des Babybooms Mitte der 1960er Jahre ist vor allem im Kontext der Altersstruktur der weiblichen Bevölkerung zu sehen. Ab 1970 verlassen die Frauen, die in den geburtenstarken 1930er Jahren geboren wurden, allmählich ihre fertile Phase durch Alterung. Gleichzeitig rücken die geburtenschwachen Jahrgänge der 1940er Jahre in ihre hochfertile Phase vor. Da, wo wenige potenzielle Mütter sind, können auch nur wenige Kinder geboren werden. In den 1980er BEVÖLKERUNG Jahren ist wieder ein Anstieg der Geburten zu erkennen. Das sind die Kinder der Babyboomer. Das gleiche Bild ergibt sich in den Jahren ab 2010. Hier handelt es sich um die Enkelkinder der Babyboomer. Dieser Effekt wird als demografisches Echo bezeichnet. Der Anstieg der Sterbefallzahlen in den 1950er Jahren und der Rückgang ab den 1970er Jahren ist durch das Sterben der relativ großen Kohorten der Vorkriegsjahrgänge zu erklären. Aufgrund der unsicheren Datenlage und ihrer Höhe sind die Sterbefallzahlen des Jahres 1945 nicht dargestellt. Erstaunlich ist, dass die Sterbefallzahlen während des Krieges zurückgehen. Dies liegt zum einen daran, dass sich immer weniger Menschen aufgrund von Flucht und Deportation in Berlin aufhalten. Zum anderen sind die Sterbefälle statistik Berlin Brandenburg unter den Wehrmachtsangehörigen und Opfern von Bombardements nicht in den Zahlen ausgewiesen. Im Zusammenspiel aus Geburten und Sterbefällen ergibt sich der Wachstumsbeitrag der natürlichen Bevölkerungsbewegung zur Bevölkerungsentwicklung. Dieser ist in Berlin zumeist negativ. Berlin weist also fast durchgängig ein Geburtendefizit auf. Nur vereinzelt in den 1920er Jahren sowie während der NS-Diktatur gab es Geburtenüberschüsse. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Spreemetropole seit 2007 durchgängig Geburtenüberschüsse aufweist. Das ist die längste Periode von Geburtenüberschüssen, die es in Groß-Berlin je gab. BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 35 Heute hier, morgen dort – Wanderungsgeschehen Berlin ist ein Anziehungspunkt für Menschen aus der ganzen Welt. In den letzten 100 Jahren gewann die Stadt meist Einwohnerinnen und Einwohner durch Zuwanderung hinzu. Besonders hoch waren die Wanderungsgewinne in den 1920er Jahren. Von 1920 bis 1929 wuchs Berlins Einwohnerzahl um eine halbe Million. Nur im Krisenjahr 1923 wies Berlin einen negativen Wanderungssaldo auf. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise zogen zu Beginn der 1930er Jahre insgesamt 100 000 Personen mehr fort als zu. Anschließend war der Wanderungssaldo wieder positiv. Der Saldo während der Kriegszeit ist, besonders zum Kriegsende, eher zu hoch ausgewiesen, da sich viele Berlinerinnen und Berliner während des kriegsbedingten Fortzuges nicht polizeilich abmeldeten und damit auch statistisch nicht erfasst wurden. Für die Zeit der Teilung der Stadt kann das Wanderungsgeschehen nicht in Gänze abgebildet werden. In der amtlichen Statistik der DDR wurde keine Außenwanderung, also Wanderung über die Staatsgrenzen hinweg, dargestellt und ist somit unvollständig. Insbesondere fehlen die Wanderungsströme in den Westen. Die Zuwanderung aus der DDR nach Berlin-West wurde jedoch vom Statistischen Landesamt Berlin (West) erfasst. Seit 1949 bis zum Mauerbau 1961 verzeichnete Berlin-West 316 000 Zuzüge aus Berlin-Ost. Umgekehrt zogen 75 000 Personen aus Wanderung Zuzüge 2. Weltkrieg 400 000 Berlin-West in den Ostteil der Stadt. Dabei fielen die Fortzüge in den Osten in den ersten Jahren stärker aus. 1949 zogen 13 700 West-Berliner nach Berlin-Ost. 1961 waren es lediglich 2 200. Die Zuwanderung aus dem Osten in den Westen Berlins schwankte und war von politischen Ereignissen abhängig, lag aber bis zum Mauerbau nicht unter Fortzüge Teilung Wanderungssaldo Saldo Berlin-West Mauerbau Saldo Berlin-Ost (unvollständig) Wiedervereinigung 350 000 300 000 250 000 200 000 150 000 100 000 50 000 0 -50 000 -100 000 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 36 100 Jahre Groß-Berlin 17 000 Personen pro Jahr. Die Zuwanderung aus dem übrigen Gebiet der DDR übertraf die Zuwanderung aus Berlin-Ost bei Weitem. In einigen Jahren waren es knapp 100 000 Personen oder mehr. Das Jahr des Volksaufstandes 1953 sticht dabei mit 270 000 Zuzügen von DDR-Bürgern nach Berlin-West besonders heraus. Die Kurve des Wanderungsgewinnes Berlin-Wests gegenüber der DDR (ohne Berlin-Ost) wird durch den Wanderungsverlust gegenüber dem Rest der Welt (überwiegend die westdeutschen Bundesländer) gespiegelt. Die meisten Personen aus der DDR, die nicht aus Berlin-Ost kamen, nutzten Berlin-West als Sprungbrett in die Bundesrepublik. Diesem regen Wanderungsgeschehen wurde mit dem Mauerbau ein Ende bereitet. Dennoch wies Berlin-West von 1963 bis 1988 immerhin noch einen Wanderungsgewinn von 116 000 Personen gegenüber der DDR aus – in etwa je zur Hälfte aus Berlin-Ost und der übrigen DDR. 1989 lag mit 26 000 Zuzügen von Berlin-Ost- nach -West ein neuer Höchstwert nach 1953 und 1961 vor. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre gewann Berlin durch einen positiven Wanderungssaldo BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg an Einwohnerinnen und Einwohner dazu. Doch aufgrund von Abwanderung in das Berliner Umland – 1998 waren es fast 30 000 Personen – und geringer Zuwanderung pendelte der Wanderungssaldo um die Nulllinie. Seit den 2010er Jahren zieht die Zuwanderung wieder spürbar an, bei gleichzeitiger, aber geringerer Zunahme der Abwanderung ins Berliner Umland. Ein Vergleich der Wanderungsströme der 1920er Jahre mit den 2010er Jahren zeigt auf, dass das Wanderungsvolumen damals deutlich höher war. Insgesamt zogen 5,5 Mill. Menschen in den 1920er Jahren nach Berlin oder von dort fort. Das sind deutlich mehr Personen als seinerzeit überhaupt in Berlin lebten. In den 2010er Jahren betrug das Wanderungsvolumen 3,2 Mill. Menschen. Das hohe Wanderungsvolumen kommt dadurch zustande, dass viele Wandernde in kurzer Zeit mehrfach umziehen. So kommt der Student zum Studium nach Berlin und verlässt es nach seinem Abschluss auch wieder. Junge Erwachsene aus dem ländlichen Raum suchen in der Metropole Arbeit und ziehen nach kurzer Zeit wieder zurück oder in eine andere Stadt. Anzahl der Hitzetoten 900 Anzahl der Hitzetoten 800 900 700 800 600 700 500 600 400 500 300 400 Nicht in jedem Jahr trat eine hitzebedingte Übersterblichkeit auf. Wenn lange und ununterbrochene Hitzeperioden auftraten, war die Übersterblichkeit hoch, wie in den Sommern 1994, 2010 und 2018. 200 300 100 200 1000 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 0 BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 37 Wann das Leben und der Tod Saison haben Leben und Tod halten nicht zu jeder Zeit des Jahres gleichermaßen Einzug in die Stadt. Dabei hat sich die Verteilung auf die einzelnen Monate im Zeitverlauf durchaus geändert. Die meisten Geburten finden heute im Sommer statt. Die Monate Juli bis September weisen die höchsten Geburtenzahlen auf. Entgegen der Vorstellung, dass der Frühling die Liebenden lockt, werden die meisten Kinder in Berlin im Herbst gezeugt. Anfang der 1920er Jahre zeichnete sich noch ein anderes Bild. Die meisten Kinder wurden von Januar bis Mai geboren. Die Kinder der 1920er Jahre wurden damit vornehmlich in den Sommermonaten gezeugt. Die Verteilung der Sterbefälle über die Monate erscheint auf den ersten Blick recht deckungsgleich. Trotz der ähnlichen Verteilung gibt es dennoch bemerkenswerte Unterschiede. Die meisten Personen sterben vor allem in den kalten und dunklen Monaten Dezember bis März. Im Sommer sind die Sterberaten entsprechend niedriger. Dieses Muster hat sich in den letzten 100 Jahren jedoch abgeschwächt. Während sich im Dezember und Januar 1921/1922 ein Fünftel aller Sterbefälle ereignete, betrug dieser Anteil 2017/2018 nur noch 18 %. Als Ursache dafür darf man die bessere Versorgungslage der Bevölkerung annehmen. Dabei spielt nicht nur die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, sondern auch die bessere Versor­ gung mit Wohnraum, der unter anderem ausreichend Schutz vor dem kalten Wetter bietet, eine entscheidende Rolle. Jedoch muss dieser Rückgang der Sterblichkeit im Winter an anderer Stelle nachgeholt werden. Dies sind heute die Sommermonate. Nicht zuletzt aufgrund der Klimawandeldiskussion rücken vermehrt Untersuchungen der hitzebedingten Sterblichkeit in den Vordergrund. Im Jahr 2019 waren in Berlin 139 Sterbefälle auf Hitze zurückzuführen. Seit 1985 starben rund 3 000 Berlinerinnen und Berliner aufgrund heißer Sommer. Monatliche Verteilung der Geburten und Sterbefälle Monatliche Monatliche Verteilung Verteilung der der Geburten Geburten und und Sterbefälle Sterbefälle Monatliche Verteilung der Geburten und Sterbefälle 1921/1922 1921/1922 1921/1922 1921/1922 Geburten Jan Feb März Apr Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez Geburten Geburten Geburten 2017/2018 Jan Jan Jan Feb Feb Feb März März März Apr Apr Apr Mai Mai Mai Juni Juni Juni Juli Juli Juli Aug Aug Aug Sep Sep Sep Okt Okt Okt Nov Nov Nov Dez Dez Dez 1921/1922 1921/1922 1921/1922 Sterbefälle Jan Feb März Apr Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez Sterbefälle Sterbefälle Sterbefälle 2017/2018 Jan Jan Jan Feb Feb Feb März März März Apr Apr Apr Mai Mai Mai Juni Juni Juni Juli Juli Juli Aug Aug Aug Sep Sep Sep Okt Okt Okt Nov Nov Nov Dez Dez Dez 2017/2018 2017/2018 2017/2018 1921/1922 2017/2018 2017/2018 2017/2018 Gesamt: 99 587 Geburten Geburtenreichster Monat: Januar (9 466 Geburten) Gesamt: Gesamt:99 99 99587 587 587Geburten Geburten Geburten Gesamt: Geburtenärmster Monat: (7466 233Geburten) Geburten) Geburtenreichster Geburtenreichster Monat:Oktober Januar Januar (9 (9 466 Geburten) Geburtenreichster Monat: Monat: Januar (9 466 Geburten) Geburtenärmster Geburtenärmster Monat: Monat: Oktober Oktober (7 (7 233 233 Geburten) Gesamt: 80 366 Geburten Geburtenärmster Monat: Oktober (7 233 Geburten) Geburten) Geburtenreichster Monat: Juli (7 389 Geburten) Gesamt: Gesamt:80 80366 366Geburten Geburten Gesamt: 80 366 Geburten Geburtenärmster 090 Geburten) Geburtenreichster GeburtenreichsterMonat: Monat: Monat:Dezember Juli Juli (7 (7 (7 389 389 389(6 Geburten) Geburten) Geburtenreichster Monat: Juli Geburten) Geburtenärmster Geburtenärmster Monat: Monat: Dezember Dezember (6 (6 090 Geburten) Geburten) Geburtenärmster Monat: Dezember (6 090 090 Geburten) Gesamt: 99 996 Verstorbene Sterbereichster Januar (10 498 Verstorbene) Gesamt: Gesamt:99 99 99996 996 996Monat: Verstorbene Verstorbene Gesamt: Verstorbene Sterbeärmster Monat: September 906 Verstorbene) Sterbereichster Monat: Januar (10 (10(6 498 Verstorbene) Sterbereichster Monat: 498 Verstorbene) Sterbereichster Monat: Januar Januar (10 498 Verstorbene) Sterbeärmster Monat: September (6 906 Verstorbene) Sterbeärmster Monat: September (6 906 Gesamt: 70 239 Verstorbene Sterbeärmster Monat: September (6 906 Verstorbene) Verstorbene) Sterbereichster Monat: März (6 947 Verstorbene) Gesamt:70 70239 239Verstorbene Verstorbene Gesamt: Gesamt: 70 239 Verstorbene Sterbeärmster Monat: Juni (5(6 093 Verstorbene) Sterbereichster Monat: März (6 947 Verstorbene) Sterbereichster Monat: 947 Verstorbene) Sterbereichster Monat: März März (6 947 Verstorbene) Sterbeärmster Sterbeärmster Monat: Monat: Juni Juni (5 (5 093 093 Verstorbene) Sterbeärmster Monat: Juni (5 093 Verstorbene) Verstorbene) BEVÖLKERUNG 38 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Hochzeit in Berlin Die Zahl der Hochzeiten ist zum einen von der Altersstruktur abhängig, denn wo mehr junge Menschen leben, wird auch mehr geheiratet. Zum anderen spielt die Heiratsneigung eine entscheidende Rolle. Heute erfreut sich das Heiraten offenkundig geringerer Beliebtheit als vor 100 Jahren. Zu guter Letzt spielen auch hier wieder die äußeren Umstände eine gewichtige Rolle. Während 1920 über 50 000 Ehen in Berlin geschlossen wurden, waren es im Nachgang des Krisenjahres 1923 mit Hyperinflation und Unruhen 1924 nur noch 31 000 Ehen. Zum Kriegsbeginn 1939 wurden knapp 61 000 Trauungen durchgeführt, der höchste Wert in den letzten 100 Jahren. Im Verlauf des Krieges sank die Zahl der Hochzeiten stark. Seitdem ist die Zahl der Eheschließungen insgesamt wellenförmig zurückgegangen. Ein Hoch gab es in den 1960er Jahren, zu Zeiten des Babybooms. Den nächsten Anstieg gab es, als die Kinder der Babyboomer ihr Heiratsalter erreichten. Auch in den letzten Jahren gab es altersstrukturbedingt einen Anstieg im Heiratsgeschehen. Hervorzuheben ist der Ausreißer im Jahr 2018. Seit Oktober 2017 können gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen werden, die statistisch jedoch erst 2018 verarbeitet und nachgewiesen wer­den konnten. So, wie sich die Eheneigung verändert hat, hat sich auch die Antwort der Berlinerinnen und Berliner auf die Frage geändert, in welchem Monat sie Hochzeit feiern wollen. Bei den Eheschließungen ist sowohl damals wie heute der kalte Jahresbeginn am unbeliebtesten zum Heiraten. Was für die kalte Jahreszeit am Jahresanfang gilt, gilt nicht für das Jahresende. Dieser war 1921/1922 der beliebteste Monat zum Heiraten. Heute ist er es zwar nicht mehr, aber dennoch werden im Dezember bedeutend mehr Ehen geschlossen als in den umliegenden Monaten. Heute ist der Grund vornehmlich darin zu sehen, dass sich auch eine im Dezember geschlossene Ehe steuerlich auf das gesamte Jahr auswirkt und entsprechende Vorteile geltend gemacht werden können. Offenbar ist das eine Konstante, die schon seit 100 Jahren gilt. Abgesehen von Steuergründen suchen sich die Hochzeitspaare bevorzugt Monate mit gutem Wetter aus. Während heute in den Sommermonaten Juni bis August und als Höhepunkt im September besonders häufig geheiratet wird, fanden die meisten Hochzeitsfeste in den 1920er Jahren im Wonnemonat Mai und im goldenen Oktober statt. Der Hochsommer mit den Monaten Juli und August war sogar unbeliebter als der unbeständige April. Verteilung Verteilungder derEheschließungen Eheschließungen Gesamt: Gesamt:92 92823 823Eheschließungen Eheschließungen Ehereichster EhereichsterMonat: Monat:Dezember Dezember(10 (10151 151Ehen) Ehen) Eheärmster EheärmsterMonat: Monat:Januar Januar(4(4927 927Ehen) Ehen) 1921/1922 1921/1922 Jan Jan 2016/2017 2016/2017 Feb Feb März März Apr Apr Mai Mai Juni Juni Juli Juli Aug Aug Sep Sep Okt Okt Nov Nov Dez Dez Gesamt: Gesamt:26 26434 434Eheschließungen Eheschließungen Ehereichster EhereichsterMonat: Monat:September September(3(3124 124Ehen) Ehen) Eheärmster EheärmsterMonat: Monat:Januar Januar(942 (942Ehen) Ehen) BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 39 … bis der Richter euch scheidet Nicht jede Ehe endet mit dem Tod, manche enden auch vor dem Familiengericht. 