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Landtagswahl Hamburg 2020 / Bukow, Sebastian (Rights reserved)

Bibliographic data

Landtagswahl Hamburg 2020

Description

Author:
Bukow, Sebastian
Title:
Landtagswahl Hamburg 2020 : Ergebnisse und Analysen / Dr. Sebastian Bukow
Publication:
Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Februar 2020
Language:
German
Scope:
1 Online-Ressource (12 Seiten)
Note:
Datum des Herunterladens: 14.10.2020
Series:
böll.brief : Demokratie & Gesellschaft ; #20
Urban Studies:
Kws 740 Kommunalverwaltung. Kommunalpolitik: Kommunalpolitik
DDC Group:
320 Politik
URN:
urn:nbn:de:kobv:109-1-15411160
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Public administration, politics

Contents

Table of contents

  • Landtagswahl Hamburg 2020 / Bukow, Sebastian (Rights reserved)

Full text

böll.brief DEMOKRATIE & GESELLSCHAFT #20 Februar 2020 Landtagswahl Hamburg 2020 Ergebnisse und Analysen DR. SEBASTIAN BUKOW Das böll.brief – Demokratie & Gesellschaft bietet Analysen, Hintergründe und programmatische Impulse zu Demokratieentwicklung und Politikforschung. Der Fokus liegt auf den Feldern Partizipation, Öffentlichkeit, Digitaler Wandel und Zeitgeschichte. Das böll.brief der Abteilung Politische Bildung Inland der Heinrich-Böll-Stiftung erscheint als E-Paper im Wechsel zu den Themen «Teilhabegesellschaft», «Grüne Ordnungspolitik», «Demokratie & Gesellschaft» und «Öffentliche Räume». Datengrundlage Die Schnellanalyse zur Landtagswahl Hamburg basiert, soweit nicht anders angegeben, auf Vorwahl- und Wahltagsbefragungen von infratest dimap/ARD und Forschungsgruppe Wahlen sowie auf Daten des Landeswahlleiters. Dank Dieser boell.brief ist unter Mitarbeit von Jana Heyde, Ole Meinefeld und Elias Koch entstanden – dafür herzlichen Dank! Inhaltsverzeichnis 1 Zusammenfassung ..............................................................................................................................3 2 Wahlergebnis.......................................................................................................................................4 2.1 Stimmverteilung ........................................................................................................................4 2.2 Sitzverteilung, Koalitionsperspektiven und Repräsentation von Frauen ..................................5 3 Politische Stimmung vor der Wahl ......................................................................................................7 3.1 Allgemeine Stimmung und Regierungszufriedenheit ................................................................7 3.2 Themen und Kompetenzzuschreibung .....................................................................................8 4 Wahlverhalten im Detail ......................................................................................................................9 4.1 Motive der Wahlentscheidung ...................................................................................................9 4.2 Wählerwanderung .....................................................................................................................9 4.3 Regionale und soziodemographische Befunde ..................................................................... 10 2 / 11 böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 1 Zusammenfassung  Wahlergebnis & Wahlbeteiligung  SPD und Grüne gehen als Sieger aus der Wahl hervor. Die SPD verliert erfolgreich und bleibt trotz relativen und absoluten Stimmverlusten stärkste Kraft (39,2 Prozent; -6,4 Punkte), wodurch sie den Anspruch auf die Regierungsführung verteidigt. Die Grünen erreichen mit 24,2 Prozent ein Rekordergebnis und gehen relativ wie absolut gestärkt aus der Regierungsverantwortung hervor (+11,9 Punkte; +547.648 Landeslistenstimmen). Die Linke gewinnt mit 9,1 Prozent leicht hinzu (+0,6). CDU (11,2; -4,7), AfD (5,3; -0,8) und FDP (4,9; -2,5) büßen deutlich an Stimmen ein, wobei CDU und FDP absolut Wählerstimmen verlieren und die AfD stagniert.  