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Die Berliner Verkehrswende / Sander, Hendrik (Rights reserved)

Bibliographic data

Die Berliner Verkehrswende

Description

Author:
Sander, Hendrik
Title:
Die Berliner Verkehrswende : von der Auto- zur Mobilitätsgerechten Stadt
Edition:
Redaktionsschluss: Juni 2020
Publication:
Berlin: Rosa Luxemburg Stiftung, 2020
Language:
German
Scope:
1 Online-Ressource (53 Seiten)
Note:
Datum des Herunterladens: 12.10.2020
Series:
Analysen ; Nr. 60 Nachhaltigkeit
Berlin:
B 896 Verkehr: Verkehrsstatistik. Verkehrsplanung. Verkehrspolitik
Urban Studies:
Kws 305 Verkehr: Verkehrspolitik. Verkehrsplanung
DDC Group:
380 Handel, Kommunikation, Verkehr
URN:
urn:nbn:de:kobv:109-1-15410816
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Traffic Economy, Transport, Infrastructure

Contents

Table of contents

  • Die Berliner Verkehrswende / Sander, Hendrik (Rights reserved)

Full text

ANALYSEN NACHHALTIGKEIT DIE BERLINER VERKEHRSWENDE VON DER AUTO- ZUR MOBILITÄTS­ GERECHTEN STADT HENDRIK SANDER INHALT 1 Einleitung 3 2 Autogesellschaft, Neue Mobilität und Verkehrswende 2.1 Krise und Stabilität der auto­mobilen Gesellschaft 2.2 Mobilität als Dienstleistung 2.3 Die Mobilitätswende 2.4 Städte als Vorreiter des Wandels 4 4 5 6 7 3 Mobilitätsgerechtigkeit 3.1 Mobilitätsmuster und ­Mobilitätsarmut 3.2 Umweltungerechtigkeit: Die ­Opfer der Autogesellschaft 3.3 Arbeitsbedingungen 3.4 Zwischenfazit: Wie gerecht ist die autogerechte Stadt? 9 9 13 16 17 4 Das Berliner Mobilitätsgesetz 4.1 Geschichte der Berliner Verkehrs­politik 4.2 Vom Volksentscheid Fahrrad zum Berliner Mobilitätsgesetz 4.3 Inhalte des Gesetzes 17 17 18 20 5 Konfliktfelder der Berliner Mobilitätswende 5.1 Der öffentliche Personen­nahverkehr 5.2 Fahrrad- und Fußverkehr 5.3 Der motorisierte Individual­verkehr 5.4 Der Kampf um die Kieze 23 23 27 30 34 6 Synthese: Die Beharrungskräfte der Autogesellschaft 37 7 Strategien für ein mobilitätsgerechtes Berlin 44 Literatur 48 1 EINLEITUNG Die Berliner Verkehrspolitik ist in Bewegung. Im Juni 2016 hat die Initiative Volksentscheid Fahrrad nach nur einem Monat mehr als 100.000 Unterschriften eingereicht, obwohl nur 20.000 notwendig waren. Ihr Ziel griff die kurze Zeit später gebildete rot-rot-grüne Berliner Landesregierung auf: Sie erarbeitete in einem partizipativen Prozess ein Mobilitätsgesetz, das bundesweit als Vorbild gilt. Das neuartige Gesetz räumt Bus und Bahn, Rad- und Fußverkehr klaren Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr ein und formuliert dafür zahlreiche Maßnahmen. Damit nimmt sich die Koalition nichts weniger als den Umbau der autogerechten Stadt zu einer Metropole des Umweltverbunds vor, das heißt des öffentlicher Nahverkehrs sowie des Rad- und Fußverkehrs. Das ist ein wichtiger Schritt zu mehr Mobilitätsgerechtigkeit. Denn Wohlhabende, Männer und Erwerbstätige fahren überdurchschnittlich viel Auto, während Ärmere, Frauen, Junge und Alte stärker den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Gleichzeitig sind vor allem ärmere Menschen aus abgehängten Quartieren von den zahlreichen negativen sozial-ökologischen Folgen des Autoverkehrs betroffen. Ein großer Teil der Berliner*innen will die Verkehrswende, die Fahrradbewegung ist stark, die Presse berichtet positiv über deren Anliegen und auch Rot-Rot-Grün trägt das Projekt. Doch die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes kommt nicht voran. Sie stößt auf viele Hindernisse und Konflikte. Die verkehrspolitischen Initiativen kritisieren, dass die einzelnen Projekte des Gesetzes nur schleppend und ungenügend umgesetzt werden. Das liegt zum einen an den eingespielten Struk- 3 turen der Verwaltung, die ambitionierte Veränderungen ausbremsen. Zum anderen wollen viele Autobesitzer*innen ihren Pkw nicht aufgeben. Einige wehren sich, wenn der Umbau des Verkehrssystems in ihren Kiezen konkret wird. Die Berliner Mobilitätswende geht weiter, droht in den mühsamen Auseinandersetzungen um jede einzelne Maßnahme und jeden Kiez aber ihre anfängliche Dynamik und Aufbruchsstimmung zu verlieren. In der vorliegenden Analyse werden die Debatten um Autogesellschaft, neue Mobilitätsdienstleistungen und Verkehrswende wiedergegeben und empirische Erkenntnisse zur Mobilitätsungerechtigkeit in Deutschland und Berlin präsentiert. Darauf aufbauend werden die Entstehungsgeschichte sowie die wesentlichen Inhalte des Mobilitätsgesetzes vorgestellt. Im Hauptteil der Analyse werden die zentralen Konfliktpunkte der Berliner Verkehrswende in den Feldern öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), Rad- und Fußverkehr sowie motorisierter Individualverkehr nachgezeichnet und am Beispiel besonders umkämpfter Kieze veranschaulicht. Abschließend wird eine theoretisch informierte Analyse der politischen Potenziale und Widerstände gegen die Berliner Mobilitätswende vorgenommen. Und es werden strategische Empfehlungen formuliert, wie sich die Blockaden überwinden ließen. Die Analyse basiert auf einer Auswertung von Fachliteratur, Presseartikeln und 13 eigens geführten Interviews mit Vertreter*innen von umwelt- und verkehrspolitischen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen (NGO), Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden, Parteien und Behörden sowie der kritischen Verkehrswissenschaft. 4 2 AUTOGESELLSCHAFT, NEUE MOBILITÄT UND VERKEHRSWENDE Nach wir vor dominiert das Auto Berlin und ganz Deutschland – eine Entwicklung, die in den letzten 100 Jahren politisch durchgesetzt wurde. In den aktuellen Krisenprozessen der Autogesellschaft zeichnet sich allerdings ein neues Mobilitätsregime ab, das auf Elektroauto, Plattformökonomie und intelligenter Vernetzung basiert. Doch für einen grundlegenden Wandel des Verkehrs ist eine umfassende Mobilitätswende nötig, die vor allem auf den Zugang aller zu Bahn, Bus und Fahrrad setzt. Vorreiter dieses Wandels sind einige Großstädte in Europa. 2.1 Krise und Stabilität der auto­ mobilen Gesellschaft Im Laufe des 20. Jahrhunderts löste das Auto Eisenbahn, Tram und Fahrrad als ursprünglich zentrale Verkehrsmittel der kapitalistischen Gesellschaften ab. War das Auto in der ersten Hälfte des zurückliegenden Jahrhunderts noch (kurioses) Statussymbol von Reichen und Projektionsfläche visionärer Stadt- und Verkehrsplaner, setzten sich die propagierte private Massenmotorisierung sowie die funktionale und autogerechte Stadt in Deutschland erst ab den 1960er Jahren durch. Dafür wurden die bisherigen Verkehrsmittel systematisch zerstört und an den Straßenrand gedrängt (Mohnheim 2011; Wolf 2011; Haas 2018b). Auf diese Weise entwickelten sich die deutschen Autokonzerne zur mächtigsten Leitindustrie in der Bundesrepublik mit einem Umsatz von 436 Milliarden Euro, 820.000 Beschäftigten und über 16 Millionen produzierten Pkw (Zahlen von 2019) (BMWi 2020). Für einen Großteil der Bevölkerung ist das Auto nicht nur unverzichtbar im Alltag geworden, sondern auch ein Symbol für Unabhängigkeit und Wohlstand. Diese «Komplizenschaft zwischen Herstellern, Staat und Verbrauchern» (Canzler/ Knie 2018: 91) erklärt die hohe Stabilität der Autogesellschaft. Bereits Anfang der 1970er Jahre wurde allerdings Kritik an den zerstörerischen Folgen des Autos laut: Treibhausgase, Ölkrisen/Peak Oil und sozial-ökologische Verheerungen beim Rohstoffabbau; Luftschadstoffe und Lärm; Unfälle und Verkehrstote; Bodenversiegelung, Zersiedelung und Zerstörung der urbanen Lebensräume (Mohnheim 2011; Wolf 2011; Misereor u. a. 2018). Die Autokonzerne reagierten mit einer partiellen Modernisierung ihrer Geschäftsmodelle und Fahrzeuge. Doch sie sind auf die Produktion von Verbrennungsmotoren geeicht und machen damit weiterhin ihre Profite. Trotz aller Krisen und Umbrüche der letzten Jahre sind sie ökonomisch stark aufgestellt und können ihren weltweiten Absatz – vor allem in den sogenannten Schwellenländern – weiter steigern (Balsmeyer/Knierim 2018). Zum anderen nimmt die Zahl der zugelassenen Pkw in der Bundesrepublik jedes Jahr um eine halbe Million zu und erreicht jedes Mal neue Rekorde – zuletzt gut 47 Millionen Fahrzeuge Anfang 2020 (KBA 2020). Im Jahr 2017 kamen auf 1.000 Einwohner*innen 527 Autos. Rund 78 Prozent der privaten Haushalte verfügten über mindestens einen Pkw. Die Deutschen legen noch immer 57 Prozent aller Wege und 75 Prozent ihrer Kilometer mit dem Auto zurück (Nobis/ Kuhnimhof 2018).1 Der Traum vom privaten Auto scheint bei vielen Menschen im Kern ungebrochen. Gleichzeitig geriet das Auto zuletzt verstärkt in die Kritik – und die Konzerne gerieten in die Defensive. Der Dieselskandal und die folgenden Milliardenstrafen und Fahrverbote erschütterten die Branche. Sogenannte SUVs (Sport Utility Vehicles) sind in Teilen der Öffentlichkeit zum Symbol für eine rückwärtsgewandte Technologie geworden und die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main wird – forciert von massenhaften Protesten – aufgegeben. Unter dem Eindruck der erstarkenden Klimabewegung verabschiedete die Europäische Union (EU) trotz der geballten Lobbymacht der Autoindustrie relativ ambitionierte CO2 Grenzwerte (Sander/Haas 2019). Und der derzeit wichtigste politische Vertreter der Branche, Bundesverkehrsminister An­ dreas Scheuer, sah sich gezwungen, ein milliardenschweres Klimaschutzpaket aufzusetzen, das den Umweltverbund fördern soll – auch wenn es nicht ausreichen wird, die deutschen Klimaziele zu erreichen. 2.2 Mobilität als Dienstleistung Vor allem das Elektroauto könnte zum «Game Changer» werden. Nachdem das deutsche Autokapital lange an seinem Kerngeschäft, dem Bau hochwertiger Verbrennungsmotoren, festgehalten hat, beginnt vor dem Hintergrund des Elek­ troauto-Booms (vor allem in China) nun auch in den deutschen Konzernzentralen ein strategisches Umschwenken (Haas/ Jürgens 2019). Aufgrund seiner Einbindung in digitale Netzwerke und ein neues Energiesystem markiert das E-Auto bereits den Übergang zu einem neuen Mobilitätsregime. Dieses wird mit Schlagworten wie «Neue Mobilität» oder «Mobilität als Dienstleistung» bezeichnet und lässt sich als Teil eines digitalen und grünen Plattformkapitalismus verstehen. Mobilität soll «on demand» funktionieren und alle Verkehrsträger intelligent und intermodal miteinander verknüpfen (Daum 2018). Neben dem E-Auto ist ein wesentliches Merkmal der neuen Mobilität, dass die Menschen Verkehrsmittel (vor allem das Auto) nicht mehr individuell besitzen, sondern flexibel nutzen werden. Sie leihen geteilte Fahrräder, Elektrofahrräder (Pedelecs), E-Scooter und Autos. Und sie buchen Shuttles und Mitfahrgelegenheiten – für kurze oder längere Strecken. Ferner sollen alle Fahrzeuge digital miteinander vernetzt werden und dadurch eine optimale Verfügbarkeit und einen reibungslosen Verkehrsfluss gewährleisten. Die Krönung dieser Entwicklung soll das voll autonome Fahren sein, das komplexe Algorithmen erfordert und viele Daten produziert (PWC 2017–2018; Canzler/Knie 2018). Allerdings zeigen die aktuellen Zahlen, dass der Trend zu neuen Mobilitätsformen bisher insgesamt eine Nischenerscheinung ist. Zwar stieg in den letzten Jahren beispielsweise die Zahl der Carsharing-Mitgliedschaften und -Fahrzeuge deutlich. Inzwischen gibt es in fünf Prozent aller Haushalte mindestens eine Person, die Mitglied in einer CarsharingOrganisation ist. Jedoch weniger als ein Promille aller Wege und etwa zwei Promille der Personenkilometer werden 1 Besonders rasant stieg in den letzten Jahren der Anteil von SUV und schweren Geländewagen. Im Jahr 2019 machten sie bereits knapp ein Drittel der Neuzulassungen aus. Dieser Boom kann als Ausdruck einer reaktionären Verarbeitung aktueller gesellschaftlicher Krisen verstanden werden: Die Privatpanzer versprechen scheinbar Überlegenheit und Abschottung in einer immer unsicherer werdenden Welt (Haas 2018a). 5 6 mit einem geteilten Auto zurückgelegt. Menschen aus autofreien Haushalten nutzen Carsharing etwas häufiger. Doch auch die regelmäßigen Nutzer*innen greifen nur für vier Prozent ihrer Wege auf diese Option zurück (Nobis/Kuhnimhof 2018). Das System Auto als solches ist das Problem, das mit dem E-Mobil fortbesteht. Mit ihm droht die notwendige Verkehrswende zu einer Antriebswende zu verkümmern (Schwedes 2011). 2 Die sogenannte neue Mobilität suggeriert, alle Widersprüche des Verkehrssystems durch smarte Lösungen aufzuheben – Hightech als «technological fix». 2.3 Die Mobilitätswende Notwendig ist angesichts der vielfältigen Krisen und Herausforderungen des Verkehrssystems ein grundlegender Wandel. Dafür ist eine Unterscheidung essenziell: Es geht darum, die vielfältigen Bedürfnisse aller Menschen nach Mobilität umfassend zu befriedigen. Gleichzeitig sollte das auf eine Weise gestaltet sein, dass möglichst wenig Verkehr nötig ist. Die Stichworte sind Entschleunigung und Verkehrsvermeidung statt Geschwindigkeit und Wachstum. Mobilität sollte Klima, Umwelt und Ressourcen schonen und sie müsste öffentlich, gut finanziert, für alle bezahlbar und barrierefrei sein. Sie sollte leise, sicher und zuverlässig sein – kollektiv organisiert, intelligent vernetzt und geteilt (Leidig 2011; Schwedes 2017). Der verbleibende Verkehr müsste massiv auf Bus, Bahn, Fahrrad und die eigenen Füße verlagert werden. Dafür wären die Infrastrukturen für den öffentlichen und nicht motorisierten Verkehr massiv auszubauen. Dem Umweltverbund sollte politisch konsequent Vorfahrt eingeräumt werden. Die oben vorgestellten Ansätze neuer Mobilität können ein nachhaltiges Mobilitätssystem ergänzen und vervollständigen, wo individuelle motorisierte Verkehre nicht zu vermeiden sind, spielen aber nur eine untergeordnete Rolle. Insofern kann Elektromobilität in Zukunft das Straßenbild durchaus auch prägen – aber vor allem in Gestalt von E-Scooter, Pedelec, Tram und Trolleybus (Schwedes 2011). Für diese verkehrspolitische Vision müsste der motorisierte Individualverkehr, also insbesondere das Auto, stark an den Rand gedrängt werden. Die Zahl der Autos und die damit zurückgelegten Kilometer sollten deutlich reduziert werden. 3 Bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Von einem niedrigen Niveau aus erlebte der öffentliche Verkehr in den letzten Jahren ein gewisses Wachstum. Aktuell haben 15 Prozent der Deutschen (ab einem Alter von 14 Jahren) – und sogar ein Drittel derjenigen aus autofreien Haushalten – eine Zeitkarte für den öffentlichen Verkehr. Ein Viertel der Menschen nutzt regelmäßig Bus und Bahn. Insgesamt entfallen gut 10 Prozent der Wege und 19 Prozent der Verkehrsleistung auf die Öffentlichen. Fahrräder gibt es in Deutschland insgesamt über 75 Millionen, mit denen die Leute durchschnittlich 10 Prozent der Wege und 3 Prozent ihrer Kilometer zurücklegen. 76 Prozent der Haushalte haben 2 Das E-Auto hat einige ökologische Vorteile gegenüber dem klassischen Verbrennungsmotor: Es verfeuert kein Öl mehr und verursacht – je nach Strommix – etwas weniger Treibhausgase. Davon abgesehen teilt es alle Nachteile mit Benziner und Diesel. Vor allem braucht es Unmengen wertvoller Rohstoffe wie Kobalt und Lithium aus Ländern des Globalen Südens. Auch seine Lärm- und Feinstaubemissionen sind nur etwas geringer als die des Verbrenners (Balsmeyer/Knierim 2018; Misereor u. a. 2018). 3 Um Brüche aufseiten der Beschäftigten in der Autoindustrie zu vermeiden, wären die Betriebe im Sinne einer «Just Transition» und Konversion umzubauen und neue Jobs in nachhaltigen Produktionszweigen zu schaffen. Dabei müssten Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften eng eingebunden werden (Candeias 2011; Urban 2011). mindestens ein Rad. Ein gutes Drittel der Menschen zählt zu den regelmäßigen Fahrradfahrer*innen (mindestens einmal in der Woche). Ein knappes Drittel sind Gelegenheitsfahrer*innen und das letzte Drittel nutzt fast nie ein Rad. Zu Fuß gehen die Bürger*innen 22 Prozent aller Wege und 3 Prozent der zurückgelegten Kilometer (Nobis/Kuhnimhof 2018). Damit die Menschen die Umstellung des Mobilitätssystems auf den Umweltverbund annehmen, müssten Räume und Zeiten gesellschaftlich umgestaltet werden. Gleichzeitig kann der Umbau die Nutzungsqualität und Souveränität über Räume und Zeiten erheblich steigern: Die zersiedelte und funktionale Stadt wird grundlegend umgestaltet in kompakte und vielfältige Quartiere mit kurzen Wegen; nahräumliche Angebote des Wohnens, Arbeitens, Einkaufens und der Freizeit machen viele Verkehre überflüssig und ohne fahrende und parkende Autos sind Straßen wieder Orte der Begegnung und des Spiels, des Spazierens und Verweilens. Insgesamt kann die Lebensqualität so deutlich steigen. Die Menschen gewinnen nicht nur Zeit hinzu, durch eine Veränderung von Zeitregimes, die mehr und flexiblere Zeit für das Leben gewähren und weniger für die Arbeit erfordern, können sie auch die neuen Möglichkeiten besser nutzen – ohne Zwang zur Beschleunigung (Balsmeyer/Knierim 2018; Haas 2018b). 