1920 wurden 4 214 Ehen geschieden, 2018 waren es 5 342. Die geringe Veränderung zwischen den beiden Jahreszahlen soll jedoch nicht über durchaus wechselhafte Jahre mit sprunghaften Anstiegen hinwegtäuschen. Von 8 064 Ehescheidungen im Jahr 1933 stieg die Zahl im darauffolgenden Jahr auf 10 857. Trotz des Zweiten Weltkrieges und den damit verbundenen Sorgen standen Ehescheidungen hoch im Kurs. Zwischen 1946 und 1948 gab es den höchsten Anstieg an Scheidungen überhaupt in Berlin, ihre Zahl stieg von 11 760 auf einen Rekordstand von 15 962. Die Gründe für Scheidungen können vielfältig sein, zwei Faktoren waren zu dieser Zeit die Traumatisierungen durch die Kriegserfahrungen und die auflebende Rolle der Frau im Erwerbsleben. Von 1989 bis 2004 stabilisierte sich die Zahl der Ehescheidungen auf hohem Niveau von zuletzt 10 245 Eheschließungen und Scheidungen Eheschließungen 2. Weltkrieg 70 000 Teilung Scheidungen Wiedervereinigung Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe 60 904 Eheschließungen 60 000 50 000 40 000 30 000 20 000 11 511 Eheschließungen 15 962 Scheidungen 3 675 Scheidungen 10 000 0 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 gerichtlichen Trennungen. Seitdem war das Ehescheidungsaufkommen rückläufig. Die Ursachen dafür sind, wie in der Nachkriegszeit, mannigfaltig. Ein entscheidender Faktor ist jedoch der Bestand an Eheleuten, also die Menge der Personen, die überhaupt geschieden werden können. Diese wird durch zwei Entwicklungen beeinflusst. Zum einen spielt die demografische Struktur eine Rolle. Sinkt die Zahl der Menschen im Heiratsalter, sinkt die Zahl der Eheschließungen und damit zeitlich verzögert die Zahl der Ehescheidungen. Zum anderen bestimmt die Eheneigung die Zahl der Ehescheidungen. Werden aus persönlichen oder gesellschaftlichen Gründen weniger Ehen geschlossen, hat auch dies zeitverzögert sinkende Ehescheidungen zur Folge. So hat sich die Zahl der Eheschließungen zwischen 2004 und 2018 nahezu halbiert. Zu guter Letzt spielen auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle, ob sich Paare scheiden lassen oder nicht. BEVÖLKERUNG 40 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Totgeburt und Säuglingssterblichkeit Auch wenn die Definition einer Totgeburt sich im Laufe der Zeit hinsichtlich Größe, Gewicht und Nicht-Vorliegen von Lebenszeichen gewandelt hat, ist ein zweifelsfrei abnehmender Trend von Totgeburten erkennbar. Heute liegt eine Totgeburt vor, wenn das Kind mindestens 500 Gramm wiegt und weder das Herz geschlagen, noch die Nabelschnur pulsiert, noch die SÄUGLINGSSTERBLICHKEIT 14 % 1920 natürliche Lungenatmung eingesetzt hat. Hätte diese Definition durchgehend gegolten, wären in der Vergangenheit mehr Totgeburten registriert worden als heute. Der abnehmende Verlauf ist damit unterzeichnet. 1920 wurden knapp 2 500 Totgeburten registriert. 2018 waren es 162. Dies entspricht einem Rückgang von 94 %. Da die Zahl der Totgeburten RISIKO EINER TOTGEBURT 0,4 % 2018 1920 Totgeburten und Säuglingssterbefälle 2. Weltkrieg 12 000 3,8 % Säuglingssterbefälle Teilung 0,4 % 2018 Totgeburten Wiedervereinigung 10 000 8 000 Säuglingssterblichkeit unter 1 % 6 000 4 000 2 000 0 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 eng mit der Zahl der Lebendgeburten zusammenhängt, ist es nicht verwunderlich, dass es in den 1930er Jahren zu einem Anstieg der Totgeburten kam, da insgesamt mehr Kinder geboren wurden. Das Risiko einer Totgeburt lag in den 1920er Jahren bei 4 %. Danach ging es bis 1943 auf 2 % zurück und stieg aufgrund der schlechteren Versorgungslage bis 1946 auf fast 3 % an. Heute liegt das Risiko bei unter 0,5 % und damit um knapp 90 % geringer als 1920. Auch die Säuglingssterblichkeit ist von einem deutlichen Rückgang geprägt. Während 1920 fast 9 000 Kinder innerhalb des ersten Lebensjahres verstarben, waren es 2018 mit 146 Fällen 98 % weniger. So wie auch bei den Totgeburten ist der Anstieg der Säuglingssterbefälle in den 1930er Jahren durch den damaligen Anstieg der Geburten begründet. Die Säuglingssterblichkeit sank von 14 % im Jahr 1920 auf unter 6 % im Jahr 1941. Dann jedoch kam es zu einem dramatischen Anstieg. Die Auswirkungen des Krieges bekamen die Allerjüngsten am stärksten zu spüren. 1945 starb mehr als jeder dritte Säugling. Auch 1947 war die Versorgungslage noch so schlecht, dass hier fast jeder achte Säugling verstarb. Erst 1950 wurde der Vorkriegswert unterschritten. Heute liegt die Säuglingssterblichkeit zwischen 0,3 % und 0,4 % – 97 % weniger als noch im Jahr 1920. BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 41 Häufigste Todesursachen Im Jahr 1921 war die Tuberkulose, die von Bakterien verursacht wird, mit 5 819 registrierten Fällen die häufigste Todesursache. Als weitere Infektionskrankheit folgte die Lungenentzündung mit 3 753 Toten auf Platz drei der häufigsten Todesursachen. Am Kindbettfieber verstarben 592 Mütter. Infektionskrankheiten beeinflussten somit 1921 das Sterbegeschehen in starkem Maße. 1977 wurde die Reihe der häufigsten Todesursachen von den Herzkrankheiten mit 8 736 und Krebserkrankungen mit 6 836 Fällen angeführt. Die klassischen Infektionskrankheiten (Tuberkulose, Lungenentzündung, Influenza, Kindbett­ fieber und Diphterie) waren nicht mehr so dominant. Sie konnten durch verbesserte Wohnverhältnisse, Hygiene und die großen Fortschritte der Medizin zurückgedrängt werden. Krebs- sowie Herz- und Kreislauferkrankungen waren 2017 mit 9 177 beziehungsweise 4 222 Fällen die häufigsten Todesursachen. Die Alterung der Gesellschaft und die Erfolge der medizinischen Forschung und Behandlung veränderten deutlich das Spektrum der häufigsten Todesursachen. Häufigste Todesursachen 1921 Infektionskrankheiten 1977 Tuberkulose 5 819 Tote Krebs 4 465 Tote Lungenentzündung 3 753 Tote Unfall 1 534 Tote Magen-, Darmkatarrh, Brechdurchfall 1 483 Tote Sonstige Erkrankung der Atemwege 1 409 Tote Selbstmord 1 353 Tote 2017 Herzkrankheiten 8 736 Tote Krebs 6 836 Tote Hirngefäßkrankheiten 4 231 Tote Krankheiten des Verdauungssystems 2 268 Tote Pneumonie 1 180 Tote Unfälle und Vergiftungen 1 079 Tote Leberzirrhose 986 Tote Influenza 669 Tote Psychische Erkrankungen 844 Tote Kindbettfieber 592 Tote Bronchitis 752 Tote Selbstmord 691 Tote Tuberkulose 185 Tote Diphtherie 283 Tote Krebs 9 177 Tote Herz- und Kreislauferkrankungen 4 222 Tote Atemwegserkrankungen 2 962 Tote Schlaganfälle 2 101 Tote Bluthochdruck 1 779 Tote Psychische Erkrankungen 1 658 Tote Krankheiten des Verdauungssystems 1 569 Tote Endokrine, Ernährungs-, Stoffwechselkrankheiten 1 473 Tote Unfall 1 438 Tote Nervensystem 1 118 Tote 42 100 Jahre Groß-Berlin BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg Mord und Totschlag Fälle von Gewaltkriminalität beeinflussen das Gefühl von Sicherheit in starkem Maße. Besonders wahrgenommen werden in der Öffentlichkeit Tötungsdelikte. Die Vermeidung von Gewaltkriminalität setzt gesellschaftlichen Konsens und eine funktionierende Staatlichkeit voraus. Die Todesfälle2 durch Mord, Totschlag und vorsätzliche Verletzungen durch eine andere Person – so die aktuelle Definition in der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen – erreichte mit sechs Getöteten in Berlin im Jahr 2017 einen historischen Tiefstand. Für die Jahre der Weimarer Republik verzeichnet die Statistikreihe mit 101 Fällen im Jahr 1922 und 65 beziehungsweise 91 Fällen für die Jahre 1927 und 1932 eine deutlich höhere Fallzahl. In der Nachkriegszeit – die Phase der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und die Kriegsjahre werden in diese Betrachtung nicht einbezogen – wurden 316 Fälle im Jahr 1946 und 199 Fälle ein Jahr später gezählt. Auffällig sind die hohen Fallzahlen im Jahr 1980 mit 91 Fällen und in den Jahren 1992 bis 1994 mit mehr als 80 Fällen. Seit 2008 werden weniger als 20 Fälle jährlich gezählt. In den meisten Jahren waren mehr Männer als Frauen Opfer von Mord, Totschlag und vorsätzlichen Verletzungen. Über den gesamten hier berichteten Zeitraum lag das Verhältnis bei 1,3; auf ein weibliches Opfer kamen entsprechend 1,3 männliche. Im Jahr 1998 kamen hingegen auf ein weibliches Opfer 3,1 männliche und 2009, bei einer insgesamt deutlich geringeren Fallzahl, sogar 3,3 männliche Opfer. In den Nachkriegsjahren war das Verhältnis der Opferbetroffenheit nach dem Geschlecht mit ihren hohen Fallzahlen nahezu ausgeglichen. Morde 2020 Männer Frauen 2010 2000 1990 1980 1970 1960 1946 167 Männer 1950 1946 149 Frauen 1940 1930 1920 200 150 100 50 0 50 100 150 200 BEVÖLKERUNG statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 43 Suizide Suizide 2020 Männer Frauen 2017 197 Männer 2010 2017 81 Frauen 2000 1990 1980 1970 1932 1 343 Männer 1960 1950 1932 919 Frauen 1940 1930 1920 1 500 1 000 500 0 500 1 000 1 500 Im Jahr 2017 nahmen sich in Berlin 278 Menschen das Leben. Über das Jahr gesehen waren es also jede Woche fünf Berlinerinnen und Berliner, die durch einen vollendeten Suizid3 ihr Leben beendeten. Die Zahl der Suizide lag vor allem in den Weimarer Jahren deutlich höher: Im Jahr 1922 wurden 1 519 und im Jahr 1932 sogar 2 262 Suizide verübt – auf jeden Tag des Jahres kamen so sechs Freitode. Werden die Suizide auf 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner bezogen, lag diese Maßzahl 1932 bei 53, dagegen waren es 2017 nur noch acht. Während der nationalsozialistischen Herrschaft verschwanden Suizide keineswegs aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ganz entgegen der Propaganda der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik. Im Jahr 1937 beendeten 1 879 Menschen ihr Leben selbst. Im Jahr 1945 erreichte die Zahl der Suizide mit 7 057 Selbsttötungen einen außergewöhnlich hohen Wert, vermutlich lag die tatsächliche Zahl der Suizide sogar noch deutlich darüber. Seit den 1980er Jahren geht die Anzahl der Suizide relativ kontinuierlich zurück. Es nehmen sich generell mehr Männer als Frauen das Leben: 2017 kamen auf jede Frau, die den Freitod wählte, 2,4 Männer. In den Nachkriegsjahren 1948 und 1952 war das Verhältnis zwischen den Geschlechtern in etwa ausgeglichen. Kapitel 4 Wohnen WOHNEN 46 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Berlin baut Wohnen ist ein elementares Bedürfnis, das in den letzten 100 Jahren in Berlin nicht immer befriedigt werden konnte. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte Berlin als prosperierende Industriestadt Probleme, ihre wachsende Bevölkerung unterzubringen. Anstelle von privaten Mietskasernen sollten nach Kriegsende Gewerkschaften, Genossenschaften sowie die Stadt selbst die Trägerschaft für neu gebaute Gebäude übernehmen, um der Wohnungsknappheit entgegenzuwirken. Schattige Hinterhöfe und lichtlose Wohnungen sollten der Vergangenheit angehören und wurden durch schlichte, gut belichtete Gebäude mit großen Innenhöfen ersetzt. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen schufen Großsiedlungen der Berliner Moderne, die seit 2008 Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind. Es entstanden vornehmlich zum Ende der Weimarer Republik unter anderem der Schillerpark, Britz, Siemensstadt, die Wohnstadt Carl Legien oder die Weiße Stadt. Zwischen 1920 und 1930 kamen in der Spreemetropole rund 160 000 Wohnungen dazu. Auch unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde gebaut. In den Jahren 1933 bis 1944 entstanden 102 000 Wohnungen. Da die NSDAP aber wohnungspolitisch mit der „roten“ Innenstadt zunächst nichts anzufangen wusste, konzentrierten sich ihre Planer vorerst auf kleine Projekte in den Außenbezirken. Die größte innerstädtische Siedlung in Zeiten des deutschen Faschismus entstand am Grazer Damm in Schöneberg, umfasste rund 2 000 Wohnungen und nahm bereits vor dem Überfall auf Polen das Kriegsgeschehen vorweg, indem man die Siedlung nach dem Prinzip der „luftschutzgerechten Stadt“ erbaute, der Sprengund Brandbomben weniger Schaden zufügen sollten. Weitere Siedlungen entstanden oder wurden erweitert am Roedeliusplatz in Lichtenberg, an der Togo- und Müllerstraße in Wedding sowie unter dem Namen „Grüne Stadt” zwischen Greifswalder und Kniprodestraße in Prenzlauer Berg. Diese Art des ländlichen Baustils konnte aber der herrschenden Wohnungsnot kaum entgegenwirken. Innerstädtische Großprojekte scheiterten bereits aufgrund der Rüstungsbemühungen vor und vermehrt während des Zweiten Weltkrieges an der Beschaffung von Baumaterialien. Nach Kriegsende war ein Großteil Berlins zerstört. Hunderttausende Wohnungen (500 795) lagen in Schutt und Asche. Über 30 % der Wohnungen waren zerstört oder unbewohnbar. Der Bestand an Wohnungen lag 1945 bei nur noch 1 061 846 Wohnungen. Durch die Rückkehr von Geflüchteten, Kriegsheimkehrern und die Ankunft von Vertriebenen kam es in den Folgejahren zu einem verstärkten Wohnungsnotstand in der Stadt. Um die Versorgung mit Wohnraum für alle Einkommensklassen zu sichern, setzte die Politik auf sozialen Wohnungsbau. Erst im Jahr 1955 hatte Berlin wieder den Wohnungsbestand von 1920 erreicht. Das Niveau von 1940 wurde erst 1975 wieder erreicht. Zwischen 1950 bis zur Wiedervereinigung 1990 hat sich der Bestand an Wohnungen zwischen West und Ost unterschiedlich stark entwickelt. Im Westen der Stadt stieg der Wohnungsbestand in diesem Zeitraum durch den Bau von Sozialwohnungen und Eigenheimen um 67 %. In Berlin-Ost war der Anstieg mit 55 % etwas schwächer. Dabei war der Wohnungsbestand in Berlin-West, das zwei Drittel der Stadt ausmachte, doppelt so hoch wie in Berlin-Ost. Der Wohnungsbau konzentrierte sich im Osten der Stadt vorrangig auf randstädtische Neubaugebiete. Die sogenannten Plattenbauten entstanden. Mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung setzte ein Bauboom ein. Rund 150 000 Wohnungen entstanden in Berlin zwischen 1990 und 2000. Allerdings sank die Bevölkerungszahl ab Mitte der 1990er Jahre bei anhaltendem Wohnungsbau aufgrund einer Abkehr vom sozialen Wohnungsbau hin zu einer Eigentumsförderung im Berliner Umland. Mit dem neuen Jahrtausend ging eine Stagnation im Wohnungsbau mit einem Wohnungsbestand knapp unter 1,9 Mill. Wohnungen einher. Gleichzeitig zog Berlin wieder mehr Menschen an, sodass die Bevölkerung in den 2010er Jahren rapide zunahm. Auf den einsetzenden Zustrom an Menschen reagierten die Akteure des Wohnungsbaus allerdings nur langsam, sodass heute wieder der Mangel an Wohnraum die öffentliche Diskussion bestimmt. 