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Living in a box / Baron, Jenny (Rights reserved)

Bibliographic data

Living in a box

Description

Author:
Baron, Jenny
Flory, Lea
Krebs, Daniela
Title:
Living in a box : psychosoziale Folgen des Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder : eine Recherche / Herausgeberin: Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer - BAfF e.V. ; Autorinnen: Jenny Baron, Lea Flory, Daniela Krebs
Publisher:
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer
Publication:
Berlin: BAfF e.V., 2020
Language:
German
Scope:
1 Online-Ressource (60 Seiten)
Note:
Datum des Herunterladens: 15.09.2020
Urban Studies:
Kws 29 Migration: Flucht. Asyl Kws 36 Kinder. Jugend: Kinderschutz
DDC Group:
360 Soziale Probleme, Sozialarbeit
URN:
urn:nbn:de:kobv:109-1-15408818
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Population, social affairs

Contents

Table of contents

  • Living in a box / Baron, Jenny (Rights reserved)

Full text

Living in a box Psychosoziale Folgen des Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder Impressum Herausgeberin: Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V. Paulsenstraße 55–56, 12163 Berlin Tel.: +49 (0) 30 310 124 63 E-Mail: info@baff-zentren.org www.baff-zentren.org © BAfF e.V. 2020. Alle Rechte vorbehalten. Autorinnen: Jenny Baron, Lea Flory, Daniela Krebs Layout: Daniela Krebs Umschlagfoto: © BAfF e.V. Dieses Projekt wurde gefördert durch das European Programme for Integration and Migration (EPIM) und die H&M Foundation. Die Verantwortung für die Inhalte liegt allein bei den Autorinnen. Der Inhalt gibt nicht notwendigerweise die Position des EPIM, der Partnerstiftungen und der H&M Foundation wieder. Living in a box. Psychosoziale Folgen des Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder Eine Recherche 3 Vorwort „Wir verlassen das Zimmer, gehen raus durch die Schleuse und vorbei an den Securities und den Gitterzäunen, das Taxi ist gerufen. Erdrückt von den Eindrücken, der Perspektivlosigkeit, der Hilflosigkeit. Wir warten, kein Taxi kommt, kein Weg führt hier weg, den man gut zu Fuß gehen könnte. Zum Bahnhof sind es 20 Minuten mit dem Auto. Direkt vor dem Ausgang liegt die Bundesstraße, viel befahren, kein Gehweg an ihren Seiten. Eine Mutter mit ihren zwei Töchtern hat uns beim Hereinkommen berichtet, dass sie ihre Töchter die 20 Minuten zum Bus auf der Bundesstraße immer begleite, damit die zwei in die Regelschule gehen können. Alleine möchte sie die Mädchen nicht gehen lassen. Die Familie wurde schon früher beraten, als sie noch in einer anderen Unterkunft gelebt haben. Der Tochter, die einen inoperablen Tumor im Gehirn hat und deshalb unter epileptischen Anfällen leidet, wurde eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Sie leben seit zwei Jahren in Deutschland in verschiedenen Unterkünften, seit 7 Monaten sind sie hier in der Massenunterkunft. Ob sie die Unterkunft in naher Zukunft verlassen können, wissen sie nicht. Ein Mitarbeiter gesteht uns nach dem Gespräch mit der Familie, dass er sich manchmal fragt, was seine Hilfe der Familie noch bringe. Mit der Erkrankung der Tochter gebe es für die Familie im Herkunftsland keine Perspektive, die medizinische Unterstützung sei natürlich hier viel besser. Aber perspektivisch gebe es keine gesundheitliche Besserung, das Mädchen wird mit dem Tumor vermutlich nicht alt werden. Und die Familie habe ohne die Krankheit der Tochter keine Bleibeperspektive. „Solche Schicksale gibt es viele und doch beschäftigen dich alle, sie lassen dich nicht los“, sagt er, als die Familie weiterläuft. Wir warten weiter, ein Mitarbeiter zerpflückt neben der Schleuse ein Brötchen und wirft die Bröckchen auf die Wiese. Warum? Keine Ahnung. Ist man wieder draußen vor dem Zaun, wirkt es mehr als verständlich, dass Mitarbeiter*innen an ihre eigenen Grenzen stoßen, nicht mehr wissen, was sie den Leuten eigentlich sagen sollen. Wie Hoffnung machen, wenn es nur Hoffnungs- und Hilflosigkeit um dich herum gibt? Wir sind beide von einem einzigen Tag in dieser Unterkunft überfordert und haben selbst nur am Rande von den Schicksalen der Menschen erfahren. Unglaublich, wenn man sich dann vorstellt, dass manche Menschen hier bereits seit über 3 Jahren wohnen.“ 4 Die Debatte um die Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften hat sich in Deutschland durch die Einführung des sogenannten Anker-Konzeptes verändert. Im Kern sieht dieses Konzept vor, die Prozesse der Aufnahme, des Asylverfahrens und der Rückführung räumlich in einer Massenunterkunft zu bündeln. Befürworter*innen des Konzepts betonen, dass die Verfahren für möglichst viele Schutzsuchende schneller, effizienter und qualitativ hochwertiger vollzogen werden können und auch Asylsuchende selbst davon profitieren, weil sie in kürzester Zeit Klarheit über ihre Perspektive erhalten. Expert*innen aus Wissenschaft und psychosozialer Praxis verweisen jedoch darauf, dass sich die Lebensbedingungen in Massenunterkünften negativ auf die Gesundheit und die Integration von Geflüchteten auswirken können. Studien zeigen, dass auch die kindliche Entwicklung durch die Unterbringung in Massenunterkünften in vielfacher Weise ungünstig beeinflusst wird. In dieser Recherche geht die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) der Frage nach, wie die Unterbringung in Massenunterkünften sich auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Sie stützt sich auf eine Auswertung der wissenschaftlichen Fachliteratur sowie auf Interviews mit Expert*innen aus der Arbeit mit jungen Geflüchteten. Es werden Risiko- und Schutzfaktoren herausgearbeitet und entsprechende Handlungsbedarfe abgeleitet. Wir danken an dieser Stelle allen Personen, die wir für diese Recherche interviewen durften. 5 Grußwort Liebe Leser*innen, als die Diskussion um Ankerzenten in der Politik im Jahr 2018 begann, haben wir uns als Psychosoziale Zentren für Geflüchtete viele Sorgen um diese Entwicklung gemacht. Wie können wir den Menschen in diesen Ankerzentren helfen? Wie können wir traumatisierten Flüchtlingen psychosoziale Unterstützung anbieten, wenn sie dort untergebracht sind? Gerade dann, wenn für sie kaum Kontakt in eines der bundesweit 42 Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer möglich ist? Können und wollen wir unsere Hilfe vor Ort in diesen Ankerzentren anbieten, wenn wir diese eigentlich als Unterbringungsart für geflüchtete Menschen ablehnen? Wir haben in Bayern trotz unserer Bedenken einen Versuch gewagt. Im Jahr 2019 hat Refugio München in der Anker-Einrichtung in Manching regelmäßig Gruppen mit kunsttherapeutischen Angeboten für Kinder angeboten. Es gab im Lager keine Kinderbetreuung durch Fachkräfte und die Kinder nahmen unser Angebot mit Begeisterung an. Immer wieder wurde in den Stunden deutlich, wie sehr die Kinder sich nach einem Schutzraum sehnen. Wie sehr sie ein Bedürfnis nach Ruhe, Rückzug und Intimsphäre haben. All das finden sie über Wochen und Monate nicht in diesem großen Lager mit seiner Erwachsenen-Welt. Wir brachten zu einer Gruppensitzung 20 große Kartons mit, um mit den Kindern kleine Häuschen zu bauen. Sie sollten ihre Sehnsucht nach einem „sicheren Ort“ im Ansatz umsetzen können. Viele Kinder waren sofort dabei. Jedes Kind wollte sei eigenes Haus bauen. Sie zeichneten eifrig Fenster und Türen. Wir halfen mit einem Cutter beim Ausschneiden, Zusammenkleben und Dach fixieren. Die Häuser wurden vielfach außen bemalt oder verziert. Es kamen immer mehr Kinder und wollten unbedingt mitmachen. Am Ende bezogen sie ihre Häuser und richteten sich ein. Ein kurzer Moment der Ruhe und Sicherheit. So könnte er für diese Kinder aussehen. Wäre da nicht das Lager-Leben mit all seinen Einschränkungen, seiner Kargheit, seinen Unsicherheiten, Uniformen und allem, was eine Massenunterkunft der Erwachsenen mit sich bringt. 6 Am Ende wollte jedes Kind sein Haus ins eigene Zimmer mitnehmen. Sie haben ihr Zuhause quasi in Sicherheit gebracht. Wenigstens ein Stück Geborgenheit. Diese Recherche nimmt – endlich will man sagen – geflüchtete Kinder in Massenunterkünften in den Fokus der Aufmerksamkeit. In einer umfassenden und fachlichen Weise wird dargestellt, was wir in unserer Gruppenstunde so emotional erlebt haben: Massenunterkünfte sind kein kindgerechter Ort. Und wenn es diese Unterkünfte zu Beginn des Lebens in Deutschland aus praktischen Gründen geben muss, dann muss die Zeit des Aufenthalts so kurz wie möglich und die Bedingungen so gut wie nur denkbar sein. Diese Gedanken müssen uns leiten. Vielen Dank an die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle der BAfF und ihre Geldgeber, dass diese dringend notwendige Publikation entstanden ist. Möge sie zum Nachdenken anregen. Möge sie vor allem zum Handeln anregen! Jürgen Soyer Geschäftsführer Refugio München Beisitzer im Vorstand der BAfF e.V. Fotos von Refugio München 7 Inhaltsverzeichnis Corona in Sammelunterkünften. Psychische Auswirkungen auf Bewohner*innen ............10 1. Aufnahme – Entscheidung – Rückführung: Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften............................................................. 12 Aufenthaltsdauer in Massenunterkünften..............................................................................13 2. Recht auf Schutz...................................................................................... 14 3. Methodik................................................................................................. 16 4. Räumliche Bedingungen | Rückzugsräume ................................................. 17 5. Kindgerechte Angebote............................................................................. 18 6. Kindgerechte Ernährung........................................................................... 18 7. Ruhestörungen und Bedrohungssituationen............................................... 20 8. Risiko- und Schutzfaktoren psychischer Gesundheit.................................... 22 Traumatisierungen als Risikofaktor........................................................................................23 Folgen traumatischer Erlebnisse im Kindes- und Jugendalter................................................................... 24 Sequentielle Traumatisierung............................................................................................................................ 24 Lebenssituation und Postmigrationsstressoren junger Geflüchteter...................................25 9. Frühe Identifizierung psychischer Belastung und Betreuung........................ 26 10. Gesundheitsversorgung in Massenunterkünften........................................ 30 Zwischenfazit......................................................................................................................................................... 34 11. Soziale Netzwerke.................................................................................. 36 12. Zugang zu Bildung.................................................................................. 37 13. Zusammenarbeit mit Eltern..................................................................... 40 14. Diskriminierungserfahrungen.................................................................. 41 15. Psychosoziale Unterstützung für Kinder in Massenunterkünften................. 43 Integration von Schutzfaktoren in das Unterkunftskonzept..................................................44 Das Projekt „Step-by-Step“: Betreuung von traumatisierten Geflüchteten in der Erstaufnahmeeinrichtung „Michaelisdorf“ in Darmstadt............................................................................................................. 44 Niedrigschwellige psychosoziale Versorgung in Aufnahmeeinrichtungen...........................44 Unterstützungsangebote in Ankerzentren .............................................................................45 Kunsttherapeutische Arbeit mit Kindern ........................................................................................................ 46 16. Empfehlungen........................................................................................ 48 Recht auf Schutz......................................................................................................................48 Räumliche Bedingungen.........................................................................................................48 Kindgerechte Angebote...........................................................................................................48 Kindgerechte Ernährung.........................................................................................................49 Ruhe und äußere Sicherheit....................................................................................................49 Soziale Netzwerke....................................................................................................................50 Bildung.....................................................................................................................................50 Zusammenarbeit mit Eltern....................................................................................................51 Diskriminierungserfahrungen.................................................................................................51 Frühe Identifizierung psychischer Belastung und Betreuung...............................................52 Gesundheitsversorgung in Massenunterkünften...................................................................53 Aufenthaltsdauer in Sammelunterkünften.............................................................................54 17. Fazit...................................................................................................... 55 18. Literatur................................................................................................ 57 Editorial Corona in Sammelunterkünften. Psychische Auswirkungen auf Bewohner*innen Die vorliegende Recherche wurde in gesundheitsund migrationspolitisch hochbrisanten Zeiten verfasst. Es ist eine Zeit, in der schon überholt ist, was gestern noch undenkbar erschien und unsicher, was gestern noch sicher war. Die Lage an den Außengrenzen Europas und in den Lagern in Griechenland ist katastrophal und durch die Covid-19-Pandemie verschlechtert sie weiter. Alle sind damit beschäftigt, sich über die Regelungen bezüglich Covid-19 zu informieren und diese umzusetzen. Doch dies ist in Sammelunterkünften für Geflüchtete unmöglich. In den Unterkünften herrscht große Angst vor Ansteckung, die Quarantänezimmer reichen nicht aus, mehrsprachige aktuelle Informationen sind vielerorts nicht verfügbar. Die vielerorts bereits massiven gesundheitlichen und psychosozialen Beeinträchtigungen, die mit der Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften einhergehen, spitzen sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland existentiell zu. Während „Zu-Hause-Bleiben“ für viele Menschen mit dem Rückzug an einen sicheren Ort gleichzusetzen ist, sind Geflüchtete in Massenunterkünften allen Risikofaktoren ausgesetzt, die im Moment dringend vermieden werden sollen. Soziale Distanzierung, Selbstquarantäne und die Einhaltung von Hygienestandards sind durch die räumliche Enge und die fehlende Privatsphäre in den Sammelunterkünften in der Regel nicht realisierbar. Die Ausgangsbeschränkungen treffen Geflüchtete hart, da es in den Lagern keine privaten Rückzugsorte gibt. Alle Tore sind geschlossen, kein*e Bewohner*in darf die Unterkunft verlassen. „Zwei miteinander spielende Kinder sind von einem Security-Mitarbeiter auseinandergerissen worden und auch alle Spielplätze und andere öffentlichen Bereiche auf dem Unterkunftsgelände sind geschlossen worden.“ (IP28) Kinder dürfen oft auch auf dem Gelände der Einrichtung nicht mehr miteinander spielen, das vorhandene Spielzeug ist knapp und die (ehrenamtlich organisierten) Bastel-, Spiel- und Bewegungsangebote können nicht mehr stattfinden. Langeweile, Ängste und Sorgen sind die Folge. „Das Eingesperrtsein, das Maskentragen oder auch leere Supermarktregale können für Menschen mit Traumafolgestörungen Trigger sein und Retraumatisierungen aus10 lösen. Ihr psychischer Zustand verschlechtert sich deutlich. Alleinerziehende Mütter zum Beispiel haben große Angst davor, sich anzustecken und zu sterben und dadurch ihre Kinder alleine zu lassen.“ (IP29) Viele Kinder und Jugendliche müssen in diesen Zeiten verstärkt miterleben, wie ihre Eltern wieder psychisch instabiler werden und fühlen sich der Situation oft hilflos ausgeliefert. „Unsere Klient*innen sind durch die momentane Situation sehr eingeschüchtert. Sie haben gehört, dass sie dafür bestraft werden können und gehen gar nicht mehr auf die Straße.