2.4 Städte als Vorreiter des Wandels Die Schattenseiten des Autos und die Potenziale einer anderen Mobilität verdichten sich in den großen Städten. Dort leiden die Menschen am meisten unter schlechter Luft, Lärm und den täglichen Gefahren und Zumutungen des Straßenverkehrs. Zwar besitzen die Städter*innen statistisch etwas weniger Pkw als der Durchschnitt. Doch nirgendwo türmen sich derart die Autos und machen öffentliche Räume zu unwirtlichen Orten. Gleichzeitig verfügen viele Städte noch über einen prinzipiell gut ausgebauten ÖPNV. In urbanen Räumen lassen sich aufgrund der nahräumlichen Siedlungsstrukturen am einfachsten Angebote für mehr Fuß- und Fahrradverkehr, einen besseren ÖPNV und neue Mobilitätsdienstleistungen etablieren, die eine reale Option für viele Bewohner*innen sind. Die junge Generation, die neuen Formen der Multimodalität gegenüber aufgeschlossen ist, konzentriert sich in den urbanen Zentren. Auch viele Fahrradpionier*innen und -initiativen sind dort aktiv. Und tatsächlich gelten mehrere Städte in Europa als Vorbilder für die Verkehrswende. Amsterdam und Kopenhagen sind Vorreiter in Sachen Fahrradverkehr. Die dänische Hauptstadt hat durch eine systematische Privilegierung des Fahrrads in den Straßenräumen erreicht, dass mittlerweile fast zwei Drittel der Stadtbewohner*innen mit dem Rad zu Arbeit und Ausbildung fahren. In Wien müssen die Menschen nur 365 Euro für ein Jahresticket für den gut ausgebauten ÖPNV zahlen. In Tallinn und Luxemburg ist er inzwischen komplett kostenfrei. Mit einer City-Maut dämmen London und Stockholm die Autoströme in ihre Stadtzentren erheblich ein. In die Innenstadt von Oslo sollen mittelfristig gar keine privaten Autos mehr fahren dürfen. Besonders interessant sind die «Superblocks» in Barcelona: Die katalanische Stadt sperrt jeweils mehrere Häuserblöcke weitgehend für den motorisierten Verkehr und gibt die Straßen den Bürger*innen zurück. Als Aus- 7 8 gleich wird ein preiswertes Bus- und Radnetz geschaffen. Vorbilder der Verkehrswende finden sich auch in Deutschland. Freiburg gilt als Pionier alternativer Mobilität, weil in keiner anderen Stadt so viele Wege mit dem Rad zurückgelegt werden. Aber auch die Großstädte verändern sich: Köln fördert eine gut verknüpfte Vielfalt nachhaltiger Verkehrsmittel, Bremen wird immer fahrradfreundlicher und in Leipzig wohnen die meisten Menschen fußläufig zur nächsten Bahnhaltestelle (Greenpeace 2017). Auch in Berlin ist das Potenzial für die Verkehrswende groß. Allerdings gibt es dort weiterhin viele Autos – und starke räumliche Unterschiede. So kamen 2016 in der Hauptstadt 326 Pkw auf 1.000 Einwohner*innen. Damit hat Berlin eine im Vergleich zu anderen Orten relativ niedrige Motorisierungsrate. Diese Zahl ist seit dem Jahr 2000 weitgehend konstant. Allerdings stieg die Zahl der angemeldeten Pkw proportional zum Bevölkerungswachstum der letzten Jahre an, sodass rund 1,2 Millionen Autos auf Berlins Straßen unterwegs sind – eine Steigerung um 11 Prozent gegenüber 2008. Ferner wird die verhältnismäßig niedrige Zahl dadurch relativiert, dass nur 40 Prozent der Haushalte keinen Pkw haben, während 60 Prozent einen oder mehr besitzen. Zumindest nimmt der Anteil der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, stetig ab und liegt nun bei 30 Prozent. Als Alternative zum eigenen Auto gewinnt Carsharing an Bedeutung: So nahm zwischen 2008 und 2016 die Fahrzeugzahl stationsgebundener Anbieter von 260 auf 663 zu – die der stationsunabhängigen Dienstleister sogar von null auf rund 3.000. Der Anteil des ÖPNV lag 2013 bei 27 Prozent – und ist damit gegenüber Anfang der 1990er Jahre leicht zurückgegangen. In den letzten Jahren sind allerdings die absoluten Fahrgastzahlen zum Teil deutlich gestiegen – insbesondere bei der SBahn. Im Jahr 2015 verzeichnete die BVG ca. 1 Milliarde Fahrgäste und die S-Bahn gut 400 Millionen. Fahrräder gibt es rund 850 je 1.000 Einwohner*innen. Zwei Drittel der Berliner*innen können uneingeschränkt über mindestens ein Rad verfügen. Das nutzen sie zunehmend: So verdoppelte sich der Anteil der mit dem Rad zurückgelegten Wege zwischen 1992 und 2013 auf 13 Prozent. Auch der Anteil der Fußwege ist leicht auf 31 Prozent gestiegen (SenUVK 2017). Allerdings lassen sich klare Unterschiede zwischen Innenstadt und Randbezirken erkennen. Der Motorisierungsgrad nimmt von innen nach außen zu. Während in einigen Stadtrandsiedlungen mehr als 500 Autos auf 1.000 Einwohner*innen kommen, liegt die Zahl in größeren Teilen von Nord-Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Gesundbrunnen, Wedding und Moabit unter 200. Trotzdem ereignen sich dort mehr Unfälle als in der Peripherie. Eine größere Dichte des ÖPNV-Netzes, mehr Carsharing-Angebote und kürzere Arbeitswege im Zentrum begünstigen die Wahl des Umweltverbunds. In der inneren Stadt nutzen die Menschen nur für 17 Prozent ihrer Wege das Auto und für 18 Prozent das Rad. In der äußeren Stadt kommt das Auto auf 35 Prozent der Wege, das Rad nur auf 10 Prozent zum Einsatz. Auch die Steigerungen des Radverkehrs sind vor allem in der Innenstadt zu beobachten, in peripheren Stadtteilen kaum. 3 MOBILITÄTSGERECHTIGKEIT Umweltbelastungen treffen vor allem ärmere Menschen, während sich die Wohlhabenden überdurchschnittlich Umweltressourcen aneignen können. Die Bewegung für Umweltgerechtigkeit fordert deshalb, dass keine soziale Gruppe unter ökologischen Belastungen leiden sollte und alle Menschen den gleichen Zugang zu Umweltgütern haben müssten. Mobilität ist ein wichtiges Feld für ökologische Gerechtigkeit. Aus einer linken Perspektive sollte Mobilitätsgerechtigkeit eine zentrale Forderung und strategische Orientierung in der Verkehrspolitik sein. Sie kann auch ein Maßstab sein, um die Verkehrswendepolitik in der Hauptstadt Berlin zu beurteilen, die sich Umweltgerechtigkeit explizit auf ihre Agenda gesetzt hat (Sander 2019). 3.1 Mobilitätsmuster und ­Mobilitätsarmut Mobilität ist die Möglichkeit von Menschen, Wege zurückzulegen, um ihren Verpflichtungen und Bedürfnissen an anderen Orten nachzugehen. Sie ist damit entscheidend für gesellschaftliche Inklusion und Teilhabe «und eine Gesellschaft ist aus diesem Blickwinkel betrachtet so gerecht bzw. so ungerecht, wie diese Teilhabe garantiert oder verstellt ist» (Rammler/Schwedes 2018: 8). Unabhängig von ihren persönlichen und sozialen Merkmalen müssen alle die Möglichkeit haben, mobil zu sein. Wichtig ist die Erreichbarkeit von Verkehrsangeboten und Zielorten. Weil das Auto seinen Besitzer*innen eine flexible Mobilität ermöglicht, die aber viele Nachteile für die Allgemeinheit hat, plädiert Oliver Schwedes dafür, dass die Politik allen Menschen einen «Hausanschluss für Mobili- tät» in Form nachhaltiger Verkehrsmittel als Teil öffentlicher Daseinsvorsorge bereitstellt (Schwedes 2017). Das gegenwärtige Verkehrssystem in Deutschland gewährleistet das jedoch nicht. Vielmehr ist der Zugang zu Mobilitätsmöglichkeiten in der Gesellschaft sehr ungleich verteilt. Mobilitätsarmut ist als eingeschränkte Chance zu verstehen, Mobilitätsbedürfnisse zu verwirklichen. Sie kann zu gesellschaftlicher Exklusion, einer verringerten Lebensqualität und Benachteiligungen in anderen Lebensbereichen führen. Gleichzeitig sind ohnehin benachteiligte soziale Gruppen häufiger von Mobilitätsarmut betroffen, ohne dass zwischen den beiden Diskriminierungsformen ein deterministischer Zusammenhang besteht (Huber 2016). Entlang der Kategorien Einkommen, berufliche Position, Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand lassen sich klare Unterschiede in den Mobilitätsmustern und mobilen Teilhabemöglichkeiten der Menschen erkennen.4 Einkommen und berufliche Posi­t io­ nen: Menschen mit hohem Einkommen und Bildungsabschluss sind in jeder Hinsicht deutlich mobiler als solche mit niedrigem Einkommen und wenig formaler Bildung. Gleiches gilt für (Vollzeit-)Erwerbstätige im Vergleich zu Arbeitslosen. Die Privilegierten verlassen häufiger das Haus und legen längere Strecken zurück – und zwar mit allen Ver4 Auch die Preisstrukturen der verschiedenen Verkehrsträger haben klare Implikationen für soziale Gerechtigkeit und Teilhabechancen. So kostet ein Neuwagen im Schnitt über 30.000 Euro – Tendenz klar steigend. Schon die Betriebskosten eines sparsamen Kleinwagens liegen über 300 Euro im Monat. Dagegen kostet ein Monatsticket für den ÖPNV im Durchschnitt deutscher Städte «nur» knapp 80 Euro. Gleichzeitig subventioniert die deutsche Gesellschaft jedes Auto jährlich mit rund 2.000 Euro – durch Folgekosten von Unfällen, Umweltbelastung und CO2 -Ausstoß (vgl. Klimaretter 2012). 9 10 kehrsmitteln. Sie sind am häufigsten Pendler*innen und haben die längsten dienstlichen Wege. 5 Vor allem verfügen sie mit höherer Wahrscheinlichkeit über ein Auto: Während 92 Prozent der Haushalte mit einem sehr hohen ökonomischen Status einen Pkw besitzen, sind es nur 47 Prozent der mit einem sehr niedrigen ökonomischen Status. Oft haben Erstere sogar mehrere Autos. Ferner besitzen sie auch häufiger eines oder mehrere Fahrräder und sind eher Mitglied bei einem Carsharing-Unternehmen (Nobis/Kuhnimhof 2018). Demgegenüber sind arme Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen (Geringverdiener*innen, Arbeitslose) öfter von Mobilitätsarmut betroffen. Wer ein geringes Einkommen und kaum Vermögen hat, kann bestimmte Verkehrsmittel nur eingeschränkt oder gar nicht benutzen. Sozial benachteiligte Gruppen wählen für einen deutlich größeren Teil ihrer Wege den öffentlichen Verkehr als wohlhabende Gruppen (Altenburg u. a. 2009). So werden sie unfreiwillig zu Mobilitätspionier*innen des Umweltverbunds. Zwar geben sie in absoluten Zahlen relativ wenig für Mobilität aus, aber einen verhältnismäßig großen Anteil ihres Haushaltseinkommens. Deswegen können sie sich kaum an steigende Verkehrskosten anpassen (Schwedes/Daubitz 2011). Auch in Berlin besitzen Haushalte mit einem Nettoeinkommen zwischen 3.600 und 5.600 Euro je nach Haushaltsgröße durchschnittlich 0,92 bis 1,30 Autos, während Haushalte mit einem Einkommen zwischen 500 bis 1.500 Euro nur 0,33 bis 0,58 Pkw haben (Zahlen für 2012). Fuhren Erstere im Schnitt knapp 20.000 Kilometer pro Jahr mit dem Auto, waren Zweitere nur knapp 10.000 Ki- lometer unterwegs. Erwerbstätige legten mit allen Verkehrsmitteln täglich 26,6 Kilometer zurück, Nicht-Erwerbstätige hingegen nur 13,1 Kilometer (Ahrens 2014). Die mittleren Einkommen derjenigen, die in der Regel mit dem Auto zur Arbeit fahren, sind knapp 400 Euro höher als die der Bus- und Bahnfahrenden (Zahlen für 2016). Während 57 Prozent der Führungskräfte mit dem Privatauto zur Arbeit kommen und nur 23 Prozent mit dem ÖPNV, nutzen Angestellte in untergeordneten beruflichen Stellungen mit 45 Prozent häufiger Bus und Bahn als das Auto (36 Prozent). Interessanterweise steigen in Berlin vor allem Beschäftigte mit hohen Einkommen für den Arbeitsweg auf das Fahrrad (Feilbach 2018). Geschlechter: Der männlich dominierte Charakter des Autos zeigt sich auch in der konkreten Pkw-Nutzung durch die Geschlechter. So sind Männer* häufiger außer Haus als Frauen* und legen am Tag durchschnittlich längere Wege zurück (46 im Vergleich zu 33 Kilometern). Vor allem sind sie doppelt so viele Kilometer mit dem Auto unterwegs wie Frauen* – insbesondere als Fahrer. Die Unterschiede gelten für alle Altersstufen. Während Frauen* deutlich öfter andere Menschen begleiten oder einkaufen, fahren Männer* häufiger zur Arbeit (Nobis/ Kuhnimhof 2018; Aljets 2020). In Berlin verfügen 47 Prozent der Männer* uneingeschränkt über einen Pkw, 41 Prozent haben keinen Zugang. Diese Verfügbarkeit haben aber nur 39 Prozent der Frauen*, während 47 Prozent auf kein Auto zurückgreifen können. Komplementär dazu besitzen 44 Prozent der 5 Beides, gesellschaftlich erfolgreich und viel unterwegs zu sein, hängt also in der deutschen Gesellschaft eng zusammen. Es ließe sich aber auch fragen, ob es nicht ein Ausdruck von Lebensqualität ist, am Tag nur begrenzte Strecken bzw. Zeiten unterwegs sein zu müssen. Frauen*, aber nur 40 Prozent der Männer* eine Zeitkarte für den öffentlichen Verkehr (Ahrens 2014). Dementsprechend nutzt ein größerer Teil der Berlinerinnen als der Berliner den ÖPNV: Weibliche Erwerbstätige fahren zum Beispiel eher mit den Öffentlichen (48 Prozent) als mit dem Auto (32 Prozent) zur Arbeit. Männliche Beschäftigte bevorzugen dagegen den Pkw (45 Prozent) gegenüber dem ÖPNV (37 Prozent). Mit dem Fahrrad und zu Fuß kommen die Geschlechter etwa gleich häufig zur Arbeitsstelle. Diese Phänomene lassen sich in allen Einkommensstufen finden (Feilbach 2018). Alter und Gesundheit: Sowohl jüngere als auch ältere Menschen legen im Vergleich zur mittleren Generation weniger und kürzere Strecken zurück. Kinder unter 10 Jahren fahren besonders viel Rad, allerdings radeln sie keine langen Strecken. Junge Menschen bis zum Alter von 30 Jahren bewegen sich noch multimodal. Das heißt, sie benutzen verschiedene Verkehrsmittel. Viele von ihnen (21 bis 26 Prozent) nutzen eine Kombina­ tion aus Fahrrad und öffentlichem Verkehr, aber nur ein verhältnismäßig kleiner Teil den motorisierten Individualverkehr (Nobis/Kuhnimhof 2018). In Berlin legen rund 60 Prozent der Erwerbstätigen unter 30 Jahren (Frauen* sogar 64 Prozent) ihren Arbeitsweg mit dem ÖPNV zurück und nur 21 Prozent mit dem Privatauto (Feilbach 2018). Die Gruppe der jungen Erwachsenen in Deutschland greift auch von allen am häufigsten auf digitale Mobilitätsdienstleistungen, Leih- bzw. Mietfahrräder und Carsharing-Angebote zurück (Nobis/ Kuhnimhof 2018).6 Dieses Phänomen ist auch für die Hauptstadt dokumentiert, wobei dort die modernen Mobilitätsfor- men auch bis in mittlere Altersstufen in Anspruch genommen werden. So nutzen 13,6 Prozent der 25- bis 45-jährigen Berliner*innen geteilte Autos, während das weniger als ein Prozent der über 65-jährigen Hauptstädter*innen tun (Ahrens 2014). Der BerlKönig, ein urbanes Sammeltaxi-Projekt der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), wurde ebenfalls überwiegend von jungen, gut ausgebildeten Innenstädter*innen genutzt, hatte aber Schwierigkeiten, darüber hinaus weitere Nutzergruppen zu erreichen. In der mittleren Altersgruppe von 30 bis 60 Jahren legen die Deutschen über die Hälfte ihrer Wege mit dem Auto zurück. Von den über 40-Jährigen fahren nur noch rund 10 Prozent vor allem mit dem Rad und nutzen den ÖPNV, dann aber deutlich längere Strecken als die Jungen (Nobis/Kuhnimhof 2018). Von den 30bis 40-jährigen Berliner*innen steigen noch 16 Prozent für ihren Arbeitsweg auf das Rad. Diese Tendenz ist in allen Altersgruppen steigend. 45 Prozent nehmen Bus und Bahn, aber nur ein Drittel nimmt das Auto. Von den über 40-jährigen Hauptstädter*innen wählen dann nur noch 35 Prozent die Öffentlichen (unter Männern* ab 50 sogar nur 27 Prozent). Mit zunehmendem Alter gewinnt das Auto an Gewicht (Feilbach 2018). Ab einem Alter von 60 Jahren (insbesondere ab dem Ruhestand) nutzen die Deutschen wieder für weniger Wege das Au6 Die neuen Trends korrelieren damit, dass sich in der jungen, urbanen Generation der «Millenials» die Bedürfnisse und Ansprüche an Mobilität verändern. Für sie verliert das Auto zunehmend seine Rolle als Statussymbol, die nun eher neue Technologien oder Rennräder übernehmen. Die neuen Großstädter*innen machen später ihren Führerschein, besitzen immer seltener einen eigenen Pkw und nutzen multimodal verschiedene Verkehrsmittel (Daum 2018; Canzler/Knie 2018). Darin drückt sich auch eine politisch-kulturelle Polarisierung und Ausdifferenzierung von Milieus aus: Die einen nutzen Fahrrad, ÖPNV und Smartphone für ihre Mobilität, die anderen kaufen sich einen SUV (Haas 2018a). 11 12 to. Sie laufen viel mehr zu Fuß. Die über 80-Jährigen legen ein Drittel ihrer Wege auf diese Weise zurück und fahren anteilig auch wieder mehr Fahrrad und nutzen den ÖPNV. Interessanterweise nutzen vor allem Senior*innen das moderne Verkehrsmittel der Elektrofahrräder (Nobis/ Kuhnimhof 2018). Ältere Menschen gehören überdurchschnittlich oft zu den 7 Prozent der Gesamtbevölkerung, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen auch in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Sie bewegen sich seltener fort als gesunde Gleichaltrige, legen nur kürzere Wege zurück und sind – je nach der Form ihrer Einschränkung – von der Nutzung bestimmter Verkehrsmittel ganz ausgeschlossen. Über 1,5 Millionen Menschen leben aus gesundheitlichen Gründen in Haushalten ohne Pkw. Das trifft auf die Hälfte der über 80-Jährigen zu, die kein Auto haben.7 Oft ist der ÖPNV die letzte Mobilitätsoption für sie, wenn ihnen nicht bauliche Hindernisse oder fehlende Informationssysteme den Zugang verwehren.8 Deswegen müssen Verkehrsangebote niedrigschwellig und barrierefrei gestaltet werden (Altenburg u. a. 2009; Schwedes/Daubitz 2011). Räumliche und Infrastrukturen: ­Neben individuellen Faktoren beeinflussen auch die Qualität der Verkehrssysteme und die räumliche Siedlungsstruktur die Möglichkeit der Menschen, mobil zu sein. Kompakte, funktionsgemischte urbane Räume wie Berlin bieten bessere Bedingungen für den ÖPNV und nicht motorisierten Verkehr und machen es den Bewohner*innen leichter, diese Formen zu nutzen. Zersiedelte, funktional entmischte und periphere Räume haben keine guten Ausgangsvoraussetzungen für den Umweltverbund und machen es den Menschen schwer, vom Auto umzusteigen (Schwedes/Daubitz 2011). Alle Haushalte müssten über eine fußläufige Anbindung an den ÖPNV oder Leihsysteme (Rad, Auto etc.) verfügen. Bus und Bahn sollten einen dichten Takt und eine gute Qualität haben und in ein engmaschiges Netz eingebunden sein. Dieser nachhaltige Hausanschluss ist jedoch gerade in vielen peripheren und ländlichen Räumen nicht gegeben, wo er am meisten benötigt wird. Die Folge sind Mobilitätsarmut und Exklusion (Rammler/Schwedes 2018). Ungenügende oder fehlende ÖPNV-Angebote zwingen die Haushalte regelrecht in die Abhängigkeit vom Auto. Die Menschen in diesen Regionen stehen dann vor dem Dilemma, entweder ohne Pkw kaum noch mobil zu sein oder die hohen Kosten für einen Pkw zu tragen. Besonders betroffen sind einkommensarme Haushalte, die aber auf ein hohes Maß an Mobilität angewiesen sind (Altenburg u. a. 2009). Insgesamt legen die Landbe­woh­ner*in­ nen im Schnitt deutlich längere Wege zurück als die Städter*innen. In diesem Fall korreliert das höhere Verkehrsaufkommen aber nicht mit einer gesellschaftlichen Privilegierung. Über zwei Drittel der Wege werden auf dem Land mit dem Auto zurückgelegt. Während 90 Prozent der Haushalte in ländlichen Regionen ein Auto besitzen, sind es in Großstädten 58 Prozent. 9 Die Metro­polen­be­woh­ 7 Haben Menschen gesundheitliche Probleme, können aber ihr Auto weiterhin nutzen, kann ihnen das allerdings helfen, mobil zu bleiben. Diese Gruppe ist mobiler als die gesundheitlich beeinträchtigten Menschen ohne Pkw. 8 Informationen nur in deutscher Sprache schließen Menschen ohne entsprechende Sprachkenntnisse aus. Komplexe Systeme sind Zugangsschranken für Verkehrsteilnehmer*innen ohne hohes Bildungsniveau. 9 Interessanterweise haben Ostdeutsche seltener einen Pkw. In den neuen Bundesländern liegt der Motorisierungsgrad rund 10 Prozent unter dem der alten Länder. Das wird mit dem durchschnittlich höheren Alter, dem niedrigeren Einkommen und der größeren Arbeitslosigkeit erklärt. ner*innen nutzen verschiedene Verkehrsmittel. Sie bestreiten 62 Prozent der Wege und einen relativ großen Anteil ihrer täglichen Kilometer mit dem Umweltverbund. Ein gutes Drittel von ihnen verfügt über eine Zeitkarte für den ÖPNV. Wer in Großstädten kein eigenes Auto hat, legt stattdessen ähnliche Distanzen mit Bus und Bahn zurück. Die Autolosen auf dem Land sind dagegen weitgehend immobil. Sie bewegen sich nur wenige Kilometer am Tag. Auch neue Mobilitätsdienstleistungen wie digitale Services und geteilte Autos sind weitgehend urbane Phänomene. So leben 85 Prozent der Carsharing-Mitglieder in Großstädten. In ländlichen Gegenden verfügen dagegen schon bis zu 10 Prozent der Haushalte über ein Elektrofahrrad. Damit sind die Pedelecs – anders als die anderen neuen Mobilitätsformen – kein urbaner Trend, sondern eine nachhaltige Mobilitäts­ option für Rentner*innen auf dem Land (Nobis/Kuhnimhof 2018). 3.2 Umweltungerechtigkeit: Die ­Opfer der Autogesellschaft Doch nicht nur die Mobilitätschancen sind in Deutschland sozial ungleich verteilt. Die Menschen sind auch unterschiedlich von den negativen Auswirkungen vor allem des Autoverkehrs betroffen. Die «Hypermobilität» der Privilegierten beeinträchtigt Lebensqualität und Gesundheit der sozial benachteiligten Gruppen (Rammler/Schwedes 2018). Insbesondere in sozial abgehängten Quartieren in Großstädten konzentrieren sich die Nachteile des dominanten Verkehrssystems Auto. In Berlin verdichten sich soziale Probleme und Belastungen durch den (Auto-)Verkehr in marginalisierten Quartieren innerhalb des S-BahnRings sowie in einigen Großsiedlungen am Stadtrand. Schwerpunkte sozial-ökologischer Belastungen sind Nord-Neukölln, Gesundbrunnen, Wedding, Teile von Reinickendorf sowie die nördlichen Kieze von Friedrichshain-Kreuzberg. Die peripheren Belastungs-Hotspots liegen im Zentrum von Spandau und im Falkenhagener Feld, im Märkischen Viertel sowie in Hohenschönhausen, Marzahn und Hellersdorf (Sander 2019). Die Umwelt­ ungerechtigkeit zeigt sich in mehreren Problembereichen. Luftschafstoffe: Autos sind für einen bedeutenden Teil der Stickoxid- und Feinstaubemissionen in Deutschland verantwortlich. Darunter leiden vor allem Menschen aus sozial schwächeren und bildungsfernen Haushalten, die öfter an viel befahrenen Straßen wohnen. So sind Kinder umso weniger Schadstoffen ausgesetzt, je höher der Bildungsgrad ihrer Eltern ist (Bolte u. a. 2004). «Auf dem Weg zur Arbeit sind es die SUVs der Reichen, die sich durch die Quartiere der Abgehängten schieben, die dann deren Emissionen einatmen.» (Rammler/Schwedes 2018: 11) In Berlin ist die Stickoxidbelastung an den Hauptstraßen seit Ende der 1990er Jahre nur geringfügig gesunken und überschreitet immer noch regelmäßig die Grenzwerte. Die Feinstaubemissionen sind dagegen deutlicher zurückgegangen (SenUVK 2017). 