2019 lag der Bestand bei 1 968 315 Wohnungen. Wird die Anzahl der WOHNEN statistik Berlin Brandenburg Wohnungen je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner betrachtet, so ist fast eine Verdopplung in den betrachteten 100 Jahren zu verzeichnen. Mit Ausnahme weniger Jahre zum Ende des Zweiten Weltkrieges und der Wendejahre stieg die Zahl der Wohnungen stets stärker als die Bevölkerungszahl. Erst im neuen Jahrtausend brach Anzahl der Wohnungen und Einwohner je Wohnung 2,0 Mill. Wohnungen 2. Weltkrieg 100 Jahre Groß-Berlin 47 dieser 75 Jahre alte Trend. Angesichts immer kleinerer Haushalte aufgrund demografischer Faktoren und der Veränderung des Lebensstils ist zu erwarten, dass auch in Zukunft der Zuwachs an Wohnungen über dem der Bevölkerung liegen muss, damit sich der Wohnungsmarkt in Berlin entspannen kann. Wohnungen Wiedervereinigung Einwohner je Wohnung Einwohner 4 1920 1,15 Mill. WOHNUNGEN 1,5 3 3,4 EINWOHNER JE WOHNUNG 2 1,0 2019 1 0,5 1, 97 Mill. WOHNUNGEN 0 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2019 0 1,8 EINWOHNER JE WOHNUNG Kapitel 5 Arbeitsmarkt ARBEITSMARK T 50 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Von der Werkbank an den Computer Der gewerblichen und landwirtschaftlichen Betriebszählung 1925 gingen Weltkrieg, politische Unruhen und Hyperinflation voraus. Erfasst wurden etwa 1,8 Mill. Beschäftigte. Einschließlich der Behörden, Parteien und Kirchen sowie der Hausangestellten lag die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin bei etwa 2,1 Mill. Mehr als 1 Mill. Personen waren im Produzierenden Gewerbe tätig, darunter knapp 909 000 in der Industrie. 327 000 Beschäftigte gab es im Berliner Groß- und Einzelhandel. Seit 1927 waren auch in Berlin für kurze Zeit Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten. Infolge der Weltwirtschaftskrise kam es jedoch ab 1929 zu Massenentlassungen. Die Berufs- und Betriebszählung im Jahr 1933 zählte gut 1,6 Mill. Erwerbstätige. Die meisten Stellen wurden im Produzierenden Gewerbe abgebaut. Hier sank die Zahl der Erwerbstätigen gegenüber 1925 um 40 %. Allein in der Industrie gab es 400 000 Erwerbstätige weniger. Verkehr und Handel waren vom Rückgang weniger betroffen. Zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten vermehrt genutzt wurden, zählte neben Autobahnbau und Ankurbelung des Fahrzeugbaus durch steuerliche Förderung auch der Versuch, die Berufstätigkeit von Frauen zurückzudrängen, um Arbeitsplätze für Männer freizumachen. In den Folgejahren stieg – auch infolge der zunehmenden Umstellung auf Rüstungsproduktion – der Bedarf bis hin zum Mangel an Arbeitskräften. 1935 wurde per Gesetz die freie Wahl des Arbeitsplatzes beschnitten; im Jahr 1938 waren in Berlin 1,9 Mill. „arbeitsbuchpflichtige“ Arbeiter und Angestellte registriert. Weil von Vollbeschäftigung ausgegangen wurde, unterschied die Berufs- und Betriebszählung 1939 nicht mehr zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen. In diesem Jahr gab es mehr als 2,2 Mill. Erwerbstätige in Berlin, 36 % beziehungsweise 600 900 mehr als 1933. Im Produzierenden Gewerbe betrug die Zahl der Erwerbstätigen 1,2 Mill. Das waren 90 % mehr als 1933 und 14 % mehr als 1925. Der Anteil an allen Erwerbstätigen hatte sich von 38 % auf mehr als 52 % erhöht. Die meisten Erwerbstätigen waren in den Bereichen Elektrotechnik sowie Maschinen-, Stahl- und Fahrzeugbau – hier hatte sich die Zahl mehr als verdreifacht – und im Baugewerbe hinzugekommen. Zugenommen hatte auch die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, begründet mit Aufgaben im Rahmen des Wiederaufbaus der Wehrmacht, der Verwaltung des Arbeitsdienstes und der „öffentlichen Arbeits- und Wirtschaftslenkung“. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges sank wegen der Einberufungen zum Wehrdienst die Zahl der Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen entspricht 2 % Anteil Land- und Forstwirtschaft Produzierendes Gewerbe (ohne Baugewerbe) Baugewerbe Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information und Kommunikation sonstige Dienstleistungen 1925 1939 1 39 ARBEITSMARK T statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 51 Erwerbstätige 1991 2019 Berlin 2. Weltkrieg Teilung 2,5 Mill. Ölpreiskrise Berlin-West Berlin-Ost Wiedervereinigung 2,0 1,5 1,0 0,5 0 1925 1933 1939 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1989 1990 1991 1995 2000 2005 2010 2015 2019 52 100 Jahre Groß-Berlin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen. Der Mangel wurde mit stärkerer Einschränkung der Wahlmöglichkeit des Arbeitsplatzes und verstärktem Einsatz von Zwangsarbeit ausländischer Arbeitskräfte bekämpft. Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1941 wurden in Berlin rund 20 000 Kriegsgefangene beschäftigt. Ende 1944 gab es in Berlin einschließlich der Kriegsgefangenen 350 000 Zwangsarbeitende4. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand im Jahr 1946 eine Volks- und Berufszählung statt, die jedoch keine Betriebszählung einschloss. Somit kann für die knapp 1,5 Mill. Erwerbstätigen mit Wohnort in Berlin nicht eingeschätzt werden, wie stark die Zahl der Erwerbstätigen, deren Arbeitsort Berlin war, davon abwich. Der starke Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen gegenüber 1939 korrespondiert mit dem Rückgang der Einwohnerzahl. Doch auch Zerstörung und Demontage von Industrieanlagen dürften eine Rolle gespielt haben. In Industrie und Handwerk waren fast 434 000 Personen weniger tätig, ein Rückgang um 39 %. Angestiegen war lediglich die Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, die auch in Deutschland insgesamt zugenommen hatte. Für das Jahr 1950 wurden für das bereits geteilte Berlin mehr als 1,3 Mill. Erwerbstätige berechnet, von denen 579 600 (44 %) im Ostteil und 744 900 ARBEITSMARK T im Westteil der Stadt tätig waren. Während die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin-Ost in den Folgejahren leicht sank, stieg sie in Berlin‑West kräftig. 1961 gab es mehr als 1 Mill. Erwerbstätige in Berlin-West, 37 % mehr als 1950. Berlin-West profitierte vom Zustrom von Arbeitskräften aus der DDR und Pendelnden aus Berlin-Ost. Diese Entwicklung endete erst mit dem Bau der Berliner Mauer. 1962 gab es im Westteil der Stadt 23 000 Erwerbstätige weniger und die Zahl sank in den Folgejahren weiter. Das Berlinförderungsgesetz wurde um Anreize für den Zuzug von Arbeitnehmenden aus dem Bundesgebiet erweitert und die Wirtschaft warb zudem verstärkt ausländische Arbeitskräfte an. Im Zuge der ersten Ölkrise 1973 erreichte die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin-West 1977 den Tiefststand von 874 000. Die Arbeitsplatzverluste betrafen das Produzierende Gewerbe, während die Beschäftigtenzahlen in den Dienstleistungsbereichen stiegen. Ab 1984 wuchs die Erwerbstätigkeit in Berlin-West wieder deutlich. Der Mauerfall verstärkte den Boom. 1990 gab es wieder über 1 Mill. Erwerbstätige. In Berlin-Ost stieg die Zahl der Erwerbstätigen nach dem Mauerbau bis zum Jahr 1988 ständig an – auch durch den Zuzug aus anderen Teilen der DDR. Erst kurz vor dem Ende der DDR im Jahr 1989 kam es aufgrund entstehender Lücken statistik Berlin Brandenburg im „Eisernen Vorhang“ zu einem Rückgang. Fast 33 700 Einwohnerinnen und Einwohner aus Berlin-Ost hatten die DDR verlassen, von denen drei Viertel zwischen 18 Jahre und 60 beziehungsweise 65 Jahre5 alt waren. Der mit dem Einigungsprozess einhergehende Wandel der Wirtschaftsstruktur führte zu Beschäftigungsverlusten, die nur zur Jahrtausendwende kurz gestoppt wurden. Danach sanken die Beschäftigungszahlen unter dem Einfluss der schwachen gesamtdeutschen Wirtschaftsentwicklung zu Beginn der 2000er Jahre weiter. Erst seit 2006 expandierte die Erwerbstätigkeit in Berlin, sogar stärker als im Durchschnitt aller Bundesländer. Seit 2018 gibt es wieder mehr als 2 Mill. Erwerbstätige in Berlin. Dabei setzte sich der Wandel hin zu einer dienstleistungsorientierten Wirtschaft fort. Der Anteil der Erwerbstätigen im Produzierenden Gewerbe hat sich von knapp 27 % im Jahr 1991 auf 11 % in 2019 weiter verringert. Heute arbeiten 89 % der Erwerbstätigen in den Dienstleistungsbereichen. ARBEITSMARK T statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 53 Auf der Suche nach Arbeit Nach dem Ersten Weltkrieg und den folgenden politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen führte die Hyperinflation mit ihrem Höhepunkt im Jahr 1923 zu einem wirtschaftlichen Abschwung. Die Zahl der Arbeitslosen stieg 1923 in Berlin auf einen vorläufigen Höhepunkt von 235 853 Personen. Die statistische Erfassung der Arbeitslosenzahlen6 wurde in den letzten 100 Jahren stark von der Gesetzgebung beein­flusst. So spie­geln die Empfängerinnen und Empfänger der 1927 eingeführten Arbeitslosenversicherung die den Rekord von 636 298 Personen. Die damit einhergehende Verschlechterung der sozialen Lage und die politische Instabilität begünstigten die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Die folgende wirtschaftliche Stabilisierung führte zu einem Rückgang der Zahl der Arbeitslosen, dieser steht in engem Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik dieser Zeit und der Realisierung einer Reihe von Großprojekten. Die 1938 offiziell ausgewiesene Arbeitslosenzahl lag bei 35 468 Personen. Erwerbslosigkeit nur unvollkommen wider. Darüber hinaus flankierten zur Abfederung der Folgen von Erwerbslosigkeit und der damit verbundenen Armut einige weitere Hilfen, wie Krisenunterstützung und Arbeiterwohlfahrt, die Arbeitslosenversicherung. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1929 verschärfte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt erneut. Nach einer Übersicht zu den unterstützten Arbeitslosen einschließlich Krisenhilfen und Wohlfahrtunterstützungen erreichte die Zahl der Arbeitslosen im Jahr 1932 Arbeitslose Berlin 2. Weltkrieg 700 000 Teilung Ölpreiskrise Berlin-West Wiedervereinigung 636 298 Arbeitslose 600 000 500 000 400 000 319 178 Arbeitslose 288 737 Arbeitslose 300 000 200 000 100 000 0 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 54 100 Jahre Groß-Berlin Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Teilung Berlins führte der Kalte Krieg zu einer angespannten Lage in der Stadt. Aufgrund der Insellage von Berlin-West kam es durch die sow­ jetische Blockade von 1948 bis 1949 zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenzahl erreichte 1950 im Westteil der Stadt eine Rekordhöhe von fast 300 000 Personen. Infolgedessen wurde 1950 ein Notstandsprogramm beschlossen, das als einen Schwerpunkt den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit einschloss. Der Abbau der Arbeitslosigkeit zog sich entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung bis Ende der 1950er Jahre hin. Der Bau der Mauer 1961 hatte auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Berlin-West einen positiven Einfluss, da die Arbeitspendler aus Berlin-Ost fehlten. Der folgende Arbeitskräftemangel bremste jedoch die wirtschaftliche Entwicklung, bis ab Mitte der 1960er Jahre verstärkt Gastarbeiter angeworben wurden. Die Arbeitslosenzahlen lagen von Mitte der 1960er Jahre bis Anfang der 1970er Jahre fast durchgängig unter 10 000 Personen. Im Ostteil ARBEITSMARK T Berlins galt das Recht auf und die Pflicht zur Arbeit, weshalb keine Arbeitslosenzahlen durch die Statistik ausgewiesen wurden. In der staatsgelenkten Planwirtschaft gab es nur eine eingeschränkte Wahlfreiheit des Arbeitsplatzes. Die Wiedervereinigung 1990 und die damit verbundene Bildung des Bundeslandes Berlin zogen erneut große wirtschaftliche Umbrüche nach sich. Im Westen der Stadt wurden die Berlinzulage und der damit verbundene achtprozentige Entgeltzuschlag abgeschafft und die Wirtschaft im Osten Berlins stand vor grundlegenden Umwälzungen, verbunden mit einem teilweisen oder vollständigen Zusammenbruch von Betrieben. Infolge stieg die Arbeitslosigkeit. 1991 waren 179 953 Arbeitslose in Berlin registriert. Der Höhepunkt in der Nachwendezeit wurde 2005 mit 319 178 Arbeitslosen erreicht. Der anschließende nachhaltige Aufschwung der Berliner Wirtschaft führte zu sinkenden Arbeitslosenzahlen. 2019 lag die Zahl der Arbeitslosen in Berlin bei 152 565 – dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. statistik Berlin Brandenburg Kapitel 6 Wirtschaft 56 100 Jahre Groß-Berlin WIRTSCHAFT statistik Berlin Brandenburg Der Weg der Berliner Industrie Vor 100 Jahren war in Berlin das Verarbeitende Gewerbe einschließlich Baugewerbe geprägt von einem relativ hohen Industrieanteil. 1925 meldete die Industrie in Berlin insgesamt 137 498 Betriebe und 1 017 813 Beschäftigte. Dem standen im Jahr 2019 nur noch 768 Betriebe und 88 911 tätige Personen aus den Wirtschaftszweigen Bergbau und Gewinnung von Steinen, Erden sowie Verarbeitendes Gewerbe gegenüber. Der Zweite Weltkrieg, die Teilung Deutschlands sowie dessen Wiedervereinigung erforderten wirtschaftsstrukturelle und ökonomische Veränderungen. Im Zuge des technischen Fortschritts und der sich wandelnden Konsumbedürfnisse reagierten Unternehmen mit Restrukturierungen in der Güterproduktion und -verarbeitung. Betriebe verließen den Markt und andere kamen hinzu. Zumeist war das Verarbeitende Gewerbe vor 100 Jahren von kleinen Betrieben geprägt. 2019 dominierten eher große Betriebe den Wirtschaftssektor. Demnach waren 1925 in der chemischen Industrie insgesamt 25 047 Personen in 876 Betrieben beschäftigt – 29 Arbeitskräfte pro Betrieb. 