Parlament & Regierungsbildung In der Hamburgischen Bürgerschaft sind nun sechs Parteien vertreten, wobei die FDP nur durch ein Direktmandat in der Bürgerschaft vertreten sein wird. Künftig gehören 123 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft an. 54 Mandate entfallen auf die SPD und 33 auf die Grünen, die damit gemeinsam über knapp 71 Prozent der Sitze in der Bürgerschaft verfügen. Die CDU ist künftig mit 15 Abgeordneten vertreten, SPD und CDU würden damit ebenfalls über eine Mehrheit verfügen (Linke: 13 Mandate; AfD: 7; FDP: 1). Für die Regierungsbildung sind zwei Optionen politisch denkbar, zum einen eine Fortsetzung der Koalition von SPD und Grünen sowie zum anderen eine neue Koalition von SPD und CDU. Eine Fortsetzung der als erfolgreich wahrgenommenen rot-grünen Regierung gilt als wahrscheinlich. Dies hat Peter Tschentscher nach der Wahl angekündigt, wobei er auch Gespräche mit der CDU führen wird.  Politische Stimmung & Wahlmotive  Die Stimmung vor der Landtagswahl ist von einer hohen Zufriedenheit mit der rot-grünen Landesregierung geprägt. Während die SPD mit den Attributen „regierungsfähig“ und „verlässlich“ punkten kann, reüssieren die Grünen als „zukunftsorientierte“ Partei. Für die konkrete Wahl kommt der SPD der in der Wahlbevölkerung breit geteilte Wunsch nach einer rot-grünen Regierung unter SPD-Führung zu Gute, in Verbindung mit hohen persönlichen Zustimmungswerten für den Amtsinhaber Peter Tschentscher. Die kurz vor der Wahl aufgekommenen Fragen um die Rolle der SPD in der Cum-Ex-Affäre haben die SPD nicht mehr in Bedrängnis gebracht. Für die Wahl(-entscheidung) der Hamburger/innen spielen landespolitische Erwägungen die Hauptrolle, insbesondere für Anhänger/innen von SPD und Grünen. Für Anhänger/innen von CDU, FDP, Linke und AfD ist auch die Politik über Hamburg hinaus nicht unwichtig, wobei die Ereignisse in Thüringen zwar im Wahlkampf präsent, bei der Entscheidung selbst aber von nur geringer Bedeutung waren. Alles in allem ist die Landtagswahl in Hamburg nicht von den bundespolitischen Trends entkoppelt, folgt aber einer landesspezifischen Logik. Thematisch stehen die Themenkomplexe Mobilität/Verkehr und Wohnen/Mieten als wichtigste Probleme in Hamburg auf der Agenda, für die Wahlentscheidung selbst sind verschiedene Themen relevant (ins. Auch Umwelt/Klima). Den Grünen als Juniorpartner ist es in der Regierung gelungen, breit an Themenkompetenz zu gewinnen, während die SPD an Kompetenzzuschreibung verloren hat, auch wenn sie in zentralen Feldern vorne bleibt.  Regionale Spaltungen & soziodemografische Aspekte  Bei dieser Wahl zeigen sich durchaus regionale Unterschiede in den Wahlbezirken, die dem ersten Eindruck nach sozialstrukturellen Mustern folgen. So schneidet die SPD vor allem (aber nicht nur) in Gebieten mit höherer Arbeitslosigkeit und einem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund gut ab, die Grünen sind gerade in den Innen- und Szenestadtteilen als stärkste Kraft erfolgreich. Darüber hinaus sind die Grünen flächendeckend als zweite Kraft präsent, wohingegen die CDU als Großstadtpartei scheitert. böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 3 / 11 2 Wahlergebnis 2.1 Stimmverteilung Die rot-grüne Landesregierung geht im Gesamtergebnis gestärkt aus der Wahl und kann ihre Mehrheit ausbauen. Während es der SPD bei starken Verlusten gelingt, ihre relative Spitzenposition klar zu verteidigen, gelingt es den Grünen, als Junior-Regierungspartner deutlich an Zustimmung zu gewinnen. Der Spitzenplatz für die SPD ist mit Blick auf die Parteiumfragewerte in den Wochen