90 Prozent der Berliner Quartiere mit großen sozialen Problemen leiden unter einer mittleren bis hohen Luftbelastung – vor allem im ehemaligen WestBerlin. Lärm: Arme Menschen sind in Deutschland auch deutlich häufiger durch den Lärm von Autos und Lkw betroffen. Ein Drittel der Beschäftigten in unteren beruflichen Positionen lebt an lauten Hauptund Durchgangsstraßen. Das trifft aber 13 14 nur auf rund ein Sechstel der Menschen in den höchsten beruflichen Stellungen zu (Hoffmann u. a. 2003). In der Hauptstadt litten 2017 im Tagesmittel rund 110.000 Menschen unter hohem Lärm durch den Straßenverkehr. Aber «nur» gut 5.500 Menschen waren durch die Lärmkulisse von Eisenbahn, S-Bahn, UBahn und Tram belastet (SenUVK 2017). Sowohl Bewohner*innen armer Quartiere innerhalb des S-Bahn-Rings als auch Hartz-IV-Empfänger*innen und Migrant*innen sind jeweils doppelt so oft von hohen Lärmbelästigungen betroffen wie soziale Vergleichsgruppen. Verkehrsunfälle: Kinder aus sozial schwachen Haushalten leben in Deutschland eher in Quartieren mit hohem Autoverkehrsaufkommen. Ihre Bewegungsräume und Wege sind häufiger von Straßen zerschnitten und von fahrenden Autos gefährdet als die Nahräume von Kindern aus privilegierten Verhältnissen. In Berlin kommt es jedes Jahr zu knapp 15.000 Verkehrsunfällen, bei denen Menschen zu Schaden kommen. Rund 60 Prozent der Verkehrstoten waren 2015 Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. Seit 1996 ging die Zahl der getöteten Personen zwar binnen 20 Jahren bei fast allen Verkehrsmitteln zurück, bei den Fahrrad- und Motorradfahrer*innen blieb sie allerdings weitgehend konstant. Die Zahl der schwerverletzten Radfahrenden stieg sogar deutlich. Nur ÖPNV-Nutzer*innen verunglücken fast nie (SenUVK 2017). Hitze: Bei sommerlichen Hitzewellen heizen sich eng bebaute Quartiere mit einer starken Flächenversiegelung tagsüber besonders stark auf und kühlen nachts weniger ab. In diesen Vierteln wohnen überdurchschnittlich häufig ärmere Menschen, die deshalb stärker un- ter den hitzebedingten Gesundheitsgefahren (wie Herz-Kreislauf-Krankheiten) leiden, aber gleichzeitig schlechtere Anpassungsmöglichkeiten haben (Blättner u. a. 2011). Besonders betroffen sind einige Großsiedlungen in der Berliner Peripherie sowie die armen Viertel in der Innenstadt wie Wedding oder Nord-Neukölln. Der Klimawandel verschärft das Problem. Urbane Hitzewellen werden in Zukunft vor allem Todesopfer unter den sozial schwachen Berliner*innen fordern. Mangel an Grünflächen: Urbane Grünräume können Luftbelastung, Lärm und Hitze abmildern. Können Menschen Parks oder Gewässer in der Nähe besuchen, können sie dadurch nachweislich ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden verbessern. Doch gerade die ohnehin stärker belasteten, ärmeren Menschen wohnen oft in Quartieren mit wenig naturnahen Räumen und können aufgrund ihrer Mobilitätsarmut schwieriger weiter entfernte Naturräume erreichen (Jumpertz 2012). Rund 270.000 Berliner*innen leben in Kiezen, die gleichzeitig durch Armut und eine schlechte Grünversorgung gekennzeichnet sind – zum Beispiel Wedding, Gesundbrunnen und Nord-Neukölln. Privatisierung des öffentlichen Raums: Eine wesentliche Ursache von Hitzeinseln wie von fehlenden Grünflächen ist die Betonierung des öffentlichen Raums – insbesondere für das Auto. Straßenräume werden weitgehend von unentgeltlich parkenden Privatautos dominiert. Damit wird eine urbane Allmende faktisch privatisiert. 92 Prozent der öffentlichen Flächen, die dem ruhenden Verkehr zur Verfügung stehen, werden von Pkw beansprucht. Für alle anderen Verkehrsmittel bleiben 8 Prozent. Die privaten Fahrzeuge stehen im Durch- schnitt jeden Tag über 23 Stunden herum und müssten insofern treffender als «Stehzeuge» bezeichnet werden. Im fließenden Verkehr nutzen die Autos ebenfalls einen Großteil des Straßenraums für sich, vor allem bei hohen Geschwindigkeiten. Der politisch-juristische Rahmen und das konkrete Verwaltungshandeln sichern diese Alltagspraxis ab und machen auch das massenhafte Falschparken zu einem Kavaliersdelikt. Die sozial ohnehin privilegierten Pkw-Besitzer*innen eignen sich den öffentlichen Raum an. Darunter leiden insbesondere sozial benachteiligte Anwohner*innen, die in besonderem Maße ihre unmittelbare Wohnumgebung als Lebensraum nutzen (würden) und selbst oft über kein eigenes «Stehzeug» verfügen (Rammler/Schwedes 2018; Notz 2017). In Berlin beansprucht das Auto beispielsweise von der gesamten städtischen Verkehrsfläche allein 40 Prozent zum Fahren und weitere 20 Prozent zum Parken (Strößenreuther/ Agentur für clevere Städte 2014). Extraktivismus und Klimawandel: Nicht zuletzt sind Autos auch ein Problem für die globale Umwelt- und Klimagerechtigkeit. Für die Automobile der wohlhabenden Deutschen werden vor allem in Ländern des Globalen Südens unter ökologisch verheerenden Bedingungen Roh- und Treibstoffe gewonnen, deren Verbrennung außerdem die Klimakrise befeuert. Darunter leiden überwiegend marginalisierte Bevölkerungsgruppen in den ärmeren Ländern (Misereor u. a. 2018). tätsangeboten sind von Bedeutung für die Frage, welche Personengruppen welche Verkehrsmittel unter welchen Bedingungen nutzen oder meiden. Das hat viel mit alltäglichen Routinen und Gewohnheiten zu tun (Altenburg u. a. 2009).10 Je häufiger die einzelnen Menschen ein bestimmtes Verkehrsmittel nutzen und damit ihre Mobilitätsbedürfnisse befriedigen, umso besser bewerten sie es – und umgekehrt. Eine große Mehrheit der Autofahrer*innen schätzt die Verkehrssituation für den Pkw gut bis sehr gut ein. Hohe Fixkosten kombiniert mit einer hohen Nutzungsflexibilität motivieren die Besitzer*innen zum häufigen Fahren. Nur ein Drittel der Bundesbürger*innen fährt dagegen gern mit den Öffentlichen. Insbesondere auf dem Land sind die Menschen unzufrieden mit der Angebotsqualität und auch die regelmäßigen Nutzer*innen schätzen den ÖPNV kaum. Ganz anders in den Großstädten: Dort sind gut zwei Drittel der Bürger*innen zufrieden mit den Öffentlichen, unter den häufigen Nutzer*innen sogar rund 80 Prozent. Fahrradfahren und Zufußgehen sind insgesamt beliebt. Wer im Alltag positive Nutzungserfahrungen mit dem Umweltverbund macht, ist eher bereit, vom Auto umzusteigen (MID). Damit die Betroffenen von Verkehrswendepolitiken diese nicht nur erdulden, sondern sie positiv empfinden oder sich sogar aktiv beteiligen, ist es wichtig, die Voraussetzungen für Akzeptanz zu verstehen und zu berücksichtigen. Menschen akzeptieren dann Veränderungen der Mobilitätsangebote, wenn sie nicht das Gefühl haben, Bewusstsein und Handeln Auch die subjektiven (positiven wie negativen) Erfahrungen, Wertvorstellungen und Wahrnehmungen von Mobili- 10 Auch Vertrauen, Unsicherheiten und Ängste spielen eine wichtige Rolle beim Mobilitätsverhalten. Wer sich zum Beispiel an bestimmten Zustiegspunkten (Haltestellen, Bahnhöfe) und mit einzelnen Verkehrsmitteln nicht sicher fühlt, meidet sie. Das trifft insbesondere auf Frauen* und ältere Menschen zu. Deswegen müssen Verkehrsmittel sicher und attraktiv sein. 15 16 die Souveränität über ihre Lebenswelt und -gewohnheiten würde beeinträchtigt; wenn sie den Eindruck haben, dass eine Maßnahme in ihrem Viertel passt und dessen Lebensqualität erhöht; wenn in ihrer Wahrnehmung die Vorteile gegenüber den Gefahren für ihre Nachbarschaft überwiegen und wenn sie sowohl die Ziele als auch die Mittel einer Veränderung als gesellschaftlich sinnvoll einschätzen. Außerdem ist für die Zustimmung zu einzelnen Politiken zentral, dass die Menschen Nutzen und Belastungen als gerecht verteilt wahrnehmen – für sich selbst und für die Gesellschaft. Dafür ist die passende Kommunikation wichtig. Entscheidend sind aber die reale Beteiligung der Anwohner*innen und die praktische Ausgestaltung der Maßnahmen (Becker/Renn 2019). Mehrere Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die Probleme des aktuellen Verkehrssystems sieht, dessen Veränderung begrüßt und prinzipiell auch bereit ist, ihr eigenes Mobilitätsverhalten zu ändern. Allerdings sinkt die Zustimmung, wenn es zu konkreten Maßnahmen kommt, die als einschränkend für die eigene Alltagsmobilität erlebt werden – insbesondere unter den Autofahrer*innen. Grundsätzlich erwarten 91 Prozent eine höhere Lebensqualität in einer weniger autozentrierten Gesellschaft und 79 Prozent wünschen sich den Ausbau von Alternativen in der eigenen Kommune. So plädieren jeweils deutliche Mehrheiten für die Instandhaltung und Erweiterung der Fahrradwege und eines preiswerten ÖPNV. Die Verkehrsmittel des Umweltverbunds sollen eigene Spuren bekommen, auch wenn dadurch Platz für das Auto wegfällt. Die meisten Befragten lehnen jedoch generelle Fahrverbote für Verbrennungs- motoren ab. Nur rund 25 bis 35 Prozent wünschen sich autofreie Innenstädte. Mehr Tempo 30 wollen nur 41 Prozent, höhere Parkgebühren 20 Prozent. Einerseits kann sich etwa die Hälfte der Autofahrer*innen vorstellen, auf ein anderes Verkehrsmittel umzusteigen. Nicht wenige Menschen würden gern weniger Auto fahren und mehr zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sein. Andererseits glauben viele, für Lohn- oder private Sorgearbeit auf das Auto angewiesen zu sein, und halten Alternativen für teurer, zeitintensiver und unbequemer. So meinen drei Viertel der Autonutzer*innen, grundsätzlich nicht auf das eigene Fahrzeug verzichten zu können (Andor u. a. 2019; UBA 2017; Acatech 2019). 3.3 Arbeitsbedingungen Nicht zuletzt müssen auch die Arbeitsbedingungen in der heterogenen Verkehrsbranche in den Blick genommen werden. So zahlt die BVG – nach der Deutschen Bahn das größte Verkehrsunternehmen in Berlin – zwar recht gute Löhne und verfügt über stabile Mitbestimmungsstrukturen. Doch die Arbeitsbedingungen sind hart, insbesondere im Schichtdienst. Das führt zu einem hohen Krankenstand und einer starken personellen Fluktuation. In den letzten Jahrzehnten hat das Land außerdem bei der BVG massiv Personal abgebaut und einzelne Linien an untertariflich bezahlte Tochterunternehmen ausgegliedert. Das wurde erst in den letzten Jahren sukzessive rückgängig gemacht. Ver.di setzt sich dafür ein, dass die Kolleg*innen in der Mobilitätswende mitgenommen werden, indem der Senat ihre belastenden Arbeitsbedingungen verbessert und die geplanten Projekte mit ausreichend Personal und Geld unterlegt. 3.4 Zwischenfazit: Wie gerecht ist die autogerechte Stadt? Mobilitätsgerechtigkeit hat drei Dimensionen, die eng miteinander verknüpft sind: Menschen können abhängig von ihren sozialstrukturellen Merkmalen wie Einkommen, berufliche Position, Geschlecht und Alter sehr unterschiedlich an Mobilitätsformen partizipieren und sind gleichzeitig sehr unterschiedlich von den negativen Auswirkungen des Verkehrssystems betroffen. Auch räumlich sind ohnehin marginalisierte Stadtviertel eher von Mobilitätsangeboten ausgeschlossen und stärker durch die Folgewirkungen des Verkehrs belastet. Schließlich sind Bus und Bahn, Rad- und Fußverkehr auf einer technisch-strukturellen Ebene besonders ge- eignet, mobile Teilhabe zu ermöglichen. Das Auto ist demgegenüber grundsätzlich ein ungerechtes Verkehrsmittel. Aus einer relationalen Gerechtigkeitsperspektive ist zu kritisieren, dass die sozial insgesamt privilegierte Teilgruppe der Autobesitzer*innen allen Menschen und dabei insbesondere den überdurchschnittlich ohnehin unterprivilegierten Gruppen die negativen Folgen ihrer Mobilität zumutet. Prinzipiell ist es nicht zu rechtfertigen, dass gesellschaftliche Mobilität zu einem bedeutenden Teil auf einem Verkehrsmittel basiert, das viele Menschen systematisch in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, sie krank macht, verletzt oder tötet. Der Umweltverbund ist also sowohl ökologisch nachhaltiger als auch sozial gerechter als das Auto. 4 DAS BERLINER MOBILITÄTSGESETZ 4.1 Geschichte der Berliner Verkehrs­politik In der Gründerzeit und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde in Berlin ein umfassendes ÖPNV-System aus Tram-, S-Bahn-, U-Bahn- und Busverbindungen aufgebaut, das über mehrere Dekaden ein Großteil der Berliner*innen als zentrales Verkehrsmittel benutzte. Der Rest fuhr Fahrrad, ging zu Fuß oder nutzte das Pferd. Nach dem Zweiten Weltkrieg trieben Politik und Stadtplanung (in West wie Ost) jedoch den Ansatz von Flächensanierung und autogerechter Stadt voran – konzeptionell und ideologisch vor allem durch die Internationale Bauausstellung (IBA) 1957 in West-Berlin vorbereitet. Altbauten sollten systematisch abgerissen und durch Neubau ersetzt werden. Damit verbun- den sollte ein dichtes Netz von Autobahnen und -kreuzen, bestehend aus Autobahnring und Tangenten, die Innenstadt durchziehen. Praktisch wurde die ganze Stadt auf den Autoverkehr ausgerichtet. In West-Berlin wurden die Straßenbahnen vollständig abgebaut und die SBahn vernachlässigt. Der verbleibende ÖPNV konzentrierte sich auf U-Bahn und Bus, während in Ost-Berlin S-Bahn und Tram prägend blieben. Der einst verbreitete urbane Radverkehr erreichte Anfang der 1970er Jahre einen historischen Tiefpunkt. Auf dem Höhepunkt der autogerechten Stadt begannen sich allerdings Gruppen der neuen städtischen Bewegungen wie die Bürgerinitiative Westtangente, gegen Kahlschlagsanierung und Autowahnsinn zu wehren. Mithilfe vielfältiger 17 18 Protestformen bis hin zu Hausbesetzungen konnten die Initiativen in mühsamen Kämpfen erreichen, dass viele der radikalen Umbaupläne abgeschwächt oder ganz aufgegeben wurden. Eine 1978 initiierte neue IBA markierte die Wende hin zur Strategie der «Behutsamen Stadterneuerung». In den folgenden Jahrzehnten wurde zwar nur noch ein geringer Teil des ursprünglich geplanten Autobahnnetzes realisiert. Doch die autogerechte Stadt war in Berlin bereits in Asphalt gegossen. Daran änderte auch das neue Narrativ vom gleichberechtigten Nebeneinander aller Verkehrsmittel nichts. Dagegen setzte sich eine bunte Landschaft aus verkehrspolitischen Initiativen und Verbänden für ein anderes Mobilitätssystem ein. Der Fahrradvolksentscheid brachte eine neue Dynamik in diese Auseinandersetzung, die zugleich ohne die Vorarbeit der langjährigen Initiativen nicht zu verstehen wäre. 4.2 Vom Volksentscheid Fahrrad zum Berliner Mobilitätsgesetz Die neue Bewegung für ein fahrradfreundliches Berlin begann im November 2015. Auf einer Klausurtagung verständigten sich rund 40 Aktivist*innen aus Fahrradinitiativen und -verbänden auf zehn Ziele, die sie mit einem Volksbegehren erreichen wollten. Anfang 2016 erarbeiteten sie dafür ein Gesetz in einem innovativen, partizipativen Workshop-Format. Nachdem die Initiative ihre Kampagne pressewirksam vorgestellt und ihren Antrag beim Berliner Senat eingereicht hatte, begann sie Mitte Mai mit der Sammlung von Unterschriften – unter anderem bei der jährlichen Fahrradsternfahrt des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Nach nur einem Monat reichte sie über 100.000 Unter- schriften ein (statt der erforderlichen gut 20.000). Von Anfang an verbreitete sie ihr Anliegen auch durch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit und eindrückliche Aktionen – wie Mahnwachen für Radfahrer*innen, die durch Verkehrsunfälle ums Leben gekommen sind. Die Fahrradaktivist*innen starteten ihre Kampagne bewusst im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus. Bei der Wahl am 18. September 2016 erzielten SPD, Grüne und LINKE zusammen eine Mehrheit und einigten sich auf eine gemeinsame Koalitionsregierung. Die Initiative begleitete die Verhandlungen mit Aktionen und Lobbyarbeit. Aus den Reihen der neuen Koalition wurde einerseits die Verfassungskonformität des Fahrradgesetzes infrage gestellt, andererseits verständigte sie sich darauf, ein umfassendes Mobilitätsgesetz zu erarbeiten. Der Koalitionsvertrag formulierte bereits wesentliche Eckpfeiler des geplanten Gesetzes. Die neue Regierung begann schon Anfang 2017, das Gesetz zu erarbeiten, und setzte dabei auch auf die intensive Beteiligung der Zivilgesellschaft. Insbesondere entwickelten Vertreter*innen des Fahrrad-Volksentscheids, des ADFC und des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Berlin den Abschnitt zum Radverkehr im «Raddialog zum Mobilitätsgesetz» mit. Im April stellte die Verhandlungsgruppe ihr Ergebnis vor, das wesentliche Elemente des ursprünglichen Fahrradgesetzes beinhaltete, und im August 2017 präsentierte Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (Senatsverwaltung UVK), den Gesetzesentwurf ihres Hauses. Bereits im Frühjahr hatte sich der Trägerverein des Volksentscheids in Changing Cities umbenannt. Er professionalisierte sich als langfristig arbeitende NGO, initiierte Netzwerke für Fahrradfreundlichkeit in allen Berliner Bezirken und unterstützte auch Initiativen für Fahrrad-Volksbegehren in anderen deutschen Städten. Der Senat schuf ebenfalls neue Strukturen: Er schrieb neue Stellen für den Radverkehr in den Verwaltungen von Land und Bezirken aus und gründete die infraVelo GmbH,11 die den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur vorantreibt. Im Winter 2017 verabschiedete der Senat schließlich das Mobilitätsgesetz und überwies es ans Abgeordnetenhaus. In dessen Verkehrsausschuss kam es Ende Mai 2018 noch einmal zu einem Showdown: Die SPD-Fraktion stellte umfangreiche Forderungen, die Interessen der Außenbezirke, des Wirtschaftsverkehrs und vor allem des Autos im Mobilitätsgesetz stärker zu verankern. Die verkehrspolitische Bewegung reagierte mit einer spontanen Fahrraddemonstration. In Spitzenverhandlungen der Koalition konnte schließlich ein Kompromiss erzielt werden – mit begrenzten Zugeständnissen an die SPD. Am 28. Juni 2018 verabschiedete das Abgeordnetenhaus das Mobilitätsgesetz mit der Mehrheit von Rot-Rot-Grün. Seitdem hat der Senat begonnen, das Gesetz Schritt für Schritt umzusetzen. Er hat angefangen, die im Gesetz vorgesehenen Planwerke (s. u.) zu erstellen, und konnte Anfang 2019 den Nahverkehrsplan veröffentlichen. Er hat Haushaltsmittel bereitgestellt, die neu geschaffenen Stellen besetzt und einzelne Maßnahmen in den Straßenräumen in Angriff genommen. Es zeigte sich allerdings bald, dass die Umsetzung deutlich langsamer vorankommt als ursprünglich versprochen und dass sie auf zahlreiche Schwierigkeiten und Widerstände stößt. Deswegen ver- änderte sich das kooperative Verhältnis zwischen Verkehrsszene und Senat in Richtung politischer Konfrontation, auch wenn beide Seiten weiterhin grundsätzlich ähnliche Ziele vertreten. Weil der Senat aus Sicht von zwei RadNGOs kaum tatsächliches Entgegenkommen bei der Erstellung des Radverkehrsplans (s. u.) zeigte, brachen sie den Dialog im Frühjahr 2019 vorläufig ab. Seit Herbst 2019 spitzte sich der Konflikt weiter zu. Aktive aus der Fahrradbewegung legten öffentlich Widersprüche gegen fragwürdig umgebaute Verkehrsknotenpunkte in Friedrichshain-Kreuzberg ein und begleiteten dies mit kreativen Protestaktionen. Darüber hinaus beteiligen sich zunehmend mehr Menschen an den Mahnwachen für getötete Radfahrer*innen und Fußgänger*innen, sodass sie atmosphärische Wucht gewinnen. Außerdem veröffentlichte das neue Bündnis «Straßen für alle» einen Forderungskatalog, mit dem es der Auto­ dominanz auf den Straßen den Kampf ansagte. Parallel dazu wird der ergänzende Gesetzesteil zum Fußverkehr erstellt. Der Prozess startete im März 2018: Mitglieder des Mobilitätsbeirats reichten über 50 Vorschläge und Ideen ein. Daraus entwickelte die Senatsverwaltung mit den Akteuren des «Dialog Fußverkehr», die aus den Reihen des Mobilitätsbeirats gewählt worden waren, in den darauffolgenden Monaten Eckpunkte für den Teil zum Fußverkehr. Im September 2019 stellte Verkehrssenatorin Günther diesen im Mobilitätsbeirat vor, der sie erneut 11 InfraVelo ist eine Tochter der öffentlichen Grün Berlin GmbH. Sie übernimmt bezirksübergreifende Maßnahmen für eine verbesserte Radverkehrsinfrastruktur und dabei alle Leistungen für Baumanagement, Projektsteuerung, betriebliches Management und Kommunikation sowie die Bauherrenfunktion. 