2019 arbeiteten 2 514 Beschäftigte in 21 Betrieben. Das entspricht 120 tätigen Personen pro Betrieb. In den vergangenen 100 Jahren veränderten sich in Berlin nicht nur die Wirtschaftsstruktur, sondern auch die Wirtschaftszweige, sodass Anpassungen in der amtlichen Erfassung not­wendig wurden. Dennoch lassen sich bei unterschiedlichen Klassifikationsbezeichnungen ähnlicher Wirtschaftszweige, Tendenzaussagen treffen. Während sich zwischen 1925 und 2019 der Anteil der Beschäftigten beziehungsweise der in den Industriebetrieben tätigen Personen im Maschinen- und Fahrzeugbau mehr als verdoppelte, sind Wirtschaftsbereiche wie die Herstellung von Textilien und Bekleidung oder Holz-, Flecht-, Korb- und Korkwaren mit einem Anteil an den Beschäftigten von 0,5 % beziehungsweise 0,4 % praktisch aus der Industrie verschwunden. Der Chemie- und Pharmastandort Berlin ist in den Daten von 1925 mit einem Anteil von knapp 3 % der Beschäftigten kaum zu erkennen, während diese Wirtschaftszweige heute mit rund 10 % eine große Bedeutung für das Verarbeitende Gewerbe haben. Auch die Herstellung von elektrischer Ausrüstung sowie elektrischen und optischen Erzeugnissen beschäftigt im heutigen Berlin einen größeren Anteil an tätigen Personen. Seit 1925 stieg ihr Anteil von 19,7 % auf 27,3 %. WIRTSCHAFT statistik Berlin Brandenburg Anzahl der Betriebe und Beschäftigten nach ausgewählten Jahren Betriebe 140 000 Beschäftigte 1,4 Mill. 120 000 1,2 100 Jahre Groß-Berlin 57 Anteil der Beschäftigten in Industriebetrieben nach zusammengefassten Gewerbegruppen und Wirtschaftszweigen entspricht 2 % Anteil Nahrungsund Futtermittel Textilien und Bekleidung 100 000 1,0 Holz-, Flecht-, Korb- und Korkwaren (ohne Möbel) 80 000 0,8 Druckerzeugnisse, Papier, Pappe und Waren daraus 60 000 0,6 Chemische und Pharmazeutische Erzeugnisse Metallerzeugung und -bearbeitung 40 000 0,4 20 000 0,2 0 0 1925 1945 1965 1985 2009 2019 1925 1945 1965 1985 2009 2019 Elektrische Ausrüstungen, DV-Geräte, elektronische und optische Erzeugnisse Maschinenund Fahrzeugbau Sonstige Gewerbeklassen der Industrie mit Baugewerbe 1925 2019 WIRTSCHAFT 58 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Berlin unter Strom Die statistische Erfassung der erzeugten Gigawattstunden (GWh) begann bereits im letzten Jahrhundert. Zu Beginn der 1920er Jahre wurde die Stromerzeugung stark ausgebaut, unter anderem verdoppelte sich die Anzahl der Haushaltsanschlüsse in nur zwei Jahren (1925–1927), sodass 50 % der Haushalte an das öffentliche Stromnetz angeschlossen waren. In der turbulenten Zeit der Wirtschaftskrise 1929 wurden in Berlin trotzdem neue Kraftwerke in Betrieb genommen, welche die alten Anlagen ersetzten. Die Kraftwerke Klingenberg und Reuter gingen in dieser Phase in Betrieb. Während des Zweiten Weltkrieges wurde trotz Abschaltung der Straßenbeleuchtung die Stromerzeugung größtenteils aufrechterhalten. Ein stetiger Ausbau wie in den Vorjahren fand jedoch nicht statt. Zum Ende des Krieges ging die Stromerzeugung erheblich zurück und es wurden teilweise ganze Kraftwerke demontiert und als Stromerzeugung der Berliner Elektrizitätswerke 2. Weltkrieg 14 000 GWh Berlin Teilung Berlin-West Wiedervereinigung 12 000 10 000 8 000 6 000 4 000 2 000 0 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Kriegsentschädigung abtransportiert. Die statistische Erfassung der Nachkriegszeit begann mit dem Berichtsjahr 1948, in dem die Stromerzeugung für Berlin-West bei 200 GWh unter dem Niveau der 1920er Jahre lag. Hierbei fiel die Stromerzeugung auf ein Zehntel des Gesamtwertes von 1944 (circa 2 000 GWh). Aufgrund der politischen Teilung Berlins wurde auch der Netzbetrieb getrennt gemessen, wobei für BerlinOst keine Daten vorliegen. Da der Westteil sich selbst versorgen musste und der Strombedarf der Wirtschaft stieg, erhöhte sich auch die Stromerzeugung von Jahr zu Jahr. Sie stieg zwischen 1949 und 1990 um das 33-Fache von 324 GWh auf 10 693 GWh. Ab 1990 zeigen die gemessenen Zahlen wieder die gemeinsame Stromerzeugung von GesamtBerlin. Durch die kombinierte Stromerzeugung aus Ost und West verzeichnete Berlin im Jahr 1991 mit 12 714 GWh den höchsten Wert der letzten 100 Jahre. Davon wurden nur 1 321 GWh in Berlin-Ost produziert, da dieser Teil der Stadt in die Stromversorgung der ehemaligen DDR eingebunden war. Nach dem Höchststand 1991 ging die Stromerzeugung deutlich zurück. Großkraftwerke wurden entweder ganz stillgelegt oder in moderne Kraftwärmekopplungsanlagen umgebaut. Dieser Prozess hält bis heute an, wodurch starke Schwankungen in der Stromerzeugung zu verzeichnen sind. WIRTSCHAFT statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 59 Immer eine Reise wert Anteil der Gäste nach Herkunft 1920 9% DER GÄSTE KAMEN AUS DEM AUSLAND 2019 39 % DER GÄSTE KAMEN AUS DEM AUSLAND Bereits vor mehr als 100 Jahren wurden Daten für den Tourismus7 erhoben. Der Ausdruck Tourismus ist erst seit den 1980er Jahren gebräuchlich, bis dahin wurde der Wirtschaftszweig als Fremdenverkehr bezeichnet. Eine der ersten wissenschaftlichen Definitionen zum Begriff Fremdenverkehr erarbeitete Paul Neff. Nach dieser umfasst Fremdenverkehr „die Gesamtheit aller Bewegungen von Personen, die aus wirtschaftlichen, kulturellen Gründen, zu beruflichen, sportlichen, gesundheitlichen und vergnüglichen Zwecken ihren Wohnsitz, ohne Aufgabe der mit ihm verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, zu vorübergehenden Aufenthalt verlassen“ 8 . Heute definiert sich der Tourismus als „Tätigkeit von Personen, die zu Orten außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort höchstens ein Jahr lang zu Urlaubs-, geschäftlichen oder anderen Zwecken aufhalten“9. Die Art und Weise der Datenerhebung änderte sich im Laufe der Jahre, ebenso die Methodik. So wurden in den ersten Jahren nur gemeldete Fremde in Gasthöfen und Herbergen erfasst. Die Zahl der Übernachtungen kam erst später als Merkmal hinzu, wie auch die Erfassung weiterer Wirtschaftszweige. Im Jahr 2019 werden neben der Hotellerie, wozu Hotels, Hotels garnis, Pensionen und Gasthöfe zählen, auch Betriebe der Parahotellerie mit zehn und mehr Betten erfasst. Hierzu gehören unter anderem Ferienwohnungen, Erholungs- und Ferienheime sowie Jugendherbergen. Außerdem werden Campingplätze mit mindestens zehn Stellplätzen ohne Dauercamper befragt. Aus diesen Gründen sind die Ergebnisse der Jahre 1920 bis 2019 nur bedingt vergleichbar. WIRTSCHAFT 60 100 Jahre Groß-Berlin Gäste in Beherbergungsbetrieben Gäste in Beherbergungsbetrieben 14 Mill. 2. Weltkrieg Teilung 2. Weltkrieg Teilung statistik Berlin Brandenburg Gäste insgesamt Gäste insgesamt Gäste mit Wohnsitz im Ausland GästeWiedervereinigung mit Wohnsitz im Ausland Gäste mit Wohnsitz im Inland Gäste mit Wohnsitz im Inland Wiedervereinigung 14 Mill. 12 12 10 10 8 8 6 6 4 4 2 2 0 0 1920 1920 1925 1925 1930 1930 1935 1935 1940 1940 1945 1945 1950 1950 1955 1955 1960 1960 1965 1965 1970 1970 1975 1975 1980 1980 1985 1985 1990 1990 1995 1995 2000 2000 2005 2005 2010 2010 2015 2015 2020 2020 WIRTSCHAFT statistik Berlin Brandenburg Im Jahr 1920 besuchten fast 1,4 Mill. Gäste Groß‑Berlin. Auch während des Zweiten Weltkrieges kamen die Gäste nach Berlin, so wurden 1941 insgesamt 2,1 Mill. Gäste gezählt. Den größten Einbruch im Berliner Tourismus gab es zum Ende des Zweiten Weltkrieges, als die gesamte Stadt mit dem Wiederaufbau beschäftigt war. So verzeichnete die amtliche Statistik im Jahr 1945 nur rund 59 000 Gäste im Zeitraum Mai bis Dezember. Im Jahr 1979 konnte Berlin-West erstmals wieder so viele Besucherinnen und Besucher begrüßen wie Groß-Berlin im Jahr 1920. 2019 besuchten fast 14 Mill. Menschen Berlin. Das sind zehnmal mehr als noch 1920 und fast viermal so viele Menschen wie in Berlin wohnen. Die ersten Übernachtungszahlen liegen für das Jahr 1934 mit 2,3 Mill. vor. Diese konnten bis zum Jahr 1938 auf 4,8 Mill. gesteigert werden. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurden für die Jahre 1939 bis 1944 keine Übernachtungszahlen ermittelt. Nach dem Ende des Krieges begann der Tourismus im Jahr 1946 sich langsam wieder zu entwickeln. Mit der Teilung Berlins verringerte sich die Zahl der in der amtlichen Statistik erfassten Touristen, da vom Jahr 1951 bis zur Wiedervereinigung nur Ergebnisse für Berlin-West vorliegen. Für das Jahr 1992 konnten erstmals wieder Zahlen für Berlin insgesamt veröffentlicht werden. Die Übernachtungen stiegen seitdem von 7,9 Mill. auf 34,1 Mill. im Jahr 2019. 100 Jahre Groß-Berlin 61 Seit Beginn der Aufzeichnungen der Übernachtungen kann auch eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste ermittelt werden. Diese lag im Jahr 1934 bei 2,1 Tagen, wobei Gäste aus dem Ausland mit 3,0 Tagen durchschnittlich einen Tag länger in der Stadt verweilten als Gäste aus Deutschland. Nur in den Jahren 1965 bis 1969 sowie 1980 bis 1982 waren Gäste aus Deutschland etwas länger in Berlin-West als die Gäste aus dem Ausland. Seit dem Jahr 1999 bleiben die Gäste aus dem Ausland rund einen halben Tag länger in der Stadt als die inländischen Besucherinnen und Besucher. Aufenthaltsdauer in Beherbergungsbetrieben Aufenthaltsdauer in Beherbergungsbetrieben 6 Tage 6 Tage 2. Weltkrieg Teilung 2. Weltkrieg Teilung Gäste insgesamt Gäste insgesamt Wiedervereinigung Gäste mit Wohnsitz im Ausland Gästemit mitWohnsitz Wohnsitzim imAusland Inland Gäste Gäste mit Wohnsitz im Inland Wiedervereinigung 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 0 1920 1920 1930 1930 1940 1940 1950 1950 1960 1960 1970 1970 1980 1980 1990 1990 2000 2000 2010 2010 2020 2020 WIRTSCHAFT 62 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Die Herkunft der Gäste aus dem Ausland wurde bereits im Jahr 1920 in einem geringen Umfang erfasst. Der Anteil der Gäste aus dem Ausland stieg im Laufe der Jahre von 9,0 % auf 39,3 %. Die meisten Gäste kamen im Jahr 1920 aus Österreich (inklusive Tschechoslowakei; 17 575), Polen (12 896) sowie Schweden (12 419). 50 Jahre später, im Jahr 1969, führten die USA (72 825), das Vereinigte Königreich (24 236) sowie Schweden (23 488) die Liste der ausländischen Gäste in Berlin-West an. Wie bereits in den letzten Jahren besuchten im Jahr 2019 vor allem Gäste aus dem Vereinigten Königreich, den USA und Spanien die Bundeshauptstadt. Top 5 der Herkunftsländer 1920 Österreich Tschechoslowakei Polen Schweden Russland Niederlande 17 575 12 896 12 419 12 358 12 084 Vereinigtes Königreich Vereinigte Staaten von Amerika Spanien Italien Niederlande Gäste Gäste Gäste Gäste Gäste 2019 574 115 Gäste 478 157 Gäste 370 455 353 798 308 526 Gäste Gäste Gäste Kapitel 7 Landwirtschaft L ANDWIRTSCHAFT 64 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Vom Gutshof zum Agrar-Großbetrieb Mit der Bildung Groß-Berlins vergrößerte sich 1920 die Fläche der Stadt um das Dreizehnfache auf gut 878 km². Dadurch wurde Berlin mit seinem städtischen Grundeigentum von etwa 480 km², davon 270 km² landwirtschaftliche Güter und 210 km² Wälder, größter deutscher Grundbesitzer. Schon weit vor der Gründung Groß-Berlins führte das Wachstum der Stadt dazu, dass Grundstücke außerhalb Berlins durch die Stadt erworben wurden, um sie vor allem als landwirtschaftliche Flächen sowie als Rieselfelder zu nutzen. Diese Rieselfelder waren notwendig, um auf diesen Abwässer im Zuge der flächendeckenden Kanalisierung Berlins zu entsorgen. Die Mehrzahl der Flächen wurde für die Rinderhaltung und die Milchwirtschaft sowie die Schweine-, Schaf- und Geflügelzucht genutzt. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich innerhalb der letzten Jahre konstant verringert. Zwischen 1955 und 1960 reduzierte sich deren Zahl von 2 150 auf 1 135. Eine entscheidende Ursache war ein Beschluss der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Jahr 1952 in der damaligen DDR, welcher die Gründung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) ermöglichte. Ein solcher Schritt erschien notwendig, da die bisherigen Landeigentümer, oft aufgrund der Bodenreform im Jahr 1945, zum Teil mit der Landwirtschaft nicht vertraut waren und kaum rentabel arbeiten konnten. Der Beitritt zu diesen LPG erfolgte nicht immer freiwillig. Auch wenn der Boden Eigentum der Bauern blieb, war ein selbstbestimmtes Agieren kaum noch gegeben. 1960 war in Berlin-Ost das Ziel der Kollektivierung in der Landwirtschaft weitgehend erreicht und es gab kaum noch selbstständig wirtschaftende Bauern. Der LPG-Typ III mit dem höchsten Grad an Zusammenarbeit (Boden, Maschinen, Vieh) setzte sich durch und in der Folge entstanden spezialisierte Genossenschaften, die sich ausschließlich der Tierzucht oder dem Ackerbau widmeten. Auch in den Folgejahren hielt der Rückgang der Betriebszahlen an und 1980 lag deren Zahl bei unter 300 Betrieben. Im Jahr 2016 wurden für Berlin nur noch 52 Agrarbetriebe ausgewiesen. Damit ging die Zahl der Betriebe in 60 Jahren um fast 98 % zurück. Gründe sind neben der Bildung größerer Betriebe, Betriebsaufgaben sowie Fusionen mit Betrieben außerhalb Berlins, aber auch methodische Veränderungen bei der Erfassung der Betriebe. Nicht zuletzt spielen die Faktoren eines immer weiter steigenden Flächenbedarfs für Wohnungen, Straßen, Erholungsflächen, Flächen für Industrie und Tourismus in einer Stadt wie Berlin eine entscheidende Rolle. Die Flächenentwicklung je Betrieb von 1955 bis 2016 lässt sich als dynamisch bezeichnen. Bis 1970 gab es einen großen Anstieg der Betriebsgröße. So verfügte ein landwirtschaftlicher Betrieb 1955 über etwa 5,7 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche. 15 Jahre später waren es rund 86 ha und damit gut 15-mal so viel, wobei hier auch methodische Gründe bei der Ausweisung der Flächen eine Rolle spielen. Im Jahr 1975 lag die Flächenausstattung wiederum nur bei gut 42 ha je Betrieb. L ANDWIRTSCHAFT statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 65 Mehr Stadt – weniger Land Für 1995 errechnete sich der zweitniedrigste Wert mit gut 13 ha landwirtschaftlich genutzte Fläche. Dieser Rückgang war auf die komplizierte Lage in Bezug auf Eigentumsverhältnisse und auf schnelle Verkäufe von Flächen zurückzuführen. In den Jahren bis 2016 stieg die Flächenausstattung wieder langsam bis auf über 35 ha je Betrieb an. Gerade kleinere Betriebe haben eine geringere Chance am Markt bestehen zu können; zumal der Druck allein durch das Angebot aus dem benachbarten Bundesland Brandenburg erheblich ist. Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe und landwirtschaftlich genutzte Fläche je Betrieb entspricht 1 000 Betrieben entspricht 50 ha pro Betrieb 2 180 Betriebe 5,7 ha 86,0 ha 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1983 2016 2010 2007 2005 1999 1995 1989 52 Betriebe 35,5 ha Im Jahr 1922 standen den Landwirtschaftsbetrieben in Berlin rund 13 700 ha zur Verfügung. Bis auf einen leichten Anstieg im Jahr 1925 auf 18 500 ha blieb die Größenordnung mit etwa 13 000 ha bis 1955 vergleichsweise unverändert. Hervorzuheben sind die Jahre 1965 und 1970, da für diesen Zeitraum Flächen von 36 500 ha ausgewiesen werden. Ursache dafür ist ein Methodenwechsel in Bezug auf die Zuordnung der Flächen, da es in angrenzenden Bezirken der DDR, insbesondere im Bezirk Potsdam, zu einem deutlichen Rückgang der landwirtschaftlich genutzten Fläche kam. Somit wurde nach 1964 eine Art von Betriebssitzprinzip angewandt, in dem alle Flächen, die einem Betrieb zuzuordnen waren, dem entsprechenden Bezirk angerechnet wurden. Diese Methodik fand bis einschließlich 1973 in der DDR Anwendung und wurde dann wieder in die Berechnungsweise von vor 1965 rücküberführt. Nach 1970 wird der steigende Flächenbedarf für andere Zwecke als die der Landwirtschaft immer spürbarer. Im Wendejahr 1989 waren in Berlin insgesamt 10 500 ha der landwirtschaftlich genutzten Fläche zuzuordnen – ein Rückgang um 23 % gegenüber 1922. Innerhalb L ANDWIRTSCHAFT 66 100 Jahre Groß-Berlin der folgenden sechs Jahre ging die landwirtschaftlich genutzte Fläche in einer dramatischen Größenordnung von 81 % auf weniger als 2 000 ha zurück. Hierfür sind unter anderem ungeklärte Eigentumsverhältnisse, Landverkäufe und das Umwidmen anzuführen. Veränderungen nach 1990 sind in Teilen methodisch erklärbar, da sich in der amtlichen Statistik das Betriebssitzprinzip durchgesetzt hatte. Somit wurden Flächen, die in einem anderen Bundesland liegen, dem jeweiligen Berliner Betrieb zugeordnet. Lag die Mehrheit der bewirtschafteten Flächen eines Betriebes außerhalb Berlins, wurden diese in das Bundesland umgesetzt, wo die bestimmende Produktion erfolgte. Mit gut 1 800 ha wurde für das Jahr 2016 die geringste landwirtschaftlich genutzte Fläche für Berlin seit 1922 ausgewiesen. Ackerland und Dauergrünland sind die bestimmenden Komponenten der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Im Zeitraum zwischen 1939 und 2016 schwankten diese Anteile in Berlin teils erheblich. So lag der Ackerlandanteil der Jahre 1939 und 1955 bei 73 % beziehungsweise 83 %. In den darauffolgenden Zeiträumen betrug dieser in ausgewählten Jahren sogar weniger als 60 %. Für 2016 ergab sich mit 55 % der geringste Wert. Nur noch 1 000 ha der landwirtschaftlich genutzten Fläche wurde dem Ackerland zugeordnet. In den 1950er Jahren waren es noch mehr als 10 000 ha. Landwirtschaftliche Fläche Ackerland statistik Berlin Brandenburg Die Grünlandanteile an der landwirtschaftlich genutzten Fläche weisen ebenfalls eine große Spannweite auf. So waren es 1939 fast 24 %. Nach 1950 errechnete sich ein auffallend großer Rückgang auf unter einen Prozent (107 ha) im Jahr 1955. Auch in den Folgejahren bis 1989 war der Grünlandanteil eher unbedeutend. Da auch das Ackerland anteilsmäßig nicht übermäßig hoch ausfiel, ist anzunehmen, dass in diesen Jahren die sogenannten Dauerkulturen, zu denen auch der Obstanbau zählt, von größerer Bedeutung für die Versorgung Berlins waren. In den Nachwendejahren stieg der Anteil des Dauergrünlandes wieder deutlich an und erreichte 2016 den Rekordwert von mehr als 43 %. Dauergrünland Landwirtschaftlich genutzte Fläche 29 809 ha 31 143 ha 13 733 ha 18 487 ha 12 531 ha 12 804 ha 12 146 ha 12 823 ha 10 582 ha 10 659 ha 1922 1925 1939 1943 1947 1950 1955 1960 1965 1970 2016 2010 2007 2005 1999 1995 1989 1983 1980 1975 1 813 ha 2 138 ha 2 205 ha 2 357 ha 1 929 ha 1 879 ha 7 088 ha 9 018 ha 9 226 ha 10 809 ha L ANDWIRTSCHAFT statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 67 Vom Feld auf den Teller Wie überall in Deutschland ist der Getreideanbau auch in Berlin die auf dem Ackerland bestimmende Nutzungsrichtung. Dieser leistet einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung. Erwartungsgemäß hat sich der Anbau von Getreide verringert, auch im Zusammenhang mit der rückläufigen Entwicklung des Ackerlandes. Im Jahr 1922 waren mehr als 7 000 ha Getreidefläche gemeldet, drei Jahre später lag dieser Wert fast 1 300 ha darüber. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges ging der Anbau von Getreide in erheblichem Umfang zurück und erreichte 1947 einen Tiefpunkt mit gut 3 200 ha. Danach war eine Erholung zu verzeichnen. Die hohen Werte für 1965 und 1970 sind mit dem schon erwähnten Methodenwechsel der Flächenzuordnung zu erklären. Nach 1970 verringerte sich der Anbau deutlich, wobei bis einschließlich 1989 immer eine Anbaufläche im vierstelligen Bereich nachgewiesen wurde. Nach dem Fall der Mauer verlor der Berliner Getreideanbau weiter an Bedeutung und erreichte mit 639 ha im Jahr 2016 einen Negativrekord. Der Berliner Getreideanbau wird Anbau ausgewählter Getreidearten Anbau ausgewählter Getreidearten 12 000 ha 12 000 ha 10 000 10 000 8 000 8 000 durch den Roggen bestimmt. Dieser sichert im Vergleich der Getreidearten einen sichereren Ertrag, da die Berliner Böden aufgrund ihrer Textur zu den ertragsärmeren zählen und Roggen relativ gut längere Trockenperioden übersteht. Weizen Weizen Roggen Roggen Gerste Gerste Hafer Hafer Sonstiges (Körnermais) Sonstiges (Körnermais) Getreideanbau (keine Aufteilung verfügbar) Getreideanbau (keine Aufteilung verfügbar) 6 000 6 000 4 000 4 000 2 000 2 000 0 0 1922 1925 1939 1943 1947 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1983 1989 1995 1999 2005 2007 2010 2016 1922 1925 1939 1943 1947 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1983 1989 1995 1999 2005 2007 2010 2016 L ANDWIRTSCHAFT 68 100 Jahre Groß-Berlin Zwischen 1939 und 1965 hatte auch der Obstanbau eine größere Bedeutung für die Berliner Landwirtschaft. 1939 wurden rund 135 ha für die Obstproduktion genutzt. Der Zweite Weltkrieg bedingte einen Rückgang um fast 28 %. Danach kam es zu einer deutlichen Erholung, denn schon Obstanbauflächen sieben Jahre später wurde das Niveau von 1939 nahezu wieder erreicht. Weitere fünf Jahre danach stieg der Obstanbau um fast zwei Drittel auf 215 ha. Die Flächenausweisung für 1965 bezieht allerdings Flächen mit ein, die in anderen Bezirken der DDR lagen. Für spätere Jahre wird 1947 1955 98 ha 132 ha 1939 135 ha Angaben in ha 1995 215 ha 2 ha 18 ha 1989 385 ha 1965 1960 statistik Berlin Brandenburg die Erntemenge für Berlin-Ost immer separat ausgewiesen. So zeigt sich, dass zumindest bis Mitte der 1980er Jahre der Obstanbau auch in Berlin noch von Bedeutung war. Das wichtigste in Berlin angebaute Obst war der Apfel. Mit der Wiedervereinigung 1989 fand der Obstanbau ein fast vollständiges Ende. Zum einen wurden solche Flächen für andere Zwecke benötigt und zum anderen entstand eine große Konkurrenz durch Obstproduzenten aus anderen Bundesländern. L ANDWIRTSCHAFT statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 69 Schweine, Rinder & Co. Die Tierhaltung spielte in Berlin zwischen 1922 und 2016 eine sehr unterschiedliche Rolle. Insbesondere die Schweinehaltung war zeitweise von großer Bedeutung. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurden rund 28 500 Schweine in Berliner Landwirtschaftsbetrieben gezählt. Während des Zweiten Weltkrieges gab es im Jahr 1943 gut 32 200 Schweine. Die Versorgung war im Verlauf des Krieges immer schwieriger geworden und Fleisch wurde knapp, sodass die meisten Tiere geschlachtet wurden. Des Weiteren war die Tierhaltung in den Betrieben durch die Einberufung vieler Männer zum Kriegsdienst nur bedingt möglich. Nach dem Ende des Krieges stieg die Zahl der gehaltenen Schweine in Berlin bis 1970 auf fast 100 000 Tiere, bevor deren Zahl kontinuierlich sank. Hier dürfte die stärkere Spezialisierung in der ostdeutschen Landwirtschaft eine wichtige Rolle gespielt haben. Mit dem Ende der DDR verlor die Schweinehaltung fast jegliche Bedeutung. Schon 1995 wurden nur noch rund 2 000 Tiere statistisch erfasst und zehn Jahre später waren es weniger als 60 Tiere. Auch bei den Rindern zeigte sich ein Rückgang. Die meisten Rinder wurden im Kriegsjahr 1943 mit fast 42 000 Tieren gemeldet. Nur 1970 gab es eine vergleichsweise ähnlich große Anzahl. Danach wirkte sich auch hier die Spezialisierung aus. So standen 1980 nur noch 8 200 Rinder in Berlins Ställen beziehungsweise auf den Weiden. Im Jahr 2016 belief sich der erfasste Bestand auf etwas mehr als 400 Rinder. Die Veränderung im Bereich der Berliner Schafhaltung verlief ähnlich wie bei den Rindern, auch wenn deren Zahl meistens unter denen der Rinder lag. Die meisten Schafe gab es in den Jahren 1943, 1970 und 1983; danach sank der Schafbestand. Während für 1989 rund 6 000 Schafe gemeldet wurden, waren es 2016 nur noch 263 Tiere. Die Anzahl der gewerblichen Schlachtungen von Rindern und Schweinen unterlag zwischen 1922 und 2007 deutlichen Schwankungen. Zu berücksichtigen sind dabei erhebliche Datenlücken in Bezug auf die Zeitreihenbetrachtung. Die meisten Rinder wurden in den Jahren 1922 bis 1960 geschlachtet. Mit 157 100 geschlachteten Rindern war der Höhepunkt Mitte der 1920er Jahre zu verzeichnen. Im letzten Jahr des 20. Jahrhunderts kam die Schlachtung von Rindern in der Bundeshauptstadt nahezu zum Erliegen. Deutlich höher war die Anzahl der gewerblichen Schlachtungen in Berlin bei den Schweinen. So wurden 1922 mehr als eine halbe Million Tiere geschlachtet. Drei Jahre darauf hatte sich die Zahl der Schweineschlachtungen mehr als verdoppelt. Nach einem deutlichen Rückgang der Schlachtzahlen im Jahr 1960 erholten sich diese wieder und auf knapp 600 000 gewerblich geschlachtete Schweine im Jahr 1975. 2009 wurden in Berlin die gewerblichen Schlachtungen eingestellt. Nicht selten ist die Geflügelproduktion ein wichtiger Aspekt der agrarischen Situation eines Bundeslandes. In Berlin war die Geflügelhaltung L ANDWIRTSCHAFT 70 100 Jahre Groß-Berlin Bestände Bestände ausgewählter ausgewählter Tierarten Tierarten 100 100 000 000 Rinder Rinder Schweine Schweine statistik Berlin Brandenburg Schafe Schafe Geflügel Geflügel 1,0 Mill. 1,0 Mill. 97 538 97 538 Schweine Schweine 90 000 90 000 900 900 000 000 842842 089089 Stück Stück Geflügel Geflügel 80 000 80 000 800 800 000 000 60 000 60 000 600 600 000 000 60 000 60 000 600 600 000 000 500 500 000 000 50 000 50 000 40 000 40 000 41 619 41 619 Rinder Rinder 400 400 000 000 300 300 000 000 30 000 30 000 20 000 20 000 10 000 10 000 0 13 830 13 830 Schafe Schafe 200 200 000 000 540540 Schafe Schafe 44 Schweine 44 Schweine 435435 Rinder Rinder 335335 Stück Stück Geflügel Geflügel 0 0 19221922 19251925 19431943 19551955 19601960 19701970 19751975 19801980 19831983 19891989 19951995 19991999 20052005 20072007 20102010 20162016 100 100 000 000 19221922 19801980 20102010 0 in fast allen Jahren ein eher untergeordneter Zweig der tierischen Produktion. Große Geflügel haltende Betriebe waren für eine so bevölkerungsreiche Stadt wie Berlin eher abträglich und später bestand ein hoher Konkurrenzdruck durch Agrarbetriebe, die sich auf diese Haltungstrecke verstärkt konzentriert hatten. Mit Ausnahme des Jahres 1970 wurden nie mehr als 600 000 Stück Geflügel in Berlin gehalten. Waren es in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg immerhin eine halbe Million Tiere, gab es 1943 keine diesbezüglichen Informationen. Zehn Jahre nach Kriegsende erhöhte sich der Bestand auf mehr als 570 000 Stück. Auch in den 1980er Jahren betrug die Geflügelstückzahl noch mehr als 500 000 Tiere. Schon 1995 wurden nur noch 22 500 Stück Geflügel gezählt und damit 96 % weniger als 1989. Seit dem Berichtsjahr 2005 gibt es weniger als 1 000 Stück Geflügel in den auskunftspflichtigen Agrarbetrieben Berlins. Kapitel 8 Bildung BILDUNG 72 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Ab auf die Schulbank Die Entwicklung der Schülerzahlen in den letzten 100 Jahren ist eng mit der Entwicklung und Alterszusammensetzung der Bevölkerung verknüpft. Zu Beginn der Zeitreihe im Jahr 1923 besuchten 412 122 Berliner Schülerinnen und Schüler eine öffentliche Schule. Deren Zahl sank bis zum Jahr 1938 auf 330 716 Kinder und markierte damit den ersten Tiefstand in der Bildungsbeteiligung von Kindern. Bezogen auf die Einwohnerzahl reduzierte sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler Anzahl der Schüler auf 1000 Einwohner 2. Weltkrieg 180 in diesem 15-Jahres-Zeitraum von 103 auf 77 je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde bereits am 11. Juni 1945 die Wiederaufnahme des Schulunterrichts von den Alliierten angeordnet, wobei ein normaler Schulbetrieb im zerstörten Berlin kaum möglich war: Der Unterricht wurde ohne Lernmaterialien, im Schichtsystem und im Freien durchgeführt. Dennoch konnten 285 971 Kinder in den Berliner Berlin Teilung Berlin-West Berlin-Ost Wiedervereinigung 160 140 120 100 80 60 40 20 0 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Schulbetrieb eingebunden werden, sodass auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner 102 Schülerinnen und Schüler kamen. Bereits zwei Jahre später erhöhte sich deren Quote auf 123 je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Mit über 400 000 Kindern im Bildungssystem wurde in Berlin ein neuer Höchststand erreicht, der aus der hohen Zahl von Kindern resultierte, die in den 1930er Jahren geboren wurden. Um das Ende des Zweiten Weltkrieges herum sank die Geburtenzahl drastisch, sodass ab Anfang der 1950er Jahre die Schülerzahlen wieder abnahmen und im Jahr 1961 nur 288 561 Kinder eine Schule besuchten; in dieser Phase ist der absolute Tiefststand in der hundertjährigen Betrachtung zu verzeichnen. Der anschließend einsetzende Babyboom sorgte bis Mitte der 1970er Jahre wieder für steigende Schülerzahlen und erreichte im Jahr 1975 mit 437 549 Kindern den absoluten Höchststand im Betrachtungszeitraum – auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner kamen 142 Schülerinnen und Schüler. Im geteilten Berlin entwickelten sich die Schülerzahlen in Berlin-Ost nicht deckungsgleich zu Berlin-West. Aufgrund einer höheren Fertilität und einem niedrigeren durchschnittlichen Entbindungsalter kam es in Berlin-Ost zu einem früheren und stärkeren Anstieg der statistik Berlin Brandenburg BILDUNG 100 Jahre Groß-Berlin 73 Universitätsstadt Berlin Schülerzahlen – auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner kamen 162 Schülerinnen und Schüler. In Berlin-West fiel die entsprechende Quote mit 131 deutlich geringer aus. Bis zum Jahr 1986 sank die Quote für Berlin-Ost auf 117 Schülerinnen und Schüler je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner; in Berlin-West auf 106. In diesem Jahr wurde ein neuerlicher Tiefpunkt in der Schülerzahl (331 319) für Berlin insgesamt erreicht, bevor die geburtenstarken Jahrgänge der 1980er Jahre zum Tragen kamen. Der Mauerfall ging mit weitreichenden gesellschaftlichen Unsicherheiten und einer hohen Arbeitslosigkeit einher, was sich auch auf die Geburtenrate und im späteren Verlauf auf die Schülerzahl auswirkte: Während die Geburten in Berlin-Ost einbrachen und sich mehr als halbierten, stagnierte die Geburtenzahl in Berlin-West. Ab Mitte der 1990er Jahre sind die Folgen dieser Entwicklung in den Schülerzahlen erkennbar. Diese sanken von 1996 bis 2012 um fast 100 000 auf 319 287 Schülerinnen und Schüler. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der zu unterrichtenden Kinder wieder kontinuierlich angestiegen, sodass im Schuljahr 2019/20 insgesamt 365 942 Schülerinnen und Schüler am allgemeinbildenden Schulsystem in Berlin teilnahmen. Am 6. Oktober 1810 wurde die erste Hochschule in Berlin gegründet. In den darauffolgenden Jahren sollte sich diese Universität zu einer der größten und führenden Universitäten Deutschlands entwickeln. Heute als Humboldt-Universität zu Berlin bekannt, nahm die Universität zu Berlin im Jahr 1810 mit 256 Studierenden und 52 Lehrenden ihren Forschungs- und Lehrbetrieb auf. Bereits 50 Jahre nach der Gründung waren fast 2 500 Studierende an der Universität eingeschrieben, die von 159 Hochschullehrern, davon 52 ordentliche Professoren, unterrichtet wurden. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Studierenden und Professoren kontinuierlich an. Jedoch blieben die Universitäten ausschließlich den Männern vorbehaltene Eliteeinrichtungen. Erst nach fast 100-jährigem Bestehen der ersten Berliner Universität wurden im Jahr 1908 zum ersten Mal Frauen zu einem wissenschaftlichen Studium zugelassen. Zwei Jahre nach der Gründung Groß-Berlins im Jahr 1922 waren 22 889 Studierende immatrikuliert. Der Anteil der Studentinnen lag bei lediglich 10 %. Unter ihnen habilitierte 1922 Lise Meitner an der Berliner Universität – seinerzeit Friedrich-Wilhelms-Universität – und wurde 1926 Professorin für experimentelle Kernphysik – Deutschlands erste Professorin für Physik und somit Wegbereiterin für viele weitere Frauen. Im Jahr 1922 kamen sechs Studierende auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner. In den 1920er Jahren verdoppelte sich die Zahl der an den Universitäten zugelassenen Studierenden, sodass im Jahr 1930 rund 25 000 Personen in Berlin studierten, darunter 18 % Frauen. Während der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten sank die Zahl der Studierenden stetig und hatte sich bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1937 mit 12 485 Studierenden annähernd halbiert. Viele Lehrende und Studierende, insbesondere solche jüdischer Herkunft, wurden gezwungen, die Hochschulen zu verlassen. Die Zulassung von Frauen zum Studium wurde eingeschränkt. In der Nachkriegszeit fand eine zügige Neueröffnung der Hochschulen statt. Erste Planungen dazu gab es schon kurz nach Kriegsende. Im Frühjahr 1946 wurden erste Vorlesungsveranstaltungen an der Berliner Universität durchgeführt. Aufgrund politischer Einflussnahme in der sowjetischen Besatzungszone wurde im Jahr 1948 im Westteil der Stadt die Freie Universität gegründet. Bereits 1952 waren an den Berliner Hochschulen 20 148 Studierende eingeschrieben – darunter 25 % Frauen. Die Öffnung der Hochschulen für alle Bevölkerungsschichten und Geschlechter setzte sich in den darauffolgenden Jahren stetig fort, wobei in Berlin-West die Einführung des BAföG10 unter dem ehemaligen Bürgermeister und damaligen Bundeskanzler Willy Brandt erheblich dazu beitrug. Die Öffnung vor allem für Frauen vollzog sich in Berlin-Ost BILDUNG 74 100 Jahre Groß-Berlin wesentlich zügiger, sodass hier bereits 1973 mehr weibliche als männliche Studierende gezählt wurden, was im Westen der Stadt bis zum Mauerfall nicht gelang. Anfang der 1980er Jahre waren erstmals mehr als 100 000 Studierende in Berlin immatrikuliert: 1982 lag deren Zahl bei 110 959, darunter 41 % Studentinnen. Kamen im Jahr 1937 noch drei Studierende auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner, waren es 1982 bereits 36. In den letzten 30 Jahren übte die Stadt Berlin mit ihren Hochschulen eine große Anziehungskraft auf junge Menschen aus, die nach einem geeigneten Ort für ihre akademische Ausbildung suchten. So stieg die Zahl der Studierenden bis heute stark an. Der Zustrom von Frauen an die Hochschulen führte im Jahr 2000 erstmals dazu, dass mehr weibliche als männliche Studierende an den Berliner Hochschulen immatrikuliert waren. Absolut betrachtet ist Berlin mit 193 650 Studierenden im Wintersemester 2019 die größte Studierendenstadt Deutschlands. In Relation zur Berliner Bevölkerung kamen auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner 53 Studierende. statistik Berlin Brandenburg Anzahl der Studierenden Berlin 2. Weltkrieg 200 000 Teilung Berlin-West Berlin-Ost Wiedervereinigung 150 000 100 000 50 000 0 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 BILDUNG statistik Berlin Brandenburg Studierende Studierende nach Geschlecht nach Geschlecht Männer Männer 150 000 150100 000000 100 000 50 000 2020 2020 2010 2010 Geschlechteraufteilung Geschlechteraufteilung Frauen Berlin-West Frauen Berlin-West Männer Berlin-West Männer Berlin-West Männer Berlin-Ost Männer Berlin-OstFrauen Berlin-Ost Frauen Berlin-Ost Frauen Frauen 1990 1990 1985 1985 2000 2000 1990 1990 1980 1980 1980 1980 1975 1975 1970 1970 1970 1970 1960 1960 1965 1965 1950 1950 1940 1940 1960 1960 1930 1930 1955 1955 1920 1920 1950 1500000 % 1950 50 000 0 0 50 000 100 Jahre Groß-Berlin 75 50 000 100 000 100 000 150 000 0 %25 % 1986/87 LAG DER FRAUENANTEIL BEI 57 % ZWISCHEN 1977 UND 1990 STUDIERTEN IN BERLIN-OST MEHR FRAUEN ALS MÄNNNER. 25 %50 % 50 %75 % 75100 % % 100 % Kapitel 9 Kunst und Kultur KUNST UND KULTUR 78 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Bühne (frei) Kunst und Kultur prägen heute wie damals Berlin als eine der aufregendsten Metropolen der Welt. Was in den „goldenen Zwanzigern“ mit dem Ausbau kultureller Angebote begann, zeigt sich heute in einer Vielfalt an Einrichtungen, die einen facettenreichen Überblick durch die historischen Epochen und Stilrichtungen bieten. Aber auch das (alte) Wissen, verstaut in den zahlreichen Bibliotheken der Stadt sowie der Blick in die Sterne in einer der vier Berliner Planetarien und Sternwarten stehen Einheimischen wie Touristen als kulturelle Einrichtungen zur Verfügung. In der Epoche der Weimarer Republik blühte die Kulturszene auf. Künstlerinnen und Künstler probierten sich an verschiedenen Stilrichtungen und Berlin entwickelte sich in dieser Zeit zu einem kulturellen Zentrum. Die Berliner Theaterlandschaft lockte ihre Besucher mit politischen Themen und modernster Technik an die Bühnen11. Trotz dieser spannenden Zeitepoche liegen keine gesammelten statistischen Daten zu den Bühnen vor. Mit der Machtübernahme Hitlers veränderte sich die Kulturwelt dramatisch. Jüdische, kritische und politisch unerwünschte Kulturschaffende wurden verfolgt und gingen ins Exil, Kunstwerke wurden zerstört, bestimmte Stilrichtungen verboten und von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ diffamiert. Im Zentrum stand die Propaganda-Darstellung des germanischen, deutschen Volkes – blonde muskulöse Männer und wohlgeformte, zukünftige Mütter sowie Soldaten und Kriegssymbole – die sich auch in den Bühnenstücken widerspiegelte. Erste statistische Aufzeichnungen sind für das Jahr 1935 mit 2 096 Plätzen im Deutschen Opernhaus in der Bismarckstraße sowie 1 830 Besuchen je Vorstellung und 12 066 Plätzen in Varietés und Kabaretts zu finden. Durch die Aufnahme der Zählung von Theaterplätzen neben den Varietés und Kabaretts stiegen auch die erfassten Bühnenplätze (1938: 38 351). Während sich nach Krieg und Teilung der Stadt im Westteil Berlins eine kulturelle Freiheit und Vielfalt wiederfand, war der Ostteil durch Zensur und Kritik geprägt. Bevor in beiden Teilen der Stadt die Besucherzahlen der Bühnen zurückgingen, stiegen diese vorerst in Berlin-West von 1955/56 (996 245) auf mehr als das Dreifache in 1964/65 (3 110 432) an. Die Datenerfassung in Berlin-Ost weist nur lückenhaft Werte aus. Durch verstärkte staatliche Subventionierung und günstige Preise waren aber auch im Ostteil der Stadt die Bühnen gut besucht – 1960/61 waren es 1 853 100 Besuche (752 je Vorstellung). Während in BerlinOst die Operetten mitgezählt wurden, war der Anstieg 1964/65 in Berlin-West zum Teil auch durch deren Neuaufnahme in die Zählung beeinflusst. Seit den 1990er Jahren liegt die Anzahl der Vorstellungen zwischen 8 400 und 9 900 und die der Besuche der Bühnen konstant bei knapp unter 3 Mill. KUNST UND KULTUR statistik Berlin Brandenburg Vorstellungen und Besuche12 der Bühnen Vorstellungen der Berliner Bühnen und Besuche entspricht 1 000 Bühnenvorstellungen Berlin Berlin-West Berlin-Ost Bühnenvorstellungen 100 Jahre Groß-Berlin 79 entspricht 500 000 Besuchen Besuche 1947/48 1949/50 1955/56 1960/61 1964/65 1969/70 1970/71 1975/76 1979/80 1984/85 1989/90 1994/95 2000/01 2005/06 2010/11 2015/16 2017/18 KUNST UND KULTUR 80 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Film ab Neben den zahlreichen Eröffnungen von Clubs, Tanzbars und Bühnen in der Weimarer Repu­ blik, erfuhren auch die Filmtheater (Kinos) einen regelrechten Boom. Sie dienten nicht nur der Unterhaltung, sondern waren auch eine wichtige Quelle der Nachrichten, die im Vorprogramm des Hauptfilms gezeigt wurden. 1929 entfielen mit insgesamt 58,5 Mill. Filmbesuchen in 387 Kinos auf eine Berlinerin beziehungsweise einen Berliner durchschnittlich 13,6 Filmbesuche. Unter anderem trugen der Umstieg von Stumm- auf Tonfilm und damit der Einzug von Musikfilmen in die Kinos zum Erfolg bei. Für den Nationalsozialismus spielten Propaganda-Filme eine wichtige Rolle. Es entstanden antisemitische Unterhaltungsfilme sowie hetzerische Dokumentarfilme, die der Massenerziehung des Volkes dienen sollten. Während des Krieges wurden vor allem Filme gezeigt, die Themen wie Kameradschaft, Pflicht und Gehorsam sowie Kampfesmut und Heldentod verarbeiteten. Noch vor Beginn des Krieges und auch während der ersten Kriegsjahre stiegen die Zahl der Kinos (1940: 403) und deren Besucherzahlen (90,2 Mill.) auf 20,8 Besuche je Einwohnerin beziehungsweise Einwohner an. Mit Kriegsende dezimierte sich die Zahl der Kinos bis 1948 auf 246. Gleichzeitig stieg die Zahl der Filmbesuche auf 107,9 Mill. weiter an. Die Teilung der Stadt hatte auch Einfluss auf die Verteilung der Kinos in der Stadt. 1960 gab es in Berlin-Ost 71 Kinos, in Berlin-West waren es mit 261 mehr als dreimal so viele. Trotz auferlegter ostdeutscher Zensur auch im Filmgeschäft wurden die Kinos 11,3 Mill. Mal besucht (10,5 Filmbesuche je Einwohnerin beziehungsweise Einwohner). Im Westteil der Stadt waren es 1960 rund 42,1 Mill. Filmbesuche (19,1 je Einwohnerin beziehungsweise Einwohner). Nicht einmal ein Berliner Filmtheater (Kinos) und Besuche Berlin Berlin-West 64,6 Mill. Besuche in 406 Filmtheatern 500 Filmtheater Berlin-Ost Besuche 100 Mill. 50 Mill. 10 Mill. 107,9 Mill. Besuche in 246 Filmtheatern 400 300 7,1 Mill. Besuche in 149 Filmtheatern 200 100 0 1924 1929 1933 1937 1940 1948 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2018 statistik Berlin Brandenburg KUNST UND KULTUR 100 Jahre Groß-Berlin 81 Gebundenes Wissen halbes Jahrhundert hielt die große Zeit der Kinos an. Bereits ab den 1960er Jahren mussten sowohl in Berlin-Ost als auch in Berlin-West zahlreiche Kinos aufgrund sinkender Besucherzahlen schließen. 1965 gab es im Westteil der Stadt nur noch 166 Kinos. Im Ostteil hatte sich ihre Zahl seit 1960 auf 35 Kinos halbiert. Unterhaltungsformen wie Fernseher, Videotheken und Computerspiele hielten Einzug. 1980 wurden nur noch 4 Mill. Filmbesuche in Berlin-Ost und 6,4 Mill. in Berlin-West registriert. Mit der Wiedervereinigung stiegen die Zahl der Kinos und ihre Besucherzahlen wieder an. Weit entfernt vom Niveau der 1920er bis 1960er Jahre kamen 2018 auf eine Berlinerin beziehungsweise einen Berliner 2,3 Filmbesuche in 291 Filmtheatern. Das seit 70 Jahren bekannteste Filmereignis der Hauptstadt ist die alljährlich stattfindende Berlinale. Die Kriegserlebnisse des Ersten Weltkrieges wurden nicht nur auf der Bühne oder in Filmen, sondern auch in der Literatur verarbeitet. Aber auch hoffnungsvolle Literatur über Natur, Abenteuer und Liebe waren beliebt und standen 1923 in den 87 Berliner Volksbüchereien mit einem Gesamtbestand von 644 154 Werken zum Ausleihen bereit. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde den Bibliotheken durch die Entlassung von Beschäftigten aus politischen und rassistischen Gründen großer Schaden zugefügt. Sogenannte jüdische Literatur wurde verboten und vernichtet. Die bekannteste demonstrative Zerstörung von Büchern und Zeitschriften war die von der Deutschen Studentenschaft geplante und inszenierte Bücherverbrennung im Mai 1933 auf dem ehemaligen Berliner Opernplatz. Zudem waren einige Bibliotheken, unter anderem die Staatsbibliothek, und ihre Bestände zum Teil stark von Kriegszerstörung betroffen. Zwischen 1940 und 1946 reduzierte sich die Anzahl von 115 auf 81 Bibliotheken. Der Bestand halbierte sich fast von 925 834 auf 491 483. Nur durch Evakuierungen konnten zahlreiche Bestände vor der Vernichtung gerettet werden. Das Bibliothekswesen in Berlin glich einem Trümmerfeld. Mit der Teilung Deutschlands veränderte sich die Bibliothekslandschaft Berlins erneut. Zwei eigenständige Nachfolgeinstitutionen der Preußischen Staatsbibliothek entstanden – die Deutsche Staatsbibliothek in Berlin-Ost und die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin-West. Die Zahl der Bibliotheken nahm in beiden Teilen der Stadt wieder zu, wobei Berlin-Ost durch zahlreiche Gewerkschaftsbibliotheken eine deutlich höhere Anzahl an Bibliotheken aufwies (1980: Ost: 571, davon 402 Gewerkschaftsbibliotheken; West: 130). Im Zuge der Wiedervereinigung mussten die getrennten Bibliotheksnetze neu verknüpft werden. Die beiden großen Staatsbibliotheken wurden 1992 unter dem Namen Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz institutionell zusammengeführt. Die Gewerkschaftsbibliotheken bibliotheken und Informationssowie die Fach­ stellen in den Betrieben verschwanden bereits in den Jahren 1990/1991 fast vollständig. 1990 gab es in Berlin 266 Bibliotheken mit einem sowohl rückgeführten als auch erneut aufgebauten Bestand von 9 388 421. Bis 2018 reduzierte sich die Anzahl der Bibliotheken weiter auf nur noch 81 und ihre Bestände auf 7 469 473 Werke. KUNST UND KULTUR 82 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Blick in die Sterne Berliner Bibliotheken und Bestände entspricht 100 Bibliotheken Bibliotheken Berlin Berlin-West Berlin-Ost 1923 1925 1930 1935 1940 1946 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2018 entspricht 1 Mill. Bestände Bestände Der lang ersehnte Traum Berliner (Hobby-)Astronomen erfüllte sich bereits 1896 mit der Eröffnung der Sternwarte im Treptower Park, benannt nach dem ersten Direktor der Einrichtung, Friedrich Simon Archenhold. Sie ist die älteste und größte Volkssternwarte Deutschlands. Folgend entstand 1926 das Planetarium auf dem Tierparkgelände des Zoologischen Gartens. Bereits 1935 wurden insgesamt 257 725 Besucherinnen und Besucher registriert. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Planetarium schwer beschädigt und schließlich abge­ rissen. Es entstanden 1963 die Wilhelm-FoersterSternwarte auf dem Insulaner sowie das 1965 eröffnete Planetarium am Fuße des Insulaners, welches das zerstörte Planetarium am Zoo ersetzte. Besucherzahlen liegen erst ab den 1970er Jahren für Berlin-West wieder vor. Von 1970 bis 1980 nahm die Besucherzahl der Sternwarte und des Planetariums von 165 117 auf 232 957 zu, bevor sie anschließend stetig abnahm. In Berlin-Ost kam zur Archenhold-Sternwarte 1987 100 Jahre Groß-Berlin 83 Besuche von Planetarien entspricht 10 000 Besuchen 0 197 1975 1980 Berlin Berlin-West Berlin-Ost 1985 19 87 5 37 19 1990 1988 8 201 19 95 das Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg als eines der größten und modernsten Planetarien hinzu. 1987 begrüßten beide Einrichtungen 131 200 Besucherinnen und Besucher. Einen regelrechten Besucheransturm erlebten alle vier Planetarien und Sternwarten 1988 mit insgesamt 488 164 Besucherinnen und Besuchern. Mit der Wiedervereinigung 1990 sanken die Besucherzahlen allerdings rapide auf 278 022. Seit 1995 gingen die Besucherzahlen weiter zurück und lagen, unter anderem aufgrund von Sanierungsarbeiten, 2015 bei nur noch 157 574 Besucherinnen und Besuchern. Mit dem stetig wachsenden Lehr- und Veranstaltungsangebot der Planetarien und Sternwarten scheint das Interesse an den Sternen wieder zuzunehmen: 2018 verdoppelte sich die Besucherzahl von 2015 auf 314 603 Besucherinnen und Besucher. Seit 2016 gehören die Archenhold-Sternwarte, das ZeissGroßplanetarium, das Planetarium am Insulaner und auch die Wilhelm-Foerster-Sternwarte zur Stiftung Planetarium Berlin. KUNST UND KULTUR 193 statistik Berlin Brandenburg 20 15 201 0 8 2005 199 2000 Kapitel 10 Freizeit und Sport FREIZEIT UND SPORT 86 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Grünes Berlin Freizeit, als Gegenstück zur Lohnarbeit, erlang­ te erst mit der Verkürzung der Arbeitszeit eine praktische Relevanz für die arbeitende Bevölkerung. Die Erfolge der Arbeiterbewegungen zum Ende des 19. Jahrhunderts und in der Weimarer Republik machten dies möglich. In den letzten 100 Jahren wurden Erholungsflächen, wie Spielplätze, Kleingärten, Bäder oder auch Sportanlagen, geschaffen, die den Berlinerinnen und Berlinern Orte zum Ruhen, Spielen, Sport treiben oder Verweilen mit Familie, Freunden oder auch mit dem Hund bieten. Bereits mit der Gründung Groß-Berlins 1920 wurden Pläne zur Grünflächenentwicklung umgesetzt – die ersten Berliner Volksparks entstanden. Hier sollte der Bevölkerung Raum zum Ausruhen, aber auch für Spiel und Sport gegeben werden. 