vor der Wahl überraschend, nicht jedoch mit Blick auf die Popularität des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher (vgl. Kapitel 3): Im Duell der beiden Spitzenkandidaten war der Amtsinhaber vor der Wahl jederzeit deutlich vor seiner Herausforderin. Der grüne Wahlerfolg hängt eng mit der erfolgreichen Regierungstätigkeit zusammen, in der es den Grünen gelungen ist, an Profil zu gewinnen. Dies ist gerade für den Juniorpartner in einer Regierung ein beachtlicher Erfolg, der mit einem intensiven Wahlkampf und einer massiven Wählermobilisierung einhergeht. Die Oppositionsparteien hingegen haben im Wahlkampf keine tragende Rolle gespielt und gehen überwiegend geschwächt aus der Wahl hervor. Einzig der Linken ist es gelungen, ihr Ergebnis erneut leicht zu verbessern. Abbildung 1: Wahlergebnis Hamburg 2020 39,2 24,2 +11,9 11,2 9,1 5,3 4,9 +0,6 -0,8 -4,7 -6,4 SPD Grüne CDU Die Linke AfD -2,5 FDP Ergebnisse der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 (Listenstimmenanteile in Prozent; vorläufiges amtliches Endergebnis; Veränderungen zur Bürgerschaftswahl 2015 in Prozentpunkten (gerundet); Datengrundlage: Landeswahlleiter. Die Wahlbeteiligung ist nach fast 20 Jahren rückläufiger Entwicklung bei dieser Wahl auf 63,2 Prozent gestiegen (+6,7 Punkte). Sie liegt damit jedoch nach rund 57 Prozent bei den Wahlen 2011 bzw. 2015 weiterhin unter dem Niveau der 1990er-Jahre. Der gestiegenen Wahlbeteiligung ging im Vergleich zur Vorwahl auch ein größeres Interesse an der Wahl voraus. Vier Wochen vor der Wahl signalisierten insbesondere Anhänger/innen der SPD, aber auch von AfD und FDP, ein (sehr) starkes Interesse an der bevorstehenden Wahl (infratest Ländertrend Januar II). Gerade der Wettbewerb um das Amt des Ersten Bürgermeisters dürfte dabei das Interesse geweckt haben, worauf auch die Schätzungen zur Wählerwanderung verweisen, hier haben im wesentlichen SPD und Grüne von der Mobilisierung vormaliger Nichtwähler/innen profitiert (vgl. Abschnitt 4.2). Betrachtet man nicht die relativen Veränderungen, sondern die absoluten Stimmergebnisse im Zeitverlauf, dann zeigen sich einige Auffälligkeiten. Durch die verschiedenen Änderungen des Hamburger Wahlrechts sind die Ergebnisse der letzten drei Landtagswahlen vergleichbar (mit jeweils bis zu 5 Landesstimmen pro Wähler/in, vgl. Fußnote 1). 4 / 11 böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 Abbildung 2: Absolute Stimmergebnisse im Vergleich 1.800.000 1.600.000 1.400.000 1.200.000 1.000.000 800.000 600.000 400.000 200.000 0 SPD Grüne CDU LTW 2011 LTW 2015 Linke AfD FDP LTW 2020 Absolute Gesamtstimmen der Landeslisten im Zeitvergleich 2011-2020; Datengrundlage: Landeswahlleiter. Während die absoluten Stimmen der SPD seit 2011 mit leichten Verlusten stagnieren (ca. 1,6 Mio. Stimmen), konnten die Grünen bei dieser Wahl ihren Wählerzuspruch in absoluten Werten mehr als verdoppeln (980.361, +547.648). Schätzungen, die die Wählerwanderungen berücksichtigen, gehen dabei davon aus, dass von rund 196.000 Grünen-Wähler/innen bei der Wahl 2020 etwa 22 Prozent Stammwähler/innen sind, rund 78 Prozent hingegen 2015 nicht für die Grünen gestimmt haben. Leichte Zuwächse verzeichnet erneut die Linke in Hamburg, die sich ein stabiles Wählerfundament erarbeitet hat. Deutlich hingegen ist der Abwärtstrend der CDU, deren Versuche, sich als Großstadtpartei in Hamburg zu stabilisieren, gescheitert sind – das historisch schlechte Ergebnis geht auch in absoluten Werten erneut mit klaren Stimmverlusten einher (452.372; -109.005). Ähnlich ergeht es der in Hamburg traditionell schwachen FDP, die in Folge ihrer Stimmverluste bei dieser Wahl letztlich doch knapp an der 5-Prozent-Hürde scheitert. Bemerkenswert hingegen ist die AfD, die trotz der bundesweit diskutierten Ereignisse (Erfurt/Thüringen, Hanau etc.) ihr absolutes Ergebnis von 2015 wiederholt. Hier scheint sich zumindest im Aggregat ein stabiler rechter Wählerkern gefunden zu haben (bei ca. 64 Prozent Stammwähler/innen, AfD 2020 zu 2015). 