“ (IP30) „Ein Klient berichtet, er habe Handyguthaben gebraucht, sei aber nicht hinausgegangen, um es zu kaufen, weil er dachte er darf das nicht. Er hatte Angst davor Bußgeld zahlen zu müssen.“ (IP31) Durch die verstärkten Reglementierungen und Freiheitseinschränkungen verschärfen sich die psychischen Probleme, mit denen viele zu kämpfen haben. „Es bestehen diffuse Ängste die sich ungünstig mit Ängsten mischen, die auch vorher schon bestanden. Diese werden verstärkt durch alte Erfahrungen, wie früher von staatlicher Seite mit Fehlverhalten umgegangen wurde.“ (IP29) Kontakt nach außen, unter anderem auch zu Beratungs- und Behandlungsstellen besteht dann nur noch über das Internet. Die Kapazitäten des Internets stoßen aber schon im Normalfall an ihre Grenzen. Unter den aktuellen Bedingungen fehlt es Geflüchteten umso mehr an den notwendigen digitalen Voraussetzungen. Kinder erleben ihre belasteten, verunsicherten Eltern und verstehen noch viel weniger, was sie da gerade bedroht und warum sie nicht mehr in die Schule oder draußen zusammen spielen können. Für junge Geflüchtete bestehen große Probleme auch weiterhin Bildungsangebote wahrzunehmen. Durch keine oder schlechte Internetverbindungen wird ihnen das Lernen deutlich erschwert. Hausaufgaben können nicht hoch- oder heruntergeladen werden, der Kontakt zu Gleichaltrigen bricht weg, es bestehen kaum Möglichkeiten die Sprache weiterzulernen. So ist zu erwarten, dass geflüchtete Kinder mit dem Schulstart ein noch größeres Lerndefizit aufzuholen haben. Andere (ehrenamtliche) Kurse, Sport- oder Unterstützungsangebote gibt es nicht mehr, da keine Ehrenamtlichen mehr in die Unterkünfte kommen können. Die Isolation der jungen Geflüchteten potenziert sich. Hinzu kommt, dass seit Beginn der sozialen Isolation weltweit ein Anstieg von Angriffen und häuslicher Gewalt zu verzeichnen ist. In China habe sich nach Angaben von Frauenrechtsorganisationen die Zahl der Notrufe von Frauen an Hilfseinrichtungen verdreifacht (Nimz, 2020). Unter diesen Lebensbedingungen und der räumlichen Enge ist auch bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen ein Anstieg von häuslicher Gewalt zu erwarten. Die aktuelle Situation in den Unterkünften von Geflüchteten während der Covid-19-Pandemie zeigt, dass die akute Anspannung und die Gesundheitsgefährdungen bei Geflüchteten noch lange Nachwirkungen haben werden. Sie zeigt auch, dass die Unterbringung von Geflüchteten massiv entzerrt werden muss. Die Verpflichtung, in Sammelunterkünften zu leben, ist nicht nur für die öffentliche Gesundheit, d. h. die Entwicklung der Pandemie, problematisch. Auch im Einzelfall kann dies eine erhebliche Gesundheitsgefahr für die Bewohner*innen darstellen. Dies haben inzwischen auch erste Verwaltungsgerichte (VG) so bestätigt.1 So hat unter 1 anderem ein Bewohner einer Erstaufnahmeeinrichtung in Nordsachsen glaubhaft gemacht, dass es ihm nicht möglich ist, einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten: Er war mit einer weiteren Person in einem zwei mal zwei Meter großen Zimmer untergebracht und musste Toiletten, Duschen und Küche gemeinsam mit 50 weiteren Personen nutzen. Das Verwaltungsgericht Leipzig hat am 22.04.2020 beschlossen, die Wohnverpflichtung für ihn zu beenden. Nach § 49 Abs. 2 AsylG kann die Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, etwa aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge beendet werden – dies geschah hier nicht nur zur Seuchenprävention, sondern insbesondere auch zum Schutz des Betroffenen selbst vor einer Ansteckung. Eine Erkrankung hätte eine erhebliche Gesundheitsgefahr für ihn zur Folge. Diese Recherche war bereits im Februar 2020 abgeschlossen. Die aktuellen Entwicklungen konnten wir daher nur in diesem Editorial aufgreifen. Doch an der Aktualität des Berichts und den Empfehlungen der BAfF verändert die aktuelle Situation nichts: Bereits vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie zeichnete sich deutlich ab, dass die Unterbringung geflüchteter Kinder in Massenunterkünften weitreichende Konsequenzen für ihre körperliche und psychische Gesundheit haben kann. Es ist dringend nötig, für geflüchtete Menschen gesunde und sichere Lebensbedingungen zu schaffen. VG Leipzig, Beschluss vom 22.04.2020 - 3 L 204/20.A; VG Dresden, Beschluss vom 24.04.2020 – 11 L 269/20.A; VG Dresden, Beschluss vom 29.04.2020 – 13 L 270/20.A; VG Chemnitz, Beschluss vom 30.04.2020 – 4 L 224/20.A. Foto von congerdesign | pixabay.de 11 1. Aufnahme – Entscheidung – Rückführung: Unterbringung von Geflüchteten in Massenunterkünften Die Regierungsparteien haben Anfang 2018 beschlossen, im Verlauf der aktuellen Legislaturperiode bundesweit zentrale Aufnahme-, Entscheidungsund Rückführungseinrichtungen zu installieren. In diesen Einrichtungen sollen je bis zu 1.500 Personen untergebracht werden können. Geflüchtete sollen bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens – bei einer Ablehnung bis zur Abschiebung – in diesen Unterkünften verbleiben. Auf die Kommunen verteilt werden nur noch Menschen mit positiver Bleibeperspektive. Während der Zeit in der Aufnahmeeinrichtung wird die Bewegungsfreiheit der Asylsuchenden eingeschränkt, sie unterliegen der Residenzpflicht und dürfen nicht arbeiten. Die bundesweite Umsetzung dieses sog. Anker-Konzeptes sollte bis zum 1. September 2021 erfolgen. Da das Konzept jedoch in der öffentlichen wie in der Fachdebatte, vor allem aber zwischen den Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen kontroverse Diskussionen nach sich zog, existieren zum aktuellen Zeitpunkt lediglich in drei Bundesländern Einrichtungen, die explizit als Ankerzentren definiert wurden. Im August 2018 wurden die ersten 7 Ankerzentren in Bayern eröffnet beziehungsweise als solche ernannt. Es folgte je eine Einrichtung im saarländischen Lebach sowie in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. „Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, brauchen Asylverfahren, die schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden. Deren Bearbeitung erfolgt künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen, in denen BAMF, BA, Jugendämter, Justiz, Ausländerbehörden und andere Hand in Hand arbeiten. In den Anker-Einrichtungen sollen Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung (Anker) stattfinden.“ „Wir streben an, nur diejenigen auf die Kommunen zu verteilen, bei denen eine positive Bleibeprognose besteht. Alle anderen sollen, wenn in angemessener Zeit möglich, aus diesen Einrichtungen in ihre Heimatländer zurückgeführt werden.“ (Koalitionsvertrag S. 105) Alle weiteren Bundesländer führen bis heute keine Unterkünfte unter dem Namen „Ankerzentrum“, argumentieren aber zum großen Teil, dass ihre Aufnahmeeinrichtungen beziehungsweise Ankunftszentren bereits „funktionsgleich“ wären, also vergleichbare Strukturen zur Bündelung von Aufnahme, Entscheidung und gegebenenfalls Rückführung vorweisen würden. „So antwortet das Innenministerium von Schleswig-Holstein auf die Anfrage des Bayerischen Rundfunks, die Struktur der Ankunftszentren in Schleswig-Holstein erfülle bereits die gewünschten Anforderungen. Aus Baden-Württemberg heißt es, es gebe mit dem Ankunftszentrum in Heidelberg und den vier Landeserstaufnahmeeinrichtungen ein „erfolgreiches Modell“, das „dem Prinzip nach für die 'Ankerzentren' ein Stück weit Pate“ stand. Und Niedersachsen antwortet: „Hier passiert schon seit Längerem, was sich Horst Seehofer für die 'Ankerzentren' wünscht. Die Einrichtungen in Niedersachsen sind funktionsgleich mit den sogenannten 'Ankerzentren'.“ 12 Ganz ähnlich äußern sich andere Bundesländer: „'Ankerzentren' im Sinne des Koalitionsvertrags (…) wird es in Berlin nicht geben. Allerdings erfüllen die Berliner Erstaufnahmeeinrichtungen die wesentlichen Anforderungen des Bundes an die Funktionsgleichheit“, heißt es in der Antwort aus Berlin. Hessen schreibt: „Das, was in einem Ankunftszentrum zu tun ist, geschieht modellhaft in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen schon lange.“ aus: Pilotprojekt „'Ankerzentren'. Es geht doch nur um einen Namen“. Stand: 02.02.2019 03:11 Uhr. Zugriff unter: https://blog.ard-hauptstadtstudio.de/ asylpolitik-ankerzentren-101 [28.12.2019] Aufenthaltsdauer in Massenunterkünften Asylsuchende sind grundsätzlich verpflichtet, bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag und im Falle der Ablehnung bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebung in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 47 Abs. 1 AsylG). Diese Pflicht ist jedoch befristet. Die maximale Aufenthaltszeit, zu der Asylsuchende verpflichtet werden können, beträgt im Regelfall bis zu 18 Monate. Allerdings besteht für die Länder die Möglichkeit, die Wohnverpflichtung durch eine ländereigene Regelung auf bis zu 24 Monate zu verlängern (§ 47 Abs. 1b AsylG). Für Familien, also Kinder und ihre Eltern sowie volljährige ledige Geschwister, gilt eine maximale Aufenthaltszeit von bis zu sechs Monaten. Bis zum Jahr 2015 durften Asylsuchende nur bis zu sechs Wochen, längstens jedoch bis zu drei Monaten verpflichtet werden, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Daraufhin folgte eine Ausweitung der Lagerpflicht auf bis zu 6 Monate. Mit Inkrafttreten des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“ im August 2019 wurden die möglichen Aufenthaltszeiten nun noch einmal verdreifacht. Geflüchtete werden in diesen Fällen nicht in die Kommunen verteilt, sondern z. B. lediglich von einem Gebäudeabschnitt, der formal zum Ankerzentrum gehört, in einen anderen Trakt verlegt, der formal als Gemeinschaftsunterkunft gilt. De facto wechseln sie also lediglich ihr Zimmer, ohne dass sich an ihren Lebensbedingungen, ihren Integrationsperspektiven oder ihrer Versorgungssituation etwas ändert. Damit sind Massenunterkünfte auch für Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien nach Deutschland geflohen sind, häufig für lange Zeit, oft für mehrere Jahre, der zentrale Lebensmittelpunkt. „Viele Menschen leben hier bis zu zwei Jahre, ich kenne Einzelfälle, die hier schon 3 Jahre sind. Meiner Erfahrung nach sind die Menschen nach ungefähr einem Jahr am Ende. Dann kann man nur noch sehr wenig tun. Die Konzentrationsspanne auch der älteren der Kinder in der Schule beträgt dann im besten Fall noch 10 Minuten.“ (IP22) Zugleich wurde festgeschrieben, dass Personen, denen die Verletzung bestimmter Mitwirkungspflichten vorgeworfen wird, auf unbestimmte Zeit der Lagerpflicht unterworfen sind. Selbiges gilt bereits seit Oktober 2015 für Personen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Formal müssen Geflüchtete spätestens nach Ablauf der zuvor genannten Zeiträume in Gemeinschaftsunterkünfte oder dezentrale Unterkünfte umverteilt werden. Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass einige Einrichtungen für diesen Zweck einzelne Gebäudeabschnitte der Unterkunft lediglich zur Gemeinschaftsunterkunft „umwidmen“. „Ein Teil des Containertraktes wurde einfach neu etikettiert. Dort steht nun Gemeinschaftsunterkunft drüber und die Geflüchteten werden von einem Container in die andere Containerreihe verlegt. Das ist gängige Praxis.“ (IP17) 13 Zahlen zur Unterbringung Im Jahr 2019 wurden in Deutschland für insgesamt 71.421 minderjährige Geflüchtete Asylanträge gestellt. Darunter waren 25.105 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter zwischen 6 und 18 Jahren (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2019). Auch unbegleitete minderjährige Geflüchtete fallen unter diese Zahl, die in der Regel nicht in Sammelunterkünften untergebracht werden. Die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen, bzw. der Inobhutnahmen waren zu Redaktionsschluss noch nicht bekannt, im Jahr 2018 waren es 12.201 unbegleitete Minderjährige (Statistisches Bundesamt, 2019). Geht man aber davon aus, dass auch 2019 etwa 11.000 unbegleitete junge Geflüchtete in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, wären es etwa 60.421 Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien 2019 zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen bundesweit untergebracht wurden, darunter etwa 14.105 Geflüchtete im schulpflichtigen Alter, da unbegleitete Minderjährige in der Regel das Alter von 6 Jahren meist überschritten haben. 2. Recht auf Schutz Geflüchtete begleitete Kinder und Jugendliche stehen im rechtlichen Spannungsverhältnis zwischen „universell“ geltenden Rechten wie die der UN-Kinderrechtskonvention und der nationalstaatlich orientierten Migrations- und Asylpolitik. Auf internationaler Ebene wurde in Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) festgeschrieben, dass „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt [ist], der vorrangig zu berücksichtigen ist“. Deutschland ist zudem verpflichtet, vulnerable Personen, darunter auch Minderjährige, zu identifizieren, ihnen die erforderliche Unterstützung zu gewähren und ihren Bedürfnissen während des Asylverfahrens Rechnung zu tragen (EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU, Art. 21 und 22). Diesen Anforderungen wird bis heute nur regional und in der Ausführung sehr unterschiedlich nachgekommen (vgl. u.a. Hager & Baron, 2017). Die Aufnahme-RL sieht in Art. 23/24 zudem bestimmte Unterstützungsmaßnahmen für Kinder vor. So muss Deutschland beispielsweise sicherstellen, dass Minderjährige Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen einschließlich altersgerechter Spiel- und Erholungsmöglichkeiten sowie zu Aktivitäten im Freien erhalten (EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/ EU, Art. 23 Abs. 3). Auch im Koalitionsvertrag beabsichtigt die Bundesregierung, in Aufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren eine geschlechter- und jugendgerechte Unterbringung zu gewährleisten. Das Asylgesetz verpflichtet die Länder, geeignete Maßnahmen zu treffen, um bei der Unterbringung den Schutz von 14 Frauen und schutzbedürftigen Personen zu sicherzustellen (§44,2a AsylG). Ein bundesweites Konzept, das vorschreibt, wie genau diesen Rechten unter den Bedingungen einer Sammelunterbringung Rechnung getragen werden soll, existiert bislang jedoch noch nicht. Die Bedarfe und Rechte von geflüchteten Kindern und ihren Familien werden deshalb vielerorts noch nicht ausreichend beachtet. Um den Schutz geflüchteter Menschen auch in Unterbringungskonzepte zu integrieren, hat die Bundesinitiative „Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“, koordiniert von UNICEF und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), im Juli 2016 „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ veröffentlicht. Die Standards gelten als Leitlinien für die Erstellung, Umsetzung und das Monitoring von einrichtungsinternen Schutzkonzepten in jeder Form von Flüchtlingsunterkünften. Die Maßnahmen zu Schutz und Teilhabe sowie Entwicklungs- und Integrationsmöglichkeiten sollen in ALLEN Flüchtlingsunterkünften in Deutschland umgesetzt und eingehalten werden. Insbesondere für geflüchtete Kinder und Jugendliche solle ein schützendes und förderndes Umfeld bereitgestellt werden. Kinderfreundliche Orte und Angebote (siehe Kasten) müssten fester Bestandteil der Unterkünfte sein. Die aktuelle Version der Mindeststandards findet sich unter: https://www.gewaltschutz-gu.de/ publikationen/mindeststandards In einigen Bundesländern gibt es darüber hinaus Gewaltschutzkonzepte, die sich teilweise an den Mindeststandards orientieren. Ein Überblick ist unter https://www.gewaltschutz- gu.de/publikationen/schutzkonzepte zu finden. Allerdings wird von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen in einigen Fällen kritisiert, dass diese Konzepte nicht umgesetzt werden und weit hinter den Mindeststandards des Bundes zurückbleiben. Auch erste Studien zur Situation von geflüchteten Kindern in Aufnahme-, Not- und Gemeinschaftsunterkünften verweisen auf gravierende Mängel bei der Umsetzung ihrer Rechte (Fried et al., 2018; Lewek & Naber, 2017; Wihstutz et al., 2019). Trotz Unterbringungs-TÜVs (Spiegel et al., 2018) und Mindeststandards zum Gewaltschutz (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend & UNICEF, 2018) würden insbesondere das Recht auf Schutz, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Bildung, das Recht auf Privatsphäre sowie Beteiligungsrechte oft verletzt. Kinderfreundliche Orte Das Konzept der kinderfreundlichen Orte (child friendly spaces, CFS) ist ein seit vielen Jahren international etabliertes Konzept zur Unterstützung von Kindern in Not- und Krisensituationen. Diese werden in Unterbringungseinrichtungen meist von Nicht-Regierungsorganisationen organisiert. Kinderfreundliche Orte und Angebote sollen zum Schutz von Kindern dienen und das Kindeswohl wahren bzw. stärken (Fichtner, 2018), in dem ein förderndes Umfeld geschaffen wird und durch pädagogisch geschulte Fachkräfte strukturierte Spiel-, Freizeit- und