1925 gab es 1 176 ha Parkanlagen. In den Folgejahren entstanden weitere kleinere Parks und Grünanlagen, deren Ausbau während der Kriegsjahre ab 1941 stagnierte und durch einen Mangel an Arbeitskräften und Geräten erschwert wurde. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges stand die Instandsetzung der durch Bunkerbau, Barrikaden und Bomben zerstörten Grünflächen im Vordergrund (1947: 2 249 ha). In Berlin-Ost lagen ab 1950 die Schwerpunkte im Neubau von Sportanlagen, eines Tierparks, Frei- und Strandbädern sowie in der mit dem Wohnungsbau verbundenen Freiraumgestaltung (Wohngrün) und im Ausbau von Erholungsgebieten. Statistische Daten liegen für den Ostteil der Stadt erst ab 1990 vor (4 360 ha Grünfläche). Ein in BerlinWest nach Kriegsende zunächst geplantes zusammenhängendes Netz von Hauptgrünzügen wurde zugunsten von Wohnungsbau, Verkehrsbau und Gewerbeansiedlung aufgegeben. Erst Mitte der 1980er wurden Programme zur Hof-, Dach- und Fassadenbegrünung eingeführt und weitere öffentliche Grünanlagen in Form von Berliner Erholungsfläche Berlin Berlin-West Berlin-Ost 1 176 ha 1 903 ha 2 181 ha 2 285 ha 2 249 ha 1 896 ha 2 418 ha 2 511 ha 2 677 ha 2 726 ha 1925 1930 1935 1937 1947 1950 1955 1960 1965 1970 2018 2015 2010 2005 2000 1995 1990 1985 1980 1975 12 016 ha 10 670 ha 10 283 ha 10 335 ha 10 285 ha 9 383 ha 9 597 ha 4 729 ha 4 380 ha 3 778 ha FREIZEIT UND SPORT statistik Berlin Brandenburg Berliner Parkringe mit Naherholungsgebieten 17 Innerer Parkring 1 Mauerpark 2 Stadtpark Eldenaer Straße 3 Parkanlage Alt-Stralau 4 Volkspark Tempelhofer Feld 5 Natur-Park Südgelände 6 Stadtpark Gleisdreieck 7 Stadtteilpark Nordbahnhof 8 Stadtteilpark Moabit 9 Natur-Park Schönholz Äußerer Parkring 10 Volkspark Staaken 11 Park Lichterfelde 12 Landschaftspark Buckower Felder 13 Landschaftspark Rudow-Altglienicke 14 Volkspark Johannisthal 15 Erholungsgebiet Kaulsdorfer Seen 16 Erholungsgebiet Wuhletal 17 Naherholungsgebiet Berliner Barnim Naherholungsgebiete A Müggelsee und Müggelberge B Havel, Grunewald und Wannsee C Tegeler See und Spandauer Forst D Berliner Barnim Quelle: © SenUVK Berlin - Abt. III 100 Jahre Groß-Berlin 87 Erholungsparks, Gärten und Friedhöfen angelegt. Von 1975 (3 778 ha) bis 1990 vergrößerte sich die Erholungsfläche in Berlin-West um 1 459 ha. Nach der Wiedervereinigung wurde mit dem Landschaftsprogramm ein Ausgleich zur dichtbebauten Innenstadt geschaffen. Durch die Verbindung von Grünflächen in Form eines inneren und äußeren Parkrings und Naherholungsgebieten werden Innenstadt und äußere Stadtbereiche miteinander verbunden. 2018 betrug die Erholungsfläche in Berlin 12 016 ha. Damit hat sich die Erholungsfläche13 innerhalb der letzten 100 Jahre mehr als verzehnfacht. FREIZEIT UND SPORT 88 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Hauptstadt der Kleingärten Als Ausgleich zum hektischen Alltag und zur Versorgung mit frischem Obst und Gemüse halten sich viele Berlinerinnen und Berliner ihr eigenes Stückchen Grün – einen Kleingarten oder auch Schrebergarten14. 2019 gab es insgesamt 877 Kleingartenanlagen mit einer Gesamtfläche von 2 903 ha. Ihr Ursprung hat mit der heutigen Hobby-Gärtnerei aber nur noch wenig gemein. Den früheren Schrebervereinen ging es um Erziehungsfragen, körperliche Ertüchtigung und das Schaffen von Spielräumen für Kinder außerhalb der Stadt. In Berlin begann die Kleingartenbewegung bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Das Bevölkerungswachstum, Überbelegung von Mietskasernen und dunkle Hinterhöfe sorgten dafür, dass Arbeiterfamilien sich kleine Gärten zur Selbstversorgung anlegten und somit ein Stück Natur genießen konnten. Im Nachgang des Ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise stieg die Bedeutung von Kleingärten für die Versorgung der Bevölkerung. Die Schaffung von Kleingartenanlagen wurde subventioniert und erwerbslosen Personen wurden Kleingärten bereitgestellt. 1925 betrug die Kleingartenfläche 3 793 ha und stieg bis zum Jahr 1935 auf 4 962 ha an. Nach dem Zweiten Weltkrieg dienten Kleingärten zudem vermehrt als Wohnsitz. Auch der Freizeit- und Erholungsfaktor rückte in den Vordergrund. 1947 betrug die Kleingartenfläche bereits 5 321 ha. Für die geteilte Stadt liegen nur vereinzelt Daten vor. In Berlin-Ost lag die Kleingartenfläche 1960 bei 4 906 ha und war damit doppelt so hoch wie im Westen der Stadt mit 2 285 ha. Ganz Berlin hatte damit fast zweieinhalb Mal so viel Kleingartenfläche wie heute. In Berlin-West wurde seit 1949 die Zahl der Kleingartenanlagen gelistet (831), die sich im Laufe der Zeit deutlich reduzierte (1980: 591). Seit der Wiedervereinigung gibt es in Berlin etwa 900 Kleingartenanlagen. Ihre Fläche hat sich seit 1990 von 3 511 ha um rund 600 ha verkleinert. Der Kleingarten von heute ist mehr als ein Nutzgarten. Er bietet seinen Besitzern einen Rückzugsraum und gleichzeitig trägt er als „grüne Lunge“ zum Stadtklima Berlins bei. Berliner Kleingartenfläche 3 793 ha 1925 4 451 ha Berlin 4 962 ha 4 548 ha 5 321 ha 2 864 ha 2 610 ha 7 191 ha Berlin-West Berlin-Ost 4 625 ha 1 947 ha 1930 1935 1940 1947 1949 1955 1960 1965 1975 2019 2015 2010 2005 2000 1995 1990 1985 1980 2 903 ha 2 990 ha 3 046 ha 3 161 ha 3 502 ha 3 536 ha 3 511 ha 1 879 ha 1 910 ha FREIZEIT UND SPORT statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 89 Sport frei In seinen heute vielfältigen Formen bietet der Sport eine breite Palette für die Freizeitgestaltung. Zum Ausüben stehen den Berlinerinnen und Berlinern diverse Sportanlagen und Bewegungsräume für Sportaktivitäten zur Verfügung. 2017 gab es unter anderem 684 Kleinund 383 Großspielfelder15. Weniger Arbeit und mehr Freizeit sowie die Verbreitung des Profisports in den 1920er Jahren machte Sport bereits Anzahl der Sportplätze, Klein- und Großspielfelder 1 200 in der Weimarer Republik zum Vergnügen vieler. Daten zu den Sportanlagen sind aus dieser Zeit nicht vermerkt. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Sport zur politischen Erziehungsmaßnahme und durch die Ideologie der Rassenlehre geprägt. Körperliche Ertüchtigung und Vereinsmitgliedschaft waren von klein auf verpflichtend. 1935 waren 236 Sportplätze16 und 69 Großspielfelder verzeichnet. Sportplätze Kleinspielfelder Berlin/Berlin-West/Berlin-Ost Großspielfelder Wiedervereinigung 2. Weltkrieg Teilung 1 000 800 600 400 200 0 1935 1950 1955 1956 1960 1974 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2017 Mit der Teilung Deutschlands wurde der Sport zum Thema politischer Außenpolitik. In der DDR wurde der Sport staatlich gelenkt und gefördert. Neben dem Ausbau des Leistungs- und Profisports setzte die DDR auf Breitensport – vom Kindergarten bis in die Betriebe sollte jedermann sportlich aktiv sein. 1981 eröffnete dafür in BerlinOst das Sport- und Erholungszentrum (SEZ) in der Landsberger Allee. Während sich die Anzahl an Sportplätzen kaum änderte, nahm die der Kleinspielfelder zu (1985: 338). 1985 gab es in BerlinWest 256 Klein- und 191 Großspielfelder. In den 1960er Jahren waren in Berlin-West Sportvereine beliebt, aber erst mit den Olympischen Spielen in München 1972 und der Trimm-Dich-Bewegung, welche den Krankheiten der Wohlstandsgesellschaft entgegenwirken sollte, wurde Sport zur Massenbewegung. Insgesamt gibt es nur sehr wenige Daten zu den Berliner Sportanlagen während der Teilungsjahre. Mit der Wiedervereinigung 1990 wurden statt Sportplätzen nur noch Klein- und Großspielfelder sowie weitere Sportanlagen separat ausgewiesen. Mit dem Aufleben neuer Sportarten erlebten die Kleinspielfelder zu Beginn des 21. Jahrhunderts nochmals einen deutlichen Anstieg (2003: 864), bevor ihre Zahl dann wieder rückläufig war. Auch die Zahl der Großspielfelder hat leicht zugenommen, bleibt seitdem aber relativ konstant. 90 100 Jahre Groß-Berlin FREIZEIT UND SPORT statistik Berlin Brandenburg Berliner Bäderkultur Die Berliner Bäder sind ein Stück Stadtkultur. War das öffentliche Baden anfänglich vor allem eine reine Hygienemaßnahme, kamen zu Beginn des 20. Jahrhundert auch Aspekte der körperlichen Ertüchtigung und des Freizeitspaßes dazu. Anfang der 1920er Jahre verfügten die ersten Berliner Wohnungen über Badezimmer. Um auch dem Rest der Bevölkerung die Körperpflege zu ermöglichen, wurden vor allem in den ärmeren Gegenden, den Arbeiterbezirken, Stadtbäder errichtet – Badeanstalten mit Dusch- und Wannenbädern. Mit dem Einzug privater Badezimmer rückte das Schwimmen als körperliche Ertüchtigung in den Vordergrund. Dieser Aktivität konnten die Großstädter in Schwimmhallen oder unter freiem Himmel, zum Beispiel im Strandbad Wannsee, nachgehen. 1930 wurden 25 Hallenbäder und 15 Frei- und Sommerbäder verzeichnet. Der ideologische Kult des Nationalsozialismus ließ das Baden zum kontrollierten Massenvergnügen werden. Durch den Zweiten Weltkrieg nahm die Zahl der Hallenbäder ab. 1945 wurden nur noch 16 Hallenbäder gelistet. In der Nachkriegszeit zog es die Berlinerinnen und Berliner sowohl in Berlin-Ost als auch in Berlin-West wieder an die Seen und in die Schwimmbäder (1956: 35 Frei- und Sommerbäder sowie 20 Hallenbäder). Während im Westen der Bikini Einzug hielt, lebte in der DDR die Freikörperkultur an See und Meer auf, die bis heute bei den Berlinern Bestand hat. 1991 gab es 30 Frei- und Sommerbäder und mit 39 fast doppelt so viele Hallenbäder wie noch 1956. Heute ist das Baden, Planschen und Schwimmen als Erholungs- und Freizeitaktivität nicht mehr wegzudenken. 2018 gab es in Berlin 33 Frei- und Sommerbäder sowie 54 Hallenbäder, die unter anderem auch für das Schwimmen im Schul- und Vereinsbetrieb genutzt werden. Hallen-, Frei- und Sommerbäder Berlin Hallenbäder Berlin-West Frei- und Sommerbäder 2018 2017 2016 2015 2010 2005 2000 1995 1991 1989 1985 1980 1975 1970 1965 1960 1956 1949 1945 1935 1930 1922 60 40 20 0 20 40 60 FREIZEIT UND SPORT statistik Berlin Brandenburg 100 Jahre Groß-Berlin 91 Auf den Hund gekommen Dem Hund kommt mit Blick in die Vergangenheit und Gegenwart Berlins eine tragende Rolle zu. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hielt der Hund als Freizeitfreund in den engen Berliner Mietskasernen Einzug. Jedoch führte ein drastischer Anstieg der Hundesteuer in den 1920er Jahren dazu, dass sich vor allem die ärmeren Hundebesitzer von ihren Hunden trennen mussten. 1928 wurden 189 822 Hunde und 186 643 Hundehalter gezählt, das entsprach 44 Hunde auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Mit dem Zweiten Weltkrieg brachen auch für Hunde schlechte Zeiten an, denn auch sie mussten in den Krieg ziehen. Sie wurden als Meldehunde, Sanitätshunde zur Versorgung von kranken Soldaten, für das Aufspüren von Giftgas oder das Bewachen Anzahl an Hunden und Hunde je 1 000 Einwohner 2. Weltkrieg 200 000 Hunde Berlin Teilung Wiedervereinigung Berlin-West 80 Hunde auf 1 000 Einwohner 189 822 Hunde 52 Hunde auf 1 000 Einwohner 150 000 60 100 000 40 50 000 20 0 0 1928 1930 1935 1939 1946 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 1999 2005 2010 2015 2019 von Kriegsgefangenen eingesetzt. Hunde jüdischer Besitzer fielen der NS-Ideologie zum Opfer und auch die Hungersnot ließ die Anzahl an Hunden weiter schrumpfen, sodass 1947 nur noch 11 Hunde auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner (35 207 Hunde insgesamt) verzeichnet wurden. Ein Berlin ohne Hunde kam für die Berlinerinnen und Berliner aber nicht in Frage. Schon in den ersten Jahren der Teilung stieg die Zahl der Hunde in Berlin-West wieder sprunghaft an. 1955 lebten bereits 84 833 Hunde bei 82 699 Hundehaltern – 39 Hunde je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Für Berlin-Ost liegen keine Daten zu Hunden und Hundehaltern vor. Nach der Wiedervereinigung wurden jedoch zahlreiche Grenzhunde an neue Hundebesitzer vermittelt. 1995 gab es 95 461 Hunde und 90 158 Hundehalter. Heute wie damals ist der Hund für den Berliner ein treuer Begleiter im Alltagsdschungel der Großstadt, der in die Freizeitgestaltung der Menschen eingebunden wird. 2019 kamen auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner insgesamt 30 Hunde (111 024 Hunde und 104 723 Hundehalter). Kapitel 11 Klima KLIMA 94 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Berlin schwitzt Berlin befindet sich in der gemäßigten Klimazone, am Übergang vom maritimen zum kontinentalen Klima. Bebauung und Grünflächen haben zusätzlichen Einfluss auf die Temperaturen innerhalb der Stadt. Größere Freiflächen, wie das Tempelhofer Feld, aber auch die innerstädtischen Grünflächen, wie der große Tiergarten oder der Grunewald, bieten weitaus kühlere Temperaturen, während in dicht bebauten Bereichen die Wärme gespeichert wird. Innerhalb des Stadtkerns können in den Sommermonaten hohe Temperaturen von über 30 °C erreicht werden. Die Winter sind gemäßigt, aber durch die östliche Lage Berlins können Ostwinde für Kältephasen sorgen. Der Vergleich des Klimas von gestern und heute zeigt besonders anschaulich, wie sich die Lufttemperaturen in der Hauptstadt verändert haben. In der Darstellungsform der sogenannten „Warming Stripes“ ist im zeitlichen Verlauf von 99 Jahren ein Trend, aber auch die Schwankungsbreite des Berliner Klimas zu erkennen. Aufgenommen von der Wetterstation Berlin-Dahlem17 zeigt der farbliche Verlauf über die Zeitachse einen Temperaturanstieg in Berlin im Jahr 2019 von 2,0 °C – gemessen am Durchschnittswert aller Jahre (9,2 °C). Zwischen 1920 und 1933 schwankte die durchschnittliche Jahrestemperatur zwischen 7,5 °C und 9,6 °C und lag über alle Jahre bei 8,6 °C. Danach folgten bis 1939 kontinuierlich Jahre mit über 9,0 °C, wobei das Jahr 1934 mit 10,5 °C ein ungewöhnlich warmes Jahr war. Nach ein paar kälteren Jahren um 1940 (unter 8,0 °C) stieg die durchschnittliche Jahrestemperatur erneut an, lag bis Anfang der 1950er Jahre knapp unter 10,0 °C und knackte 1953 erneut die Marke von 10,0 °C. Die darauffolgenden 35 Jahre haben einen Mittelwert von 8,7 °C und liegen unter dem Gesamtdurchschnitt von 9,2 °C. Nur vier Jahre schafften es noch unter 8,0 °C. Im geschichtsträchtigen Wendejahr 1989 zeigte sich auch im Klima eine Veränderung. Von 1989 bis 2019 lag die jährliche Durchschnittstemperatur (zusammen 9,9 °C), mit Ausnahme von drei Jahren, stetig über 9,2 °C. Allein in den letzten sechs Jahren wurde ein Mittelwert von 10,7 °C erreicht und damit 2,1 °C mehr als in den Jahren 1920 bis 1933. Die Jahre 2018 und 2019 sind mit einer Jahresmitteltemperatur von 11,1 °C und 11,2 °C bis dato die