2.2 Sitzverteilung, Koalitionsperspektiven und Repräsentation von Frauen Im Parlament sind mit SPD, Grünen, CDU, Linken und AfD nunmehr fünf Parteien in Fraktionsstärke vertreten, dazu kommt die FDP mit einem Direktmandat. Künftig gehören somit 123 Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft an (Tabelle 1).1 54 Mandate entfallen auf die SPD und 33 auf die Grünen, die damit gemeinsam über knapp 71 Prozent der Sitze in der Bürgerschaft verfügen. Die CDU ist künftig mit 15 Abgeordneten vertreten, SPD und CDU würden damit ebenfalls über eine klare Mehrheit im Parlament verfügen. Für die Regierungsbildung sind damit zwei Optionen politisch denkbar, zum einen eine Fortsetzung der Koalition von SPD und Grünen sowie zum anderen eine neue Koalition von SPD und CDU. Eine Fortsetzung der als erfolgreich wahrgenommenen rot-grünen Regierung gilt als die wahrscheinlichere Variante. Dies hat Peter Tschentscher nach der Wahl angekündigt, wobei er auch Ge- 1 Der Hamburgische Bürgerschaft besteht aus mindestens 121 Sitzen, wobei 71 Mandate in 17 Mehrmandatswahlkreisen (je drei bis fünf Sitze) über offene Wahlkreislisten und 50 Mandate über offene Landeslisten vergeben werden. Jede/r Wähler/in hat insgesamt zehn Stimmen (je fünf Wahlkreis- und Landeslistenstimmen), die jeweils kumuliert bzw. panaschiert werden können. Das passive Wahlrecht liegt bei 16 Jahren, das passive Wahlrecht bei 18 Jahren. Die Sperrklausel liegt bei 5 Prozent der gültigen Landesstimmen, in den Wahlkreisen gibt es keine Sperrklausel. Die Legislaturperiode beträgt fünf Jahre. böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 5 / 11 spräche mit der CDU führen wird. Gleichwohl ist eine Koalition von SPD und CDU eher unwahrscheinlich, da damit nicht nur zwei Stimmenverlierer koalieren würden, sondern auch noch eine parlamentarische Mehrheit gegen den mehrheitlichen rot-grünen Regierungswunsch der Hamburger/innen umgesetzt werden müsste. Dies zeigen die Vorwahlumfragen sehr deutlich, bis weit in bürgerliche Kreise hinein findet eine SPD-geführte, rot-grüne Regierungskoalition große Zustimmung (bspw. infratest Ländertrend Februar 2020 II: SPD/Grüne 60 Prozent, SPD/CDU 29 Prozent). Darin kommt zum einen die hohe Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit der bisherigen rot-grünen Landesregierung zum Ausdruck, zum anderen der geringe Wunsch nach Veränderung bezüglich der Regierungskoalition. Tatsächlich scheint eine Koalition aus SPD und Grünen eine ideale Paarung für die Hamburger/innen zu sein, die zum einen stark für den Amtsinhaber Peter Tschentscher als Person (selbst in der GrünenAnhängerschaft) und zum anderen klar für grüne Anliegen und Projekte auf der Themenebene (über die Grünen-Wählerschaft hinaus) votieren. Tabelle 1: Sitzverteilung Sitze davon direkt Gewinn/Verlust SPD 54 28 -4 Grüne 33 20 +18 CDU 15 15 -5 Linke 13 7 +2 AfD 7 0 -1 FDP 1 1 -8 123 71 +2 Insgesamt Sitze (absolut); Quelle: Landeswahlleiter (vorläufiges Endergebnis) Mit den Verschiebungen zwischen den Parteien gehen leichte Veränderungen in der deskriptiven Repräsentation von Frauen einher (Tabelle 2). Das Hamburger Wahlrecht mit seinen offenen Bezirks- und Landeslisten erschwert allerdings die Vorgaben der Parteien für eine paritätische Besetzung ihrer Mandate (soweit dies in den Parteien ein Anliegen ist). Im Ergebnis ist der Frauenanteil in der neu gewählten Bürgerschaft allerdings moderat gestiegen. Tabelle 2: Repräsentation von Frauen Bewerber/innen Mandatsträger/innen Gesamt davon Frauen Frauenanteil Männer Frauen Frauenanteil SPD 184 85 46,2 34 20 37,0 Grüne 68 38 55,9 12 21 63,6 CDU 142 55 38,7 12 3 20,0 Linke 96 36 37,5 6 7 53,8 AfD 38 6 15,8 5 2 28,6 FDP 109 30 27,5 0 1 100,0 Insgesamt 637 250 39,2 69 54 43,9 Bewerber/innen (gesamt, Doppelbewerber/innen bereinigt; absolut) sowie Mandatsträger/innen nach Wahl 2020 (absolut; Anteil in Prozent; vorl. Endergebnis); Quelle: Landeswahlleiter/eigene Erhebung (vorläufig). 