19 20 kommentieren konnte. Auf dieser Basis erarbeitete die Senatsverwaltung einen Referentenentwurf, den sie am 29. März 2019 der Öffentlichkeit präsentierte. Im Anschluss hatten gesellschaftliche Verbände sowie der Rat der Bürgermeister die Gelegenheit, Stellungnahmen abzugeben. Am 21. Januar 2020 hat der Senat den «Gesetzentwurf zur Änderung des Berliner Mobilitätsgesetzes» mit dem neuen Fußabschnitt verabschiedet und dem Abgeordnetenhaus zur Beratung übergeben. Bei Redaktionsschluss der vorliegenden Studie dauerte dieser Prozess noch an. Auch zu den weiteren Gesetzabschnitten «Neue Mobilität» und «Wirtschaftsverkehr», die in engem Zusammenhang diskutiert werden, hat ein Beteiligungs- und Erstellungsprozess begonnen. Diese Teile sind jedoch noch am wenigsten weit fortgeschritten, und es ist ungewiss, ob das Ziel zu halten ist, sie noch in der laufenden Legislaturperiode zu verabschieden. Auch der «Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr» (s. u.) verzögert sich stark. Unter Umständen kann dieses zentrale Planwerk des Mobilitätsgesetzes ebenfalls nicht mehr vor der nächsten Abgeordnetenhauswahl beschlossen werden. 4.3 Inhalte des Gesetzes Das «Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mobilitätsgewährleistung», kurz «Berliner Mobilitätsgesetz» gliedert sich in drei Bausteine: einen allgemeinen Teil, einen zum ÖPNV und einen zum Fahrradverkehr. Zielorientierte integrierte Mobili­täts­ gewährleistung für Berlin (Ab­schnitt 1): Zunächst werden allgemeine, verkehrsträgerübergreifende Ziele definiert. Alle Menschen sollen unabhängig von ihren persönlichen und sozialen Merkmalen einen gleich guten Zugang zu Mobilität haben – und zwar in der Innenstadt wie am Stadtrand. Vor allem räumt das Gesetz explizit dem Umweltverbund (also ÖPNV, Rad- und Fußverkehr) den Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr ein und expliziert das für verschiedene Anwendungsbereiche. Die Anteile des Umweltverbunds am Modal Split 12 sollen steigen. Das Auto wird im Gesetz hingegen kaum und nur implizit angesprochen. So soll der Raum des fließenden und ruhenden Verkehrs begrenzt, die Nutzungsqualität von öffentlichen Räumen für die Menschen erhöht und Straßenräume sollen begrünt werden. Der Umweltverbund soll auch dazu beitragen, dass Berlin den internationalen Klimazielen gerecht wird und dass Luft- und Lärmbelastungen sinken. Gleichzeitig müsse eine gute Verkehrsvernetzung in der Metropolregion BerlinBrandenburg und mit dem Fernverkehr gesichert werden. Schließlich wird auch die Bedeutung des Wirtschaftsverkehrs, der Hauptstadtfunktion sowie des Wirtschaftsstandorts Berlin betont. Das Mobilitätsgesetz legt fest, dass die Senatsverwaltung UVK einen «Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr» (STEP) ausarbeitet, der die Ziele des Gesetzes konkretisiert, umsetzt und als Grundlage für die weiteren spezifischen Planwerke dient, die vorgesehen sind: ein Fußverkehrsplan, ein Radverkehrsplan und ein Nahverkehrsplan. Außerdem sollen ein Verkehrssicherheitsprogramm und ein integriertes Wirtschaftsverkehrskonzept erstellt werden. Bürger*innen und Öffentlichkeit sollen daran umfassend beteiligt werden. 12 Der Modal Split gibt die Anteile der einzelnen Verkehrsmittel an den zurückgelegten Wegen an. Zur Umsetzung des Gesetzes durch Landes- und Bezirksverwaltungen sind klare Vorgaben formuliert, die der Senatsverwaltung UVK eine zentrale Rolle zusprechen. Der Gesetzgeber formuliert die «Vision Zero» als Ziel: Unfälle mit schweren Personenschäden sollen auf null reduziert werden. Dabei sollen nicht nur objektive Verkehrsdaten, sondern auch die subjektiven Sicherheitsbedürfnisse der Verkehrsteilnehmer*innen berücksichtigt werden. Nach Unfällen an Verkehrsknotenpunkten mit Todesopfern oder Schwerverletzten sollen Umbaumaßnahmen geprüft und umgesetzt werden. Zudem soll jährlich eine feste Zahl von Knotenpunkten umgestaltet werden. Ferner verleiht das Gesetz der BVG die Befugnis, selbst Fahrzeuge abzuschleppen, die Verkehrswege von Bus und Bahn blockieren. Wenn bei der Umsetzung von Planwerken oder anderen Maßnahmen Konflikte zwischen Verkehrsmitteln oder zwischen fließendem und ruhendem Verkehr auftreten, sind konkrete Lösungsschritte definiert. Schließlich verpflichtet sich das Land, die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs sowie der Fahrradinfrastruktur zu sichern. Entwicklung des öffentlichen Per­so­ nennahverkehrs (Abschnitt 2): Zum ÖPNV formuliert das Gesetz klare Ziele. So soll sein Anteil am Modal Split steigen und er soll im Straßenraum Vorrang vor dem Auto haben. Öffentliche Busse sollen bis 2030 auf alternative Antriebe umgestellt werden. Diese Ziele sollen im Nahverkehrsplan konkretisiert werden, der klare Vorgaben zu den Themen Umweltschutz, Barrierefreiheit und Transparenz macht. Die Schienenverkehrsinfrastruktur (inkl. Haltestellen) soll erhalten und modernisiert werden. Vor allem soll der Nahverkehrsplan ein Vorrangnetz für den ÖPNV im Straßenverkehr definieren, das insbesondere über eigene Fahrspuren realisiert werden soll. Entwicklung des Radverkehrs (Ab­ schnitt 3): Das Mobilitätsgesetz benennt auch zum Radverkehr allgemeine Ziele, etwa seinen Anteil am Modal Split zu steigern. Insbesondere soll die objektive und subjektiv-erlebte Sicherheit von Radfahrenden erhöht werden, zum Beispiel durch die Umgestaltung gefährlicher Knotenpunkte. Damit die Ziele umgesetzt werden können, schafft der Gesetzgeber neue Strukturen: Beim Land wird eine Koordinierungsstelle Radverkehr und bei den Bezirken werden je zwei Radverantwortliche eingesetzt. Ein landeseigenes Unternehmen wird mit der Durchführung konkreter Projekte beauftragt (die infraVelo). Zudem soll ein staatliches Koordinationsbündnis für den Radverkehr sowie ein gesellschaftlicher Beirat («FahrRat») geschaffen bzw. erneuert werden. Vor allem betraut das Gesetz die Senatsverwaltung UVK mit der Aufgabe, einen Radverkehrsplan zu erstellen und später fortzuschreiben, der konkrete Vorgaben zu Qualität und Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur macht. Ein wichtiger Teil davon soll ein Netzplan sein. Die dort definierten Maßnahmen sollen bis 2030 abgeschlossen sein. So sollen ein Vorrangnetz für den Radverkehr sowie prioritäre Projekte bestimmt werden. An allen Hauptverkehrsstraßen sollen gute Fahrradwege angelegt werden; mehr Fahrradstraßen sollen eingerichtet werden, in denen Autodurchgangsverkehr zu vermeiden ist; Einbahnstraßen und Sackgassen sollen für den Radverkehr geöffnet werden. In Zukunft sollen Radler*innen auf 100 Kilometer Radschnellverbindungen sicher und zügig 21 22 durch die Stadt fahren können. Damit sie ihr Rad auch sicher abschließen können, werden quantitative Ziele zum Aufbau von Fahrradstellplätzen, -stationen und -parkhäusern festgelegt. Schließlich nennt das Gesetz Bestimmungen zu Erhalt und Sanierung des Radnetzes sowie zum Umgang mit Mängeln und Baumaßnahmen. Die folgenden Abschnitte: Weitere Abschnitte zu den Themenkomplexen «Fußverkehr», «Neue Mobilität» und «Wirtschaftsverkehr» sollen in den nächsten Jahren ergänzt werden. Von diesen Abschnitten steht, wie oben beschrieben, nur der Teil zum Fußverkehr kurz vor der Verabschiedung. Zu den beiden anderen Abschnitten können noch keine inhaltlichen Details vorgestellt werden, weil sie noch inhaltlich ausgehandelt werden. Der aktuelle Referentenentwurf zum sogenannten Fußteil beinhaltet eine Reihe von Maßnahmen, die den Berliner Verkehr fußgängerfreundlicher und sicherer machen sollen. Weil Passant*innen im Verkehr besonders gefährdet sind, müsse sich der Fahrzeugverkehr an die Menschen anpassen. Der Fußverkehr bekommt als Teil des Umweltverbunds klaren Vorrang vor dem Auto, das den Fußgänger*innen mehr Raum geben muss.13 – Überquerbarkeit von Straßen: Fußverkehr wird vor allem dadurch erleichtert, dass die Menschen Straßen leichter überqueren können. Dafür ist der Ausbau von verschiedenen Varianten von Querungshilfen vorgesehen: Mittelinseln, sogenannte Gehwegvorstreckungen, Verengung von Straßen, Zebrastreifen und Ampeln. Zukünftig soll es an jeder Stelle einer Kreuzung möglich sein, diese ohne Umwege zu passieren. Insbesondere sollen die Grünphasen von Fußgängerampeln verlängert werden – um durchschnittlich 50 Prozent. Für mobilitäts- und seheingeschränkte Menschen sollen mehr Bordsteine abgesenkt und sogenannte taktile Schwellen eingefügt werden. – Q ualität von Wegen: Fuß- und Radwege sollen stärker voneinander getrennt und insgesamt besser beleuchtet werden, um die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer*innen zu erhöhen. Bürgersteige sollen verbreitert und von Hindernissen freigehalten werden. – S chulwege: Damit Schüler*innen selbstständig und sicher zur Schule gehen können, ohne auf das ­Elterntaxi angewiesen zu sein, sind ein schulisches Mobilitätsmanagement und ein Verkehrssicherheitsprogramm für sicherere Schulwege geplant. Es soll unter anderem mehr Schülerlots*innen, bezirkliche Schulwegpläne und Mobilitätsgremien an Schulen mit Elternbeteiligung beinhalten. – Verkehrsberuhigung: Nicht zuletzt sieht der Gesetzesentwurf vor, mehr Räume zu schaffen, in denen das Auto keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt. Plätze sollen mit dem Ziel umgestaltet werden, die Aufenthaltsqualität für die Menschen zu erhöhen. Dafür müsse die Zahl der Autos reduziert und der Durchgangsverkehr vermieden werden. Konkret sollen in Berlin mehr verkehrsberuhigte Straßen und Spielstraßen sowie Fußgänger- und Begegnungszonen entstehen, die auch nichtkommerzielle Möglichkeiten des Verweilens bieten – also zum Beispiel öffentliche Bänke statt Caféstühle. 13 Der Tagesspiegel, 2.3.2019, unter: www.tagesspiegel.de/ berlin/mobilitaetsgesetz-berliner-fussgaenger-sollen-laengeregruenphasen-bekommen/24058232.html. – P  ersonal: In der Senatsverwaltung UVK wurde bereits eine Koordinierungsstelle Fußverkehr mit zwei Stellen eingerichtet, die direkt der Hausleitung unterstellt ist. Auch jeder Bezirk soll jeweils zwei volle Stellen für die Fußverkehrsplanung bekommen. – Planung: Spätestens zwei Jahre, nachdem die Gesetzesnovelle in Kraft ge- treten ist, soll die Verkehrsverwaltung einen Fußverkehrsplan mit konkreten Zielvorgaben und Ausbauplänen erstellt haben. – Umsetzung: Außerdem sollen bereits im ersten Jahr nach Inkrafttreten zehn Projekte bestimmt werden, die den Fußverkehr fördern. Sie sollen nach fünf Jahren vollendet oder zumindest fertig geplant sein. 5 KONFLIKTFELDER DER BERLINER MOBILITÄTSWENDE Die Mobilitätswende ist umstritten. In vielen Bereichen werden wichtige Prozesse angestoßen. Aber überall tauchen Schwierigkeiten und Konflikte auf – vor allem wenn es darum geht, konkrete Verkehrswendeprojekte in den Kiezen umzusetzen. Es wird deutlich, dass die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs zurückgedrängt werden muss, um den Umweltverbund, also den ÖPNV, Rad- und Fußverkehr, effektiv fördern zu können. 5.1 Der öffentliche Personen­ nahverkehr Die rot-rot-grüne Koalition hat das klare Ziel formuliert, den Anteil des ÖPNV am Modal Split zu erhöhen, ihm Vorrang vor dem Auto einzuräumen und seine Qualität insgesamt zu verbessern. Eigentlich hat der ÖPNV ein großes (Wachstums-) Potenzial und bietet die Chance, Mobilitätsinklusion zu verwirklichen. Wesentliche politische Akteure wollen ihn fördern. Aber die Aufwertung des öffentlichen Nahverkehrs ist kein Selbstläufer, sondern stößt auf viele Hindernisse. Die Infrastruktur ist veraltet und wird der wachsenden Nachfrage immer weniger gerecht. Die Ausschreibungen für neue Wagen gestalten sich kompliziert. Vor allem ist umstritten, welche Verkehrsträger ausgebaut werden sollen: U-Bahn oder Tram. Auch bei der Preisgestaltung gehen die Meinungen in der Koalition auseinander. Dass der ÖPNV preiswerter und attraktiver werden soll, darüber besteht Konsens. So hat Rot-Rot-Grün in den letzten Jahren bereits in mehreren Schritten Sozial- und Schülertickets verbilligt und Vergünstigungen für weitere Personengruppen eingeführt. Der SPD reicht das. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller wirbt allerdings für ein 365-EuroTicket nach Wiener Vorbild. Gleichzeitig prüft der Senat weitergehende Modelle: Die Grünen wollen ein «Bürgerticket», das über eine landesweite Umlage ­ÖPNV-­Tickets erheblich verbilligen soll. Die LINKE plädiert für einen ticketfreien Nahverkehr. Wegen der Differenzen in der Koalition ist jedoch ungewiss, ob in der aktuellen Legislaturperiode überhaupt noch eines der Modelle eingeführt wird. Nahverkehrsplan: Einen wichtigen Meilenstein hat der Senat bereits erreicht, indem er am 26. Februar 2019 den neuen 23 24 Nahverkehrsplan 2019–2023 beschlossen hat (wie im Mobilitätsgesetz vorgesehen). Dieser formuliert verbindliche Standards und Zielvorgaben zum ÖPNV-Angebot im Land Berlin im genannten Zeitraum und benennt auch Ziele für die Zeit bis 2035. Bis dahin soll das Land 28,1 Milliarden Euro in den ÖPNV investieren, um die Qualität von Bus und Bahn deutlich zu erhöhen. Das bedeutet eine Steigerung von 1,1 auf phasenweise über 2 Milliarden Euro jährlich. Gleichzeitig mit dem Nahverkehrsplan hat der Senat den Verkehrsvertrag mit der BVG bis 2035 verlängert und damit dem öffentlichen Unternehmen eine langfristige Perspektive gesichert (SenUVK 2019b). Ob die ambitionierten Ziele des Planwerks tatsächlich umzusetzen sind, wird der Ausgang mehrerer politischer Konflikte entscheiden.14 U-Bahn vs. Tram: Rot-Rot-Grün hat sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, der Straßenbahn klaren Vorrang vor den anderen ÖPNV-Formen zu geben (sowohl vor dem Bus als auch vor der UBahn). Aus guten Gründen: Trams können mehr Fahrgäste transportieren als Busse, sind komfortabler, schneller und umweltfreundlicher. Rasengleise verbessern das Stadtklima. Gegenüber der UBahn sind Streckenerweiterungen deutlich kostengünstiger und schneller zu realisieren. Nicht zuletzt nehmen Trams dem Auto Straßenraum weg. Damit sind sie ein entscheidendes Vehikel für mehr Mobilitätsgerechtigkeit in der Stadt. Seit Jahren setzt sich das Bündnis «Pro Straßenbahn» aus umwelt- und verkehrspolitischen Verbänden dafür ein, Berlin langfristig flächendeckend mit der Tram zu erschließen – insbesondere im Westen.15 Auch die LINKE und ein Großteil der Grünen möchten sich angesichts begrenzter finanzieller und personeller Kapazitäten auf den Ausbau der Straßenbahn fokussieren. Doch die SPD versucht, die Verlängerung von U-Bahn-Strecken zu priorisieren – ebenso Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Nicht nur CDU, FDP und die Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) unterstützen diese Linie. Auch wesentliche Kräfte bei der BVG und in der Verkehrsverwaltung (SenUVK) sind traditionell auf die U-Bahn geeicht. Verkehrssenatorin Regine Günther agiert in dieser Frage ambivalent.16 Der Hintergrund ist, dass die Tram ideologisch als Ostverkehrsmittel gilt und den relevanten Funktionär*innen fremd ist, dass die U-Bahn dem Auto nicht den Platz streitig macht und die Verkehrswende nur in einem kontrollierbaren Tempo umsetzt. Das erklärt, warum nur wenig Personal mit der Tramplanung befasst ist und 2018/19 weniger als 2 von 54 für die Straßenbahn eingestellten Millionen Euro ausgegeben worden sind und warum die verantwortlichen Stellen andere Prioritäten setzen und die Tram auf ein Nebengleis stellen wollen. Straßenbahn: Laut Nahverkehrsplan sollen der Tramfuhrpark bis 2035 von 342 auf 472 Züge vergrößert, die Streckenkilometer von 194 auf 267 anwachsen und insgesamt 16 Neubauprojekte realisiert werden. Doch bereits jetzt geht es langsamer voran als erhofft. Die neue Strecke von der Wissenschaftsstadt Adlershof 14 Der Tagesspiegel, 26.2.2019, unter: www.tagesspiegel.de/ berlin/nahverkehrsplan-so-sollen-bvg-und-s-bahn-in-zukunftfahren/24038246.html und Der Tagesspiegel, 27.2.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-senat-das-sind-fuenf-zentrale-punkte-des-neuen-nahverkehrsplans/24042736. html. 15 Vgl. den Internetauftritt des Bündnisses «Pro Straßenbahn» unter: https://prostrassenbahn-berlin.de/. 16 RBB, 1.8.2019, unter: www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/08/berlinkoalition-ausbau-strassenbahn-ubahn-stadtentwicklung.html und Berliner Zeitung, 7.11.2019, unter: www.berliner-zeitung. de/mensch-metropole/streit-um-verkehrspolitik-spd-fordertdrei-neue-u-bahn-strecken-fuer-berlin-li.9351. nach Schöneweide ist am weitesten. Sie könnte im Herbst 2021 in Betrieb gehen. Die neue Verbindung vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße soll etwa zur gleichen Zeit fertig werden. Aber das Planfeststellungsverfahren verzögert sich aufgrund technischer Herausforderungen. Vor allem der nur 240 Meter lange Anschluss des neu gestalteten Ostkreuzes an das Tramnetz durch die Sonntagstraße gilt als «Problemstrecke». Im eigentlich politisch grün geprägten Friedrichshain wehren sich viele Anwohner*innen mit Einwendungen gegen die Straßenbahn, weil sie mehr Lärm befürchten und weil rund 100 Autoparkplätze weichen müssten. Ähnlich könnte es der «Partybahn» von der Warschauer Straße zum Hermannplatz ergehen, die eigentlich 2028 eröffnet werden soll: Sie muss den Görlitzer Park weiträumig umfahren oder wird dieses wichtige Stadtgrün zerschneiden. Das birgt Zündstoff.17 U-Bahn: Auf Druck der SPD schrieb die Koalition mehrere U-Bahn-Projekte in den Nahverkehrsplan und gab teilweise diesbezügliche Machbarkeitsstudien in Auftrag. Es geht zum Beispiel um mögliche Verlängerungen der U8 ins Märkische Viertel, der U3 zum Mexikoplatz und der U2 bis Pankow Kirche. Auch Erweiterungen der U6 zum bisherigen Flughafen Tegel sowie der U7 sowohl zum zukünftigen Flughafen BER als auch (am anderen Ende der Linie) vom Rathaus Spandau zur Heerstraße sollen geprüft werden.18 Doch die SPD scheiterte mit ihrem Anliegen, dafür Geld in den neuen Haushalt einzustellen. In Spandau und im Märkischen Viertel setzen sich außerdem zivilgesellschaftliche Akteure wie die Naturfreunde für die Option Straßenbahn ein. Damit bleibt Berlin vorerst auf Tramkurs. Ferner hat die U-Bahn bereits mit der bestehenden Infrastruktur Probleme: Die Wagen sind durchschnittlich 30 Jahre alt und fallen immer häufiger aus. Bis 2035 will die BVG ihre Fahrzeugflotte komplett erneuert haben und dann über gut 1.650 Wagen verfügen (aktuell 1.272). Stadler gewann im Mai 2019 eine Ausschreibung über 1.500 neue UBahn-Fahrzeuge und setzte sich gegen Siemens und Alstom durch. Das letztgenannte Unternehmen scheiterte im März 2020 mit einer Klage gegen die Entscheidung. Trotzdem verzögert sich dadurch die Lieferung um ein knappes Jahr.19 Regionalverkehr: In den letzten Jahren ist die absolute Zahl der Pendler*innen zwischen Berlin und Brandenburg, die Regionalbahn und S-Bahn nutzen, stark gestiegen. 