Lernaktivitäten angeboten werden. Neben der Betreuung der Kinder, ist das Fachpersonal auch beim Erkennen von Entwicklungsverzögerungen bzw. -störungen oder Kindeswohlgefährdung von besonderer Bedeutung. Auch die Arbeit mit Eltern soll ein fester Bestandteil des Konzepts sein, um mit den Eltern ins Gespräch zu kommen und die Bindung zwischen Eltern und Kindern zu stärken. Foto von Esi Grünhagen | pixabay.de 15 3. Methodik Die BAfF geht in der vorliegenden Recherche der Frage nach, welche Konsequenzen aus den erhobenen Daten für die psychische Gesundheit geflüchteter Kinder in großen Sammelunterkünften zu erwarten sind. Sie stützt sich auf eine Auswertung der wissenschaftlichen Fachliteratur sowie auf Praxisdialoge, die mit Expert*innen zur Situation geflüchteter Minderjähriger geführt wurden. Die Expert*innen waren entweder selbst durch ihre Arbeit in Sammelunterkünften mit geflüchteten Kindern und ihren Familien in Kontakt oder durch ihre Tätigkeit in externen Beratungs- oder Versorgungsangeboten eng mit der Unterbringungssituation ihrer Klient*innen vertraut. Insgesamt hat die BAfF im Verlauf des Jahres 2019 mit 27 Personen gesprochen, entweder in Einzelbegegnungen oder im Rahmen von Gruppeninterviews. Darunter waren 4 Bewohner*innen, die selbst als geflüchtete Personen in einer Sammelunterkunft lebten, sowie Expert*innen aus verschiedenen Unterstützungsangeboten und mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen (darunter Psychologische Psychotherapeut*innen, Sozialarbeiter*innen, Ärzt*innen, Kunsttherapeut*innen, Sozial- und Politikwissenschaftler*innen). Um die Anonymität der Befragten zu gewährleisten, wurde auf eine namentliche Nennung, geographische Zuordnung und häufig auch auf eine Angabe der konkreten Berufsbezeichnung verzichtet, Her- kunftsländer und Alter der befragten Bewohner*innen wurden geändert. Die Erhebung ist nicht repräsentativ und erhebt nicht den Anspruch, ein umfassendes Bild über die Situation in allen Sammelunterkünften zu geben. Auch kamen geflüchtete Kinder und Jugendliche selbst nur in sehr geringem Umfang zu Wort. Dennoch liefert die Recherche einen detaillierten Einblick in die Unterbringungs- und Versorgungspraxis. Es wird dargestellt, wie die in Untersuchungen (Jasper et al., 2018; Lechner & Huber, 2017; Lewek & Naber, 2017) beschriebenen Faktoren im Bereich der baulichen und organisatorischen Bedingungen, der Angebote speziell für Kinder und Jugendliche, der Strukturen zur frühen Identifizierung besonders vulnerabler Personen, der Gesundheitsversorgung, des Zugangs zu Bildung und der Zusammenarbeit mit Eltern in der Praxis wahrgenommen werden. Darüber hinaus wird auf den Einfluss von Diskriminierungserfahrungen eingegangen, von denen geflüchtete Kinder und Jugendliche in und außerhalb der Unterkünfte berichten. Auch Projekte zur psychosozialen Unterstützung von Geflüchteten in Sammelunterkünften werden in einem eigenen Kapitel vorgestellt. Die Erfahrungen der Praxispartner*innen werden im Kontext der Befunde zu Risiko-. und Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen eingeordnet und als Grundlage für die Ableitung von Handlungsbedarfen und Empfehlungen genutzt. Foto von BAfF e.V. 16 4. Räumliche Bedingungen Rückzugsräume In den Praxisdialogen, die die BAfF geführt hat, wurde deutlich, dass bereits grundlegende Faktoren wie schlechte räumliche und organisatorische Bedingungen negative und destabilisierende Effekte für die Gesundheit und Entwicklung der Heranwachsenden haben können. Die Situation einer jungen Frau aus Afghanistan, die bereits seit 9 Monaten zu fünft mit ihren Kindern in einem winzigen Raum wohnt, veranschaulicht, was es für die Entwicklung von Kindern bedeutet, wenn sie langfristig auf engstem Raum mit dauerhaft erhöhtem Lärmpegel und ohne kindgerechte Tagesstruktur untergebracht werden. Ähnlich wie in weiteren Untersuchungen(Lewek & Naber, 2017) beschrieben die Gesprächspartner*innen, wie der Mangel an Rückzugsorten dazu führe, dass Kinder keine Ruhe zum Lernen oder Spielen | fänden und Familien aufgrund der räumlichen Nähe Angst vor Konflikten hätten. Ältere Kinder wünschten sich ein eigenes Zimmer, um in Ruhe die Sprache lernen, ihre Hausaufgaben machen und Raum für sich selbst haben zu können (vgl. auch Lechner & Huber, 2017). Problematische Implikationen ergeben sich daraus nicht nur für das individuelle Wohlbefinden der Heranwachsenden. Auch die schulischen Leistungen von Kindern seien oft damit verbunden, ob sie regelmäßig einen ruhigen Ort der Konzentration für ihre Hausaufgaben finden (vgl. Boverket 2008, zit. nach Zito, 2017). Fehlende Rückzugsorte in Massenunterkünften führten demzufolge nicht nur dazu, dass Kinder sich psychisch schwerer stabilisieren könnten; sie beeinträchtigten auch ihre Bildungslaufbahn und damit ihre Zukunftsperspektiven (vgl. Tonheim et al. 2015; zit. nach Zito, 2017). „Niemand kann hier gut schlafen.“ Eine junge Frau aus Afghanistan lebt bereits seit 9 Monaten in einem Zimmer mit ihren vier Kindern (1 Jahr, 5 Jahre, 8 Jahre und 12 Jahre). Sie hat – bevor sie nach Deutschland kam – 9 Jahre mit ihren Kindern in Italien gelebt, nur der Älteste ist bereits in Afghanistan geboren. Die Bedingungen sind sehr belastend für die Kinder und die Mutter. Sie leben zu fünft zusammen in einem winzig kleinen Zimmer. „Es braucht nur 5 Minuten, die wir alle miteinander in diesem Raum sind, und die Kinder fangen an zu streiten. Das war früher nicht so.“ (IP18) Dann erzählt sie, wie das Verhalten ihrer Kinder sich in der Unterkunft verändert habe: Der Älteste und der jüngste Sohn seien viel aggressiver geworden, der Mittlere fange an zu lügen. „Niemand kann hier gut schlafen, es ist immer laut nachts, überall redet jemand oder läuft herum oder Kinder schreien die ganze Nacht. Das Essen schmeckt den Kindern auch nicht. Manchmal gehe ich noch extra Brot und Milch kaufen, damit sie überhaupt was essen.“ (IP18) Sie putze in der Unterkunft, vier Stunden am Tag und erhalte am Ende der Woche 22 Euro dafür. „Von dem Geld können wir dann mal draußen was essen. Dann sind die Kinder zumindest einmal kurz zufrieden. Aber wenn es wieder zurückgeht, geht alles wieder von vorne los. Oft schlagen die Jungs ihre kleine Schwester – sie haben einfach nichts Sinnvolles zu tun hier. In der Schule werden sie auch nicht gefördert.“ (IP18) Es sei für sie nicht nachvollziehbar, warum sie alle bereits so lange auf engstem Raum untergebracht sind und nicht die Möglichkeit haben, irgendwo anders hinzukommen. Oder eine Ablehnung zu erhalten, so dass sie woanders weiterleben können. Die Ungewissheit setze allen sehr zu. 17 5. Kindgerechte Angebote Aus einer dänischen Studie ist bekannt, dass lang andauernde Zeiten des Wartens und der Langeweile in Flüchtlingsunterkünften bei Kindern zu Rastlosigkeit, Ohnmacht und Verzweiflung führen können (Vitus, 2010; zit. nach Zito, 2017). Freizeitaktivitäten wie Spiel, Sport, Tanz und Musik hingegen fördern sowohl die körperliche Gesundheit als auch das psychische Wohlbefinden. Studien aus Konfliktoder Post-Konflikt-Settings zeigen, dass sie Kindern Momente der Entspannung ermöglichen und damit heilsame Effekte haben können (vgl. Kalksma-van Lith et al. 2007; zit. nach Zito, 2017). Auch Konflikte, Gewalt und Drohungen würden durch Freizeitangebote in Flüchtlingsunterkünften reduziert (vgl. Probasamfunnsanalyse 2014; zit. nach Zito, 2017). In den Praxisdialogen wurden die Ausstattung und das Freizeitangebot der Unterkünfte von Ort zu Ort sehr unterschiedlich dargestellt. Für eine Einrichtung wurde beschrieben, dass es schlicht keine kindgerechten Spielräume beziehungsweise jugendgerechten Gemeinschaftsräume gebe. Dies steht im Widerspruch zu den Vorgaben gemäß Art. 23 der EU-Aufnahmerichtlinie. „Vor Ort herrscht eine kinderfeindliche Umgebung. Der Schutz von Kindern ist gleich Null. Die Einrichtung befindet sich auf einem weitläufigen Gelände ohne Spielplatz. Die Räume können nicht abgeschlossen werden.“ (IP9) Häufig sei auch unsicher, ob Bewohner*innen von den Angeboten in der Unterkunft wüssten oder es gebe zwar eine Vielzahl unregelmäßiger Aktivitäten, die Ehrenamtliche für Geflüchtete organisieren, der Turnus sei jedoch unklar. „Angeblich gibt es in der Unterkunft auch Filmabende, Theatergruppen und Zirkusgruppen, aber bisher hat mir noch keiner von meinen Klienten davon erzählt. Ich weiß gar nicht, ob die das überhaupt alle wissen.“ (IP12) Andernorts existiere zwar ein Kinderzimmer und es gebe Spielsachen, aber kein qualifiziertes Betreuungspersonal. Deshalb werde das Angebot nicht genutzt. Teils wird die Betreuungsstruktur für Kinder und Jugendliche durch Bewohner*innen selbst gestellt. Exemplarisch hat uns die „Kindergärtnerin“ Maria ihre Geschichte erzählt. Sie lebt selbst als Geflüchtete in einem Ankerzentrum und betreut dort für einen „Stundenlohn“ von 94 Cent die Kinder. „Mein Asylantrag wurde gerade abgelehnt. Ich weiß also nicht, wie lange ich mit meiner Tochter noch hier anzutreffen bin, weil ich das Land ja verlassen muss. Deshalb kann ich auch nicht garantieren, das nächste Mal in zwei Wochen bei der Kindergruppe dabei zu sein. Ich werde keinen Widerspruch einlegen. Was bringt das schon? Wenigstens komme ich mit meiner Tochter dann aus den Containern weg.“ (IP20) 6. Kindgerechte Ernährung Auch die Reglementierung der Mahlzeiten wurde in den meisten Unterkünften als Belastung thematisiert. Die Bewohner*innen fühlten sich in ihrer Autonomie eingeschränkt, meist werde ihnen untersagt, sich so zu verpflegen, wie es ihnen guttut oder sie es gewohnt seien. Eigene Kochmöglichkeiten existierten nicht, Lebensmittel dürften oft nicht mit in die Unterkünfte genommen werden. Die Mahlzeiten und die Essenszeiten seien vorgegeben. „Die Bewohner*innen werden beim Einund Ausgang registriert, ihre Taschen werden durchsucht, damit sie kein verbotenes Essen mit ins Lager bringen. Wenn einzelne Schüler*innen es geschafft haben, sich einen Platz in einer Regelschule einzuklagen, was sehr selten funktioniert, dann ist die Schule so weit weg, dass die Kinder sehr früh los müssen und spät zurückkommen. Sie können dann an den Mahlzeiten in der Unterkunft nicht teilnehmen, es gibt aber 18 auch keine alternative Möglichkeit, Essen zuzubereiten. Diese Kinder sind inzwischen mangel- oder unterernährt.“ (IP22) Auf Kinder mit besonderen Bedarfen aufgrund von Erkrankungen oder Behinderungen kann dabei häufig nicht eingegangen werden, wie die Geschichte einer 23-jährigen Mutter aus Tschetschenien mit ihren ca. 2-jährigen Zwillingen zeigt. Der Junge habe eine Art Muskelstörung oder Entwicklungsstörung oder Geburtsbehinderung. Sie sei alleine mit ihren zwei Kindern nach Deutschland gekommen, der Mann habe sich von ihr getrennt, als abzusehen war, dass der Junge behindert sei. Richtig ärztlich abgeklärt worden sei die Erkrankung des Kindes bisher im Ankerzentrum nicht. Die junge Frau leide auch darunter, dass sie ihr Kind nicht selbst verpflegen und versorgen darf. So sei es nicht möglich, dass sie sich selbst Mahlzeiten zubereite, obwohl klar sei, dass der Junge das Kantinenessen nicht vertrage, sondern spezielle Nahrung benötige. „Ich weiß nicht genau, was er hat. Das ist auch noch nicht richtig untersucht worden. […] Und das Schlimmste ist, dass er das Essen nicht verträgt. Er braucht spezielle Nahrung wegen seiner Krankheit. Aber es ist verboten, eigene Lebensmittel mitzubringen.“ (IP19) Wie auch in bislang veröffentlichten Recherchen (Lewek & Naber, 2017) zeigt sich an ihrem Beispiel, dass den Bedarfen von Kleinkindern durch die Versorgung über das Sachleistungsprinzip und den eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem nicht angemessen Rechnung getragen werden kann. Sachleistungsprinzip in Unterkünften Neben den gesetzlichen Bestimmungen zur Aufenthaltsdauer führt auch die strikte Anwendung des Sachleistungsprinzips zu einem faktischen Aufenthaltszwang in den Sammelunterkünften. Grundbedürfnisse können nur ortsgebunden in der Unterkunft erfüllt werden, so dass zeitgleich die Anwesenheit kontrolliert wird. Sich dem vorgegebenen Verpflegungsregime zu unterwerfen, wird dadurch verstärkt, dass es den Bewohner*innen z. B. in den Einrichtungen in Oberbayern untersagt ist, Kochgeräte sowie zum Kochen geeignete Speisen und Getränke zu besitzen. Die strikte Anwendung des Sachleistungsprinzips als Mittel der Kontrolle lässt sich den politischen Absichtserklärungen entnehmen. So heißt es in einer Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei vom 05. Juni 2018, Nr. 108 (abrufbar unter: https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2018/06/180605-ministerrat.pdf): „Bayern wird die Sozialleistungen für Asylbewerber, wo irgend möglich und rechtlich zulässig, von finanziellen Zahlungen auf Sachleistungen umstellen. […] Um jedoch keine falschen Anreize für eine zusätzliche Migration zu setzen, soll in Bayern insbesondere in den ANKER-Einrichtungen der Grundsatz gelten: Sachleistungen statt Geld. Alle verbliebenen Geldzahlungen werden in Bayern nun verstärkt auf den Prüfstand gestellt und künftig soweit als möglich durch Sachleistungen ersetzt. […] Bayern ist damit auf dem besten Weg, das Sachleistungsprinzip maximal umzusetzen.“ Foto von Ulrike Leone | pixabay.de 19 7. Ruhestörungen und Bedrohungssituationen Häufig werden Sammelunterkünfte aufgrund der räumlichen Begebenheiten vor allem von Frauen und insbesondere nachts als bedrohlich empfunden. Sie sind zusammen mit einer Vielzahl an fremden Personen untergebracht, die Sanitäranlagen werden gemeinschaftlich genutzt. Der Weg dorthin wird nachts von Frauen oft nicht allein beschritten, weil er ein Risiko für die persönliche Sicherheit darstellt. Alleinreisende Mütter nehmen ihre Kinder mit, um mit dieser Situation des Ausgeliefertseins und der Angreifbarkeit umzugehen. In einer der Einrichtungen gebe es zwar ein Frauenschutzhaus, das nur über einen speziellen Chip zugänglich ist. Aber das Konzept werde ausgehebelt, indem Steine in die Tür gelegt werden, um diese offen zu halten. Auch wir sehen das Gebäude bei unserem Besuch zufällig. Die Tür: offen. Die Straße davor: dunkel. Gegenüber: Stacheldrahtzaun. Dahinter: Außenzaun. Auch nächtliche Ruhestörungen gehören für die Bewohnenden von Sammelunterkünften zum Alltag. Sie stören häufig nicht nur den Schlaf, sondern signalisieren Bewohner*innen und ihren Kindern oft, dass sie sich weiterhin in einer Bedrohungssituation befinden. „Die Hausordnung sieht regelmäßige (nächtliche) Zimmerkontrollen durch den Sozialdienst zusammen mit der Security vor. Auch Kinder wachen dadurch natürlich auf und haben Angst – vor allem, wenn auch ihre Eltern ihnen nicht erklären können, was gerade passiert.“ (IP9) Die wahrgenommene Gefahrensituation wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass Bewohner*innen regelmäßig Razzien durch die Polizei und die Abschiebung anderer Geflüchteter miterleben müssen. „Es ist dauernd Polizei vor Ort. Das gehört zum Alltag dazu, dass nach Menschen gesucht wird, die abgeschoben werden sollen.“ (IP25) Auch für Menschen, die selbst (noch) nicht von einer erzwungenen Rückkehr in ihr Herkunftsland betroffen sind, führt das Miterleben der unfreiwilligen, meist nächtlich durchgeführten Abschiebungen anderer zu einer Situation permanenter Angst und Bedrohung. Dies sei für alle Bewohner*innen, insbesondere aber für Kinder und Jugendliche in den Unterkünften äußerst belastend. „Die Polizeieinsätze verängstigen alle. Es gibt zehnjährige Kinder, die einnässen, wenn die Polizei kommt.