6 / 11 böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 3 Politische Stimmung vor der Wahl 3.1 Allgemeine Stimmung und Regierungszufriedenheit Die Stimmung vor der Wahl ist von einer hohen Zufriedenheit mit der rot-grünen Regierung geprägt. So sind vor der Wahl rund zwei Drittel der Hamburger/innen mit der Arbeit des Senats zufrieden, dazu kommt eine hohe Zufriedenheit mit den beiden Spitzenkandidaten von SPD (zufrieden mit Tschentscher: 67 Prozent) und Grünen (Zufrieden mit Fegebank: 50 Prozent; infratest Wahlberichterstattung). Die Spitzenkandidat/innen von Linke, CDU, FDP und AfD sind weit abgeschlagen, tatsächlich spielt die Opposition im Wahlkampf nur eine geringe Rolle – es handelt sich vielmehr um einen zugespitzten Wahlkampf um Platz eins zwischen den beiden Spitzenkandidaten der Koalitionspartner SPD und Grüne. Dieser Wettstreit findet jedoch nur auf Ebene der Parteien statt, wie die Umfragewerte für SPD und Grüne verdeutlichen. Abbildung 3: Parteiduell in den Vorwahlumfragen 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 SPD GRÜNE Parteiwerte bei Umfragen vor der Landtagswahl sowie vorläufiges Endergebnis; Datengrundlage: infratest; Landeswahlleiter. Zum Jahresbeginn 2020 gelingt es der SPD, sich deutlich von den Grünen abzusetzen. Der Hintergrund dieser Entwicklung ist dabei keineswegs überraschend: Landtagswahlen sind, gerade in Stadtstaaten, vor allem auch Personenwahlen. Es geht vor allem darum, wer Erster Bürgermeister wird. Somit wird aus einem Wahlkampf zwischen Parteien – gerade in einer Situation, in der beide als Regierungspartei überzeugen konnten – ein Wahlkampf zwischen zwei Personen, namentlich zwischen Amtsinhaber Tschentscher und Herausforderin Fegebank. Daher sind nicht die Parteipräferenzen, sondern die Kandidatenwerte entscheidend für die Frage, wie die SPD den kurzfristigen Aufwuchs erreichen konnte. Und hier zeigt sich nicht nur, dass der SPD-Amtsinhaber – der erst seit knapp zwei Jahren im Amt ist – geschickt seinen Amtsinhaberbonus genutzt hat, sondern dass er auch schon lange im Vorfeld über deutlich höhere persönliche Werte verfügt hat als die Herausforderin der Grünen. Tschentscher ist aus Sicht der Hamburger/innen führungsstärker, glaubwürdiger, sympathischer und verfügt über einen größeren Sachverstand als seine Herausforderin, die lediglich in der Bürgernähe mit Tschentscher gleichauf gesehen wird (infratest Ländertrend Februar 2020 I). Insofern ist es nicht wirklich überraschend, dass die SPD letztlich mit klarem Abstand gewinnen konnte. Überraschend ist vielmehr, dass es den Hamburger Grünen und ihrer Spitzenkandidatin gelungen ist, als Juniorpartner in der Regierung zum einzigen Herausforderer der SPD zu avancieren, wohingegen die Opposition – insbesondere die CDU – keine Rolle mehr gespielt hat. Es ist böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 7 / 11 also durchaus ein Erfolg für die Grünen, dass im Falle einer Direktwahl immerhin 30 Prozent der Befragten für Fegebank votiert hätten (Tschentscher: 53 Prozent; infratest Wahlberichterstattung) und immerhin fast vier von zehn Hamburger/innen Fegebank für eine gute Erste Bürgermeistern gehalten hätten (Tschentscher: sieben von zehn; infratest Ländertrend Februar 2020 I). Dieser Abstand zwischen Amtsinhaber und Herausforderin erklärt, warum der Kampf um Platz eins so letztlich nicht von den Grünen gewonnen werden konnte – zugleich zeigt er aber, dass die Grünen ihre Wettbewerbssituation in Hamburg durch ihre Regierungstätigkeit durchaus verbessert haben. 