20 Bis 2030 könnte das Verkehrsaufkommen auf einigen hochfrequentierten Pendlerstrecken um weitere 50 Prozent wachsen.21 Im Rahmen der Projekts «i2030» planen die beiden Länder deshalb zusammen mit der Deutschen Bahn und dem Verkehrsverbund 17 Berliner Zeitung, 5.2.2020, unter: www.berliner-zeitung. de/mensch-metropole/so-soll-das-streckennetz-der-berliner-strassenbahn-wachsen-li.43149 und Der Tagesspiegel, 2.1.2020, unter www.tagesspiegel.de/berlin/keine-vorplaetze-keine-strassenbahn-bauarbeiten-um-den-bahnhof-ostkreuz-verzoegern-sich/25380762.html. 18 Der Tagesspiegel, 27.2.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-senat-das-sind-fuenf-zentrale-punkte-des-neuen-nahverkehrsplans/24042736.html und RBB, 1.8.2019, unter: www.rbb24. de/politik/beitrag/2019/08/berlin-koalition-ausbau-strassenbahn-ubahn-stadtentwicklung.html. 19 Der Tagesspiegel, 17.5.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/milliardenauftrag-der-bvg-berlin-droht-langwieriger-prozess-um-neue-ubahnen/24352608.html und Der Tagesspiegel, 20.3.2020, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/neue-wagen-fuer-die-berliner-u-bahn-kammergericht-entscheidet-fuer-bvg-und-gegenalstom/25664620.html. 20 Eigentlich hatten sich Berlin und Brandenburg einmal darauf verständigt, die Suburbanisierung auf klar eingegrenzte Siedlungsräume zu konzentrieren, damit der zunehmende Pendlerverkehr vor allem über die Bahn laufen kann. Doch im Wettbewerb um Einwohner*innen und Steuereinnahmen wiesen beide Länder deutlich mehr Bauland aus, was der Zersiedelung und dem Auto Vorschub leistete (Schwedes 2017). 21 Berliner Zeitung, 10.6.2017, unter: www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/verkehrskollapsin-der-hauptstadt-region-wenn-der-arbeitstag-im-stehen-beginnt-li.68428. 25 26 Berlin-Brandenburg (VBB) massive Investitionen in den Regionalverkehr.22 Sie wollen die Infrastruktur verbessern, Takte erhöhen und bisher ein- zu zweigleisigen Streckenabschnitten ausbauen. Vor allem sollen in rund acht Korridoren23 Strecken für den S-Bahn- und/oder Regionalverkehr wieder aufgebaut oder komplett neu errichtet werden. Auch eine neue Nord-Süd-Trasse zwischen Gesundbrunnen und Yorckstraße soll entstehen.24 Im jetzigen Stadium werden die Ausbaupläne von einer breiten Akteurskonstellation getragen. Doch sobald die Streckenpläne konkret werden, droht Widerstand von betroffenen Anlieger*innen. Die Zukunft der Berliner S-Bahn Wie bei der U-Bahn müssen die veralteten S-Bahn-Fahrzeuge ersetzt werden. Der Senat plant, die Züge in Zukunft selbst zu besitzen und den Hersteller vertraglich in die Instandhaltung einzubinden. Daneben wird auch der Betrieb neu ausgeschrieben – und zwar in zwei getrennten Teilnetzen. Viele fürchten, dass damit eine Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn in vier Teile (je 2 Unternehmen für die 2 Teilnetze) und damit auch eine deutliche Verschlechterung für Nutzer*innen und Beschäftigte möglich würde.25 Deshalb formiert sich Protest.26 Die Materie ist komplex. Mario Candeias vom Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-LuxemburgStiftung erläutert im Gespräch, das Ausschreibungsmodell des Landes sei ein Ergebnis der bisherigen Monopolstellung der S-Bahn Berlin, die vom Land weit überhöhte Preise fordert. Die entsprechenden Mehreinnahmen reicht die S-Bahn an die Bahn AG in Form einer Gewinnausschüttung weiter. Das Land Berlin subventioniert dadurch die Bahn AG. Diese Praxis ist auch deshalb möglich, weil andere Betreiber bei einer Komplettausschreibung nicht mitbieten könnten, weil diese neben dem Betrieb auch die Beschaffung und die Instandhaltung der Bahnen umfasst. Mitbewerber können die Bahnen nicht beschaffen (Betrieb wird für 15 Jahre ausgeschrieben, aber die Bahnen werden über 30 Jahre abgeschrieben). Berlin steht also vor der Alternative, weit überhöhte Preise zu zahlen oder Betrieb und Beschaffung jeweils separat auszuschreiben. Damit die Finanzierungskosten gesenkt werden können, erwirbt das Land von den Bahnherstellern die S-Bahnen und verpachtet sie an die Betreiber. Der S-Bahnpool soll als Anstalt öffentlichen Rechts errichtet werden, die günstig Kredit aufnehmen kann. Die Kreditaufnahme verläuft dann außerhalb der Landesschuldenbremse. Eine bessere Option wäre eine landeseigene S-Bahn gewesen. Die Bahn AG hat sich aber geweigert, die S-Bahn an das Land zu verkaufen. Doch hätte der Senat die Ausschreibung so gestalten können, dass die Betreibergesellschaft und die Instandhaltungsgesellschaft als Joint Venture hätten gegründet werden müssen. Das zieht aber keiner der drei Koalitionsparteien ernsthaft in Erwägung. Nach 15 Jahren hätte Berlin dann über eine Pull-Option die jeweilige Mehrheit übernehmen können. Der 22 Vgl. den Internetauftritt des Projekts unter: www.i2030. de/. 23 Die Zählungen und Zuordnungen, welche Einzelvorhaben zu welchen Korridoren gerechnet werden, variieren je nach Darstellung etwas. 24 Der Tagesspiegel, 14.1.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/berlin-und-brandenburg-gewaltiges-investitionsprogramm-fuer-den-bahnverkehr/23860962. html. 25 Neues Deutschland, 12.11.2019, unter: www.neues-deutschland.de/artikel/1128541.berliner-nahverkehr-sbahn-sucht-den-superbetreiber.html. 26 Informationen zum Bündnis «Eine S-Bahn für alle» unter: www.gemeingut.org/ schuetzt-unsere-s-bahn-artikel/. Senat wäre also durchaus für seine unzureichende Anstrengung und Bereitschaft zu kritisieren, die Re-Kommunalisierung zu organisieren. Aber als einfache Privatisierung lässt sich das geplante Vorhaben auch nicht charakterisieren, so Candeias. 5.2 Fahrrad- und Fußverkehr Mindestens ebenso umkämpft ist der Ausbau der Radinfrastruktur – das Kern­ thema des Volksentscheids Fahrrad. Ob bei Radverkehrsnetz und -plan oder bei Unfallverhütung und Kreuzungsentschärfung – an vielen Stellen kritisiert die Fahrradlobby, dass die Verwaltung den Umbau des Verkehrssystems zu langsam und ungenügend umsetzt. Die Förderung des Fußverkehrs ist Konsens, wird aber noch zu wenig priorisiert. Radverkehr – Konfrontation zwischen Bewegung und Verwaltung: Nur wenige Monate nach Verabschiedung des Mobilitätsgesetz kippte, wie bereits dargestellt, das phasenweise kooperative Verhältnis zwischen Fahrradinitiativen und Regierungskoalition in eine konfrontative Dynamik. Die Initiativen kritisieren die rot-rot-grüne Regierung regelmäßig in der Öffentlichkeit für ihre Performance in der Radpolitik. Sie organisieren Aktionen und juristische Widersprüche, brechen Dialogformate ab, die sie als ineffektiv und entpolitisiert beschreiben. 27 Die Spitze der Senatsverwaltung UVK sieht sich hingegen bei der Verkehrswende in Berlin auf einem guten Weg und versucht, der Kritik der Fahrradbewegung punktuell entgegenzukommen, um das Konfliktpotenzial einzudämmen. 28 Die Konfrontation erscheint zunächst paradox, da beide Seiten aus einem ähnlichen politischen Milieu kommen, weiterhin im Grundsatz die gleichen Ziele verfolgen und Teile der Senatsverwaltung durchaus den NGOs gegenüber aufgeschlossen sind. Gleichzeitig sind Frustration und Protest verständlich, weil die Umsetzung des Gesetzes tatsächlich viel zu langsam vorangeht und weil die kritische Begleitung auch die Rolle der Zivilgesellschaft ist. Trotzdem läuft die Empörung ein Stück weit ins Leere, wie wir noch sehen werden. Zwar sind in der laufenden Legislaturperiode 200 Millionen Euro für den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur eingeplant. Planerteams wurden aufgestockt, Planungsprozesse optimiert und eine Reihe von baulichen Veränderungen im Straßenraum wurde in Angriff genommen. Doch die Fahrradszene kritisiert, dass die Verwaltung wichtige Elemente des Gesetzes verschleppt und kaum etwas voranbringt. Es fehlen zum Teil verbindliche Ziele und Fahrpläne. Wo Fristen und quantitative Zielvorgaben im Gesetz existieren, werden sie verfehlt. Darüber hinaus blockieren einzelne Beamt*innen, die an entsprechenden Schaltstellen sitzen, sinnvolle Neuerungen. Insgesamt mangelt es an einer gesamtheitlichen Steuerung. Ein besonderes Problem war, dass es lange kaum Personal für die Fahrradplanung in der Verwaltung gab. Nachdem die neu geschaffenen Stellen nun zum Großteil besetzt wurden, ist auch ein gewisses organisatorisches Gewicht entstanden. Eine weitere Herausforderung besteht in der institutionellen Arbeitsteilung zwischen Land und Bezirken. Auf der einen 27 Die Tageszeitung, 28.6.2019, unter: taz.de/Verkehrsplaner-ueber-Mobilitaetsgesetz/!5603720/; auch Berliner Morgenpost, 9.4.2019, unter: www.morgenpost.de/berlin/article216873105/Schlechte-Noten-fuer-Berlin-als-Fahrradstadt. html. 28 Der Tagesspiegel, 10.9.2018, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/mobilitaetsgesetz-berlin-auf-dem-weg-zur-fahrradstadt/23044366.html. 27 28 Seite versuchen einige Bezirke mit einer engagierten Spitze wie FriedrichshainKreuzberg oder Neukölln, ihre Straßen fahrradfreundlicher zu gestalten. Auf der anderen Seite blockiert eine Reihe von Bezirken die Fahrradagenda des Landes – allen voran Reinickendorf, das bis dato immer noch nicht die beiden Stellen für die bezirkliche Radverkehrsplanung besetzt hat, obwohl sie vom Land finanziert werden. Radverkehrsnetz und -plan: Laut Gesetz hätte die Verkehrsverwaltung bis Juli 2019 einen Plan für ein stadtweites Radverkehrsnetz aus sicheren und bequemen Verbindungen entwickeln müssen. Das Netz soll Radschnellverbindungen, ein Vorrangnetz, Radwege an Hauptverkehrsstraßen sowie Fahrrad- und Nebenstraßen umfassen. Bereits 2018 gingen Changing Cities, ADFC, BUND und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) in Vorleistung und erarbeiteten einen detaillierten Vorschlag für das Netz, den sie im Oktober 2018 veröffentlichten.29 Parallel beauftragte die Senatsverwaltung UVK eine Agentur mit der Erstellung. Weil Letztere aus internen Gründen daran scheiterte und den Auftrag wieder abgab, verzögert sich das Radverkehrsnetz erheblich. Da das Netz ein wichtiger Bestandteil des Radverkehrsplans sein soll, verspätet sich Letzterer ebenfalls. Der Plan, der unter anderem konkrete Standards für Radwege sowie Ziele und Zeitpläne für den Ausbau der Radinfrastruktur beinhalten soll, müsste eigentlich im Sommer 2020 fertiggestellt sein. Auch andere eigentlich vorgesehene Leitfäden und Ausführungsvorschriften, Erhebungen und Datenbanken fehlen bisher. Die Verzögerungen sind deshalb ein großes Problem, weil den Verwaltungsangestellten eine Entscheidungsgrundlage fehlt, die das Mobilitätsgesetz operationalisiert.30 Unter diesen Bedingungen werden sie «entweder gar nicht tätig oder sie handeln ins Blaue hinein», kritisiert Changing Cities (2019).31 Verkehrssicherheit: Die größte Schattenseite und schwerwiegendste Ungerechtigkeit der autogerechten Stadt sind die zahlreichen Unfallopfer. Im Jahr 2019 starben 40 Menschen im Berliner Straßenverkehr. Das Auto ist die größte Gefahr für die ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen zu Fuß und auf dem Rad. Deren Sicherheit muss in der gesamten Verkehrspolitik oberste Priorität haben, damit nicht nur die jungen und männlichen, mutigen und körperlich robusten Menschen das Fahrrad nehmen, sondern auch Menschen aller Altersgruppen, die sich bisher in Berlin zu unsicher auf dem Rad fühlen. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zu einer größeren Mobilitätsgerechtigkeit in der Stadt. Das Mobilitätsgesetz hat dieses Ziel aufgenommen und dafür verschiedene Maßnahmen formuliert. Vor allem bedarf es baulich geschützter Fahrradwege, die breit genug zum Überholen sind, sogenannte «Protected Bike Lanes». Die Fahrbahnen bloß grün einzufärben, hilft allerdings wenig. Sinnvoller sind durch Poller vom restlichen Straßenverkehr getrennte Fahrbahnen oder Hochbordwege. 32 29 Der Tagesspiegel, 12.10.2018, unter: www.tagesspiegel. de/berlin/polizei-justiz/berliner-verkehrspolitik-aktivisten-entwerfen-radnetz-fuer-den-senat/23175668.html. 30 Der Tagesspiegel, 31.7.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/ ein-jahr-berliner-mobilitaetsgesetz-warum-berlins-verwaltungmit-der-verkehrswende-nicht-vorankommt/24854200.html und Die Tageszeitung, 15.3.2020, unter: https://taz.de/Berlinsucht-die-Mobilitaetswende/!5668404/. 31 ChangingCities (2019): Senat drückt sich vor verbindlichen Zusagen: ADFC und Changing Cities brechen Gespräche zur Radverkehrsplanung ab, Pressemitteilung, 14.3.2019, unter: https://changing-cities. org/senat-drueckt-sich-vor-verbindlichen-zusagen-adfc-undchanging-cities-brechen-gespraeche-zur-radverkehrsplanung-ab/. 32 Berliner Morgenpost, 28.6.2018, unter: www. morgenpost.de/berlin/article214706269/Was-sich-wo-aufBerlins-Strassen-aendert.html. Allerdings zeigt ein einfaches Rechenbeispiel, dass die Regierung bisher meilenweit hinter ihren Zielen zurückliegt: Um an rund 3.100 Straßenkilometern im Land bis 2030 sichere Radwege anzulegen, wie im Gesetz vorgesehen, müssten eigentlich jeden Tag durchschnittlich 700 Meter Radweg neu oder umgebaut werden. Tatsächlich sind seit Verabschiedung des Gesetzes im Sommer 2018 nur etwa fünf Kilometer hinzugekommen.33 Das sind rund 10 Meter pro Tag. Darüber hinaus baut die Stadt Verkehrsknotenpunkte teilweise unsachgemäß um. Besonders scharfe Konflikte sind um die Oberbaumbrücke und die Schillingbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain entbrannt. Ende 2019 machten Fahrrad-Aktivist*innen auf die aus ihrer Sicht gefährliche Gestaltung mit subversiv-humorvollen Aktionen aufmerksam und reichten gleichzeitig Widerspruch bzw. Klagen ein. Die Verkehrsverwaltung signalisierte Gesprächsbereitschaft mit den Verbänden und lenkte bei der Oberbaumbrücke ein, die Fahrspuren erneut umzugestalten.34 Um die «Vision Zero» zu erreichen, schreibt das Mobilitätsgesetz vor, dass die Verwaltung nach jedem tödlichen Unfall an einem Knotenpunkt prüft, was dort verändert werden kann. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Neben den beschriebenen geschützten Radwegen und anderen baulichen Veränderungen des Kreuzungsdesigns sind das zum Beispiel rigorose Tempolimits und getrennte Grünphasen für motorisierte Rechtsabbieger und geradeaus fahrende Radler*innen und Fußgänger*innen.35 Im Kern geht es darum, eine «fehlerverzeihende Infrastruktur» zu schaffen und den Autoverkehr konsequent abzutrennen. Ragnhild Sørensen von Changing Cities fordert: «Wenn es zu gefährlich ist, dann müssen wir die Gefahr rausnehmen – und das sind in den allermeisten Fällen Autos.»36 Das Land hat zwar bereits einige Kreuzungen überarbeitet. Doch die Radinitiativen kritisieren die Arbeit der zuständigen Unfallkommission: Der Umbau komme nur schleppend voran und die Maßnahmen würden nicht ausreichen. Grundsätzlich würden Unfälle immer noch als Ergebnis individueller Fehler betrachtet, statt das gesamte Verkehrssystem umfassend nach den Sicherheitsbedürfnissen der Menschen umzubauen. Vor allem reagiere die Verwaltung in der Regel nur, wenn bereits ein schwerer Unfall passiert ist. Ein präventiver und ganzheitlicher Ansatz widerspreche ihrer schwerfälligen Logik.37 Um der Opfer zu gedenken und den politischen Druck zu erhöhen, organisieren die Initiativen nach jedem tödlichen Unfall Mahnwachen mit mehreren hundert Teilnehmer*innen am Unfallort. Dort entsteht eine intensive Atmosphäre, die zunehmend von Trauer zu Wut übergeht.38 Fußverkehr – wohlwollende Ver­nach­ lässigung: Auch der getöteten Fuß­ gän­g er*innen wird mit Mahnwachen gedacht. Doch beim Fußverkehr gestaltet sich bisher die Konstellation etwas 33 Berliner Morgenpost, 6.12.2019, unter: www.morgenpost.de/berlin/article227848705/Senatorin-Guenther-veraergert-Verkehrsaktivisten.html. 34 Die Tageszeitung, 15.3.2020, unter: https://taz.de/Berlin-sucht-die-Mobilitaetswende/!5668404/. 35 Außerdem hat das Land Berlin mit einer Bundesratsinitiative erreicht, dass sich Deutschland dafür einsetzt, dass in der EU Lkw über eine Abbiegeassistenz-Technik verfügen müssen, die viele Unfälle verhüten kann. Vgl. Der Tagesspiegel, 9.6.2018, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/abbiegeassistenten-bei-lkw-bundesrat-uebernimmt-berliner-initiative-fuer-verkehrssicherheit/22665726. html. 36 Neues Deutschland, 7.1.2020, unter: www.neues-deutschland.de/artikel/1131086.verkehrsunfaelle-toedliche-realitaet-statt-vision-zero.html. 37 Die Tageszeitung, 28.6.2019, unter: https://taz.de/Verkehrsplaner-ueber-Mobilitaetsgesetz/!5603720/. 38 Der Tagesspiegel, 9.1.2020, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/abbiegender-lkw-ueberfaehrt-radfahrerin-wut-und-trauer-bei-mahnwache-in-kreuzberg/25403520.html. 29 30 anders. Diese Form der Fortbewegung wurde im Verkehr jahrzehntelang an den Rand gedrängt und von der Politik vernachlässigt. Der Bereich ist nur schwer organisierbar, weil das Zufußgehen zwar für fast alle Menschen zum Alltag gehört, sich aber kaum jemand als Fußgänger*in politisch engagiert. Vor diesem Hintergrund war die Szene der politischen Fußgänger*innen, allen voran der Fuss e. V., bisher politisch wenig wirkmächtig. Mit den Diskussionen um die Berliner Mobilitätswende hat sich das ein Stück weit verändert. Nun bekommt der Verein deutlich mehr Anfragen und das Interesse an seiner Arbeit wächst. Auch wenn den Fußlobbyist*innen die aktuelle Gesetzesnovelle nicht weit genug geht, begrüßen sie diese in weiten Teilen. In der Koalition ist das Thema grundsätzlich akzeptiert. Aber bisher hatten die meisten Politiker*innen es nicht auf dem Schirm und waren inhaltlich nicht tief eingedrungen. Kaum eine*r macht den Fußverkehr zu ihrer bzw. seiner prioritären politischen Sache. Mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen mit dem Mobilitätsgesetz betont Stefan Lieb, Geschäftsführer von Fuss e. V., «dass die eigentliche Herausforderung nicht gute Paragrafen sind, sondern ihre Umsetzung in der alltäglichen Praxis».39 Schon heute werden viele gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Zu-Fuß-Gehenden nicht kontrolliert und entsprechend auch nicht sanktioniert. Weil die Verwaltung weiß, dass die Passant*innen keine starke Lobby haben, ist zu befürchten, dass sie den Gesetzesteil zum Fußverkehr noch schleppender umsetzt. Verbesserungen für Fußgänger*innen müssen wohl weiterhin erkämpft werden, da die Behörden starke Rücksicht auf den Autoverkehr nehmen. 