“ (IP25) Foto von cocoparisienne | pixabay.de 20 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Kinder in Sammelunterkünften durch die räumlichen und organisatorischen Bedingungen einer bedenklich hohen Anzahl von Risikofaktoren ausgesetzt sind: Die räumliche Enge, die fehlende Privatsphäre, die regelmäßigen Ruhestörungen, das Beobachten von Abschiebungen und die schlechten Ernährungsbedingungen wirken sich deutlich sowohl auf gesunde als auch schon durch traumatische Ereignisse belastete Kinder und Jugendliche aus. Weil es kaum kind- bzw. jugendgerechte Angebote gibt, stehen diesen Belastungen auch kaum Schutzfaktoren gegenüber, die Sicherheit und Verlässlichkeit bieten. Räume der Entspannung und Erholung existieren bislang nicht, das Stresslevel aller Bewohner*innen bleibt daher dauerhaft hoch. Die Betroffenen haben Angst vor erneuter Gewalt und Übergriffen, Diskriminierung und weiteren Konflikten. Sie haben oftmals das Gefühl, ausgeliefert zu sein und ihre Situation nicht kontrollieren zu können. Aus psychologischer Sicht birgt diese Situation die Gefahr, dass sich Gefühle wie Passivität, Hilflosig- keit und Ohnmacht – der die Kinder auch schon während traumatisierender Situationen ausgesetzt waren – wiederholen und somit Traumata aufrechterhalten. Die Unsicherheit besteht fort, sie bleiben im Gefahrenmodus. Gerade für traumatisierte Personen ist es ohne äußere Sicherheit aber kaum möglich, sich psychisch zu stabilisieren. Auch aus Sicht der Traumapädagogik kommen für die Heranwachsenden hier sehr ungünstige Konstellationen zusammen: Die Unterbringung hat einen enormen Einfluss auf das Wohlbefinden von jungen Geflüchteten. Damit traumatisierte Geflüchtete wieder ein Gefühl von Sicherheit und Selbstbestimmung gewinnen und sich stabilisieren können, wird sich in Jugendhilfeeinrichtungen intensiv mit der Gestaltung „heiler“ bzw. „sicherer Orte“ beschäftigt (vgl. Scherwath und Friedrich 2012, zit. nach (Zito, 2017). Auch in Sammelunterkünften bräuchte es räumliche Bedingungen und Gestaltungsspielräume, die Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, selbst aktiv zu werden, selbstbestimmt ihr Leben zu bestreiten und Verantwortung zu tragen. Unsicherheit vorprogrammiert: Hausordnungen in Sammelunterkünften Ein Blick in die Hausordnungen der Sammelunterkünfte verrät viel über die weitreichende Beschneidung der Freiheitsrechte ihrer Bewohner*innen. So hat die bayerische Landesregierung für alle Anker-Einrichtungen in Oberbayern am 10.08.2018 eine einheitliche Hausordnung erlassen (vgl. hierzu Drucksache 18/197, 2019, S. 4)2019, S. 197. Sie sieht unter anderem vor, dass die Sicherheitsdienste Zimmer jederzeit und auch in Abwesenheit der Bewohner*innen betreten dürfen, wenn ein konkreter Verdacht auf einen Verstoß gegen die Hausordnung besteht (vgl. Einheitliche Hausordnung, Abschnitt 5.7; nicht veröffentlicht). Sie sollen diese ferner in Ausübung des Hausrechts durchsuchen können, gleiches gilt für Spinde und sonstige Gegenstände (vgl. Einheitliche Hausordnung, Abschnitt 2.3; nicht veröffentlicht). Die Zugriffsmöglichkeiten werden dadurch erhöht, dass den Bewohner*innen grundsätzlich keine Zimmerschlüssel ausgehändigt werden (Einheitliche Hausordnung, Abschnitt 11.1; nicht veröffentlicht). Diese Bestimmungen sind in ihrer Uferlosigkeit verfassungswidrig (vgl. hierzu Cremer & Engelmann, 2018, S.17 ff.). Gemäß Art. 13 Abs. 7 GG (Grundgesetz) ist das Betreten eines Zimmers nur gerechtfertigt zur Abwehr einer Gemeingefahr (z. B. Brandgefahr) oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen sowie zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wenn hierfür eine spezielle gesetzliche Regelung geschaffen wurde. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Verdacht eines Verstoßes gegen die Hausordnung in den meisten Fällen nicht vor. Erst recht nicht verfassungskonform ist die nach Abschnitt 2.3 vorgesehene Möglichkeit, Zimmer ohne Weiteres zu durchsuchen. Dies setzt nach Art. 13 Abs. 2 GG grundsätzlich einen richterlichen Beschluss voraus. Insgesamt werden die Bewohner*innen der Befehlsgewalt der privaten Sicherheitsdienste unterstellt. So heißt es in der Hausordnung, diese „haben den Anweisungen des Betreibers, der Unterkunftsleistung sowie des Sicherheitsdienstes Folge zu leisten […]“ (vgl. Einheitliche Hausordnung, Abschnitt 3.2; nicht veröffentlicht). Hierdurch werden hoheitliche Aufgaben in grundrechtssensiblen Bereichen an private Dritte delegiert (sog. „Flucht ins Privatrecht“). Dies begründet zugleich die große Gefahr von Machtmissbräuchen und körperlichen Übergriffen. 21 8. Risiko- und Schutzfaktoren psychischer Gesundheit Die Herkunftsländer, aus denen junge Geflüchtete kommen, ihre Fluchtgründe und die Wege, die sie auf der Flucht überwinden mussten, machen es in den meisten Fällen wahrscheinlich, dass sie besonderen Risiken für ihre Gesundheit Entwicklung ausgesetzt waren. Viele Kinder und Jugendliche, die ihr Herkunftsland verlassen mussten, haben Krieg erlebt, mussten mitansehen, wie ihr Haus, ihre Schule, vielleicht auch ihre Spielsachen zerstört wurden, haben Orte verloren, an denen sie sich geborgen gefühlt, und oft auch Personen, die ihnen Schutz und Sicherheit geboten haben. Womöglich haben sie große Angst, vielleicht auch Hunger, Kälte und Gewalt erlebt, als sie auf der Flucht waren. Damit finden sich in fast allen Biographien junger Geflüchteter zahlreiche Risikofaktoren, die ihre Vulnerabilität erhöhen und ihr Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen können. Der äquivalente Begriff der „besonderen Schutzbedürftigkeit“ ist in der englischen Fassung der EU-Aufnahmerichtlinie „vulnerable groups“, worunter minderjährige Geflüchtete fallen. Unter Vulnerabilität wird die „genetisch oder/und biographisch erworbene Verletzlichkeit“ (Spektrum, 2000) einer Person verstanden. Faktoren, die zu einer Vulnerabilität beitragen, sind: „unsichere soziale Netzwerke, fehlende Entlastungsmöglichkeiten oder negative Selbstkonzepte“ (Spektrum, 2000), erhöht wird die Vulnerabilität aber auch „durch sozialökologisch oder entwicklungspsychologisch bedingte Diskon- tinuitäten und Kontextbedingungen, die maßgeblich zum Wohlergehen beitragen“ (Spektrum, 2000). Es macht einen Unterschied, ob Kinder mit Menschen geflohen sind, die sie beschützen, oder ob sie mit fremden Menschen in einem kleinen Boot über das Mittelmeer fahren mussten; ob sie an den verschiedenen Stationen durch helfende Hände unterstützt oder vielleicht von Grenzsoldat*innen ruppig zurechtgewiesen wurden; ob sie hier in einer anonymen Massenunterkunft oder im Gästezimmer von Verwandten ankommen, ob ihre Eltern, Geschwister oder andere Erwachsene ihnen in dieser verunsichernden neuen Situation Orientierung und Halt geben können oder ob diese Bezugspersonen womöglich selbst schwer belastet sind und Kinder darauf Rücksicht nehmen und besonders stark und selbstständig sein müssen. Entscheidend ist auch, welche neuen Menschen Kinder nach der Flucht kennen lernen: ob sie im Kindergarten, der Schule, oder bei ehrenamtlichen Unterstützer*innen weitere Bezugspersonen finden, die sie Kind sein lassen, ihnen aber auch dabei helfen, die Sprache und die Umgangsweisen der Gesellschaft zu lernen; ob sie ein Doppelleben zwischen dem Alltag in der Massenunterkunft und dem Leben draußen führen oder es vielleicht gar kein „draußen“ gibt, weil die Unterkunft vom Rest der Gesellschaft isoliert ist. Den Risikofaktoren, denen geflüchtete Kinder und Jugendliche vor, während und nach der Flucht aus- Foto von BAfF e.V. 22 Risikofaktoren für Kinder und Jugendliche mit Fluchtgeschichte (Baron & Flory, 2016, S. 22; Meyeringh, 2017) strukturellinstitutionell • unsicherer Aufenthalt, drohende Abschiebung • inadäquate Unterbringung • fehlender Zugang zu Kita und Schule • Trennung/Verlust von Freund*innen und Familie • Sorgen um die Familie • soziale Isolation • Diskriminierungserfahrungen • … individuell • • • • • • • • • • • Fluchtgeschichte Schuldgefühle Entwicklungsbrüche erzwungene Ablösung, Zwang zur Autonomie Identitätsdiffussion Leistungs- und Lerndruck Sprachprobleme Erwartungen/ Aufträge der Familie Zukunftsängste … gesetzt waren, können also auch Schutzfaktoren gegenüberstehen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren in ihrer aktuellen Lebenssituation entschei- für psychisch belastete Geflüchtete • Traumatisierung (Art, Schwere und Häufigkeit) • fehlende Identifizierung • anhaltendes Gefühl von Kontrollverlust • Warten auf adäquate Behandlung • … det darüber, wie gut sie sich stabilisieren und wie gesund oder belastet sie hier aufwachsen können. Traumatisierungen als Risikofaktor Die beschriebenen Risikofaktoren finden sich in fast allen Biographien von Kindern, die eine Flucht hinter sich haben – ihrer besonderen Vulnerabilität muss daher bei der Aufnahme und im Rahmen der Unterbringung Rechnung getragen und ihr müssen Schutzfaktoren gegenübergestellt werden. Darüber hinaus gibt es viele Kinder und Jugendliche mit Fluchtbiographie, die extrem belastende, verängstigende und potentiell lebensgefährliche Erfahrungen gemacht haben, z. B. durch Krieg, durch Verfolgung und die anhaltende Bedrohungssituation im Herkunftsland, durch Misshandlungen, aber auch durch die Zeug*innenschaft bei Gewalttaten oder den Tod von Freund*innen und Familienangehörigen. Einige Kinder mussten selbst mit ansehen, wie andere Menschen verletzt oder getötet wurden, einige mussten immer wieder detaillierte Berichte darüber hören, was anderen Menschen zugestoßen ist. Eine Studie konnte zeigen, dass 80 % der befragten unbegleiteten Minderjährigen Krieg aus nächster Nähe erlebt haben (Oppedal et al., 2011, zit. nach Zito, 2017). Sie waren damit einem „belastenden Ereignis oder einer Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“, das heißt, einem traumatischen Ereignis, wie es durch die ICD-10 definiert wird. Wenn ein junger Geflüchteter aus einem Land kommt, in dem Krieg oder bewaffnete Konflikte herrschen, heißt dies nicht gleich, dass die Person auch traumatisiert ist. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Kinder und Jugendliche aufgrund direkter oder indirekter Konsequenzen der Konflikte besonders belastet sind (Bean et al. 2007; Derluyn et al. 2008; 2009, zit. nach Zito, 2017). Diese Erlebnisse können vielfältige und nicht immer direkt zuzuordnende Folgen für die psychische Gesundheit, die Entwicklung und das soziale Verhalten der Heranwachsenden haben. Ergebnisse einer aktuellen Umfrage des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) zeigen, dass, nach Angaben von 57,9 % der befragten Fachkräfte, die Jugendlichen oft beziehungsweise sehr oft von Gewalt- und Missbrauchserfahrungen berichten und laut 59,6 % der Befragten Erkrankungen und psychische Belastungen oft oder sehr oft eine Beeinträchtigung des Alltags der Kinder und Jugendlichen darstellen (Karpenstein & Klaus, 2019, S. 14). Bei mehr als der Hälfte der geflüchteten Kinder in Deutschland liegen psychologische Belastungssymptome vor und 40 % der Kinder haben durch die Erlebnisse vor, während und nach der Flucht unter anderem in der Schule, aber auch in zwischenmenschlichen Interaktionen Schwierigkeiten (Gavranidou et al., 2008). 23 Folgen traumatischer Erlebnisse im Kindes- und Jugendalter Symptome Traumatisierte Kinder und Jugendliche berichten oft über immer wiederkehrende, lebhafte Bilder und Geräusche des traumatischen Ereignisses, sie leiden häufig unter starken Angst- und Schlafstörungen, haben Albträume, zeigen Störungen des Appetits und psychosomatische Symptome (Fazel et al., 2012), was auch bei traumatisierten Erwachsenen auftritt. Es gibt aber auch Besonderheiten, in denen sie sich von Erwachsenen unterscheiden. Sie zeigen z. B. sogenannte „regressive Verhaltensweisen“, also Handlungen, die für deutlich jüngere Kinder typisch sind und über die das Kind sich eigentlich bereits hinausentwickelt hatte: Kinder sprechen vielleicht wieder eine eher kleinkindliche Sprache, nässen wieder ein, beherrschen plötzlich Fähigkeiten nicht mehr, die sie schon gut erlernt hatten. Ebenso kann es aber auch vorkommen, dass sich ein Kind ungewöhnlich „erwachsen“ zeigt. Prävalenzen Doch nicht alle Kinder und Jugendliche, die traumatischen Situationen ausgesetzt waren, entwickeln auch eine Traumafolgestörung. Auch bei Kindern und Jugendlichen werden Prävalenzstudien durchgeführt, um Aussagen darüber treffen zu können, wie die Häufigkeit psychischer Störungen bei minderjährigen Geflüchteten ist. Studien konnten zeigen, dass Prävalenzen für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) bei begleiteten und unbegleiteten Minderjährigen zwischen 14 % bis 60 % (Metzner et al., 2016; Spallek et al., 2016) und für Depressionen zwischen 6 % bis etwa 36 % (Metzner et al., 2016) liegen. Die Prävalenzen bei Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrungen sind im Vergleich zu Gleichaltrigen der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht. Kinder und Jugendliche in Deutschland haben nach repräsentativen Untersuchungen eine Prävalenz von 1,3 % für PTSD (Perkonigg et al., 2000) und eine Prävalenz von etwa 5 % für Depressionen (Ravens-Sieberer et al., 2007). Ob die Betroffenen eine Traumafolgestörung entwickeln, ist entscheidend abhängig davon, was nach dem Erleben des Traumas passiert, d. h. welche Risiko- und Schutzfaktoren sich in der Aufnahmegesellschaft zeigen. Typische Störungen bei Beziehungsabbrüchen durch Flucht & Vertreibung • Angst vor Nähe wegen Angst vor erneutem Beziehungsabbruch • unsichere oder ambivalente Bindungsmuster • hoher Anspruch „versorgt zu werden“ mit gleichzeitiger Angst verlassen zu werden • Depression und aggressives Verhalten (Meyeringh, 2017) Sequentielle Traumatisierung Der Psychiater Hans Keilson, der selbst vor dem Nationalsozialismus in die Niederlande geflohen ist, führte eine systematische Langzeiterhebung durch, bei der er die Auswirkungen der Verfolgungserfahrungen ehemaliger jüdischer Kriegswaisen aus den Niederlanden, die den Holocaust in Verstecken oder Pflegefamilien überlebt hatten, analysierte (Keilson 24 & Sarphatie, 1979). Etwa 25 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg untersuchte er die Akten von über 2.000 Waisenkindern und führte mit über 200 Betroffenen Gespräche. Er prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der „sequentiellen Traumatisierung“, das heißt, er identifizierte drei „Sequenzen”, die das Trauma dieser Kinder ausmachten: Erste Sequenz: Zeit der beginnenden Verfolgung und Diskriminierung. Die Zeit, in der die normalen sozialen Strukturen auseinanderbrachen. Zweite Sequenz: Zeit der Trennung von den Eltern, des Untertauchens oder Deportation. Dritte Sequenz: Zeit nach dem Krieg. Hier wurde deutlich, dass Kinder, die nach dem Krieg in ein unterstützendes Umfeld kamen, die traumatischen Erlebnisse erheblich besser verarbeiten konnten als Kinder, die in dieser Phase weiterhin Stress ausgesetzt waren. Zentrales Ergebnis der Studie von Keilson ist, dass die persönliche Belastungssituation der Überlebenden mit dem Ende der Verfolgungssituation keineswegs endete. Für diese durch den Holocaust zu Waisen gemachten Kinder war nicht nur die direkte Verfolgung, sondern auch die darauffolgende Phase von entscheidender Bedeutung. Die Wiedereingliederungsphase wird von den Befragten als die schwierigste Zeit der extremen Belastungssituation beschrieben. Die Kinder, die in der Nachkriegszeit unter relativ guten Bedingungen aufwuchsen, erwiesen sich als psychisch stabiler beziehungsweise gesünder als diejenigen, die eine schwierige Nachkriegszeit (dritte Sequenz) nach einer (vergleichsweise) weniger schrecklichen zweiten Sequenz erlitten hatten. Wenn Trauma als sequentieller Prozess betrachtet wird, setzt sich die traumatische Erfahrung überlebender Personen auch nach dem eigentlichen Ende von Verfolgung oder Gewalt fort. Um eine Erholung bzw. Bearbeitung der traumatischen Erfahrungen zu ermöglichen, spielen dann vor allem die Einflüsse der aktuellen Lebenssituation eine bedeutsame Rolle. Nach Keilson wird damit „Trauma als Prozess“ gesehen, wonach nicht mehr nur ein traumatisches Ereignis, sondern eine Abfolge von Ereignissen betrachtet werden sollte. Damit erweitert dieses Konzept das biomedizinische Verständnis von Trauma als Krankheit mit festgelegter Symptomatik oder einem lediglich innerpsychischen Prozess, der neurobiologische Gedächtnisveränderungen bewirkt. Keilson berücksichtigt die sozialen und politischen Einflussfaktoren. Für die Bewältigung der Erlebnisse spielen insbesondere die Lebensbedingungen der Zeit nach der akuten Belastung und die damit verbundene Möglichkeit, die Traumatisierungskette zu durchbrechen, eine bedeutsame Rolle. Bei der therapeutischen Bearbeitung von traumatischen Erlebnissen sollte daher die Aufmerksamkeit des Gegenübers nicht nur auf der ersten und zweiten traumatischen Sequenz, beispielsweise also den Kriegserlebnissen und der Flucht, liegen, sondern darüber hinaus auch die dritte Sequenz, d. h. die Lebenssituation im Exil, in ihrem außergewöhnlichen Schweregrad berücksichtigt werden. Das Konzept der Sequentiellen Traumatisierung bezieht alle Personen, die mit der betroffenen Person in Kontakt stehen, mit ein und nimmt diese in die Pflicht (Kühner, 2002). Die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die die Geflüchteten umgeben und die durch unsere Gesellschaft maßgeblich gestaltbar sind, können nicht mehr ausgeklammert werden und spielen eine Schlüsselrolle für die Genesung und das Wohlergehen der Betroffenen. Somit ist nach Becker (2006) ein umfassendes Wissen über gesellschaftliche, kulturelle, politische und rechtliche Kontexte der Geflüchteten notwendig, um adäquate Unterstützung leisten zu können. Lebenssituation und Postmigrationsstressoren junger Geflüchteter Bezogen auf die aktuelle Situation werden von geflüchteten Kindern und Jugendliche mehrere Sequenzen belastender und unter Umständen traumatischer Erfahrungen durchlebt, die sich kumulativ auswirken. Nach Verfolgung, Armut, Krieg und Vertreibung, kommen während der meist monate- bis jahrelangen Flucht weitere Gewalterlebnisse hinzu. Die Kinder und Jugendliche verlieren wichtige Bezugspersonen, Familien werden durch die Flucht häufig auseinandergerissen, Familienangehörige oder enge Freund*innen sterben. Wie sehr es jungen Geflüchteten unter diesen Bedingungen gelingt, die traumatischen Erfahrungen und die Integration in eine fremde Gesellschaft zu bewältigen, ist deshalb in hohem Maße von der Hilfe und dem Schutz der Personen und Institutionen abhängig, denen sie hier begegnen. Angekommen in Deutschland haben junge Geflüchtete jedoch mit häufig mit Zukunftsängsten, Schuldgefühlen, Stigmatisierung und oft auch mit rassistischen Anfeindungen zu kämpfen, so dass sie sich auch hier oft nach wie vor nicht in Sicherheit fühlen können. Die Lebensbedingungen im Exil sind häufig erst einmal von vielen Risikofaktoren geprägt, von denen der Großteil unter dem Begriff der Postmigrationsstressoren zusammengefasst werden kann. Wirken mehrere Postmigrationsstressoren zusammen, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die Betroffenen an einer Traumafolgestörung (z. B. Depression oder Posttraumatischen Belastungsstörung) zu erkranken (Nickerson et al., 2011). Auch das Risiko der Chronifizierung von Krankheiten ist beim Zusammenspiel mehrere Postmigrationsstressoren besonders erhöht. 