3.2 Themen und Kompetenzzuschreibung In dieser Situation spielt die hohe Zufriedenheit mit der Regierungstätigkeit und der Gesamtsituation in Hamburg eine Rolle. Der Wahlkampf ist von einer positiven Grundstimmung in der Stadt und einer sehr guten Bewertung der wirtschaftlichen Lage flankiert, die Einschätzung ist vergleichbar positiv wie im Vorfeld der Bürgerschaftswahl 2015 (infratest Ländertrend Januar 2020 I). Allerdings sehen die Hamburger/innen im Kontext der Wahl auch Probleme, insbesondere Fragen der Verkehrsinfrastruktur und Mobilität sowie die angespannte Situation am Hamburger Wohnungsmarkt stehen im Fokus. Beide Themenkomplexe sind für Anhänger/innen aller Parteien, mit Ausnahme der AfD, die beiden zentralen Themen, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Für die Anhänger/innen der AfD stehen Fragen im Bereich Einwanderung & Migration an erster Stelle der städtischen Probleme. Im Vergleich zur letzten Bürgerschaftswahl hat sich damit die Problemwahrnehmung insgesamt deutlich verändert. Waren 2015 Fragen der Migration im allgemeinen Fokus, so sind es nun Fragen der Infrastruktur – Verkehr, Wohnen, Bildung – sowie der Umwelt- und Klimapolitik, die die Hamburger/innen bewegen. Dabei finden im Verkehrsbereich einzelne Themen sehr breite Zustimmung (Einrichtung autofreier Innenstadtbereiche) oder mehrheitlich Zustimmung (Ausbau des Fahrradwegenetzes zulasten von Autospuren), andere Themen werden eher kritisch gesehen (Wiedereinführung der Straßenbahn). Nicht nur auf Kandidatenebene überzeugt die SPD im Wahlkampf, auch im Bereich der Kompetenzzuschreibung liegt die SPD in Hamburg deutlich vor ihren Mitbewerbern, wobei sie gegenüber der letzten Bürgerschaftswahl durchweg an Sachvertrauen verloren hat. Die Grünen schneiden im Kompetenzurteil der Hamburger/innen fast ausnahmslos besser ab als vor fünf Jahren und führen wie gewohnt in der Umwelt- und Klimapolitik, die in den vergangenen fünf Jahren in Hamburg deutlich an Relevanz gewonnen hat. Sie schließen zudem in der Verkehrsund Zuwanderungspolitik fast zur SPD auf, dazu kommen Kompetenzschwerpunkte in der Familienpolitik, im Bereich soziale Gerechtigkeit, Schule/Bildung sowie Wohnungspolitik (infratest Ländertrend Januar 2020 II). Die Grünen haben in der Regierungstätigkeit gerade auch in den wichtigen Themenfeldern an Profil gewonnen und liegen in einem wahlentscheidenden Thema (Umwelt) vor und in einem zweiten wahlentscheidenden Thema (Verkehr) gleichauf mit der SPD (infratest Wahlberichterstattung). 8 / 11 böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 4 Wahlverhalten im Detail Die Entscheidung für oder gegen eine Partei basiert auf komplexen individuellen Abwägungen, die in dieser Schnellanalyse nicht im Detail nachgezeichnet werden können. Gleichwohl können einzelne Aspekte herausgestellt werden. 4.1 Motive der Wahlentscheidung Im Gegensatz zu den oben ausgeführten zentralen Problemen für Hamburg spielen bei der konkreten Wahlentscheidung verschiedene Faktoren und Themen eine Rolle. Neben sozialstrukturellen Aspekten sind auch konkrete Themen unterschiedlich bedeutsam, es finden sich spezifische Muster je nach Parteipräferenz. So wurde im Vorfeld der Wahl intensiv darüber diskutiert, inwieweit die Hamburger Wahl eine von bundespolitischen Ereignissen geprägte Wahl ist. Die Daten weisen darauf hin, dass die Wahl in vielen Punkten dem Bundestrend folgt und in bundespolitische Debatten eingebettet ist, aber nicht vom Bund bestimmt wird. Dazu kommen die Besonderheiten des Hamburger Parteienwettbewerbs. So haben im Ergebnis weder die Ereignisse in Thüringen noch die Debatten um den Cum-Ex-Skandal (Warburg-Bank) einen direkten Einfluss auf die Wahlentscheidung der Hamburger/innen. Allerdings dürfte Thüringen gerade