5.3 Der motorisierte Individual­ verkehr Das private Auto hat gegenwärtig eine paradoxe Stellung in Berlin. Es dominiert weiterhin das urbane Verkehrssystem und den öffentlichen Raum. Das Mobilitätsgesetz soll das ändern. Es fokussiert sich allerdings darauf, den Umweltverbund zu fördern, während das Auto keinen eigenen Abschnitt im Gesetz hat und an den meisten Stellen nur indirekt angesprochen wird. Das erscheint zunächst strategisch sinnvoll, um sich diskursiv und praktisch auf die Förderung sinnvoller Verkehrsmittel zu konzentrieren – und sich nicht in einen zähen Kulturkampf mit den Autofahrer*innen zu verbeißen. Allein: Die Ideologie der «Integrierten Verkehrspolitik», in der alle Verkehrsmittel ihren Raum bekommen und aufeinander Rücksicht nehmen sollen, reicht für einen grundlegenden Wandel nicht aus (Schwedes 2017). Spiegel-Redakteur Ralf Neukirch bringt das auf den Punkt: «Rücksichtnahme ist immer gut. Sie löst nur keins der aktuellen Verkehrsprobleme. In Wahrheit ist es relativ einfach: Verkehr ist keine Win-win-Situation für alle Teilnehmer. Wenn mehr für Fußgänger und Radfahrer getan wird, dann geht das zulasten der Autofahrer.»40 Nicht nur der (Straßen-)Raum ist im städtischen Verkehr begrenzt und umkämpft, sondern auch die Zeit – zum Beispiel bei den Ampelphasen. Eine gerechtere Verteilung von Raum und Zeit steht auf der Tagesordnung. Mehr Mobilitätsgerechtigkeit geht aber nur durch weniger Autos. Die Verkehrsforschung weist darauf hin: Wer Straßen baut, wird Straßenverkehr ern39 RBB, 17.9.2019, unter: www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/09/mehr-platz-und-sicherheit-fuer-fussgaengerberlin.html. 40 Der Spiegel, 15.12.2019, unter: www.spiegel. de/auto/fahrkultur/radfahrer-gegen-autofahrer-es-gibt-keinegerechtigkeit-kolumne-a-1300757.html. ten. Joachim Scheiner, Professor für Verkehrsplanung an der Technischen Universität Dortmund, plädiert dafür, diesen Mechanismus umzukehren: «Man kann Radwege oder den öffentlichen Nahverkehr verbessern und beides wirkt sich auf die Verkehrsmittelnutzung aus, aber nicht wirklich spürbar, solange die Bedingungen für das Auto immer noch hervorragend sind […]. Um das Auto in öffentlichen Räumen wirklich zurückzudrängen, brauchen wir eine restriktivere Verkehrspolitik. Etwa dem Auto Raum wegnehmen, also weniger Parkplätze anbieten – oder Straßen, auf denen sich der Verkehr staut, damit den Leuten die Lust am Fahren vergeht.»41 Das neu gegründete Bündnis «Straßen für alle» ist im Herbst 2019 mit einer Reihe von Forderungen an die Öffentlichkeit getreten, mit denen die Anzahl der Autos alle 10 Jahre halbiert werden soll.42 Das wird ein hartes Ringen. Viele Menschen haben sich an ihr Auto gewöhnt und wollen nicht so einfach darauf verzichten. Teilweise wehren sie sich mit Klagen und Protesten gegen Maßnahmen im Straßenraum, die die Bedingungen für ihre Autos verschlechtern.43 Vor allem die Berliner*innen in den Außenbezirken halten stärker am Pkw fest bzw. befürchten eine massive Zunahme des Zubringerverkehrs sowie der Park-and-Ride-Flächen, wenn die Innenstadt autofrei wird. Teile der Verwaltung auf Landes- und Bezirksebene sind der Verkehrswende gegenüber zwar zunehmend aufgeschlossen. Aber insgesamt dominieren dort noch eine eingespielte Rücksichtnahme auf die Autofahrer*innen und ihre Fahrzeuge sowie Scheu und Sorge vor juristischen und medialen Konflikten. Deswegen geht die Verwaltung den Umbau des Verkehrssystems nicht entschlossen an. Ein wichtiger Verbündeter für die Verkehrswende können hingegen die Gerichte sein – insbesondere, wenn es um das Feld der Luftreinhaltung geht. Die Deutsche Umwelthilfe hatte das Land Berlin wegen der Überschreitungen von Stickoxid-Grenzwerten verklagt und eine innenstadtweite Fahrverbotszone für alte Diesel gefordert. Im Oktober ordnete das Berliner Verwaltungsgericht solche Fahrverbote auf elf besonders belasteten Straßenabschnitten an.44 Die Senatsverwaltung UVK nahm die Vorgaben des Gerichts in seinen Luftreinhalteplan auf, den der Senat im Sommer 2019 verabschiedete. Hebelpunkte gegen das Auto Um das Autofahren unattraktiv zu machen und die Pkw von den Straßen zu verdrängen, bietet sich eine Reihe von Interventionsmöglichkeiten an. Einige davon werden in Berlin bereits diskutiert oder angewendet: Geschwindigkeitsbeschränkungen: Eine wichtige Forderung der Verkehrsinitiativen ist es, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der ganzen Stadt einzuführen, um den Autoverkehr sicherer, sauberer, leiser und platzsparender zu machen.45 Laut Senatsverwaltung UVK gilt auf vielen Nebenstraßen und auf 41 Die Zeit, 19.10.2019, unter: www.zeit.de/mobilitaet/201910/­verkehrswende-politik-auto-strassenverkehr-elektroautosm o b i l i t a e t- j o a c h i m - s c h e i n e r ? u t m _ s o u r c e = p o c ke tnewtab. 42 Vgl. den Internetauftritt des Bündnisses unter: https://power-shift.de/campaign/berliner-strassen-fuer-alle/ und Der Tagesspiegel, 20.11.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/weniger-raum-fuer-autos-in-berlin-verbaendewollen-jaehrlich-60-000-parkplaetze-abschaffen/25249206. html. 43 Die Zeit, 28.6.2019, unter: www.zeit.de/mobilitaet/2019-06/mobilitaetsgesetz-verkehrswende-radfahrer-oepnv-carsharing-klimawandel. 44 Der Tagesspiegel, 9.10.2018, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/urteil-des-verwaltungsgerichts-berlin-muss-diesel-fahrverbote-an-elf-stellen-einfuehren/23163422.html. 45 Verkehrsclub Deutschland e. V.: Noch mehr Argumente für Tempo 30, Homepageeintrag, https:// tempo30.vcd.org/argumente.html und RBB, 12.8.2019, unter: www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/08/mobilitaetsgesetzfussgaenger-in-berlin.html. 31 32 17 Prozent der Hauptverkehrsstraßen zumindest an bestimmten Tageszeiten Tempo 30. Die Verkehrsverwaltung hat zudem im Luftreinhalteplan von 2019 beschlossen, auf weiteren etwas weniger schwer belasteten Streckenabschnitten Tempo-30-Zonen einzurichten. Über eine generelle Höchstgeschwindigkeit entscheidet aber der Bund. Berlin darf nur an einzelnen Straßen das Tempolimit einführen. Deshalb hat das Land nun eine entsprechende Initiative in den Bundesrat eingebracht. 46 Der vorhandene Spielraum könnte aber schon jetzt maximal ausgelotet werden. Denn um Grenzwerte bei Stickoxiden, Feinstaub und anderen Belastungen einzuhalten, können weitere ökologische und gesundheitliche Maßnahmen im diesen Sinne ergriffen werden. Fahrverbote: Die begrenzten Fahrverbote für alte Dieselwagen sind ein erster Schritt, die Luftqualität in der Innenstadt zu verbessern. Nun wollen die Grünen und ihre Verkehrssenatorin Günther das Instrument verallgemeinern: Auf Basis des Ende 2019 beschlossenen Klimanotstands sollen ab 2030 alle Verbrennungsmotoren aus der Umweltzone verbannt werden, ab 2035 sogar aus dem gesamten Stadtgebiet. Viele NGOs unterstützen den Vorstoß. Alle anderen Parteien kritisieren jedoch mehr oder weniger scharf, dass dieser Ansatz sozial ungerecht sei, weil sich dann nur noch wohlhabende Haushalte mit einem Elektroauto die Zufahrt in die Stadt erkaufen könnten.47 City-Maut: Die Grünen haben 2019 einen weiteren Ansatz vorgeschlagen, der nicht über Verbote, sondern einen Preisanreiz funktioniert: die City-Maut. Nach dem Vorbild anderer europäischer Großstädte müssten Autofahrer*innen eine Gebühr bezahlen, wenn sie in die Innen- stadt fahren – und würden womöglich ein ÖPNV-Ticket gratis dazubekommen. Dadurch könnten nicht nur Einnahmen generiert, sondern auch der Verkehr könnte reduziert werden. Die beiden anderen Koalitionsparteien warfen jedoch ein, dass auch dieses Instrument unsozial sei und Menschen aus den Außenbezirken und dem Umland benachteiligen könnte.48 Parkplätze einschränken: Die Flächen im öffentlichen Raum sind äußerst ungerecht verteilt. Die «Stehzeuge» eignen sich einen bedeutenden Teil dieser Allmende an (siehe Kap. 3.2). In der wachsenden Stadt kommt es zu einer zunehmenden Flächenkonkurrenz zwischen verschiedenen Verkehrsträgern und Nutzungsinteressen. Um die Attraktivität des Autos zu schwächen, ist die Einschränkung von Parkraum ein wichtiger Hebel. Eine Möglichkeit ist die Parkraumbewirtschaftung: In Berlin sind bereits etwa 100.000 Parkplätze kostenpflichtig. Der Luftreinhalteplan sieht vor, die Parkraumbewirtschaftung in den nächsten Jahren massiv auszuweiten, um die Menschen zum Umstieg auf nachhaltige Verkehrsmittel zu bewegen. Die Senatsverwaltung UVK hat dazu eine Studie in Auftrag gegeben, die die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme belegt. Bisher machen die bewirtschafteten Parkzonen rund 40 Prozent der Fläche in der Innenstadt aus. Dieser Anteil soll bis Ende 2020 auf 75 Prozent gesteigert werden. Bis 2023 sollen sogar alle Stellplätze etwas kosten. 46 RBB, 25.1.2020, unter: www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/01/berlin-tempo-30-bundesrat-verkehr-senatsverwaltung.html. 47 Der Spiegel, 30.1.2020, unter: www. spiegel.de/politik/deutschland/berlin-gruene-wollen-benzin-und-diesel-autos-aus-der-stadt-verbannen-a-67eaffdf-87ae-451f-bca4-6a5c595d48bd. 48 Deutschlandfunk Kultur, 23.9.2019, unter: www.deutschlandfunkkultur.de/debatte-ueber-verkehrswende-in-berlin-mit-der-city-maut.1001. de.html?dram:article_id=459385. Der Senat hebt auch die Parkgebühren deutlich an.49 Erschwert wird das Vorhaben dadurch, dass nach dem Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (AZG) die Bezirke für das Parken verantwortlich sind. Die Senatsverwaltung UVK kann sie nicht anweisen. Aber das Land kann ihnen Mittel für die Parkraumbewirtschaftung zuweisen. Das wird allerdings gegenwärtig vom Finanzsenator wegen einer anderen Streitfrage blockiert. Dazu kommt: Einige Bezirke wollen die Anzahl der Bezahl-Parkplätze erhöhen, andere Bezirke blockieren. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Parkplätze ganz wegzunehmen und den frei werdenden Raum anders zu nutzen: für Radwege, ÖPNV-Spuren, Orte des Verweilens oder Grünflächen. Das Bündnis «Straßen für alle» fordert zum Beispiel, bis 2030 jedes Jahr 60.000 Stellplätze umzuwidmen. Der Vorteil gegen­über einem Parkautomaten liegt darin, dass der öffentliche Raum nachhaltiger umgebaut wird. Außerdem wird Par­ ken nicht zu einer Frage des Geldbeutels, sondern wird für alle gleichermaßen eingeschränkt. Allerdings bleibt zu entscheiden, ob die umgewandelten Parkplätze durch Flächen vor Supermärkten oder Tiefgaragen ersetzt werden oder ganz wegfallen. In jedem Fall wird es einen Kampf um die Parkplätze geben, da viele Autofahrer*innen einen kostenlosen oder billigen Parkplatz vor ihrer Haustür als Teil ihrer Grundrechte ansehen und sich wehren könnten, wenn er ihnen weggenommen werden soll.50 Weil viele Autofahrer*innen auch die Spuren von Bussen und Bahnen blockieren, werden diese im Schnitt immer langsamer. Einige Routen mussten deswegen sogar ganz aufgegeben werden. Ein großes Problem ist das massenhaf- te Falschparken. Deswegen sieht das Mobilitätsgesetz vor, dass die BVG zukünftig selbst falsch parkende Autos abschleppen darf. Allerdings führte die Umsetzung zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ressorts und zu Abstimmungsproblemen mit dem landeseigenen Unternehmen, sodass der BVG-eigene Abschleppdienst erst Anfang 2020 starten konnte.51 Wirtschaftsverkehr und neue Mobili­ tät: Mit den beiden letzten Abschnitten des Mobilitätsgesetzes besteht die Chance und Aufgabe, die neuen Mobilitätsangebote (Carsharing etc.) demokratisch und transparent, sicher und umweltfreundlich zu gestalten. Vor allem bietet sich mit beiden Teilen die Gelegenheit, den privaten Kraftfahrzeugen im öffentlichen Raum Platz zu nehmen. Denn zu diesem Anlass muss die Verteilung des Straßenraums zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern und Nutzungsformen sowie zwischen fließendem und ruhendem Verkehr neu verhandelt werden. In diesem Punkt gibt es durchaus eine gemeinsame Schnittmenge mit der IHK, die sich in erster Linie für einen flüssigen Wirtschaftsverkehr einsetzt, der auch von stehenden und fahrenden Autos behindert wird. Auch wenn ein gewisser Lieferverkehr notwendig ist, muss dieser in klaren Grenzen gehalten und ökologisch umgestaltet werden. Denkbar wäre etwa die Umstellung des Lieferverkehrs auf E-Bikes (bei Transporten bis 250 Kilogramm) und E-Fahrzeuge (für schwe49 Der Tagesspiegel, 27.5.2019, unter: www.tagesspiegel.de/ berlin/berlins-massnahmen-zur-luftreinhaltung-parken-kostet-bald-bis-zu-vier-euro-pro-stunde/24388398.html. 50 Die Zeit, 3.6.2019, unter: www.zeit.de/mobilitaet/2019-05/verkehrswende-mobilitaet-fahrradstadt-berlin-radwege-verkehrsplanung. 51 Der Tagesspiegel, 6.1.2020, unter: www. tagesspiegel.de/berlin/bvg-abschleppdienst-kommt-schleppend-in-gang-spd-kritisiert-umsetzung-in-19-monaten-als-inakzeptabel/25392932.html. 33 34 re Lieferungen) (vgl. Behrensen 2020). Doch muss sich noch zeigen, ob die politischen Entscheidungsträger*innen den Mut haben werden, vor der Wahl eine Gesetzesnovelle zu verabschieden, die das Auto deutlich zurückdrängt. 5.4 Der Kampf um die Kieze Eine besondere Herausforderung liegt darin, dass die Mobilitätswende konkret in jeder Straße und in jedem Kiez umgesetzt werden muss. Verschiedene Ansätze sind sinnvoll: Verhinderung von Durchgangsverkehr (zum Beispiel durch sogenannte Diagonalsperren); bauliche Veränderungen wie Gehwegvorstreckungen; Tempolimits und Einbahnstraßen; Spiel- und Fahrradstraßen, Fußgängerzonen. Diejenigen, die sich für ein anderes Verkehrssystem einsetzen, kommen nicht umhin, das Stadtteil für Stadtteil durchzusetzen. Dafür gibt es schon eine Basis: Teilweise seit Jahrzehnten setzen sich Kiez- und Autofrei-Gruppen für eine Verkehrsberuhigung in ihren Quartieren ein. Ein Vorbild ist der verkehrsberuhigte Crellekiez in Schöneberg, wo die Bürgerinitiative Westtangente ihr Hauptquartier hat. In den letzten Jahren sind viele neue Initiativen entstanden, die die Dominanz des Autos in der Stadt zurückdrängen wollen – vor allem in den zentral gelegenen Stadtteilen Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln. Sie wollen klassische Fußgängerzonen schaffen52 oder orientieren sich an den Superblocks aus Barcelona. Die Initiativen sind allerdings häufig klein, organisieren sich kiezweise und sind noch nicht gut vernetzt. Gemeinsame Kampagnen sind schwierig. Vor allem bilden sich häufig Gegeninitiativen unter den Anwohner*innen, die ihr Auto verteidigen wollen und Veränderungen skep- tisch gegenüberstehen – auch in den eigentlich kosmopolitisch geprägten Innenstadtvierteln. Wenn es konkret wird, prallen die Mobilitätsinteressen und sozio-kulturellen Hintergründe der verschiedenen Verkehrsmittelnutzer*innen im Kiez massiv aufeinander. Nicht zuletzt klaffen die Vorstellungen darüber, was eine gerechte Verkehrspolitik ist, zwischen Mobilitätswende-Pionier*innen und Autobesitzer*innen auseinander. Dieser «Straßenkampf» ist mühsam und zäh. Der Erfolg der Autofrei-Gruppen hängt außerdem sehr von den spezifischen Umständen ab, wie die Presse berichtet und welche Akteure in Bezirksversammlung und -verwaltung sitzen und ansprechbar sind. Zwar werden immer wieder mutige Politiker*innen und Beamt*innen aktiv. Häufig nutzt die Verwaltung jedoch ihren Ermessensspielraum – um nichts zu tun. Sie scheut das Risiko, sich mit den Autobesitzer*innen anzulegen. Mitte: Auf der ursprünglichen DDRPrachtstraße Karl-Marx-Allee ließ der Senat breitere Fahrradstreifen bauen und in beide Fahrtrichtungen je eine Auto­ spur wegnehmen. Ende 2019 erklärte Regine Günther überraschend, statt rund 170 Parkplätze auf dem Mittelstreifen wiederherzustellen, diesen aus Klimaschutzgründen begrünen zu wollen. Dagegen intervenierten der Regierende Bürgermeister, der SPD-Baustadtrat von Mitte und das LINKEN-geführte Landesdenkmalamt. Sie kritisierten öffentlich 52 Die Initiative «Stadt für Menschen» von Changing Cities setzt sich zum Beispiel dafür ein, perspektivisch Berlin Mitte autofrei zu machen. Die Verkehrsverwaltung will nun in der zweiten Hälfte von 2020 probeweise die zentral gelegene Friedrichstraße für den Autoverkehr sperren und sie Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zurückgeben – womöglich auf Dauer. Vgl. Berliner Morgenpost, 4.3.2020, unter: www.morgenpost.de/ bezirke/mitte/article228608419/Friedrichstrasse-wird-ein-halbes-Jahr-lang-autofrei.html. den Alleingang der Verkehrssenatorin. Anwohner*innen hatten sich zuvor im Rahmen einer Bürgerbeteiligung für den Erhalt ihrer Stellplätze eingesetzt. Nach intensiven Verhandlungen konnte sich die Senatsverwaltung UVK im Rahmen eines Kompromisses durchsetzen.53 Lichtenberg: Die Verkehrsverwaltung möchte 500 Meter geschützten Radweg auf beiden Seiten der Siegfriedstraße errichten. Dafür sollen rund 80 Parkplätze wegfallen, die in einer Nebenstraße teilweise kompensiert werden. Fahrradaktivist*innen forderten die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) auf, die Straße bald umzubauen. Doch Anwohner*innen machten mit Handzetteln dagegen Stimmung. Ende 2018 mobilisierten beide Seiten zu einer Informationsveranstaltung des Senats. Die Autovertreter*innen dominierten mit ihrem aggressiven Auftreten die Veranstaltung: Sie wollten mehr statt weniger Stellflächen; Fußgänger*innen oder Bäume sollten lieber dem Radweg weichen; vor allem Pendler*innen und Alte seien auf ihr Auto angewiesen; sie fühlten sich als Anwohner*innen übergangen und entrechtet. Nachdem die BVV die Streitfrage mehrmals vertagt hatte, beschloss sie gut 18 Monate nach dem ersten Antrag schließlich die Umgestaltung der Straße.54 Friedrichshain-Kreuzberg: – Bergmannkiez: Im Jahre 2014 begann der Bezirk ein umfangreiches Beteiligungsverfahren für die Umgestaltung der Bergmannstraße – unterstützt von der Bürgerinitiative Leiser Bergmannkiez.55 Schließlich startete er 2018 eine Testphase für eine Begegnungszone. Unter anderem baute er auf bisherigen Parkplätzen sogenannte Parklets auf, kreative Sitzgelegenhei- ten im öffentlichen Raum. Doch viele Anwohner*innen protestierten, weil die Stellplätze fehlten und weil nun junge Menschen zu laut in der Straße feierten.56 Eine breite Koalition aus CDU, FDP, SPD und LINKEN in der BVV zwang den Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), die Parklets vorzeitig abzubauen. Doch ein Einwohnerantrag konnte das Blatt wieder wenden: Die BVV beauftragte Schmidt, eine umfassende Verkehrsberuhigung des Kiezes anzugehen.57 – Wrangelkiez: Auch dieser Kreuzberger Kiez ist ein Vorreiter in Sachen Mobilitätswende. Dort konnte die Initiative «Wrangelkiez Autofrei» 58 erreichen, dass der Bezirk im Sommer 2019 mit Diagonalsperren den Durchgangsverkehr reduzierte. Ein erster Schritt in Richtung eines autofreien Quartiers, das nun mit einer Machbarkeitsstudie geprüft werden soll. Doch wenige Tage nach Errichtung der Poller gründete sich die Gegeninitiative «Wrangelkiez Autofrei? Wir wehren uns» und sammelte online mehr als 3.000 Unterschriften. Die Argumente der Kriti­ ker*innen: Verkehrsberuhigung führe 53 Der Tagesspiegel, 11.12.2019, unter: www.tagesspiegel.de/ berlin/umstrittene-parkplaetze-auf-der-karl-marx-allee-muellerbremst-guenther-in-streit-um-gruenstreifen-aus/25321836. html und Süddeutsche Zeitung, 11.3.2020, unter: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehr-berlin-kompromiss-fuer-karl-marx-allee-unterbrochener-gruenstreifen-dpa.urnnewsml-dpa-com-20090101-200311-99-286667. 