25 Risiko- und Schutzfaktoren nach traumatischen Ereignissen Schutz- und Risikofaktoren auf persönlicher, familiärer und sozialer Ebene, die einander wechselseitig beeinflussen, prägen die psychosoziale Entwicklung junger Geflüchteter nach traumatischen Ereignissen. In einer schwedischen Untersuchung mit asylsuchenden Kindern hat sich gezeigt, dass zu den wichtigsten Schutzfaktoren die Eltern und Freund*innen, der schulische Kontext und die Freizeitaktivitäten gehören (Ascher und Mellander, 2010; zit. nach Zito, 2017). Daher ist die Einbeziehung der häufig auch sehr belasteten Eltern zur Stabilisierung der jungen Geflüchteten sehr wichtig (siehe Kapitel „Zusammenarbeit mit Eltern“ auf Seite 40). Als Risikofaktoren wurden die ungewissen Zukunftsperspektiven, geringe finanzielle Ressourcen, der Unterbringungskontext und der begrenzte Zugang zu Bildung identifiziert. 9. Frühe Identifizierung psychischer Belastung und Betreuung Im Gegensatz zu unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die nach ihrer Einreise in Deutschland von der Jugendhilfe in Obhut genommen werden müssen, durchlaufen Kinder und Jugendliche, die gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Sorgeberechtigten nach Deutschland geflohen sind, gemeinsam mit diesen Sorgeberechtigten das reguläre Asylverfahren. Der Fokus liegt dabei häufig auf der Fluchtgeschichte und den Bedarfen der Erwachsenen, die sie während der Anhörung oder bei der Aufnahme in eine Unterkunft kommunizieren. Europarechtlich ist Deutschland jedoch verpflichtet, auch die besonderen Bedarfe minderjähriger Asylsuchender zu identifizieren und ihnen im Rahmen der Aufnahme Rechnung zu tragen (Richtlinie 2013/33/EU). Sie sind eine besonders schutzbedürftige Gruppe und haben besondere Rechte und Verfahrensgarantien. Insbesondere besteht für traumatisierte Minderjährige ein Anspruch auf den Zugang zu Rehabilitationsmaßnahmen, einschließlich einer geeigneten psychologischen Betreuung und Beratung (Art. 23 Abs. 4 Richtlinie 2013/33/EU). In den Praxisdialogen, die die BAfF in Massenunterkünften und ihrem Umfeld geführt hat, zeigte sich jedoch, dass die eigenen Bedürfnisse „begleiteter“ Flüchtlingskinder und ihre spezielle Situation oft „unsichtbar“ bleiben. Wenn ihre Eltern sich nicht aktiv z. B. an die Sozialdienste wenden, weil sie sich Sorgen machen, dann sind Kinder in vielen großen Unterkünften eine übersehene und dadurch mitunter besonders gefährdete Gruppe. irgendwas tun, was sonderbar ist, was sie vorher nicht gemacht haben.“ (IP8) Doch die Bereitschaft, die eigenen Kinder beim Unterkunftspersonal als belastet vorzustellen, ist nicht in jedem Fall gegeben. Häufig bestehen hier Ängste und Hemmungen, manche Eltern sind auch selbst zu schwer belastet, um wahrzunehmen, dass ihre Kinder Schwierigkeiten haben. So wurde aus anderen Einrichtungen berichtet (Thomsen, 2018), dass man sich für die Identifizierung von psychischer Belastung nicht immer auf die Eltern als alleinige Informationsquelle verlassen könne. Oft seien psychische Erkrankungen tabuisiert und Eltern falle es schwer, über Symptome bei ihren Kindern zu sprechen. Sie möchten die eigenen Kinder gegenüber anderen Kindern nicht „schlechter“ darstellen und seien deshalb zurückhaltend, sich bei Problemen Unterstützung zu suchen. Untersuchungen, die geflüchtete Jugendliche zu ihrer Lebenssituation nach der Ankunft in Deutschland befragt haben, zeigen zudem, dass Belastungsfaktoren oder die Folgen traumatischer Erfahrungen auch bei älteren Minderjährigen häufig lange Zeit unsichtbar und unausgesprochen bleiben (Lechner & Huber, 2017). Viele Jugendliche gaben an, dass ihr Alltag zwar von Ängsten geprägt sei, sie sich damit aber ganz bewusst an niemanden wenden, unter anderem, weil sie ihre Familie nicht zusätzlich durch ihre Probleme belasten wollen. Die elterliche Sorge und Verantwortung wird vom Personal in den Unterkünften entsprechend meist als das zentrale Schlüsselelement, manchmal auch als ausreichend für die Identifizierung besonderer Bedarfe oder Auffälligkeiten beschrieben. Insgesamt zeigte sich, dass dort, wo von Seiten der Unterkunft vornehmlich auf die Eltern gesetzt wird, um Belastungen bei ihren Kindern zu berichten, auch Mitarbeiter*innen in Angeboten wie z. B. psychologischen Sprechstunden nur sehr wenige Anmeldungen für Kinder und Jugendliche erhalten. „Die meisten Eltern kommen von sich aus, wenn etwas mit den Kindern ist. Wenn sie „Kinder werden nicht so oft in der Sprechstunde vorgestellt. Höchstens bei der Kin- 26 derbetreuung oder in der Schule der Unterkunft fällt vielleicht auf, wenn Kinder belastet sind.“ (IP1) Auch dann, wenn sich Eltern proaktiv an Mitarbeiter*innen der Unterkünfte wenden, weil ihre Kinder sich auffällig verhalten, obliegt den Sozialdiensten offenbar eine Filterfunktion. Sie scheinen maßgeblich mit darüber zu entscheiden, ob ein Unterstützungsbedarf abgeklärt und adressiert werden kann oder nicht. Für diese Entscheidungen können die Sozialdienste nicht in jedem Fall auf ausreichend psychosoziales Basiswissen zurückgreifen. Gehen sie z. B. davon aus, dass therapeutische Begleitung von Kindern erst ab einem gewissen Alter überhaupt möglich ist, dann erhalten betroffene Familien nicht die Unterstützung, die sie bräuchten. „Wir hatten hier einen Fall mit einem Zweijährigen, bei dem die Eltern auf uns zukamen und meinten, dass das Kind einen Psychologen braucht. Da können wir dann wirklich nichts machen. Das Kind muss sich ja für eine Therapie schon auch selbst äußern können.“ (IP8) Ebenso berichtet ein Psychosoziales Zentrum, dass es zwar einen hohen Bedarf gebe und sie auch zahl- reiche Anmeldungen erhielten, diese jedoch fast nie durch Mitarbeitende in den Unterkünften stattfänden. Inzwischen wendeten sich Geflüchtete, die psychosoziale Unterstützung bräuchten, fast immer auf Empfehlung aus den Flüchtlings-Communities selbst an sie. Das sei früher, als es das Anker-Konzept noch nicht gab, anders gewesen. Dass durch die Unterkünfte offenbar nur relativ wenige Kinder und Jugendliche an Unterstützungsangebote angebunden werden, korrespondiert mit der Beobachtung, dass Mitarbeitende in den Unterkünften den Belastungsgrad von Kindern mitunter als grundsätzlich weniger schwer wahrnehmen beziehungsweise nicht erkennen können. „Die Kinder fühlen sich hier wohl, spielen und streiten miteinander. Die Angebote kommen gut an und sie freuen sich. Offensichtlich traumatisierte Kinder haben wir hier eigentlich noch nie erlebt. Wenn, dann sieht man es eher bei Erwachsenen. Offensichtlich sieht man es aber auch da eher selten.“ (IP7) Gleichzeitig gebe es jedoch Kinder, die während ihres Aufenthalts in ein therapeutisches Angebot vermittelt wurden und die davon durchaus profitierten. Foto von ToniKuettner | pixabay.de 27 „Ja, da fällt mir ein Junge ein, der hat hier 5 oder 6 Monate gelebt und wir haben ihn während der gesamten Zeit nur ein einziges Mal gesehen. Dann hat ein Ehrenamtlicher eine Kostenübernahme für eine Psychotherapie organisiert und er ist richtig aufgeblüht und hat jeden Tag mit den anderen Kindern auf dem Hof gespielt.“ (IP8) Hier zeigt sich, dass psychische Belastungen bei Kindern oft nicht auffallen. Kinder, die sich zurückziehen, verstummen, nicht mehr spielen oder Vermeidungssymptome zeigen, werden in der Regel übersehen. Störende Verhaltensmerkmale wie Hyperaktivität und Unruhe oder Aggressivität werden eher wahrgenommen. Häufig wurden jedoch auch hier die Kinderbetreuung oder Lehrer*innen als entscheidende Hinweisgeber*innen beschrieben, weil sie den engsten Kontakt zu den Kindern haben und deshalb am ehesten feststellen, wenn ihre Schüler*innen beim Lernen oder in ihren sozialen Kompetenzen beeinträchtigt sind. In anderen Untersuchungen befragte Sozialdienste (Thomsen, 2018) berichteten in diesem Zusammenhang, dass der Fokus noch sehr wenig auf den Belastungen von Kindern liege. Sie wünschten sich insgesamt mehr Angebote für Kinder und Jugendliche und für Verfahren der frühen Identifizierung psychischer Belastung einen ähnlichen Ablauf wie bei Erwachsenen, für die in Niedersachsen ein Verfahren zur Identifizierung psychischer Belastungen etabliert ist. Auch hier wurde bemerkt, dass stets mit den Eltern begonnen werde, unter der Annahme, dass eine Stabilisierung der Eltern sich auch auf die Kinder auswirke. Vorgeschlagen wurde ein systematisches, fragebogengestütztes Elterngespräch, um Hinweise auf Auffälligkeiten oder Belastungen möglichst frühzeitig zu erkennen. Ein systematisches Verfahren zur Identifizierung der besonderen Bedarfe von Kindern existiert bislang in der Regel nicht. Eine statistische Erfassung der Anzahl von Kindern mit besonderen Belastungen fand an keinem der untersuchten Orte statt. Eine Systematisierung dieser Aufgabe wird von den Unterkünften auch nicht in jedem Fall als hilfreich empfunden. „Wir führen da keine Statistik – es sind mal mehr und mal weniger. Es gibt einen ständigen Wechsel – die Bewohner kommen und gehen. Manchmal ist der Bedarf gleich Null, manchmal staut sich alles und platzt aus allen Nähten und wir haben mehr Menschen, die belastet sind. Wir wissen ja nie, wer kommt und sind immer flexibel. Systematisierung ist da oft kontraproduktiv. Wenn man mit anderen Kulturen im Gespräch ist, dann kommen die ganzen anderen Sachen auch heraus und wir können darauf reagieren. Man kann mit kleinen Gesten viel erreichen, man muss nur Vertrauen aufbauen. Manchmal kriegt man dann auch Hinweise von Nachbarn. Aber man muss auch vorsichtig bleiben.“ (IP7) Foto von Counselling | pixabay.de 28 Hier wurden vor allem Kontakt und vertrauensbildende Maßnahmen als Schlüsselelemente zur Erkennung von Belastungen herausgestellt, weniger ein spezifisches Wissen oder ein gesondertes Verfahren. Andernorts schilderten Akteur*innen, die als Externe psychosoziale Unterstützung in einer Massenunterkunft anbieten, dass eine Identifizierung besonders belasteter Kinder aufgrund der Überlastung der Sozialarbeitenden und der desaströsen Lebensbedingungen in der Unterkunft schlicht nicht stattfinde. „Die schweren psychiatrischen Fälle tauchen in der psychiatrischen Sprechstunde in der Regel gar nicht auf, weil sie nicht als solche erkannt werden und selbst zu krank sind, um sich an uns zu wenden. Es sind nur Einzelfälle, die tatsächlich beim Psychiater ankommen. Es gibt von Seiten der Sozialarbeit auch keine Zuleitungen von Kindern und Jugendlichen in unser Angebot, weil die Überlastung einfach zu groß ist, um einen Überblick über die Situation und Verfasstheit der Bewohnerschaft zu bekommen. Man bräuchte für die Gesundheit der Kinder ein Screening, man müsste die Eltern befragen zum Schlafverhalten, zum Einnässen, etc. – aber darauf haben wir keinen Zugriff.“ (IP22) Diese Wahrnehmung deckt sich mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen (Jasper et al., 2018), in denen Mitarbeiter*innen der Sozialbetreuung schilderten, dass sie die Identifizierung von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern in Massenunterkünften als enorme Herausforderung empfänden. Auffälligkeiten würden sie erst bei starken Anzeichen (etwa Gewaltanwendung) erkennen, unter anderem, weil sie dafür nicht entsprechend ausgebildet seien und ein genereller Personalmangel es erschwere, belasteten Kindern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Es fehle ihnen an Kompetenzen in psychologischer Gesprächsführung, sie wüssten nicht, wie sie ein Trauma erkennen und wohin sie traumatisierte Personen vermitteln können. In der Folge würden Mitarbeiter*innen in der Sozial- und Kinderbetreuung „nur nach dem Bauchgefühl“ (Jasper et al., 2018; S. 41) handeln, um bei Bedarf die Kinder oder Eltern im Rahmen der Möglichkeiten zu stabilisieren. In der Gesamtschau legen diese Befunde den Eindruck nahe, dass der Unterstützungsbedarf traumatisierter Kinder, die in Massenunterkünften untergebracht werden, häufig nicht beziehungsweise erst bei extrem zugespitzten Verläufen erkannt wird. Dabei sind vor allem pädagogische Institutionen wie Kinderbetreuung und Schule, Bekannte aus der Community, die Beratungsstellen außerhalb der Unterkunft empfehlen können, und ehrenamtliche Unterstützer*innen diejenigen, die Hinweise geben und den Zugang einleiten. Eine Identifizierung der Bedarfe wie sie die EU-Aufnahmerichtlinie vorschreibt, findet in der Regel nicht statt. Zum Teil wurde beschrieben, dass die jeweils politisch Verantwortlichen auch explizit kommunizierten, dass dies für sie kein Ziel und politisch nicht gewollt sei. „Da auf EU-Ebene ja eine neue Richtlinie diskutiert werde, in der dann die Aufnahmerichtlinie abgelöst werden solle, würde sich eigentlich auch keiner mehr darum kümmern, weil man ohnehin erwarte, dass die Standards weit unter der aktuellen Richtlinie liegen würden. Allerdings glaubt man auch gar nicht dran, dass sich die EU jemals auf eine neue Richtlinie einigen wird. Im Übrigen gibt es aber auch kein Interesse daran, die aktuelle Richtlinie umzusetzen, da das ja nur einen Anreiz bieten würde, dass neue Flüchtlinge zu uns kämen.“ (IP24) Auch an einem statistischen Überblick darüber, wie viele besonders vulnerable Personen in den Unterkünften leben, besteht offenbar kein hohes Interesse. Auf Anfragen an Landesparlamente (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V., 2018; Drucksache 6/17005, 2019; Drucksache 18/3440, 2019) wird häufig geantwortet, dass nicht erfasst werde, bei wie vielen Personen besondere Bedürfnisse vorliegen, da die Ermittlung mit einem unvertretbaren Aufwand verbunden sei. Diese Erfahrung wird auch von Fachkräften der Jugendhilfe bestätigt. In einer Befragung durch den Bundesfachverband umF (2020) gaben sie an, dass sie sowohl beim Personal in den Sammelunterkünften als auch seitens des Lehrpersonals einen Mangel an Traumasensibilität wahrnehmen und sich für diesen Bereich flächendeckende und verpflichtende Schulungen wünschen. Das Personal werde mit der Überforderung und den komplexen Problemlagen der Minderjährigen allein gelassen und auch die psychische Belastung der Eltern werde nicht aufgefangen, so dass sie sich wiederum auf ihre Kinder auswirke. 29 10. Gesundheitsversorgung in Massenunterkünften Ihren ersten Kontakt mit Ärzt*innen in Deutschland haben geflüchtete Kinder bei der verpflichtenden „Erstuntersuchung“ nach ihrer Ankunft in der Sammelunterkunft. Ziel dieser Pflichtuntersuchung ist es größtenteils, Infektionskrankheiten auszuschließen und gegebenenfalls zu behandeln – der Umfang und Inhalt variiert stark zwischen den Bundesländern. In der Regel besteht sie aus einer kurzen Anamnese und körperlicher Inaugenscheinnahme, eventuell Röntgen, Impfungen und eventuell einer Notfallbehandlung. Das Robert Koch Institut (2015) empfiehlt in seinen Mindeststandards zur Erstuntersuchung, den Untersuchten positive Untersuchungsbefunde unverzüglich mitzuteilen und eine Beratung und Behandlung anzubieten. Die Ergebnisse der Untersuchung unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht, sind also vertraulich zu behandeln. Um eine Anamnese der Familie durchführen zu können, ist die Verständigung in einer gemeinsamen Sprache unabdingbar, gleiches gilt für die Aufklärung über die Befunde der Untersuchung. In den Praxisdialogen zeigte sich, dass die Kommunikation über Inhalte und Folgen der Erstuntersuchung nicht in jedem Fall gewährleistet ist. „Eine meiner Klient*innen kam an einem Freitag mit ihrer Familie in der Unterkunft an und wurde untersucht. Dann wurde die gesamte Familie vier Tage lang in einem Zimmer eingesperrt, wie sie es erzählte. Sie wussten nicht, warum und was als nächstes passiert und waren sehr verängstigt. Es gab keine Kommunikation. Die Familie hat dann erst am Montag erfahren, was los ist, dass sie wegen Ansteckungsgefahr isoliert wurden.