Wärmerekordjahre. Entsprechend dem Anstieg der Jahresmitteltemperatur nimmt die Temperatur auch in allen Jahreszeiten zu. Allerdings gibt es Unterschiede bei Höhe und Zeitraum des Anstiegs. Die stärkste Temperaturzunahme ist im Winter zu verzeichnen. Beeinflusst durch die wärmeren Temperaturen in Abweichung in °C Jährliche Abweichung von der mittleren Temperatur der Jahre 1920 bis 2019 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 -2 -1 2010 0 2015 1 2 2020 Datengrundlage: Institut für Meteorologie KLIMA statistik Berlin Brandenburg Mittlere Temperatur nach Jahreszeiten 1920 bis 1939 1940 bis 1959 20 °C 1960 bis 1979 1980 bis 1999 15 10 2000 bis 2019 8,7 °C 8,7 °C 8,4 °C 1,6 °C 5 1,0 °C 0,4°C 9,9 °C He r bs t me r 10,0 °C h g 0,5 °C Fr ü lin n te r Wi -0,2 °C 9,2 °C 0 So 17,4 °C m 9,1 °C 17,8 °C 9,1 °C 9,2 °C 17,3 °C 8,9 °C 17,7 °C 18,6 °C Datengrundlage: Institut für Meteorologie 100 Jahre Groß-Berlin 95 den 1970er Jahren ist bereits ab dem Zeitraum 1960–1979 ein sprunghafter Anstieg der Temperatur im Winter zu erkennen, der sich kontinuierlich durch alle weiteren Zeiträume zieht – ein Anstieg um 1,8 °C. Verstärkt wird der Effekt durch die teilweise kälteren Winter im vorherigen Zeitraum 1940–1959. Der Frühling verzeichnet mit 1,5 °C ebenfalls einen Temperaturanstieg. Dieser setzt zeitversetzt zum Winter aber erst ab 1980 ein. Ähnlich wie beim Winter wird der Effekt durch niedrigere Frühjahrstemperaturen im Zeitintervall 1960–1979 verstärkt. Anders als die anderen Jahreszeiten ist der Sommer von stärkeren Schwankungen zwischen den zeitlichen Perioden betroffen. Neben den kälteren Wintern in den 1940er und 1950er Jahren sorgen gleichzeitig wärmere Temperaturen im Sommer für einen Temperaturanstieg, der im nächsten Zeitintervall von sinkenden Temperaturen abgelöst wird. So gab es bereits 1940–1959 einen Temperaturanstieg, der dem Anstieg im Zeitraum 1980–1999 entspricht. Insgesamt verzeichnet der Sommer einen Anstieg im Zeitintervall 1980–2019 von insgesamt 1,3 °C. Über den gesamten Zeitverlauf ist der Herbst die temperaturstabilste Jahreszeit. Mit einer Änderung von 0,9 °C zwischen 1980 und 2019 bildet er mit dem jahreszeitlich geringsten Anstieg das Schlusslicht. KLIMA 96 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Sonne und Regen Sonne, Luft und Regen sind die bestimmenden Elemente, die das Klima einer Region und somit Phasen der Trockenheit und Überschwemmung beeinflussen. Die Betrachtung von 68 Jahren Sonnenscheindauer18 in Berlin zeigt teilweise starke Schwankungen in den einzelnen Jahren zwischen 1951 und 2019. Trotzdem lässt sich ein Trend zur Zunahme der monatlichen Sonnenscheindauer erkennen. Die geringe Differenz (zwischen Beginn und Ende der Trendlinie) von 23 Stunden ist auf die hohe Sonnenscheindauer im Ausgangsjahr 1951 zurückzuführen. Insgesamt war die Anzahl der mittleren monatlichen Sonnenstunden in den 1950er Jahren sehr hoch. So wurden 1959 mit 174,0 Sonnenstunden sogar mehr und 1953 mit 170,7 Sonnenstunden nur geringfügig weniger gemessen als im Jahr 2019 mit 171,1 Stunden. In den darauffolgenden Jahren lag die durchschnittliche Sonnenscheindauer pro Monat bis zum Wendejahr aber stets unter 150 Sonnenstunden. Einzige Ausnahme war das Jahr 1982 mit 166,6 Sonnenstunden. Bereits in den 1990er Jahren wurde die Grenze von durchschnittlich 150 Sonnenstunden mehrfach überschritten und ab dem Jahr 2003 konnte nochmals Mittlere monatliche Sonnenscheindauer 200 Stunden 150 100 50 0 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Datengrundlage: Institut für Meteorologie KLIMA statistik Berlin Brandenburg Mittlere monatliche Sonnenscheindauer nach Jahreszeiten 1951 bis 1959 1960 bis 1979 250 Stunden 200 58,0 100 175,1 50 49,0 Fr ü h 189,5 He 122,3 r bs t me r g Wi n 0 te r lin 55,6 2000 bis 2019 163,4 150 61,3 1980 bis 1999 195,6 So m 231,1 109,3 220,0 104,5 123,5 221,1 236,9 Datengrundlage: Institut für Meteorologie 100 Jahre Groß-Berlin 97 eine deutliche Zunahme der Sonnenscheindauer verzeichnet werden. 2018 ist mit durchschnittlich 192,0 Sonnenstunden pro Monat das mit Abstand sonnenreichste Jahr der Zeitreihe, gefolgt von 2003 mit 177,9 Sonnenstunden. Über den gesamten Zeitraum ergibt sich eine mittlere monatliche Sonnenscheindauer von 143,7 Sonnenstunden. Aufgeteilt auf die Jahreszeiten scheint die Sonne im Frühling und Sommer häufiger als im Herbst und Winter, wobei vor allem Frühling und Sommer von einer Zunahme der Sonnenscheindauer in den letzten beiden Zeitintervallen betroffen sind. Der Frühling lag im Zeitintervall 1951–1959 mit 195,6 Sonnenstunden und der Herbst mit 123,5 Sonnenstunden sogar leicht über den Werten der Jahre 2000–2019 mit 189,5 Sonnenstunden und 122,3 Sonnenstunden. Während im gesamten Zeitverlauf im Sommer durchschnittlich 226,7 Stunden die Sonne schien, schaffte es der Winter im Mittel gerade einmal auf 56,0 Sonnenstunden. Mit 250,5 Stunden Sonne im Frühling und 289,9 Stunden im Sommer sticht auch hier das Jahr 2018 heraus. KLIMA 98 100 Jahre Groß-Berlin Gleichzeitig ging damit auch eine Trockenheit einher, die sich im selben Jahr mit der niedrigsten seit 1920 gemessenen mittleren Niederschlagsmenge von 30,2 Litern auf einen Quadratmeter im Sommer und 17,5 Litern im Herbst zeigte. Im Vorjahr 2017 wurde im Sommer mit einer Niederschlagsmenge von 149,2 Litern noch der zweithöchste Wert der letzten 99 Jahre gemessen. Insgesamt fallen in den Sommermonaten die im Mittel höchsten Niederschlagsmengen und sorgen damit für Abkühlung an heißen Tagen. Auffällig wenig Regen fiel in den Sommermonaten der Jahre 1960 bis 1979 (64,1 l/m2) sowie 1980 bis 1999 (60,5 l/m2), bis sich in der letzten Zeitperiode erneut das Niveau von 1920–1939 einpegelte. Die übrigen Jahreszeiten weichen mit ihren Niederschlagsmengen vom Sommer ab und schwanken in ihrer Höhe von Klimaperiode zu Klimaperiode. Im letzten Zeitraum 2000–2019 ist erkennbar, dass die mittlere Niederschlagsmenge im Herbst (46,3 l/m2) ebenfalls angestiegen ist, aber 3,3 Liter unter dem Wert von 1920–1939 bleibt. Frühling und Winter weisen über alle Perioden geringe Niederschlagsmengen auf, mit Ausnahme des Zeitraumes 1980–1999; hier fiel zu viel und umgekehrt im Sommer und Herbst zu wenig Regen. Nasse und trockene Jahre wechseln sich häufig ab. Gab es in den 1920er und 1930er Jahren vermehrt Niederschlagsabweichungen im positiven Bereich, also mehr Regen, zeigt sich vor allem in den letzten rund zehn Jahren eine auffällige Abnahme der Niederschlagsmengen. Seit 2014 befindet sich die mittlere statistik Berlin Brandenburg monatliche Niederschlagsmenge, mit Ausnahme des niederschlagreichen Jahres 2017, im negativen Bereich. Die durchschnittliche monatliche Niederschlagsmenge auf einen Quadratmeter lag im gesamten Zeitraum bei 49,5 Litern und wich im Trockenheitsrekordjahr 2018 um 19,6 Liter ab. Jährliche Abweichung der Niederschlagsmenge von der mittleren Niederschlagsmenge der Jahre 1920 bis 2019 30 l/m² 20 10 0 -10 -20 -30 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Datengrundlage: Institut für Meteorologie KLIMA statistik Berlin Brandenburg Mittlere monatliche Niederschlagsmenge nach Jahreszeiten 1920 bis 1939 1940 bis 1959 80 l/m2 1960 bis 1979 1980 bis 1999 60 47,1 39,9 40 42,2 2000 bis 2019 44,0 42,0 44,0 20 43,7 45,3 te r h 39,5 He r bs t me r 46,3 Fr ü g Wi 40,8 lin n 0 So 70,2 m 40,6 70,5 46,4 64,1 44,2 49,5 60,5 69,9 Datengrundlage: Institut für Meteorologie 100 Jahre Groß-Berlin 99 Trockenheit und Starkregen sowie die Zunahme an Sonnenstunden und höheren Temperaturen in allen Jahreszeiten sind auch in der Hauptstadt zu beobachtende Phänomene. Sie haben nicht nur auf uns Menschen Einfluss, sondern auch auf Flora und Fauna. So beginnt meteorologisch der Frühling merklich früher und der Herbst endet später. 100 100 Jahre Groß-Berlin statistik Berlin Brandenburg Endnoten 1 Berlin in Zahlen, Taschenbuch 1945, Hrsg. Statistisches Amt der Stadt Berlin, DAS NEUE BERLIN Verlagsgesellschaft mbH, Berlin N 4, S. 51. 2 Die Ergebnisse sollten zurückhaltend interpretiert werden, da die Erfassung der Fälle im zeitlichen Verlauf variierte. 3 Die Ergebnisse sollten zurückhaltend interpretiert werden, da die Erfassung der Fälle im zeitlichen Verlauf variierte. Die Zahlenangaben enthalten keine Todesfälle, deren nähere Umstände unbestimmt blieben sowie Suizidversuche ohne Todesfolge. 4 von Fransecky, Tanja (2003): Zwangsarbeit in der Berliner Metallindustrie 1939 bis 1945: Eine Firmenübersicht; Arbeitsheft Nr. 31; hrsg. von der Otto Brenner Stiftung; Frankfurt/Main, S. 18. 5 Frauen konnten in der DDR mit 60 Lebensjahren und Männer mit 65 Lebensjahren in Rente gehen. 6 Die Daten beziehen sich ab 1950 auf Angaben service der Bundesagentur für Arbeit (Statistik­ Ost). 7 Unterschiede in der Datenerhebung zwischen Berlin-West und Berlin-Ost: Für die Zeit der deutschen Teilung wurden für den Zeitraum von 1951 bis 1961 die Daten für Berlin-Ost in der DDR nicht gesondert erfasst. Für Berlin-West wurden von 1951 bis 1957 Daten für die Hotellerie und ab 1958 auch für Jugendherbergen erhoben. Ab dem Jahr 1980 kamen die Campingplätze hinzu. Für Berlin-Ost wurden ab 1962 Daten für Einrichtungen der Jugend (Jugendherbergen, ständige Wanderquartiere) veröffentlicht und ab 1973 folgten Daten für Campingplätze für die Bezirke der DDR. 8 Spatt, Ernst (1975): Allgemeine Fremdenverkehrslehre: Grundlagen und wirtschaftliche Aufgaben.hrsg Inn-Verlag; Innsbruck. 9 1999/35/EG: Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1998 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 95/57/EG des Rates über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus (Bekanntgegeben unter Aktenzeichen K(1998) 3950) (Text von Bedeutung für den EWR), in ABl. Nr. L009 vom 15.01.1999, S. 23–47. 10 Das Bundesausbildungsförderungsgesetz regelt die staatliche Unterstützung für die Ausbildung von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden in Deutschland. 11 Darin enthalten sind Opern, Operetten, Musicals sowie Tanz-, Ballet- und Theateraufführungen. Nicht alle Kultureinrichtungen sind in jeder Zeitepoche gezählt worden. 12 Dargestellt sind Vorstellungen und Besuche ohne theaternahe Veranstaltungen und ohne Gastspiele außerhalb Berlins, einschließlich Gastspiele anderer Theater. 13 Unter Erholungsflächen werden von 1925 bis 1947 Parkanlagen und Schmuckplätze und zwischen 1950 bis 1975 in Berlin-West Parkanlagen und Sportplätze gezählt. Ab 1980 werden zudem Grünanlagen, Spielplätze, Tierparks, Freibäder und Kleingärten sowie ab 2015 auch Camping unter diesem Begriff zusammengefasst. 14 Namensgebung erfolgte zu Ehren des Mediziners und Pädagogen Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861). 15 Großspielfelder sind Spielfelder mit einer Mindestgröße von mehr als 62 m x 94 m. Klein­ spiel­­ felder sind Spielfelder mit einer Mindestgröße von 13 m x 24 m und einer Maximalgröße von 62 m x 94 m. 16 Sportplätze beziehungsweise Sportanlagen können Klein- und Großspielfelder sowie Rundlaufbahnen sein. 17 Von April bis November 1945 lagen keine Daten zu Temperatur und Niederschlagsmenge vor. Die Messwerte stammen in diesem Zeitraum aus Potsdam. 18 Daten zur Sonnenscheindauer liegen erst ab 1951 vor. Die Messwerte der Monate August und September 2002 stammen von der Wetterstation in Berlin-Tempelhof, ansonsten Berlin-Dahlem. 100 Jahre Groß-Berlin 101 statistik Berlin Brandenburg Quellenverzeichnis ཛྷ Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (Hg.): Statistisches Jahrbuch Berlin 2007–2019. ཛྷ Führ, Christoph; Furck, Carl-Ludwig (Hg.) (1998): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band 6: 1945 bis zur Gegenwart/2. Teilband: Deutsche Demokratische Republik und neue Bundesländer; München. ཛྷ Hauptamt für Statistik und Wahlen (Hg.): Berlin in Zahlen, Taschenbuch 1950. ཛྷ Hauptamt für Statistik und Wahlen des Magistrats von Gross-Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1946/1947–1948/1949. ཛྷ https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/stadtgruen/geschichte/de/stadtgruen/index.shtml (Abruf am 24.07.2020). ཛྷ Spatt, Ernst (1975): Allgemeine Fremdenverkehrslehre: Grundlagen und wirtschaftliche Aufgaben.hrsg. Inn-Verlag; Innsbruck. ཛྷ Staatliche Zentralverwaltung für Statistik (Hg.): Statistische Jahrbücher der Deutschen Demokratischen Republik 1956–1991. ཛྷ Statistisches Amt der Reichshauptstadt Berlin (Hg.) (1941): Land- und Forstwirtschaft: Landwirtschaftliche Betriebszählung; Kriegs-Mitteilungen, Beilage zu Nr. 12. ཛྷ Statistisches Amt der Reichshauptstadt Berlin (Hg.) (1941): Zahl der in Berlin beschäftigten Kriegsgefangenen; Kriegs-Mitteilungen, Beilage zu Nr. 12. ཛྷ Statistisches Amt der Reichshauptstadt Berlin (Hg.): Kriegs-Taschenbuch Berlin in Zahlen 1942. ཛྷ Statistisches Amt der Reichshauptstadt Berlin (Hg.): Statistisches Jahrbuch der Reichshauptstadt Berlin 1939. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.) (1925): Grundzüge der kommenden Arbeitslosenversicherung; Berliner Wirtschaftsberichte; Nr. 48. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.) (1938): Berlin als Betriebs- und Wohngemeinde; Berliner Wirtschaftsberichte, Nr. 1. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.) (1938): Die Arbeitsbuchpflichtigen in Berlin am 25. Juni 1938; Berliner Wirtschaftsberichte; Nr. 22. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.) (1938): Häusliche Dienste; Berliner Wirtschaftsberichte, Nr. 16. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.) (1939): Die Zahl der Hausangestellten in Berlin 1938; Berliner Wirtschaftsberichte; Nr. 8. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.) (1941): Häusliche Dienste; Kriegs-Mitteilungen; Nr. 5. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen, Taschenbuch 1945. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.): Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin 1927–1938. ཛྷ Statistisches Amt der Stadt Berlin (Hg.): Statistisches Taschenbuch der Stadt Berlin 1924 und 1926. ཛྷ Statistisches Bundesamt (Hg.) (1994): Sonderreihe mit Beiträgen für das Gebiet der ehemaligen DDR, Heft 14: Erwerbstätige 1950 bis 1989. ཛྷ Statistisches Landesamt Berlin (Hg.): Berlin in Zahlen 1951. ཛྷ Statistisches Landesamt Berlin (Hg.): Statistisches Jahrbuch Berlin 1952–2006. ཛྷ Statistisches Reichsamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1920–1943. ཛྷ 1999/35/EG: Entscheidung der Kommission vom 9. Dezember 1998 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 95/57/EG des Rates über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus (Bekanntgegeben unter Aktenzeichen K(1998) 3950) (Text von Bedeutung für den EWR), in ABl. Nr. L009 vom 15.01.1999. ཛྷ von Fransecky, Tanja (2003): Zwangsarbeit in der Berliner Metallindustrie 1939 bis 1945: Eine Firmenübersicht; Arbeitsheft Nr. 31; hrsg. von der Otto Brenner Stiftung; Frankfurt/Main.

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