54 Der Tagesspiegel, 5.12.2018, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/berlin-lichtenberg-wenn-der-senat-das-gruene-monsterbauen-will/23719924.html und Berliner Woche, 20.9.2019, unter: www.berliner-woche.de/lichtenberg/c-bauen/bvvstimmt-fuer-geschuetzten-radweg-in-der-siegfriedstrasse_ a232696. 55 Vgl. den Internetauftritt der Initiative unter: http://leiser-bergmannkiez.de/bergmann.html. 56 Berliner Morgenpost, 16.3.2018, unter: www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article213734129/Parklets-stattParkplaetze-Anwohner-sind-nicht-begeistert.html. 57 Der Tagesspiegel, 12.11.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/weniger-durchgangsverkehr-im-bergmannkiez-wie-derkreuzberger-stadtrat-schmidt-die-autos-zurueckdraengenwill/25209636.html. 58 Vgl. den Internetauftritt der Initiative unter: http://autofreierwrangelkiez.de/. 35 36 zu sozialer Verdrängung, der Lieferverkehr würde behindert, das freie Autofahren müsse verteidigt werden, die Maßnahme sei undemokratisch durchgesetzt worden.59 Rechte Blogs griffen den Protest dankbar auf und feierten ihn als Kampf gegen die grünen Gutmenschen. – Samariterkiez: Ganz ähnlich in Friedrichshain: Die Initiative «Verkehrsberuhigter Samariterkiez» setzte sich zwei Jahre lang dafür ein, den Durchgangsverkehr im Friedrichshainer Norden auszusperren, um den Kiez lebensfreundlicher und sicherer zu machen. Mit Erfolg: Nach einem Beschluss der BVV ließ Baustadtrat Schmidt im Sommer 2019 an mehreren Stellen Poller aufstellen. Dagegen formierte sich die Initiative «Verkehr und Vernunft». Sie sammelte mehrere Hundert Unterschriften und gewann einen CDULandespolitiker für ihr Anliegen. Auf einer überfüllten Bürgerversammlung sechs Monate später machten sie und ihre Anhänger*innen ihrem Ärger Luft: Die Straßensperren seien verkehrspolitisch unvernünftig, würden zur Gentrifizierung beitragen und die Freiheit ähnlich beschneiden wie die Berliner Mauer.60 Nach einem Jahr soll die Maßnahme evaluiert werden. Pankow: Auch an der Schönhauser Allee im Prenzlauer Berg geht es nach jahrelangen Auseinandersetzungen endlich voran. Parkplätze sollen geschützten Radwegen auf beiden Straßenseiten weichen.61 Mehr noch: Der Pankower Bürgermeister Sören Benn (LINKE) greift Forderungen von Verkehrsinitiativen auf und plant, zwölf Kieze in dem Ostbezirk nach dem Vorbild der Superblocks für den Durchgangsverkehr zu sperren und Parkplätze umzuwidmen.62 Außerdem will das Bezirksamt ein Netz von acht Fahrradstraßen schaffen. Unterstützung kommt von SPD und Grünen. Die Erfahrungen aus den anderen Stadtteilen zeigen allerdings, dass die konkrete Umsetzung noch ein zäher Kampf werden könnte. 59 Berliner Morgenpost, 29.8.2019, unter: www.morgenpost. de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article226910351/Pollerin-Kiezen-Anwohner-fordern-Nachbesserung.html. 60 Der Tagesspiegel, 21.10.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/streit-um-neue-poller-im-samariterkiez-verkehrsberuhigung-in-friedrichshain-sorgt-fuer-diskussionen/25172792. html und Berliner Zeitung, 20.2.2020, unter: www.berlinerzeitung.de/mensch-metropole/buerger-streiten-ueber-pollerim-samariterkiez-li.76421. 61 Der Tagesspiegel, 7.3.2020, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/neue-radstreifen-in-prenzlauer-berg-schoenhauser-allee-wird-noch-dieses-jahr-umgebaut/25616990.html. 62 Neues Deutschland, 22.1.2020, unter: www.neues-deutschland.de/artikel/1131820.klimanotlage-ziviler-ungehorsam-fuer-die-verkehrswende.html und Berliner Morgenpost, 20.1.2020, unter: www.morgenpost.de/ bezirke/pankow/article228185183/Neue-Superblocks-Pollerfuer-freie-Strassen-in-halb-Pankow.html. 6 SYNTHESE: DIE BEHARRUNGSKRÄFTE DER AUTOGESELLSCHAFT Eigentlich ist das Potenzial für die Mobilitätswende in Berlin groß. Gegenwärtig ist ein gutes Zeitfenster, um voranzukommen und etwas zu gewinnen. Es gibt Platz und einen gut ausgebauten ÖPNV. Große Teile der Bevölkerung wünschen sich eine Veränderung, die gesellschaftliche Lobby für den Umweltverbund ist stark und wesentliche Kräfte in der Regierungskoalition wollen die Verkehrswende. Die Regierung hat durchaus Verwaltungsstrukturen umgebaut, Prozesse auf den Weg gebracht und Veränderungen im Straßenraum in Angriff genommen. Trotzdem ist die verkehrspolitische Bewegung enttäuscht und die Presse schlecht. Und tatsächlich kommen viele Projekte des Mobilitätsgesetzes nicht so schnell voran wie gedacht und stoßen auf zahlreiche Hindernisse. Woran liegt das? Das Automobilitätsdispositiv: Um die Probleme zu verstehen, lohnt sich eine theoretisch informierte Analyse der verkehrspolitischen Auseinandersetzungen in der Stadt. Michel Foucaults Begriff des Dispositivs kann helfen, die Blockaden der Berliner Mobilitätswende zu verstehen: So beschreibt Katharina Manderscheid ein hegemoniales «Automobilitätsdispositiv», das aus einem Komplex von automobilen Landschaften, Infrastrukturen und Produktionsformen, aus Institutionen, Diskursen und Wissensbeständen besteht, in deren Zentrum ein automobiles Subjekt und seine alltäglichen Praktiken stehen (Manderscheid 2014). Das Auto prägt die ganze Stadt, unser Handeln und Denken. So konstatiert auch Dennis Petri von Changing Cities: «Die Umgestaltung des Verkehrssystems ist das Bohren dicker Bretter. Die Manifestation der Machtverhältnisse im öffentlichen Raum, die Kontinuität dessen, was als ‹normal› wahrgenommen wird, ist schwer zu überwinden.» (Petri 2020) Insgesamt wird die autogerechte Stadt gegenwärtig nicht durch die Konzentration aller Kräfte in einem Akteur oder einem Projekt verteidigt, auch wenn auf Bundesebene selbstverständlich weiterhin die Autokonzerne, der Verband der Automobilindustrie (VDA) und das Verkehrsministerium entscheidend sind. Eher ist eine Dezentralisierung des Widerstands zu beobachten – und zwar nicht als eine bewusste Strategie, sondern mehr als ein Effekt des Autodispositivs. Für die verkehrspolitische Bewegung zeigt sich kein klarer Gegner. Aber eingespielte Alltagspraktiken reproduzieren die Dominanz des Autos. Die gebaute Umwelt: Das autogerechte Berlin basiert darauf, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur Straßen, Parkplätze, Garagen, Tankstellen und anderes mehr gebaut, sondern auch materielle Institutionen der Verkehrsregulierung wie Ampeln oder Parkautomaten geschaffen wurden. In dieser «gebauten Umwelt» (David Harvey) sind auch Rad- und Fußwege, Gleise, Bahnhöfe und Haltestellen präsent, aber in einer ungeordneten Position. Die Ungleichheit zwischen Stadtquartieren, Verkehrsträgern und -teilnehmer*innen ist buchstäblich in Asphalt, Stahl und Beton gegossen. Allein schon deswegen lässt sich das Berliner Verkehrssystem nur sehr mühsam, langfristig und zu hohen Kosten umbauen. Widerstand der automobilen Subjek­ te: Um die Trägheit der urbanen Ver- 37 38 kehrswende zu verstehen, lässt sich an Antonio Gramscis berühmte Formulierung anknüpfen, mit der er das Scheitern der westeuropäischen Revolutionen 1918/19 erklärte: «Beim Wanken des Staates entdeckte man sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorgeschobener Schützengraben, hinter dem sich eine robuste Kette von Festungen und Kasematten befand.» (Gramsci 1992: 874) Dass Rot-Rot-Grün die Regierungsmacht in der Hauptstadt übernommen hat und das Mobilitätsgesetz beschlossen hat, war ein wichtiger Erfolg. Doch nun hat im Zuge der Umsetzung ein Stellungskampf begonnen, in dem Teile der Berliner Zivilgesellschaft die automobile Welt verteidigen – und zwar nicht in erster Linie Konzerne und Verbände, sondern die Autobesitzer*innen. Einst haben strategisch agierende Akteure diese Welt durchgesetzt und dazu beigetragen, dass sich «automobile Subjekte» herausgebildet haben. Allerdings hat sich das «scheinbar ‹natürliche› Bedürfnis der Individuen, selbstgesteuert und motorisiert mobil zu sein» (Manderscheid 2014: 16), inzwischen ein Stück weit verselbstständigt.63 Einerseits gibt es ein breites Unbehagen mit der Autostadt in Teilen der Berliner Bevölkerung und eine immer mehr Raum greifende Alltagspraxis alternativer Mobilität. Deswegen hat der Volksentscheid Fahrrad auch einen Nerv bei vielen Menschen getroffen und eine Mehrheit hat Rot-Rot-Grün ihre Stimme gegeben. Andererseits haben zahlreiche Berliner*innen ihre Gewohnheitsrechte als Autofahrer*innen verinnerlicht, auch wenn es eine Minderheit ist. Die wenigsten von ihnen sind unverbesserliche «Autonarren» und viele mögen sogar prinzipiell die Ziele der Ver- kehrswende teilen. Doch ihr Pkw ist fest in ihre alltäglichen Routinen, Gewohnheiten und Bedürfnisstrukturen eingewoben. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass auch in Berlin weiterhin die Zahl zugelassener Autos und die der ADAC-Mitglieder steigt. Durch die Verkehrswende fühlen sich viele von der Politik unfair behandelt, in ihren Rechten verletzt und in ihrer automobilen Souveränität bedroht. Proteste gegen Tramerweiterung, einen neuen Radweg, Umwidmung von Parkplätzen oder Diagonalsperren: Der Widerstand gegen konkrete Maßnahmen in den Kiezen bildet sich relativ spontan aus den Alltagsverhältnissen heraus. Er nimmt die Form von kleinen Initiativen im Sinne eines NIMBY-Protestes an («Not in my backyard»). Der öffentliche Diskurs: Zwar stellen auch die Leitmedien die automobile Gesellschaft selten grundlegend infrage und berichten eher fragmentarisch über einzelne Nachhaltigkeitsprobleme des vorherrschenden Verkehrssystems (Neebe/Kallenbach 2019). Doch gerade in Berlin schreiben die Zeitungen wohlwollend und viel über die Protagonist*innen der Verkehrswende und ihre Bemühungen, auch wenn zuletzt die Umsetzungsprobleme im Vordergrund standen. Die Fachdebatte der Verkehrswissenschaftler*innen ist ebenfalls durch einen positiven Bezug auf den Umweltverbund geprägt. Es gibt kaum noch eine legitime öffentliche Stimme, die das Auto kompromisslos verteidigt. Der öffentliche Diskurs hat sich klar zu63 Historisch sind der Umbau der städtischen Verkehrssysteme und die Entstehung der neuen Subjektivität eng miteinander verbunden: «Erst die Umwertung der Straßen zu Verkehrsachsen und der autogerechte Umbau der Städte beförderte die ‹Normalisierung› des automobilen Subjektes, dem nach der Verdrängung des Schienenverkehrs kaum noch Mobilitätsalternativen zur Verfügung standen.» (Manderscheid 2014: 16) gunsten der Mobilitätswende verschoben. Gesellschaftliche Akteure: Auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Akteure ist die verkehrspolitische Bewegung weiterhin in der Offensive. Trotz aller Konflikte mit der Regierung können die Initiativen und Verbände der umwelt- und verkehrspolitischen Szene die politische Agenda prägen.64 Die Gegenseite ist insgesamt in der Defensive. Die Autounternehmen sind zwar immer noch mächtig, aber durch die aktuellen Marktumbrüche verunsichert und in der öffentlichen Debatte unter Druck, sich zu verändern. In die Berliner Verkehrspolitik mischt sich die Autolobby kaum ein. Zwar meldet sie sich öffentlich mit Forderungen und Kritik zu Wort. Sie hat aber keine Kam­pagne gegen das Mobilitätsgesetz gestartet. Vom Berliner Kapital, das in der IHK organisiert ist, kommt zwar durchaus Widerstand gegen die Verkehrspolitik von Rot-Rot-Grün. Aber auch die IHK verhält sich widersprüchlich und ist gespalten. Grundsätzlich ist sie der Verkehrswende gegenüber sogar aufgeschlossen, solange gewährleistet ist, dass die Bedingungen des Wirtschaftsverkehrs gewährleistet bzw. verbessert werden und für wichtig erachtete Straßenbauprojekte abgeschlossen werden. Noch deutlicher zeigt sich der Wandel beim ADAC. Lange verteidigte der Verband aggressiv die Rechte der Autofahrer*innen und kultivierte den Motorsport. Gegenüber dem Mobilitätsgesetz äußerte er sich kritisch in der Öffentlichkeit. Er stellte sich allerdings kaum der politischen Auseinandersetzung und versuchte eher im Hintergrund, das Gesetz abzuschwächen. Beschleunigt durch den Skandal um den Autopreis «Gelber Engel» 2014 durchläuft der ADAC inzwischen jedoch auch eine Modernisierung. Sogar ein Tempolimit auf Autobahnen kann er sich vorstellen. In Berlin wirbt er für das harmonische Miteinander aller Verkehrsmittel, fordert den Ausbau von Alternativen zum Auto und mahnt, dass eine zu starke Einschränkung des Autos vor allem die sozial Schwächsten treffen würde. Die moderaten Töne sind auch dadurch zu erklären, dass er in Berlin und Brandenburg zwar knapp 1,4 Millionen Mitglieder65 hat, aber trotzdem kaum mobilisierungsfähig ist, weil diese vor allem den Versicherungsschutz wollen, aber politisch passiv bleiben.66 Trotz der guten Ausgangsbedingungen tut sich die Verkehrswendebewegung in der aktuellen Phase der Umsetzung schwer damit, ihre Stärke auch in eine Strategie zu übersetzen, die effektiv die Mobilitätswende voranbringt. Denn eine Kampagne lässt sich einfacher gegen Unternehmen oder Parteien organisieren als gegen den spontanen Protest von Anwohner*innen. Die Berliner Parteien: Auch wenn Teile der Grünen das Elektroauto protegieren und riskieren, die S-Bahn für eine Privatisierung zu öffnen, ist die Partei zweifellos die Treiberin der Verkehrswende in der Koalition. Die Grünen stellen die Verkehrssenatorin, von ihnen kommen die meisten politischen Vorschläge und sie bringen den Umbau des Verkehrssys64 Auch die Gewerkschaften unterstützen prinzipiell die urbane Verkehrswende. Ver.di betont, dass die Beschäftigten dabei mitgenommen werden müssen. Die Gewerkschaft und ihre Mitglieder haben aber selbst auch viel zu gewinnen, weil bei einem Ausbau des ÖPNV neue Stellen geschaffen werden müssen und ihre Position insgesamt aufgewertet wird. 65 Das ist rund ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung in den beiden Bundesländern. 66 Berliner Morgenpost, 29.9.2019, unter: www.morgenpost.de/berlin/article227225889/Schwere-Zeiten-auch-fuer-den-ADAC-Das-sagt-der-Berliner-Chef. html und Die Zeit, 14.4.2019, unter: www.zeit.de/mobilitaet/2019-04/verkehrswende-mobilitaet-interessengruppenprivilegien-verkehrspolitik und Die Zeit, 22.2.2020, unter: www.zeit.de/2020/09/adac-magazin-motor-welt-zeitschriftautomobilclub?utm_source=pocket-newtab. 39 40 tems auch in den Bezirken und Kiezen voran. Dagegen hat die SPD zwar äußerlich den Verkehrswendediskurs übernommen, spielt aber oft den Blockierer in der Koalition. Sie bevorzugt die U-Bahn gegenüber der Tram und versucht, die Position des Autos zu verteidigen, bzw. traut sich nicht an dieses Thema heran. Das ist auch dadurch zu erklären, dass sich der Widerstand der Autofahrer*innen in der Partei manifestiert bzw. dass sie diesen selbst aufgreift, um scheinbar die Interessen der Arbeiter*innen, Armen und Alten zu schützen. Die LINKE setzt sich prioritär für soziale Teilhabe durch Förderung des ÖPNV ein (insbesondere der Tram). Allerdings bemühen sich Teile der LINKEN in einigen Bezirken, auch die Interessen der Autonutzer*innen zu berücksichtigen. Demgegenüber wollen sich die rechten Oppositionsparteien konsequent als Anwälte des Autos, des Wirtschaftsverkehrs und einer verkehrspolitischen Vernunft profilieren, die letztlich einem tief greifenden Umbau des Verkehrssystems eine Absage erteilt. CDU und FDP engagieren sich auch in einzelnen Kiezen für die Interessen besorgter Autofahrer*innen. Insbesondere die AFD versucht, sich als Sprachrohr automobiler Wutbürger*innen in Stellung zu bringen. Das ist durchaus eine Gefahr, zumal zwischen der Verteidigung des Autos und anderen Formen chauvinistischer Besitzstandswahrung (Geschlechterverhältnisse, Klimawandel etc.) eine gewisse Wesensähnlichkeit besteht. Bisher kann diese Strategie aber keine große Dynamik entfalten und die rechten Parteien haben gegenwärtig kaum eine reale Machtoption in der Stadt. Die Senatsverwaltung – ein konser­vier­ tes Kräfteverhältnis: Mit dem Staats­­ theoretiker Nicos Poulantzas können wir die Praxis der Berliner Senatsverwaltung verstehen, die die Verkehrswende ausbremst und die Interessen der Auto­­fah­­ rer*innen stark berücksichtigt. Erstens hat sich die Dominanz der automobilen Gesellschaft tief in die Staatsapparate eingeschrieben. Auch wenn sich die verkehrspolitischen Kräfteverhältnisse in Berlin inzwischen verschoben haben, hat sich das Autozeitalter in der Verkehrsverwaltung konserviert. Viele altgediente Beamt*innen haben Jahrzehnte lang die autogerechte Stadt verwaltet und die entsprechenden administrativen Vorschriften und Routinen verinnerlicht. Das ist nicht im Sinne eines klassischen ­Lobbyings wie bei der EU zu verstehen, sondern eher als massive Pfad­abhängigkeit der Strukturen (Sander/Haas 2019). Auch hier beobachten wir eine gewisse Verselbstständigung des Autodispositivs. Zweitens materialisieren sich in der Senatsverwaltung zwar die Forderungen der Verkehrswendeakteure, aber auch die Beharrungskräfte der Autolobby. Mit dem Volksbegehren gelang es der Fahrradbewegung zunächst, die verknöcherte Verwaltungsstruktur aufzubrechen, «indem sie die Politik vor sich hergetrieben und damit einen verkehrspolitischen Wandel erzwungen hat» (Schwedes 2018: 52). Durch die partizipative Erarbeitung des Mobilitätsgesetzes konnte phasenweise das gegenseitige Misstrauen zwischen Exekutive und Bewegung abgebaut und eine produktive und gleichberechtigte Kooperation entwickelt werden. Mit dem Mobilitätsbeirat, dem FahrRad und den Dialogformaten zu den einzelnen Gesetzesabschnitten wurden Orte geschaffen bzw. ausgebaut, um diese Zusammenarbeit fortzusetzen. Allerdings haben sie die Schwäche, dass sie relativ breit und unverbindlich angelegt sind und zu wenig genutzt werden, um vorhandene Konflikte effektiv zu bearbeiten. Außerdem zeigt sich in der Umsetzung des Gesetzes, dass die Verkehrsverwaltung stark die Interessen der Unternehmen und der automobilen Fach-Community einbezieht, mit der sie ein technisch-administratives Verständnis teilt. Nicht zuletzt nehmen viele Beamt*innen auf die Autofahrer*innen Rücksicht und scheuen öffentliche und juristische Konflikte, weil sie einen zerstörerischen politischen Prozess befürchten. Dieses spezifische Kräfteverhältnis erklärt die dargestellte Verwaltungspraxis und die Trägheit, mit der die Berliner Mobilitätswende umgesetzt wird. Es drückt sich zum einen in einer «Filtrierung» von Maßnahmen und einer spezifischen Rangordnung von «widersprüchlichen Prioritäten und Gegenprioritäten» (Poulantzas 2002: 166) aus, die die Verwaltung oder einzelne Referate und Abteilungen setzen: etwa die Privilegierung der U-Bahn gegenüber der Tram. Zum anderen zeigt sich die Beharrungskraft des Automobils in «Nichtentscheidungen» (ebd.: 165) und «Negativmaßnahmen, d. h. [in] Opposition und Widerständen gegenüber der Planung oder effektiven Ausführung von Maßnahmen» (ebd.: 167), die die Verkehrswende voranbringen