“ (IP1) Auch in der weiterführenden Versorgung laufe die Kommunikation und Informationsweitergabe nicht immer optimal. In einigen Einrichtungen existierten sogenannte Pendelfragebögen, die zwischen Gesundheits- und Sozialdiensten hin- und hergereicht würden, häufig gingen aber auch Informationen verloren oder aber würden unzulässig weitergegeben. „Es gibt hier unfassbare Paradoxien beim Informationsfluss. Es ist ein Desaster, was an Gesundheitsinformationen zwischen verschiedenen Akteuren verloren geht. Zugleich werden Arztbriefe mit- und weitergegeben, ohne dass die Menschen ein Bewusstsein oder ein Wissen darüber haben, welche sensiblen Daten da drin stehen.“ (IP3) Die Gesundheitsversorgung und die psychosoziale Versorgung in den Massenunterkünften wurden 30 für die meisten Einrichtungen als besorgniserregend unzureichend beschrieben. Quantitativ läge das Versorgungsangebot für die Masse an Bewohner*innen um ein Vielfaches unter dem Bedarf, der Zugang zu Beratung und Behandlung sei hart umkämpft. In der Konkurrenz um die wenigen Plätze haben in einigen Unterkünften gerade die Bewohner*innen, die die Versorgung am dringendsten bräuchten, die geringsten Chancen, sie zu bekommen. „Es gibt riesige Warteschlangen für die Gynäkologin und die Soziale Beratung. Es werden Wellenbrecher aufgestellt, damit es nicht zu Chaos kommt. Die Menschen stellen sich um Mitternacht an, damit sie einen der 6 Beratungstermine bei den Sozialarbeiter*innen bekommen. Man hatte eine Zeit lang ein Losverfahren eingerichtet, aber wieder abgeschafft. In dieser Situation ist klar, wer am Ende Hilfe bekommt: Nur die, die fit genug sind. Schwangere Frauen, schwer kranke oder traumatisierte Menschen, alleinerziehende Mütter können sich dieser Belastung nicht aussetzen.“ (IP22) Die Berater*innen würden als engagiert, aber stark überlastet wahrgenommen, sie betreuten zu zweit 600 Personen und hätten stark damit zu kämpfen, dass sie angesichts dieser Bedingungen kaum Interventionsmöglichkeiten hätten. Auch andere Untersuchungen in Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften (Jasper et al., 2018) verweisen darauf, dass sich der Personalmangel in den Unterkünften negativ auf die gesundheitliche Versorgung von Kindern auswirkt, allerdings nicht in einem so drastisch zugespitzten Ausmaß. Personalmangel führe dort beispielsweise dazu, dass Sozialarbeiter*innen die Zeit fehle, bei Ärzt*innen nachzuhaken und bei Terminen oder Fragen zu Diagnosen zwischen den Bewohner*innen und Ärzt*innen zu vermitteln. Was die desolate Versorgungssituation für Bewohner*innen und ihre Kinder bedeutet, zeigen die Fälle, denen in den Praxisdialogen selbst begegnet oder die von den Fachkräften geschildert wurden. Die Begegnung mit Frau M. (IP21) steht dabei exemplarisch für viele Familien, die mehreren Belastungsfaktoren auf verschiedenen Ebenen ausgesetzt sind. Über Erkrankungen wird häufig nicht ausreichend aufgeklärt, medizinische Versorgung ist auch für schwangere Frauen kaum zugänglich, die räumliche Enge und die Perspektivlosigkeit der Situation in der Unterkunft setzten der gesamten Familie zusätzlich zu. „Maybe I'm next“ In einem Zimmer der Unterkunft sind drei sich fremde Frauen, eine davon mit Kleinkind, untergebracht. Eine der dort lebenden Frauen ist Frau M. Sie berichtet davon, dass sie bereits seit 7 Monaten zusammen mit ihrem Sohn hier lebe. Ihre Mitbewohnerinnen seien gerade weg, die eine sei vergangene Woche freiwillig abgereist, die andere bereits vor zwei Wochen abgeholt worden. „Maybe I’m next“, sagt sie trocken. Sie erzählt, dass ihr Mann in einer Klinik liege. Er sei körperlich behindert und habe zusätzlich eine ansteckende Krankheit, von der sie nicht genau wüssten, was es sei. Sie finde es skandalös, dass sie nicht bei ihm sein darf. Ihr Sohn ziehe sich total zurück und möchte kaum mehr raus zum Spielen. Der 4-Jährige malt während des Besuchs blaue und rote Farbflecke und Kreise. Auf die Frage, was das sei, antwortet er: „Police Car“. Er will noch ein Blatt haben und etwas Anderes malen. Diesmal: „Police car, big one“ – er malt einen Mannschaftswagen mit Polizisten am Steuer. Selbst als sie schwanger war mit Zwillingen habe sie keine zusätzliche Hilfe in der Unterkunft erhalten. Das Aufsuchen von Ärzt*innen sei eine Qual gewesen, selbst mit ihrem Mutterpass sei sie nicht immer an Termine gekommen. Sie habe beide Kinder bei einer Fehlgeburt verloren. Sie wirkt isoliert, überfordert und depressiv. Zum Ende des Gesprächs fängt sie an zu weinen. Foto von Efraimstochter | pixabay.de 31 Bei psychisch bereits belasteten Personen wurde immer wieder deutlich, wie sehr die schlechten Unterbringungsbedingungen ihre Symptomatik verstärken. In Einzelfällen, die z. B. bereits psychiatrisch oder auch über die Jugendhilfe angebun- den sind, wurde deshalb manchmal versucht eine Umverteilung zu erwirken. Die Geschichte dieses jungen Volljährigen illustriert, dass dies oft selbst im Falle schwerer psychiatrischer Symptome unmöglich ist. „Es passiert nichts“ Die Kantine, die wir besichtigen, wirkt trostlos. Unsere Begleitung bleibt kurz bei einem jungen Mann, um ihm beim Essen Gesellschaft zu leisten, wie sie später berichtet. Der 20-Jährige sei mehrfach belastet und schwer traumatisiert. „Er fühlt sich bedroht und hat sehr große Angst davor, alleine in die Kantine zu gehen. Oft isst er deshalb einfach tagelang gar nichts. Vor kurzem wurde er von einer Mitarbeiterin auf dem Hof aufgegriffen, weil er aus einer Pfütze getrunken hat. Inzwischen war er auch ein paar Mal bei der Psychiaterin. Wahrscheinlich war er auch vorher schon in psychiatrischer Behandlung, er hat jedenfalls auch vorher schon Medikamente genommen… Jetzt hat man versucht, ihn beim Betreuten Wohnen anzumelden. Das wurde geprüft – zuerst durch das Jugendamt, dann durch das Gesundheitsamt – alle sagen ‚Ja‘. Und trotzdem ist er seit Monaten hier im Ankerzentrum. Es passiert nichts.“ (IP27) Wenn in Einzelfällen belastete Kinder in der psychiatrischen Sprechstunde ankämen und dort ein Bedarf festgestellt werde, dann sei es jedoch durchaus oft möglich, sie auch außerhalb der Unterkunft etwa an Kinderärzt*innen, Neuropädiater*innen oder in die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde zu vermitteln. Das Hauptproblem liege jedoch daran, dass belastete Personen nicht identifiziert würden. Käme letztlich eine Kooperation mit Akteur*innen aus der Regelversorgung außerhalb der Unterkunft zustande, dann werde allerdings auch hier immer wieder die Unterbringungssituation als gesundheitsgefährdender Faktor beziehungsweise als Hindernis für die Behandlung thematisiert. „Es gab einen Fall, da sagte die Psychiatrie, dass man das Kind eigentlich aufnehmen und behandeln müsste. Aber die Bedingungen in der Unterkunft seien so schlecht, da mache die Behandlung keinen Sinn.“ (IP22) Andernorts stellt die Vermittlungssituation sich gerade für Kinder und Jugendliche schwieriger dar als im Falle erwachsener Geflüchteter – weniger im Bereich körperlicher Erkrankungen, aber vor allem dann, wenn es um psychotherapeutische Unterstützung geht. Dies gelte in besonderem Maße für Kinder, die gemeinsam mit ihren Eltern eingereist sind. Die Situation sei für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Obhut genommen würden, deutlich besser, weil sie an die Jugendhilfe angebunden seien, auf begleitete Kinder schaue aber niemand. In einer der untersuchten Regionen bestätigten alle befragten Gesprächspartner*innen, dass es nahezu unmöglich sei, begleitete Kinder und Jugendliche in eine Therapie 32 zu vermitteln. Das gelte besonders dann, wenn die Therapie mit Sprachmittlung stattfinden müsse. „Wenn Kinder mit Familie hier ankommen, müssen sie Deutsch können. Sonst geht gar nichts.“ (IP11) „Es gibt wenig niedergelassene Psychotherapeut*innen, die das gerne machen wollen. Die finden das anstrengend mit den Dolmetschern.“ (IP1) „Die psychotherapeutischen Kolleg*innen wollen sich nicht in die Karten gucken lassen, deswegen lehnen sie es ab, sich auf Dolmetscher*innen einzulassen.“ (IP3) Neben Vorbehalten gegenüber der Zusammenarbeit mit Dolmetscher*innen als dritter Person in der Therapie erweise sich auch die Qualität der Sprachmittlung und die Verfügbarkeit von Dolmetscher*innen gerade für seltene Sprachen als Problem. „Die eritreische Community zum Beispiel kennt sich hier komplett. Da sind die Vertrauensfragen ein großes Thema und die Schweigepflicht wird leider oft sehr unterschiedlich ausgelegt. Die Patient*innen haben große Angst vor regierungstreuen Spionen. Und hier besteht tatsächlich eine große Sicherheitslücke. Wir wissen ja nicht, wer angeheuert wird. Es gibt hier keine geregelte Qualität oder Ausbildung. Und wenn die Dolmetscher*innen gut sind, dann wandern sie auch schnell wieder ab, weil sie andernorts besser bezahlt werden.“ (IP3) Im ländlichen Raum sei es unabhängig von der Sprache quasi unmöglich, Sprachmittler*innen zu akquirieren, weil die Communities so klein sind, dass sich alle unter einander kennen. teragiere hier zudem mit Barrieren wie Vorbehalten bei Behörden und Behandelnden und der für alle Patient*innengruppen schlechten Versorgungssituation. „Hier ist es ein enormer Vertrauensvorteil, wenn zwei fremde Personen zwei Stunden lang aus der nächstgrößeren Stadt anreisen, auch wenn es teurer ist wegen der Fahrtkosten. Aber anders geht es nicht.“ (IP11) „In manchen Landkreisen werden einfach partout keine Behandlungsscheine ausgestellt. Die wollen einfach nicht. Auf der Behörde wird man nur angeschnauzt, die Kolleg*innen werden in ihrer Fachlichkeit nicht ernstgenommen. Wir müssen von hier aus [nächste Großstadt] Briefe schreiben, die den Behandlungsbedarf bestätigen, damit vor Ort was passiert. Aber da sitzt ein rechter Landrat, der Leistungen schon allein als Abschreckungssignal kategorisch ablehnt und das auch schon seit mehreren Jahren. Das wird auch offen bei Sitzungen kommuniziert und damit geprahlt, wie gut man darin ist, es den Menschen möglichst schwer zu machen. Von allen Befragten wurden darüber hinaus Schwierigkeiten bei der Kostenübernahme für die Sprachmittlung thematisiert. „In den Landkreisen ist die Kostenübernahme sehr stimmungsabhängig. Dolmetscher- und Fahrtkosten werden recht kategorisch abgelehnt. Manchmal drohen engagierte Ärzt*innen dann mit einem stationären Aufenthalt. Manchmal bringt das dann tatsächlich noch etwas.“ (IP2) Nach wie vor müssten vor diesem Hintergrund häufig Familienmitglieder, auch die Kinder von Patient*innen übersetzen. „Wenn die Kostenübernahme nicht direkt funktioniert, dann werden für die Probatorik auch schon mal Familienmitglieder herangezogen.“ (IP5) Behelfslösungen, in denen Familienmitglieder, fachfremde oder der Sprache nicht ausreichend mächtige Personen für die Übersetzung zu Hilfe gezogen werden, hätten jedoch oft fatale Konsequenzen für die betroffenen Patient*innen. Exemplarisch schilderte dazu eine der befragten Sozialarbeiter*innen eine Situation, in der sie eine ihrer Klient*innen selbst in das nächste Krankenhaus begleiten musste. „Die Klientin hatte eine komplizierte Fehlgeburt und musste ins Krankenhaus. Dort konnte aber keine Sprachmittlung organisiert werden und ich habe selbst versucht, auf Französisch als Hilfssprache zu übersetzen. Aber ich hatte überhaupt kein medizinisches Fachvokabular – Gebärmutter usw. – und das war schon eine zeitkritische, gefährliche Situation. Und das passiert Klient*innen öfter, dass keiner den anderen versteht, sie die falsche Diagnose bekommen, falsche Medikamente und dann erst durch die Nebenwirkungen merken, dass etwas nicht stimmt.“ (IP12) Auch die psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung selbst scheitere häufig an der Kostenübernahme durch die Behörden. Das betreffe insbesondere den ländlichen Raum und in- Wenn du auf dem Land darauf angewiesen bist, einen Psychiater oder Therapeuten zu finden, dann bist du aufgeschmissen – wenn du dann noch ein Flüchtling bist, hast Du verloren. Manchmal warten die Bewohner dort 4 Monate auf einen Termin in der Beratung, die dann feststellt, dass es eine psychiatrische Mitversorgung braucht, so dass sie dann noch einmal 6 Monate auf einen Termin beim Psychiater warten müssen. Die Situation wird auch nicht besser, eigentlich sogar schlimmer. Die Psychiater dort wollen einfach nicht, schon gar nicht mit Sprachmittlung. Auch nicht bei richtig schweren Fällen: Mir fällt z. B. eine psychotische Frau ein, die in einem wahnhaften Schub fast die Unterkunft abgebrannt hätte. Da fängt nirgends jemand irgendetwas auf.“ (IP12) Der Personenkreis, der für die Behandlung geflüchteter Kinder und Jugendlicher zu motivieren sei, wurde als sehr begrenzt beschrieben, auch weil das therapeutische Setting stark durch die aufenthaltsrechtliche Unsicherheit und die schlechten Lebensbedingungen geprägt sei und Therapeut*innen deshalb viele sozialarbeiterische Tätigkeiten abverlange. Vor diesem Hintergrund würden diejenigen, die sich in der Versorgung von Geflüchteten engagierten, inzwischen immer häufiger an ihre Belastungsgrenzen stoßen. „Es ist viel gewachsen in den letzten vier Jahren, es reicht aber hinten und vorne nicht aus. Mit so viel Sozialarbeit drum herum behandelt keiner in den Niederlassungen. Und die Leute, die therapieren, brennen nach und nach aus.“ (IP3) 33 Zwischenfazit In der Gesamtschau bestätigen die Erfahrungen der Gesprächspartner*innen einige Ergebnisse, die auch andere Akteur*innen aus ihren Befragungen und Analysen zur Gesundheitsversorgung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen berichten. So werden Defizite in der Sprachmittlung sowohl für die Grundversorgung innerhalb der Unterkunft selbst als auch außerhalb im regulären Gesundheitssystem problematisiert (Jasper et al., 2018). Im Unterbringungskontext könnten häufig keine Übersetzer*innen organisiert werden, weil es an finanziellen Ressourcen dafür fehle. Eine nachhaltige Behandlung sei so mitunter nicht möglich, auch falsche Medikation als Konsequenz wurde berichtet. Stationäre psychiatrische Behandlungen könnten aufgrund der Sprachbarriere häufig auch in akuten Kontexten nicht stattfinden. So komme es häufiger vor, dass schwer traumatisierte Bewohner*innen als Notfälle in die Psychiatrie aufgenommen und ihre Kinder währenddessen in Obhut genommen werden müssen, sie aber in der Regel nach sehr kurzer Zeit wieder entlassen würden, weil es in der Klinik kein fremdsprachiges Personal und auch keine Sprachmittlung gebe (Jasper et al., 2018). Übereinstimmend mit anderen Befunden (Jasper et al., 2018) wurde auch der Personalmangel im Bereich der Unterkunftssozialarbeit als Faktor identifiziert, der den Zugang zu Diagnostik und Behandlung beeinflusst. Allerdings zeigten die Effekte sich andernorts vor allem darin, dass Sozialarbeitenden die Zeit fehle, bei Ärzt*innen nachzuhaken und zwischen Bewohner*innen und Ärzt*innen zu vermitteln. Eine Zuspitzung zu solch extremen Zugangsbegrenzungen, wie sie von den Gesprächspartner*innen in einigen der Praxisdialoge kommuniziert wurden, findet sich bislang an anderer Stelle nicht. Schwierigkeiten, die Kinder und Jugendliche in Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften beim Zugang zur Versorgung begegnen, scheinen sich in großen Massenunterkünften, die nach dem Anker-Konzept oder funktionsgleich strukturiert sind, offenbar zu potenzieren. Die Schwierigkeiten mit Kostenübernahmen für Behandlungen korrespondieren mit den Erfahrungen anderer Befragter und bestätigen die Ergebnisse der Datenerhebungen, die die BAfF jährlich in ihren Versorgungsberichten zur Situation in den Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer veröffentlicht (Baron & Flory, 2019). Beschwerden von Bewohner*innen würden häufig nicht behandelt, weil sie als chronisch beurteilt worden sind und die Sozialämter in diesen Fällen eine Kostenübernahme verweigerten (Jasper et al., 2018). Mitunter träten in der Folge auch schwerwie- Foto von Efraimstochter | pixabay.de 34 gende gesundheitliche Folgen auf. Wie in den Praxisdialogen wurden auch hier starke regionale Variationen in der Bewilligungspraxis der Behörden beschrieben. Ob geflüchtete Kinder ihr Recht auf Gesundheit wahrnehmen könnten, sei daher maßgeblich von der Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen, Ehrenamtliche und Ärzt*innen abhängig, die sich Wissen über die Rechtslage aneigneten und auf rechtswidrige Ablehnungen aufmerksam machten (ebd.) Für den Bereich psychischer Belastungen wird der Bedarf in anderen Erhebungen im Vergleich zu körperlichen Erkrankungen als besonders hoch (Bundesfachverband umF e.V., 2020), die Versorgungssituation jedoch als deutlich unzureichend (Baron & Flory, 2019; Bundesfachverband umF e.V., 2020; Jasper et al., 