für die FDP mit ihrem knappen Scheitern an der 5-Prozent-Marke trotz des geringen Einflusses insgesamt von Bedeutung sein, denn immerhin 20 Prozent der ehemaligen FDP-Wähler/innen geben an, dass die Vorgänge in Thüringen ihre Wahlentscheidung maßgeblich mitbestimmt hat (infratest Wahlberichterstattung). Davon abgesehen war die Wahl vor allem von landespolitischen Erwägungen dominiert, wobei je nach Parteineigung unterschiedliche Themen entscheidungsprägend waren. Alles in allem spielten die Themen Umwelt/Klima (21 Prozent), Verkehr/Infrastruktur, Bildung, soziale Sicherheit (je 16 Prozent) und Wohnen/Mieten (15 Prozent) eine wichtige Rolle bei der Wahlentscheidung. Während für SPD-Wähler/innen Wohnen/Mieten sowie Soziale Sicherheit (je 20 Prozent), gefolgt von Bildung (18 Prozent) und Verkehr/Infrastruktur (17 Prozent) wichtig waren, standen für Grünen-Wähler/innen vor allem Umwelt, Bildung und Verkehr/Infrastruktur im Fokus (59, 12 bzw. 10 Prozent). Wähler/innen der Linken war das Thema Wohnen/Mieten und Soziale Sicherheit besonders wichtig für die Wahlentscheidung, bei CDU und FDP das Thema Verkehr/Infrastruktur. Die AfD-Wähler/innen entschieden sich vor allem aus Gründen der Zuwanderung für die AfD. Auffällig bei den Wahlmotiven der AfD-Wähler/innen ist zudem, dass sie nur zu 39 Prozent aus Überzeugung für die AfD votierten, 55 Prozent hingegen aus Enttäuschung gegenüber den anderen Parteien. Damit ist die AfD als Ein-Themen-Protestpartei in Hamburg einzuordnen, die – durch andere, in der Bevölkerung als wichtiger erachtete Themen und eine hohe Zufriedenheit mit den regierenden Parteien – keine große Relevanz erreichen konnte. 4.2 Wählerwanderung Bei dieser Wahl profitieren vor allem zwei Parteien von der Mobilisierung vormaliger Nichtwähler/innen, die beiden Regierungsparteien SPD und Grüne. Beiden ist es durch den Wettstreit um Platz eins und eine Zuspitzung im Wahlkampf auf eben diese Frage in deutlichem Maße gelungen, vormalige Nichtwähler/innen für sich zu gewinnen (im Saldo: SPD + 33.000; Grüne +28.000). Darüber hinaus sind Wanderungen zwischen den Parteien zu beobachten wobei hier lediglich die Wanderung vormaliger SPD-Wähler/innen zu den Grünen herauszustellen sind (im Saldo +27.000). Die übrigen Wanderungen sind von nur geringem Umfang und aus statistischen Gründen nicht belastbar (Fehlertoleranz der Wanderungsstatistik). Aus diesem Grund werden nachfolgend nur die Wanderungen für die Grünen dargestellt. böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 9 / 11 Tabelle 3: Wählerwanderung Grüne Austausch mit … Zustrom Abstrom Saldo SPD 37.000 10.000 27.000 CDU 10.000 1.000 9.000 Linke 8.000 4.000 4.000 FDP 5.000 1.000 4.000 AFD 1.000 0 1.000 Andere 4.000 2.000 2.000 Parteien (Summe) 65.000 18.000 47.000 Nichtwähler/innen 29.000 1.000 28.000 Erstwähler/Verstorbene 14.000 3.000 11.000 Zu-/Fortgezogene 45.000 22.000 23.000 Weitere Gruppen (Summe) 88.000 26.000 62.000 153.000 44.000 109.000 43.000 43.000 196.000 87.000 Wählerströme insgesamt Wählerstamm Wähler/innen 2020 und 2015 109.000 Quelle: ARD/infratest dimap Wahlberichterstattung. 4.3 Regionale und soziodemographische Befunde Die Vormachtstellung von SPD und Grünen zeigt sich auch in der regionalen Verteilung der Parteiergebnisse, SPD und Grüne sind in allen Bezirken die zentralen Parteien, mit klaren Unterschieden zwischen Innenstadt und den äußeren Bezirken. Die SPD verlor in allen Stadtbezirken an Stimmenanteilen, am stärksten in den Bezirken Nord und Mitte. Trotz ihrer Einbußen blieb sie in allen sieben Stadtbezirken stärkste Partei, wobei sie in einigen Stadtteilen hinter den Grünen zurückbleibt. Ihren größten Rückhalt erzielte sie in Wandsbek, deutlich unter dem Landesschnitt blieb sie in Altona. Damit schneidet die SPD in der äußeren Stadt deutlich über-, in der inneren