sollen. Das wird darin sichtbar, dass die Verwaltung nach wie vor einer etablierten Sachzwanglogik folgt. Zwar müssen die Beamt*innen formal bei jeder Maßnahme tatsächlich einem klar definierten und aufwendigen administrativen Prozedere folgen. Jede Maßnahme beinhaltet voraussetzungsvolle planerische, verwaltungstechnische und bauliche Einzelschritte, wodurch sich etwa ein scheinbar einfacher Kreuzungsumbau Monate bis Jahre hinziehen kann. Aber viele legen die hergebrachten Richtlinien eng aus und bearbeiten einzelne Probleme isoliert und technisch statt systemisch und städteplanerisch. Das Verwaltungspersonal verhält sich passiv und startet keine eigenen Initiativen, die darauf orientieren müssten, die Mobilitätswende umzusetzen. Ansprüchen der verkehrspolitischen NGOs begegnet es mit Versprechen und Vertröstungen, mit Skepsis und einer Abwehrhaltung. Oliver Schwedes kritisiert zugespitzt, dass der fachlich begründete Widerstand und «die passive Bedenkenträgerei» aus einer Vorstellung resultierten, nach der nur die Verwaltung über die Fähigkeit verfüge, «die Gesellschaft vernünftig zu gestalten, während die Fahrradaktivisten und -aktivistinnen aus dieser Sicht allenfalls bornierte Partiku­lar­ interessen vertraten» (Schwedes 2018: 52). Hinzu kommt, dass das Personal durch die rigide Austeritätspolitik jahrelang ausgedünnt worden ist und sich unter den verbliebenen Mitarbeiter*innen Frustration breitgemacht hat. Es war eine große Herausforderung, neue Fachkräfte zu finden und funktionierende Strukturen aufzubauen.67 Um das Verhalten der Senatsverwaltung UVK zu verstehen, ist es wichtig, dass sie keinem gemeinsamen Kollektivwillen folgt oder ein «von oben nach unten einheitlich organisiertes Dispositiv darstellt» (Poulantzas 2002: 65), wie es auf dem offiziellen pyramidenförmigen Organigramm abgebildet ist. «Das reale Machtzentrum, um das sich 67 Der Tagesspiegel, 1.8.2019, unter: www.tagesspiegel.de/ berlin/senatorin-regine-guenther-zur-verkehrswende-die-laengere-strecke-liegt-noch-vor-uns/24858216.html. 41 42 jeder Apparat organisiert, bildet nicht mehr die Spitze der Hierarchie […]. [Man] muss hier mit Begriffen wie ‹Knoten› und ‹Brennpunkten› der realen Macht operieren. Sie liegen in den strategischen Punkten der verschiedenen Apparate und Zweige des Staates. Selbst wenn es der Linken an der Macht gelänge, die Spitze eines oder mehrerer […] Apparate in ihrer formalen Hierarchie zu kontrollieren, heißt das noch nicht, dass sie damit auch wirklich die Knotenpunkte der realen Macht kontrolliert.» (Ebd.: 171) So engagiert sich die Spitze aus der Senatorin Regine Günther, ihren Staats­se­kre­ tär*innen und direkten Mitar­bei­ter*innen durchaus für die Verkehrs­wende.68 Für neu eingesetztes politisches Spitzenpersonal ist es jedoch immer eine große Herausforderung, nicht nur die formale, sondern auch die effektive Führung in einem eingespielten Apparat zu übernehmen. Einzelne Zweige und Abteilungen der Senatsverwaltung UVK haben jeweils eigene politische Hintergründe und Präferenzen. Aber es scheint nicht die eine Gliederung zu geben, in denen die Autolobby par excellence vertreten wird. Vielmehr variieren die Politiken abhängig von einzelnen Referaten und ihren Mitarbeiter*innen. «Wir haben es hier weniger mit einem einheitlichen und durch einen eindeutigen politischen Willen verbundenen Beamtentum und staatlichen Personal zu tun, sondern eher mit Cliquen, Hochburgen und Gruppierungen, also mit einer Vielzahl zerstreuter Mikropolitiken.» (Ebd.: 167). So gibt es neben vielen eher defensiv und pfad­abhängig agierenden Beamt*innen einzelne Gegner*innen des Mobilitätsgesetzes, die ihre Position an den Knotenpunkten der Macht nutzen, um Maßnahmen zu blockieren. Gleichzeitig findet sich aber auch eine Reihe von aufgeschlossenen, engagierten und mutigen Mit­ar­bei­ter*innen: zum einen die Altgedienten, die in den letzten Jahrzehnten versucht haben, gegen viele Widerstände progressive Maßnahmen durchzusetzen und nun bessere Bedingungen vorfinden. Zum anderen viele Neuzugänge, die oft jung sind und eine frische Herangehensweise mitbringen. Konflikte im Mehrebenensystem: Die beschriebenen Trägheitseffekte bei der Neuausrichtung der Verkehrsverwaltung werden zusätzlich durch horizontale und vertikale Kompetenzkonflikte im Mehrebenensystem verstärkt, wodurch die rot-rot-grüne Koalition in einer ambitionierten Verkehrswendepolitik ausgebremst wird. Hinzu kommt ein Phänomen der organisierten Unverantwortlichkeit, dass einzelne Apparate sich gegenseitig die Verantwortung für eine Aufgabe oder die Schuld an einem Problem zuschieben. – Der Berliner Senat: Zwischen den verschiedenen Ressorts, die Bezüge zur Verkehrspolitik haben, kommt es immer wieder zu Konflikten. Einzelne Ressorts verfolgen jeweils eine eigene Agenda, die sich nicht zwingend zu einer klaren Linie des Senats verbinden lässt. So positioniert sich die Wirtschaftsverwaltung deutlich auto- und unternehmensfreundlicher als die Verkehrsverwaltung. Die Senatskanzlei obstruiert teilweise die Ver- 68 So hat Günther im Winter 2019 vor der Mittelstandsund Wirtschaftsvereinigung der CDU erklärt, dass die Berliner*innen ihre Autos abschaffen sollten. Vgl. Der Tagesspiegel, 28.2.2019, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/berlinsverkehrssenatorin-wir-moechten-dass-die-menschen-ihr-autoabschaffen/24049058.html. kehrswendepolitik der Koalition.69 Und die Finanzverwaltung blockiert immer wieder, wenn es um die Finanzierung von Projekten des Mobilitätsgesetzes geht. – Die Berliner Bezirke: Ein weiteres Problem ist, dass die Bezirke für die Umsetzung vieler Maßnahmen zuständig sind, aber das Land keine Fachaufsicht hat und sie nicht anweisen kann. Zudem besteht auch auf der bezirklichen Ebene die Herausforderung, dass oft unerfahrene Stadträte eine eingeschliffene Verwaltung übernehmen müssen, der zudem Personal fehlt. Viele Bezirke wollen zwar durchaus die Mobilitätswende, aber Stadträte und Verwaltungsangestellte scheuen die Reaktionen von Autobesitzer*innen auf Umbaumaßnahmen. Ferner haben die Bezirke eigene politische Vorstellungen, die eine große Bandbreite abdecken. So sind in Pankow, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg engagierte Leute an der Spitze, die experimentell, innovativ und projektorientiert vorgehen. Andere agieren vorsichtig, schleppend und nur in kleinen Schritten. Reinickendorf boykottiert offen die Verkehrswende. – Die Verkehrslenkung Berlin – ein Sonderfall: Eine Berliner Besonderheit war die «Verkehrslenkung Berlin» (VLB), die 2004 als eigenständige Verkehrsbehörde neben Land und Bezirken geschaffen wurde. Sie war für verkehrsrechtliche Anordnungen an den Berliner Hauptstraßen zuständig – unter anderem für die Genehmigung von Baustellen, die Einrichtung von Ampeln und den Bau neuer Radwege. Durch mangelndes Personal und zahlreiche Reibungsverluste in dem dreigliedrigen System kam es immer wieder zu langen Verzögerungen von Baumaßnahmen. Vor allem legte die Behörde das Straßenverkehrsrecht besonders restriktiv zugunsten des Autos aus. Deshalb erstellte das Beratungsunternehmen Avantago im Auftrag des Senats ein Gutachten, in dem es neben vielen Einzelmaßnahmen eine Integration der VLB in die Senatsverwaltung UVK empfahl. Dieser Schritt wurde Anfang 2020 vollzogen.70 – Die Bundesebene: Der Bund subventioniert mit seiner Fiskalpolitik nicht nur massiv das Auto (Steuerprivilegien, Pendlerpauschale, Straßenbau). Das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung konservieren faktisch auch die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs im Straßenraum, indem sie sowohl die Flüssigkeit des Verkehrs als auch die Bereitstellung von Parkraum festschreiben (vgl. Leidig 2020). Das Land Berlin kann und muss diese Vorgaben zwar ausgestalten, kann aber situationsbezogen an bestimmten Orten Änderungen vornehmen. Es darf die Verkehrsordnung aber nicht insgesamt städteplanerisch verändern. So darf Berlin nicht flächendeckend Tempo 30 einführen oder die Gebühren für Anwohnerparken angemessen erhöhen. 69 Als im Sommer 2017 die grüne Stadträtin in der Wohnstraße von Michael Müller in Tempelhof-Schöneberg entsprechend des Koalitionsvertrags die Parkmöglichkeiten zugunsten der Radfahrer*innen einschränken ließ, schrieb Müller einen Rundbrief an die Anwohner*innen, mit der Aufforderung, beim Bezirksamt gegen die Maßnahme zu protestieren. Vgl. Der Tagesspiegel, 14.7.2017, unter: www.tagesspiegel.de/berlin/ parkplatz-posse-in-berlin-den-regierenden-buergermeister-aergert-ein-halteverbot/20064662.html. 70 Neues Deutschland, 2.1.2020, unter: www.neues-deutschland.de/artikel/1130832. verkehrslenkung-jetzt-heisst-es-management.html. 43 44 7 STRATEGIEN FÜR EIN MOBILITÄTSGERECHTES BERLIN Aus einer linken Perspektive müsste es darum gehen, das Mobilitätsgesetz konsequent umzusetzen und den Umweltverbund noch stärker zu fördern – und zwar in einer Form, die allen sozialen Gruppen und Stadtquartieren einen guten Zugang gewährt. Dafür müssten die Bedingungen für das Auto sukzessive verschlechtert werden, um den Menschen die Straßen zurückzugeben. Eine urbane Mobilitätswende und ein ganz anderes Verkehrssystem können als Einstiegsprojekte und Richtungsforderungen für einen grünen Sozialismus verstanden werden (Candeias 2012). Ziel könnte sein: eine weitgehend autofreie (Innen-)Stadt; ein entgeltfreier, (multimodal) gut ausgebauter und klimaneu­ traler öffentlicher Nah- und Regionalverkehr und komfortable Radwegenetze mit einem Anteil des Umweltverbundes am Gesamtverkehrsaufkommen von 80 Prozent. Mario Candeias schlägt mehrere zentrale Schritte in diese Richtung vor (Candeias 2020): Mobilität für alle Der Nulltarif im ÖPNV für Schüler*innen und Auszubildende wäre kurzfristig auch auf Senior*innen und Hartz-IVEmpfänger*innen auszuweiten. Ein mittelfristiges Ziel müsste das 365-EuroTicket für alle sein, perspektivisch der generelle Nulltarif. Kofinanziert wird das durch eine Nahverkehrsabgabe bei Unternehmen – was zugleich einen Gegnerbezug herstellt (statt nur die klammen Kommunen oder unterschiedslos alle Bürger*innen zu adressieren). Mehr Mobilität Es bedarf einer Aufstockung des Klimapakets der Bundesregierung. Denn es braucht 20 Milliarden Euro an Investitionsmitteln für Kommunen zum Ausbau des ÖPNV und eine angemessene Personalbemessung. Allein die umweltschädlichen Subventionen für den Auto- und Flugverkehr summieren sich jedes Jahr auf 29 Milliarden Euro. Diese wären so umzulenken, dass sie in den Ausbau des Umweltverbunds fließen. Solche Investitionen können auch durch Kreditaufnahme flankiert werden. Dafür braucht es also Druck auf die Bundesregierung, aber auch ein Ende der Schuldenbremse (bzw. das Herausnehmen entsprechender Investitionen), um Spielräume für Landes- und Kommunalregierungen zu schaffen. Möglichkeiten wären zum Beispiel eine entsprechende Bundesratsinitiative und rebellische Regierungen, die die Schuldenbremse so weit wie möglich auszulegen und zu umgehen wissen. Raum schaffen Wir brauchen mehr Platz für den Umweltverbund und für Erholung, Spielen und grüne Schneisen. Mögliche Ansätze sind die Ausweisung autofreier innenstädtischer Zonen (wie in Madrid) oder von Begegnungszonen, Spielstraßen und shared spaces in allen Nebenstraßen. Dort gilt Schrittgeschwindigkeit für Autos und Vorrang für Fußgänger*innen. Durchgangsverkehr wird ausgesperrt. Ein Vorbild sind die Superblocks in Barcelona, in denen die Parkplätze Menschen mit gesundheitlichen Einschränkung und Nutzer*innen von Car- und Bike-Sharing-Diensten vorbehalten sind. Straßen könnten zunächst durch einfache Poller für den (Durchgangs-)Verkehr geschlossen werden. Verkehrsschilder weisen die entsprechenden Zonen aus. Damit sich nicht der gesamte Verkehr auf die Hauptverkehrsstraßen verlagert und dort die Anwohner*innen unzumutbar belastet, müssten die Hauptstraßen generell auf drei Spuren für den einzelnen Verkehrsträger umgestellt werden: 1x Auto, 1x ÖPNV, 1x Rad – auf Kosten des Parkraums. Entschleunigung und Sicherheit Wir brauchen ein generelles Tempolimit von 30 Stundenkilometern in Ortschaften. Dies wird schon jetzt stufenweise auf zentralen, vielbefahrenen Achsen eingesetzt und wäre sukzessive auf die ganze Stadt (auch Dörfer) auszuweiten. Das ist eine schnelle und ausgesprochen wirksame Maßnahme, die sich über gesundheitspolitische Gefährdung und Klimanotstand begründen ließe. Den Autobesitzer*innen den ­Umstieg erleichtern Diesen Veränderungen steht ein Alltagsnarrativ bei vielen Menschen entgegen, dass das Auto eigentlich das Verkehrsmittel des «kleinen Mannes» sei. Das wird von einigen Parteien aufgegriffen und lässt die Verwaltung zögern, den Autoverkehr einzuschränken. Und tatsächlich gibt es neben den überwiegend privilegierten Autobesitzer*innen auch die begrenzten Gruppen prekärer Pendler*innen, Bewohner*innen peripherer Siedlungen und Senior*innen, die auf ihr Auto angewiesen sind. Eine inklusive Mobilitätspolitik muss diese Gruppen ernst nehmen und ihnen praktika­ ble Alternativen anbieten. Wenn ein Auto mobilitätseingeschränkten Personen nutzt, sollten sie einfache Möglichkeiten haben, darauf zuzugreifen. Gleichzeitig muss eine linke Verkehrspolitik eindeutig für die Mobilitätswende Position beziehen und auch in konkreten Auseinandersetzungen in den Kiezen deutlich machen, dass das Auto von den Scheinwerfern bis zur Heckklappe ein Gerechtigkeitsskandal ist.71 Eine Mehrfachstrategie Für den Umbau des urbanen Verkehrssystems gibt es viele Hindernisse in den Verwaltungen (vgl. Petri 2020), in der Verkehrsordnung des Bundes (vgl. Leidig 2020), in Teilen der Bevölkerung – und keinen Königsweg, um sie zu überwinden. Vielmehr empfiehlt sich eine Mehrfachstrategie auf verschiedenen Ebenen. Einerseits ist es wichtig, die (Mobilitäts-) Bedürfnisse der unterschiedlichen Gruppen ernst zu nehmen, die Menschen in einem breiten demokratischen Prozess mitzunehmen und attraktive Alternativen zu schaffen. Andererseits sollten die Verfechter*innen der Mobilitätswende die gegenwärtig günstigen Kräfteverhältnisse und die – für Linke ungewöhnliche – Situation nutzen, dass sie auf der Ebene des öffentlichen Diskurses und der gesellschaftlichen Akteure stark aufgestellt sind und zentrale Kräfte in der Landesregierung sie unterstützen. Das macht es möglich, Veränderungen auch durchzusetzen und politische und bauliche Fakten zu schaffen. Das bedeutet konkret, in der Umgestaltung der Kieze offensiv für die Veränderungen zu werben, die Betroffenen breit 71 Zum Argument, Verkehrspoller würden die Gentrifizierung befeuern: Ihnen «die Schuld an den steigenden Mieten zu geben, entspricht einer vulgären Gentrifizierungskritik, wie sie sich auch in Anfeindungen gegen Künstler*innen, Hipster-Bars und Bioläden zeigt. […] Das zentrale Problem sind der kapitalistische Immobilienmarkt und die renditeorientierten Investoren.» (Sander 2009: 32) 45 46 demokratisch einzubeziehen und Maßnahmen auch so auszugestalten, dass sie verschiedene Bedürfnisse berücksichtigen. Gleichzeitig sollten die Akteure der Mobilitätswende ihre starke Stellung auf Landesebene nutzen, um den Rahmen des Mobilitätsgesetzes auch durchzusetzen, konsequent die Möglichkeiten von Abgeordnetenhaus und Senat zu nutzen und auch zu erweitern – zum Beispiel dahingehend, dass das Land von den Bezirken die Zuständigkeit für die Parkplätze bekommt. Mit wem? Entscheidend für das Gelingen der Berliner Verkehrswende bleibt, dass eine breite Bewegung sie weitertreibt. Die schließt NGOs ein, die sich für eine Weiterentwicklung des Mobilitätsgesetzes einsetzen; Graswurzel-Initiativen, die in ihrem Stadtteil für konkrete Maßnahmen der Verkehrsberuhigung kämpfen; aber auch radikale Bewegungsakteure, die mit ungehorsamen Aktionen den notwendigen Druck aufbauen, um Blockaden aufzubrechen (Aljets/Müller 2018). In der Bevölkerung gibt es große Sympathien für die Mobilitätswende, auch unter Autofahrer*innen. Die anstehende Tarifrunde bietet die Möglichkeit, Forderungen nach einer Verbesserung und Verbilligung des ÖPNV mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und entsprechenden Investitions- und Haushaltsmitteln zu verbinden, also Gewerkschafts- und Klimabewegung zusammenzubringen. Rebellische Kommunen und Bezirke könnten die Grenzen der Gesetzeslage austesten, um Umwege dort zu finden, wo die Schuldenbremse bislang Investitionen verhindert oder die Ausweisung autofreier Zonen stark beschränkt ist, da dies nicht unter die Rechte von Kommunen fällt. In Madrid etwa konnte die Kommune mit der Begründung von Gesundheitsrechten der Bewohner*innen eine veränderte Rechtsauslegung gerichtlich erzwingen. Zu prüfen wäre, wie belastbar die Ausrufung des Klimanotstands dabei rechtlich sein kann. Auch die Auseinandersetzungen um den Mietendeckel zeigen, dass Öffnungen und Grauzonen im Recht für die Erweiterung von Spielräumen genutzt werden können – wenn man solche Konflikte gezielt und gut vorbereitet eingeht (Candeias 2020). Übrigens: Wo verkehrsberuhigte Zonen bereits realisiert sind, führt dies zu einer (Wieder-) Belebung des Einzelhandels und Gegeninitiativen verlieren an Gewicht. Das zeigt auch das Beispiel Madrid. Schließlich geht es um einen Wandel in der Verwaltung, bei dem Veränderungen von oben und unten zusammenwirken müssen. Einerseits müsste die Spitze klarer Ziele und Vorgaben formulieren und in Form einer strategischen Steuerung und eines Change-Managements umsetzen. Sie müsste stärker bei Konflikten im Haus vermitteln, Anliegen von Mitarbeiter*innen aufgreifen und diese ermutigen, juristische Spielräume im Sinne der Verkehrswende auszunutzen. Andererseits müssen für die Mitarbeiter*innen nicht nur viele neue Leitfäden und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung des Mobilitätsgesetzes erstellt werden. Es braucht auch ein Umdenken und eine neue Praxis beim Personal, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Konflikte moderiert werden, kreativ nach neuen Lösungen gesucht wird, Verantwortung für die Bürger*innen übernommen und transparent mit der Öffentlichkeit kommuniziert wird. Hendrik Sander ist promovierter Politikwissen­ schaftler und wohnt in Potsdam. Als Klima­ aktivist lebt er konsequent autofrei. Ein Flugzeug besteigt er grundsätzlich nie. In Sachen Mobilität verlässt er sich auf Bus, Bahn, Fahrrad und auf seine eigenen Füße. Vom Autor sind zuletzt als Publikationen der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen: «Städtische Umweltgerechtigkeit. Zwischen progressiver Verwaltungspraxis und sozialökologischen Transformationskonflikten» (2019), «Die europäische Autolobby» (2019; zusammen mit Tobias Haas) und «Alltagskämpfe und Community Organizing» (2017). 47 48 LITERATUR Acatech (2019): Umfrage zu Mobilität: Bürger wünschen passende Lösungen für Stadt und Land – und mehr Klimaschutz, Berlin, unter: www.acatech.de/allgemein/umfragezu-mobilitaet-buerger-wuenschenpassende-loesungen-fuer-stadt-undland-und-mehr-klimaschutz/. Ahrens, Gerd-Axel (2014): Tabellenbericht zum Forschungsprojekt «Mobilität in Städten –SrV 2013» in Berlin, im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, Dresden. 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