Stadt unterdurchschnittlich ab (42,9 bzw. 31,7 Prozent; infratest Wahlberichterstattung). Spiegelbildich dazu zeigen sich die Ergebnisse der Grünen, die in der inneren Stadt mit 31,8 Prozent mit der SPD gleichauf liegen, wohingegen sie in der äußeren Stadt deutlich darunterliegen (20,2; infratest Wahlberichterstattung). Dabei gewannen die Grünen in allen Stadtbezirken Stimmenanteile hinzu, am stärksten in Hamburg-Nord und Eimsbüttel. In allen Bezirken wurden die Grünen zweitstärkste Kraft, in einzelnen Stadtteilen der Innenstadt sowie in den Wahlkreisen Rotherbaum-Harvestehude-Eimsbüttel-Ost und Altona liegen sie an erster Stelle vor der SPD (zudem in einzelnen Wahlbezirken). Unterdurchschnittlich erfolgreich sind die Grünen hingegen in Harburg, Bergedorf und Wandsbek. Die Linken sind ebenfalls vor allem in der Innenstadt erfolgreich, am stärksten im Bezirk Hamburg Mitte und Altona. Im Stadtteil Kleiner Grasbrook/Steinwerder liegen sie sogar an erster Stelle (weitere Details: www.statistik-nord.de/fileadmin/maps/election_2020_hh_bue_v). Betrachtet man das Wahlergebnis nach Altersgruppen, so zeigt sich: Die Grünen liegen bei allen Altersgruppen bis 34 Jahren an erster Stelle, im mittleren Segment (35-44 Jahre) liegen Grüne und SPD gleichauf, in der älteren Wählerschaft (ab 45 Jahr) liegt die SPD (deutlich) vorne. Dennoch sind die Erfolge der Grünen gerade in der älteren Wählerschaft bedeutsam. Zwar liegen sie hier in der Gruppe 60+ nur bei rund 12 Prozent (infratest Wahlberichterstattung), durch die große Gruppengröße ist diese Wählerschaft (bzw. der Aufwuchs der Grünen in dieser Gruppe) aber in absoluten Zahlen besonders bedeutsam. Nach Beruf- und Bildungsgruppen gefragt, zeigen sich bei dieser Wahl durchaus typische Muster. Die SPD wird vor allem von Rentner/innen und Arbeiter/innen sowie von Personen mit einer niedrigen bzw. mittleren formalen Bildung überdurchschnittlich gewählt, wohingegen die 10 / 11 böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 Grünen vor allem bei Beamt/innen, Angestellten und Selbständigen und bei Personen mit hoher formaler Bildung überdurchschnittlich abschneiden. Beide Parteien sind aber auch in den weiteren Bevölkerungsgruppen deutlich vertreten. Die CDU hat bei den Selbständigen und Rentner/innen (noch) überdurchschnittliche Ergebnisse, die Linke hingegen bei den Arbeiter/innen (mit geringeren Unterschieden zu anderen Wählergruppen). Die FDP kann nur noch bei Selbständigen deutlich über 5 Prozent erreichen, wohingegen die AfD überdurchschnittlich bei Arbeiter/innen und denjenigen Wähler/innen reüssiert, die mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Lage unzufrieden sind (vgl. zur Protestwahl 4.1). böll.brief Landtagswahl Hamburg 2020 11 / 11 Der Autor Dr. Sebastian Bukow ist Referent für Politik- und Parteienforschung in der Heinrich-Böll- Stiftung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind insbesondere Parteiorganisations-, Parteiensystem- und Parlamentsforschung. Darüber hinaus ist Sebastian Bukow u.a. als Sprecher des AK Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft engagiert sowie Research Fellow am Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung Düsseldorf. Impressum Herausgeberin: Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Schumannstraße 8, 10117 Berlin Kontakt: Referat Politik- und Parteienforschung, Dr. Sebastian Bukow E bukow@boell.de Erscheinungsort: www.boell.de DOI: https://doi.org/10.25530/03552.46 Erscheinungsdatum: Februar 2020 Lizenz: Creative Commons (CC BY-NC-ND 4.0) Verfügbare Ausgaben unter: www.boell.de/de/boellbrief Abonnement (per E-Mail) unter: boell.de/news Die vorliegende Publikation spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der Heinrich-Böll-Stiftung wider.

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