2018) beschrieben. Auch Jugendliche selbst (Lechner & Huber, 2017) berichten nur sehr selten von Überweisungen zu Psychotherapeut*innen oder anderen Weichenstellungen wie der Vermittlung zu spezialisierten Beratungsstellen. Von Seiten ihrer Ärzt*innen werde ihnen im Gegenteil eher geraten, belastende Gedanken beiseite zu schieben, „nicht so viel zu weinen und sich keine zu großen Sorgen zu machen“ (Lechner & Huber, 2017; S.85). Plätze für eine psychotherapeutische Behandlung zu finden sei in der Regel nicht möglich (Jasper et al., 2018) beziehungsweise mit sehr langen Wartezeiten (Baron & Flory, 2019; Bundesfachverband umF e.V., 2020) verbunden. Auch Vorbehalte gegenüber geflüchteten Patient*innen und fehlende Erfahrung im Kontext Trauma und Flucht auf Seiten der Therapeut*innen finden sich in den Erfahrungen anderer Befragter (Bundesfachverband umF e.V., 2020) wieder. Beim Vergleich der Situation von geflüchteten Kindern und Jugendlichen, die mit ihren Familien in Deutschland leben, mit derjenigen von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, decken sich die Erfahrungen der Praxisdialoge mit Befragungsergebnissen aus der Versorgungsforschung (Bozorgmehr et al., 2016). Eine bundesweite Befragung der Gesundheitsämter ergab, dass die Versorgung von Kindern asylsuchender Familien in geringerem Ausmaß sichergestellt ist als diejenige von umF. In einer aktuellen Befragung von Fachkräften der Jugendhilfe durch den Bundesfachverband umF (2020) wird der Zugang zur Gesundheitsversorgung für begleitete Jugendliche durch die Teilnehmenden als insgesamt recht positiv bewertet, für die Gruppe der umF hingegen als sehr problematisch. Die Autor*innen der Untersuchung ordnen dieses Ergebnis als eher überraschend ein, da die Einschränkungen des Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in der Praxis sonst zu einer deutlichen Schlechterstellung von begleiteten Minderjährigen führten, während die Versorgung von umF über das SGB VIII vollumfänglich abgedeckt sei. Rechtliche Einordnung der Befunde zur Gesundheitsversorgung Bei Kindern und Jugendlichen, die in Begleitung ihrer Eltern oder einer sorgerechtsberechtigten Person einreisen, ist die gesundheitliche Versorgung abhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Im Asylverfahren und als geduldete Geflüchtete fallen sie genau wie ihre Eltern unter das AsylbLG. In den ersten 18 Monaten gelten für sie deshalb die §§ 4 und 6 AsylbLG, d. h., der Anspruch auf gesundheitliche Versorgung besteht im Grundsatz nur eingeschränkt und Behandlungen können nur durchgeführt werden, wenn akute Erkrankungen und Schmerzzustände vorliegen. Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind. Demzufolge besteht zunächst kein Anspruch auf Behandlung zum Beispiel im Rahmen einer Psychotherapie. Die Entscheidung ist eine Ermessensentscheidung, die von dem*der jeweiligen Sachbearbeiter*in des Sozialamtes getroffen wird. Für besonders schutzbedürftige Geflüchtete gelten hier jedoch Ausnahmen. Der Ermessensspielraum ist in ihrem Fall „auf Null“ reduziert (Vgl. BT-Drs. 18/9009, S. 3), das heißt, dass die Behörden die Behandlung bewilligen müssen, wenn eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt. Auch minderjährige Geflüchtete zählen zu diesem Personenkreis (Art. 21 RL 2013/33/EU, sog. EU-Aufnahmerichtlinie). Die Bewilligungspraxis der Behörden, wie sie sich in den Praxisdialogen und auch bei anderen Autor*innen zeigt, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. 35 11. Soziale Netzwerke Als besonders bedenklich wurde in den Praxisdialogen die aktive Isolierung der Massenunterkünfte von der Außenwelt beschrieben. Sie befänden sich oft umzäunt außerhalb der kommunalen Infrastruktur in Industrie- und Gewerbegebieten. Der Zugang zu den Einrichtungen für Besucher*innen sei meist verboten, alle Ein- und Ausgänge in die Einrichtung würden vom Sicherheitspersonal streng kontrolliert: „Die Lagerschule isoliert die Kinder von allen anderen Kindern. Und rein kommt man hier auch nicht ohne Weiteres. Anwälte dürfen nicht rein, Ehrenamtliche auch nur begrenzt. Es gibt ein strenges Besuchsverbot. Selbst Familienangehörige, die in anderen Unterkünften untergebracht sind, dürfen nicht rein, ohne dass das Regierungspräsidium zugestimmt hat. Man wird beim Ein- und Ausgang registriert, es gibt Taschenkontrollen, damit keine verbotenen Nahrungsmittel mitgenommen werden.“ (IP22) Die Isolation der Unterkünfte erwies sich unabhängig von der Größe und der Bewohner*innen-Struktur der Einrichtung als problematisch. Von einer sehr kleinen Unterkunft, die sich weit hinter dem Stadtrand mitten im Wald befand, wurde berichtet, dass diese Form der Isolation eine Art Schutzkonzept für allein reisende Frauen und ihre Kinder darstelle. Diese Frauen seien besonders belastet und oftmals auch hier in Deutschland verfolgt worden. In der Regel lebten nur sehr wenige Frauen in dieser Unterkunft, zum Gesprächszeitpunkt sei sie mit 9 Bewohnerinnen stark unterbelegt. „Ja, dort gibt es viel Schutzraum (lacht): den Wald. Man findet sie hier nicht so leicht. Und angeblich haben die Frauen so weniger Eindrücke, die sie belasten und vom Wesentlichen ablenken können. Es gibt keine Öffentlichkeit außen herum und es fährt auch nur zwei Mal am Tag ein Bus.“ (IP10) Zwar führe die Isolation dieser Unterkunft unter den wenigen Frauen, die in ihr lebten, zu einer engeren Beziehung und mehr gegenseitiger Unterstützung. Der Preis sei jedoch, dass die Frauen und ihre Kinder durch die Einsamkeit und die Trostlosigkeit der Umgebung zusätzlich belastet seien. „Die Frauen vereinsamen da total. Und wenn die dann auch noch pubertierende Kinder haben… Jüngere Kinder können sich die Zeit beim Fußballspielen vertreiben. Dafür gibt es ja viel Platz.“ (IP3) Durch die Abgelegenheit der Unterkunft hätten die Frauen und Kinder zudem kaum Zugang zu Beratungsangeboten in der Stadt. Es gebe auch keine 36 Ehrenamtlichen, die den Weg in die Unterkunft fänden. Die wenigen Anwohner*innen in der Gegend seien Fremden gegenüber noch weit weniger aufgeschlossen als die Bevölkerung in der nahe gelegenen Stadt. Auch die Betreuungsqualität in der Unterkunft selbst wurde kritisiert. „Es gibt da keine Lösung für die Sprachbarriere. Man hört immer wieder, dass Sozialarbeiterinnen schnell aggressiv werden und die Kinder beleidigen. Die Sozialberatung macht auch keinen guten Eindruck, zum Teil werden Briefe nicht zugestellt, was dann Konsequenzen für die Frauen und ihre Kinder hat, wenn sie die Rechtsmittelfristen nicht einhalten. Die Gesprächsbereitschaft ist nicht hoch.“ (IP10) Aus den Gesprächen wurde deutlich, dass die Bewohner*innen durch die Abschirmung der Unterkünfte in ihren Sozialkontakten vorrangig auf andere Geflüchtete verwiesen sind. Geflüchtete Kinder leiden häufig ganz besonders unter dieser Separation. Sie haben kaum Kontakt zu Personen außerhalb der Familie und der Zwangsgemeinschaft der Mitbewohner*innen, die ihnen eine zwischenmenschliche Beziehung anbieten können. Die von der gesellschaftlichen Infrastruktur der Kommunen abgeschotteten Einrichtungen laden nicht zum Engagement ein. Dadurch haben die Kinder zu einem zentralen Schutzfaktor keinen Zugang: Teil einer „normalen“ Lebenssituation zu sein, indem sie zum Beispiel Teil eines Fußballteams werden, einer Nachbarschaft angehören und auch außerhalb der Flüchtlingsunterkunft Freundschaften knüpfen können. Diese Form der Integration würde Kindern ermöglichen, sich zugehörig zu fühlen, sich dadurch zu stabilisieren und ein soziales Netz aufzubauen. Damit ist soziale Unterstützung ein wichtiger Schutzfaktor gegen die Entwicklung beziehungsweise die Zuspitzung psychischer Erkrankungen (Flatten et al., 2011; Maercker et al., 2017). Es geht hier nicht allein um die konkrete Hilfeleistung, die ein soziales Netzwerk geben kann, sondern auch darum, sich durch soziale Unterstützung als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen, Anerkennung zu erhalten für die eigenen Schwierigkeiten, aber auch für das, was sie trotz allem mitbringen und können. Auf diese Weise kann ein Gefühl von Sicherheit oder Aufgehobensein entwickelt und neue „korrigierende“ Beziehungserfahrungen gemacht werden. Zugleich verbessert sich auf diese Weise die Chance, die Sprache zu lernen und einen Überblick über das Leben in der Aufnahmegesellschaft zu bekommen (Zito, 2017) – Kinder haben so auch langfristig bessere Bildungsperspektiven (siehe Kapitel „Zugang zu Bildung“ auf Seite 37). Daher wird aus wissenschaftlicher Sicht die Empfehlung ausgesprochen, dass junge Geflüchtete die Möglichkeit bekommen sollten, einen Zugang zu Freizeitaktivitäten außerhalb der Unterkunft wahrzunehmen und dementsprechend auch die finanziellen Ressourcen dafür bereitgestellt werden sollten (Tonheim et al. zitiert nach Zito, 2017). Kinder, die in ein soziales Netzwerk und gemeindenahe Integrationsangebote eingebunden sind, können darüber hinaus deutlich leichter als möglicherweise besonders vulnerabel erkannt und entsprechend unterstützt werden (siehe Kapitel „Frühe Identifizierung psychischer Belastung und Betreuung“ auf Seite 26). 12. Zugang zu Bildung Für eine gelingende Integration sind die Bildungschancen von Kindern der entscheidende Faktor. Bildungschancen und -karrieren sind von vielen Faktoren bestimmt, darunter individuelle, wie Anstrengung, Durchhaltevermögen, Motivation, Fleiß und eine hohe Frustrationstoleranz. Untersuchungen fanden bei Geflüchteten eine überdurchschnittliche Motivation und großes Interesse am Schulbesuch wie am Aufbau beruflicher Perspektiven (vgl. Schwaiger und Neumann 2014, S.63/64; Stenger 2009; Krappmann et al. 2009, Einleitung, S.19; Neumann et al. 2003, S.53 zit. nach Eppenstein, 2017). In den Praxisdialogen wurde allerdings berichtet, dass vor allem strukturell bedingte Einflussfaktoren von besonderem Gewicht und Bildungserfolg oftmals von Glück und Zufall innerhalb von Strukturen abhängig sei. Auf diese Strukturen wird im Folgenden näher eingegangen. Recht auf Bildung gewähren Nach Vorgaben auf völkerrechtlicher, EU-rechtlicher und verfassungsrechtlicher Ebene besteht die Verpflichtung, minderjährigen Kindern von Asylsuchenden den Zugang zum Schulsystem und spätestens nach drei Monaten den Zugang zum regulären Schulsystem zu gewähren (ausführlichere Informationen unter: Klaus & Millies, 2017; Meinhold, 2019). Die Regelungen zur Beschulung inner- oder außerhalb der Unterbringung unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland deutlich voneinander (Bundesfachverband umF e.V., 2020; Klaus & Millies, 2017). Auch die Gesprächspartner*innen berichteten für manche Standorte, dass die Schulpflicht bisher nicht umgesetzt sei und es keine Angebote gebe, die in der Qualität und im Umfang dem Regelschulsystem entsprechen. „Es besteht keine Schulpflicht für Kinder in der Erstaufnahme. Wenn gutes Wetter ist, spielen sie auf dem Hof. Ansonsten fällt ihnen total die Decke auf den Kopf.“ (IP1) Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem ältere Jugendliche und junge Erwachsene oft durch das Raster fallen. Sie haben keine guten Bildungschancen und erhalten zugleich nur selten die notwendige individuelle Förderung (Bundesfachverband umF e.V., 2020). Problematische Parallelstrukturen Viele Kinder haben nur einen eingeschränkten Zugang zu Schulangeboten und oftmals findet – wenn es ein Schulangebot gibt – der Unterricht in den Sammelunterkünften selbst statt. In Bayern beispielsweise fand nach Angaben der Landesregierung in 5 der 8 Ankerzentren die Beschulung innerhalb der Unterkünfte statt, nur in 3 der Einrichtungen besuchten die Kinder Schulen außerhalb des Ankerzentrums (Drucksache 18/1495, 2019). Der Unterricht innerhalb der Sonderbeschulung weicht jedoch meist von regulären Lehrplänen ab, ist weniger umfangreich und findet auch nur an wenigen Stunden am Tag statt. So beinhaltet ein speziell für das Angebot in den Aufnahmeeinrichtungen konzipierte „Curriculum“ nur drei Module: „Grundlagen der Mathematik, Englisch und Bewegung und Kunst“ mit der Unterteilung zwischen „Grundstufe“ und „Aufbaustufe“ (Sächsisches Staatsministerium für Kultus & Sächsisches Bildungsinstitut, 2017). „Es werden meist alle Kinder zusammengefasst, z. B. getrennt nach Jahrgang 1-4 und Jahrgang 5-9 – unabhängig davon, wie lange sie hier schon sind und wie gut sie schon Deutsch sprechen. Gerade die älteren Kinder sind unterfordert. Es gibt nichts zu tun, nichts zu lernen, sie merken, dass die Schule schlecht ist.“ (IP22) Es gibt oftmals keine Anwesenheitskontrolle, weshalb viele Kinder und Jugendliche den Unterricht nicht besuchen. „Die Schulpflicht wird nicht überprüft. Viele gehen nicht zur Schule, weil das Angebot so schlecht ist.“ (IP22) Parallelstrukturen durch Camp-Schulen mit Ersatzunterricht können zwar etwas Struktur bieten und Wartezeiten überbrücken. „Inzwischen gibt es ein Schulprojekt, das ihnen Routine und einen geregelten Tagesablauf gibt. Das war vorher nicht so.“ (IP7) Sie isolieren die schulpflichtigen Kinder jedoch von Kindern außerhalb der Sammelunterkünfte. Doch wer nicht bereits in der Anfangszeit, wie jedes ande37 re Kind auch, zur Schule gehen und soziale Kontakte knüpfen kann, dem oder der* wird es auch perspektivisch schwerer fallen, die deutsche Sprache zu lernen und in diesem für ihn oder sie* fremden Land anzukommen. Aus der sozialwissenschaftlichen Forschung ist bekannt, dass der Ausschluss von Geflüchteten zum Beispiel aus dem Bildungssektor nicht nur temporär während der Ankunftszeit, sondern langfristig negative Auswirkungen auf ihre Teilhabechancen hat – und zwar auch dann, wenn später ein sicherer Aufenthalt und damit verbunden eine weitreichendere rechtliche Gleichstellung gewährt wird (Söhn et al., 2017). Schlechte Bedingungen zum Lernen Untersuchungen zeigen, dass ein wesentlicher Teil des schulischen Lernens auch außerhalb der Schule mit den Hausaufgaben stattfindet (Zepp, 2009) und die Leistungen in der Schule daher von der Möglichkeit abhängt, wie nach dem Unterricht Hausaufgaben gemacht werden können. Die bereits beschriebenen räumlichen Mängel der Sammelunterkünfte (siehe Kapitel „Räumliche Bedingungen | Rückzugsräume“ auf Seite 17) stellen kein sicheres, konzentrationsförderndes Umfeld zum Lernen dar und führen eher zu massiven Konzentrationsproblemen: Wie sollen Hausaufgaben gemacht werden, wenn es dafür keine Rückzugsräume gibt? Wie soll sich ein Kind aufs Lernen konzentrieren, wenn es nachts nicht schlafen kann, weil nebenan ein Polizeieinsatz stattfindet? Durch diese Faktoren beeinträchtigen die Lebensbedingungen in Sammelunterkünften, darunter der Mangel an Privatsphäre und ruhigem Lernumfeld, nicht nur die psychische Stabilisierung von jungen Geflüchteten, sondern auch deren Bildungschancen und Zukunftsperspektiven (Tonheim et al., 2015). Barrieren im Zugang zu Regelschulen bzw. Kindertageseinrichtungen Im Bereich der frühkindlichen Bildung zeigen die Erfahrungen aus der Praxis, dass an den meisten Standorten geflüchtete Kinder nicht in den umliegenden Kitas aufgenommen werden, da es strukturell bedingt an Kita-Plätzen mangelt und die Einrichtungen auch Vorbehalte gegenüber der Gruppe zeigen. „Kinder unter 6 Jahren haben keinen Zugang zu frühkindlicher Bildung.“ (IP10) An einer Unterkunft wird zudem auch deutlich, dass mit dem Zugang zur Regelschule nicht alle Probleme vom Tisch sind: In einem Fall liegt die Regelschule zu weit von der Unterkunft entfernt. Die Kinder müssen daher morgens sehr früh los und kommen auch erst sehr spät zurück, so dass sie an den Mahlzeiten in der Unterkunft nicht teilnehmen können. Es wurde für diesen Fall keine alternative Essensmöglichkeit eingerichtet, sodass sich schnell eine Mangelernährung bei den Kindern einstellte. Damit eine Beschulung im Regelsystem gelingen kann, müssen daher die Kosten für Schulmaterialien, Fahrten zur Schule und Kita, wie auch die Kosten für die Verpflegung getragen werden. Auch weitere Foto von sharpemtbr | pixabay.de 38 Handlungswissen für die pädagogische Praxis In Zusammenarbeit konzipierten der Bundesfachverband umF (BumF) und die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) einen kostenfreien Online-Kurs für Lehrkräfte und Erzieher*innen, in dem sowohl theoretisches Wissen zu Trauma und Flucht vermittelt, als auch praktisches Handlungswissen anhand von Alltagssituationen eingeübt werden kann. Verfügbar unter: https://b-umf.de/trauma-sensibel/ strukturelle Voraussetzungen sind zu schaffen, wie z. B. die Vorbereitung von Lehrkräften der Regelschulen in Aus- und Fortbildung auf die Zugänge von geflüchteten Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Lernausgangsbedingungen. Es braucht einerseits einen Unterricht, der auf die Bedürfnisse der Schüler*innen mit den unterschiedlichen Voraussetzungen eingeht, andererseits aber auch gezielte Förderangebote, die über die gesamte Bildungslaufbahn angeboten werden. Darüber hinaus benötigen Lehrkräfte ein Verständnis über die Bedarfe und Schwierigkeiten, als auch über die Stärken und Ressourcen der ankommenden Kinder und Jugendlichen. Andernfalls, so wurde es in den Praxisdialogen berichtet, gelänge nur selten der Übergang zum Beispiel auf das Gymnasium. Auch eine sehr hohe Bildungsmotivation auf Seiten der Eltern als Faktor, der Schüler*innen belasten kann, müsse dabei mitgedacht werden. „Flüchtlingskinder werden im Schulsystem natürlich auch diskriminiert. Die wenigen Kinder, die es hier auf die Gymnasien kommen, werden als „Ausreißerkinder“ bezeichnet. Und auf denen lastet ein enormer Druck. Auch manche Eltern können damit nicht gut umgehen. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder anders sind. Im Mittelpunkt steht fördern, fördern, fördern.“ (IP2) Lehrkräfte übernehmen in diesem Kontext eine wichtige Schlüsselfunktion auch für die psychosoziale Versorgung. Sie sind es, die die Kinder regelmäßig erleben und Veränderungen in Verhaltensweisen beobachten können. Daher ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen der Unterkünfte hilfreich, um Kinder und Jugendlichen mit besonderen Bedarfen frühzeitig zu erkennen und in entsprechende Unterstützungsangebote zu vermitteln. Stabilität, Normalität, Sicherheit: Entwicklungspsychologische und traumatheoretische Bedeutung von Bildung Für geflüchtete Kinder ist die Möglichkeit wieder oder auch zum ersten Mal die Schule besuchen zu können von großer Bedeutung. Viele Kinder konnten wegen der unsicheren Situation in ihren Herkunftsländern nicht (mehr) zu Schule gehen und auch auf der oft monate- bis jahrelangen Flucht konnten sie keine Schule besuchen. Der Schulbesuch gilt für viele Kinder als Stütze und wirkt sich positiv auf die psychische Stabilität aus. Schulen können durch ihre Strukturen und Routine einen „sicheren Ort“ darstellen, an dem Kinder in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten ernst genommen werden, ihre soziale Kompetenzen ausbauen können und Freundschaften zu Gleichaltrigen aufbauen können, was die soziale Integration ins Aufnahmeland deutlich befördert (Fazel et al., 2012; Zito, 2017). Hinzu kommt, dass mit dem Schulbesuch junge Geflüchtete auch aus ihrer Passivität befreit, in ihren Ressourcen wahrgenommen und Frustration, Langeweile und Perspektivlosigkeit entgegengewirkt werden kann. Die stabilisierende Funktion der Schule bestätigten auch die Gesprächspartner*innen aus den Unterkünften. „Ohne Angebot machen auch einige Kinder Unsinn, sind bis dann bis Mitternacht wach. Das ist jetzt mit der Schule anders.“ (IP7) Studien belegen, dass eine gute Integration in das Schulsystem und positive Erfahrungen in der Schule (Kia-Keating & Ellis, 2007; Kovacev & Shute, 2004) wie auch der Aufbau sozialer Netzwerke und Unterstützung durch Freund*innen (Kovacev & Shute, 2004) zu geringeren psychischen Auffälligkeiten führt. Aus traumatheoretischer Perspektive ist der Schulbesuch ein bedeutsamer Schutzfaktor bei psychisch belasteten jungen Geflüchteten. Durch den geregelten Schulalltag können sie ein Gefühl von Sicherheit und Vorhersagbarkeit und Kontrolle zurückerlangen und etwas Normalität erleben (Zito, 2017). Der Schulbesuch wirkt außerdem dem sozialen und psychischen Rückzug entgegen, der oftmals mit Traumafolgestörungen einhergeht. Auch der Zugang zur frühkindlichen Bildung und Erziehung ist ein bedeutendes Thema. Die frühkindliche Entwicklung prägt das ganze Leben. Aus Untersuchungen ist bekannt, dass schlechte soziale und wirtschaftliche Ausgangsbedingungen die Gesundheit gefährden (Wilkinson & Marmot, 2004) und durch frühkindliche Bildung und Erziehung der spätere Bildungs- und Entwicklungsverlauf stark beeinflusst werden kann (Anders, 2013). Für Kinder, die die deutsche Sprache noch lernen müssen, ist der Besuch einer Kindertageseinrichtung essentiell für ihre weiteren Bildungsverläufe, denn gerade Deutschkenntnisse haben für den Bildungserfolg zentrale Bedeutung und ermöglichen die Teilhabe. 39 13. Zusammenarbeit mit Eltern Nach der Flucht ist die (Neu-) Ordnung des Familienlebens und der Rollen innerhalb der Familienkonstellation für viele Betroffene eine große Herausforderung. Studien zeigen, dass eine enge Verbindung zwischen dem psychosozialen Wohlbefinden der Kinder und dem der Eltern besteht (Metzner et al., 2016). Daher ist die Stärkung und Entlastung der Eltern wichtig, um das Wohl der geflüchteten Kinder zu sichern. In oder nach Belastungssituationen suchen Kinder und Jugendliche in der Regel ihre direkten Bezugspersonen auf. Doch oft haben auch diese Bezugspersonen, ihre Eltern, Verwandte oder Freund*innen, mit der prekären Lebenssituation, der Isolation und Unsicherheit und der damit einhergehenden Destabilisierung zu kämpfen. Manchmal sind sie auch im Herkunftsland verblieben oder es besteht aus (möglicherweise fluchtbedingten) Gründen kein Kontakt mehr. Die belastenden Lebensbedingungen können Eltern daran hindern, ausreichend für ihre Kinder da zu sein und es fällt ihnen oftmals schwer, die Zuwendung und Geborgenheit zu geben, die das Kind braucht (Bräutigam, 2000). Wie auch Kinder nicht geflüchteter, psychisch kranker Eltern, erleben viele geflüchtete Kinder ihre Eltern über einen längeren Zeitraum oder immer wiederkehrend in extremen Gefühlszuständen, in die sie entweder eng mit einbezogen werden kön- nen oder von denen sie ausgeschlossen bleiben, was beides als belastend erlebt wird. Es kann zu unmittelbaren Problemen kommen, z. B. durch die Tabuisierung der elterlichen Belastung („Familiengeheimnis“) und durch das Gefühl der Kinder, Schuld an dem zu haben, was passiert ist. Die psychische Erkrankung des Elternteils kann Kinder aber auch verwirren und ängstigen, Probleme und Verhaltensweisen der Eltern können eventuell nicht eingeordnet werden. Um ihre Eltern nicht weiter zu belasten, sind die Kinder häufig „auffällig unauffällig“ und versuchen, ihre Bedenken und Belastungen nicht mitzuteilen (Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker, 2018). Die Bedürfnisse der Kinder bleiben dabei auf der Strecke und die Kinder und Jugendlichen achten oft zuerst auf die Gefühle ihrer Eltern und verlernen zunehmend, die eigenen richtig wahrzunehmen (Mattejat & Lisofsky, 2009). Rollenkonfusionen bzw. -konflikte Viele Kinder übernehmen Verantwortung gegenüber den Eltern oder den Geschwistern, bis hin zum Rollentausch mit dem kranken Elternteil. Sie verlieren ihre Eltern als haltgebende Bezugspersonen und müssen oft schneller erwachsen werden. Kinder kommen oftmals schneller in der neuen Gesellschaft zurecht, allein weil sie schneller die neue Foto von Hallmackenreuther | pixabay.de 40 Sprache lernen und übernehmen dadurch eine Fürsorgefunktion für ihre Eltern. Neben dem Bedürfnis nach sozialen Kontakten und familiärer Unterstützung treten selbstverständlich auch die für das Kindes- und Jugendalter typischen Konflikte, Entwicklungsaufgaben und Ablöseprozesse auf. Bei Jugendlichen mit Fluchterfahrungen kommt hinzu, dass es in der Vergangenheit oft zu einem plötzlichen und radikalen Zwang zur Autonomie kam, der individuell unterschiedlich bewältigt wurde und wird. Hinsichtlich der Betreuung besteht daher häufig einerseits der große Wunsch nach Selbstständigkeit, andererseits aber auch der Wunsch nach Verantwortungsabnahme, Unterstützung und Begleitung. Familienbezogene Interventionen In den Praxisdialogen kam häufig zur Sprache, dass die Eltern zwar zu den wichtigsten Ressourcen für die Gesundheit ihrer Kinder gehören, aber auch ihre Bedarfe nicht immer offensichtlich zu Tage treten. „Es ist nicht immer leicht, herauszufinden, welche Unterstützung die Eltern brauchen. Manche Familien ziehen sich zurück und isolieren sich. Aber genau diese Familien gilt es zu empowern und ihnen Zugänge zu Unterstützung anzubieten.“ (IP13) Es braucht daher familienbezogene Interventionen in der Arbeit mit Geflüchteten, die auch die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen und Eltern in ihrer Erziehungskompetenz und in ihrer Elternrolle im neuen Kontext stärken (Zito, 2017). Vor allem für die Identifizierung von psychisch auffälligen jungen Geflüchteten ist die Aufklärung und Mithilfe der Eltern von besonderer Bedeutung (siehe Kapitel „Frühe Identifizierung psychischer Belastung und Betreuung“ auf Seite 26). So vermuten einzelne Sozialarbeiter*innen, dass sich aufgrund der Belastungssituation der Eltern häufig auch psychische Auffälligkeiten bei den Kindern entwickeln und berücksichtigen das im Unterkunftsalltag. „Wir machen häufig Rückschlüsse von den belasteten Erwachsenen auf die Kinder.“ (IP8) Die Regel ist aber, dass die Sozialarbeiter*innen in den Unterkünften aufgrund des Personalschlüssels und der Rahmenbedingungen meist überhaupt nicht die Möglichkeit haben, sich um die psychosozialen Bedarfe der Eltern oder auch der Kinder zu kümmern (siehe Kapitel „Frühe Identifizierung psychischer Belastung und Betreuung“ auf Seite 26). Hinzu kommt, dass eine ausführliche Aufklärung über den Ablauf des Asylverfahrens deutlich zur Stabilisierung der Eltern beitragen kann. Eine Studie über den Zeitraum von vier Jahren konnte aufzeigen, dass ein über längere Zeit unsicherer Aufenthaltsstatus auf Kinder besonders belastend wirkt (Zijlstra et al., 2012). Bedenklich sind vor diesem Hintergrund die von Jurist*innen beschriebenen Mängel bei der Verfahrensberatung etwa in den bayerischen Ankerzentren. In einer Expertenanhörung des Rechtsausschusses im Bayerischen Landtag zum Thema „ANKER-Einrichtungen in Bayern“ kritisierten mehrere Sachverständige, dass vor der Anhörung fast niemand eine unabhängige Beratung erhalte, die geringeren Anerkennungsquoten von Geflüchteten in den Ankerzentren verglichen mit dem Bundesdurchschnitt wurden z.T. auf eine ineffektive Rechtsberatung zurückgeführt (Heinhold, 2019; zit. nach Bayerischer Landtag, 2019). Die eigens vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angebotene Verfahrensberatung wurde als nicht ausreichend bewertet (Hruschka, 2019; zit. nach Bayerischer Landtag, 2019). Auch in den Praxisdialogen wurde geäußert, dass es insgesamt an Beratung und Anlaufstellen fehle, die auch für alle zugänglich seien, sodass sowohl Kinder als auch ihre Eltern häufig nicht wüssten, an wen sie sich wenden können. Vielerorts seien die betroffenen Personen auf das ehrenamtliche Engagement von externen Akteur*innen angewiesen, die rechtliche Fragen klären, psychosoziale Sprechstunden anbieten oder pädagogische Angebote machen. 14. Diskriminierungserfahrungen Die Verschärfungen im gesellschaftlichen und politischen Diskurs gegenüber Geflüchteten sind auch in den Sammelunterkünften deutlich zu spüren und betreffen alle Lebensbereiche: Bildung, Arbeitssuche, Asylverfahren, Gesundheitsversorgung, etc. (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2016). Auch in der Praxis berichten Bewohner*innen von alltäglichen offenen Rassismuserfahrungen in- und außerhalb der Unterkünfte. Es wird von diskriminierenden Äußerungen bei Arzt- oder Behördenbesuchen (siehe Kapitel „Gesundheitsversorgung in Massenunterkünften“ auf Seite 30), aber auch im Alltag durch Nachbar*innen und Passant*innen berichtet. In einer Studie der TU München schildern etwa 25 % der befragten Kinder unter 14 Jahre Diskriminierungen (Soykoek et al., 2017). „Im öffentlichen Raum sieht man keine Frauen mit Kopftuch. Die Debatte fängt hier gerade erst an. Frauen mit Kopftuch werden auf dem Arbeitsmarkt nicht eingestellt, z. B. in der Gastronomie. Auf der Agentur für Arbeit erleben junge Frauen mit Kopftuch, dass ihnen gesagt wird, dass sie erst das Kopftuch ablegen müssen und dann eine Ausbildungsstelle bekommen, 41 völlig demotivierend. Es gibt eine große Verschlossenheit und nur kleine Entwicklungen hin zu einer Öffnung.“ (IP2) Auch im therapeutischen Bereich werden Klient*innen mit ihren Rassismuserfahrungen nicht immer ernst genommen – in einem Kontext, der eigentlich ein sicherer Raum sein sollte. So berichtet eine Therapeutin von ihrer Klient*in und ihren Erfahrungen mit anderen Therapeut*innen. „Sie hat mit ihrer Therapeutin über die ständigen Beleidigungen von anderen gesprochen. Die Therapeutin hat dann aber nur gesagt: ‚Du musst dich davon einfach distanzieren. Lass es nicht zu sehr an dich heran. Das ist wie mit Mückenstichen – wenn Du dran denkst und kratzt, wird es nur noch schlimmer‘. Aber für die Klient*in war das nicht nur eine kleine Sache. Für die Klient*innen ist das nicht wie ein Mückenstich, sondern der ganze Arm ist voller Mückenstiche.“ (IP3) Für viele Familien ist das alltägliche Diskriminierungserleben so gravierend, dass sie sich wünschen, direkt nach der Entscheidung über ihren Asylantrag in Städte zu ziehen, in denen sie weniger Alltagsrassismus erfahren. „Sie wollen so schnell wie möglich weg und machen das auch alle, wenn sie können. Sie haben bei Besuchen von Freund*innen gesehen, dass auf der Straße auch eine andere Stimmung herrschen kann und dass das auch Deutschland ist. Sie haben dort natürlich außerdem viel bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und erleben mehr Solidarität.“ (IP2) Auch im Asylverfahren und während der Unterbringung werden Flüchtlingsfamilien unterschiedlich behandelt, ja nachdem aus welchem Land sie geflohen sind. Es wurden in den letzten Jahren immer mehr Länder als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft, darunter auch die Balkanstaaten Serbien, Kosovo, Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina und Mazedonien. Infolgedessen gelten Asylanträge aus diesen Ländern für deutsche Behörden als „offensichtlich unbegründet“ und werden in der Regel abgelehnt. Die Aussichten für Hilfesuchende auf Asyl sind gering, die Angst vor Abschiebungen hoch und die Zugänge zu Sprachkursen, Schule und Ausbildung schwierig bis unmöglich. Ebenso unterscheidet sich die Wahrnehmung, die Mitarbeitende in den Unterkünften von Geflüchteten haben, abhängig davon, aus welchem Herkunftsland sie nach Deutschland geflohen sind. „Seit 2015 hat sich das auch gewandelt. Die Menschen kommen jetzt aus 20 verschiedenen Herkunftsländern, manche sind nett und zuverlässig – aus Vietnam und Venezuela zum Beispiel, viele auch aus 42 dem Iran und der Türkei. Und auch über die Zeit, wie das so ist, kommen immer erst einmal die „guten“ Leute, die das Geld haben. In Osteuropa ist das nochmal ganz anders. Aber aus vielen Ländern kommen irgendwann vor allem diejenigen, die sich mit ihrem letzten Pfennig über die Grenze gerettet haben. Die Erwartungshaltung ist inzwischen auch anders – früher haben die Menschen sich für alles tausend Mal bedankt und für uns alle gekocht. Das dürfen sie jetzt auch nicht mehr, aber jetzt wird auf jeden Fall mehr gefordert. Auch die psychologische Sprechstunde wird anders genutzt, im Sinne von 'Mir geht’s schlecht, ich muss hier bleiben'.“ (IP7) Bei Kindern und Jugendlichen wird vor allem auch von Diskriminierungserleben in der Schule berichtet. Es kommt zu Beleidigungen, Gewaltandrohungen bis hin zu tatsächlichen Angriffen durch Mitschüler*innen und Lehrer*innen. So berichtet eine Therapeutin von einer ihrer Klient*innen: „In der Schule wird sie die ganze Zeit ausgelacht, wenn sie etwas sagt und ihre Mitschüler*innen sagen schlimme Sachen über sie und ihre Familie und allgemein über Flüchtlinge. Sie versteht die Beleidigungen alle, kann aber nicht antworten. Das ist für sie sehr schlimm." (IP13) Aus Angst vermeiden daher einige Kinder und Jugendliche, in die Schule zu gehen. Aber auch institutionelle Diskriminierung wird im Bereich Bildung deutlich, z. B. durch einen vom Aufenthaltsstatus abhängigen Zugang zu Schule (siehe Kapitel „Zugang zu Bildung“ auf Seite 37), als auch zu Benachteiligungen bei Schulempfehlungen und Übergängen (Gomolla & Radtke, 2009). Studien belegen außerdem Rassismen im Unterrichtsstoff und Lehrbüchern (Marmer et al., 2010). Verschärfungen im gesellschaftlichen und politischen Diskurs haben auch Auswirkungen auf Unterstützer*innenstrukturen, die Angebote in Unterkünften gemacht haben. So ist ein deutlicher Rückgang in der ehrenamtlichen Arbeit mit Geflüchteten zu verzeichnen. „Es wird immer schwerer, Ehrenamtliche für die Arbeit mit Geflüchteten zu finden.“ (IP11) Hinzu kommen Angriffe und Brandanschläge auf Unterkünfte. Trotz deutlich rückläufiger Zahlen von Asylsuchenden bleibt rassistisch motivierte Gewalt gegen Geflüchtete ein deutschlandweites, flächendeckendes Problem (Amadeu Antonio Stiftung, 2017). Die Betroffenen fühlen sich der Gewalt ausgeliefert und werden oftmals von der örtlichen Polizei nicht ernst genommen. Dies führt dazu, dass kein Gefühl von Sicherheit aufkommen kann und es daher oftmals zu einer Verschlechterung der psychischen Situation kommt (Amadeu Antonio Stiftung, 2017) . 15. Psychosoziale Unterstützung für Kinder in Massenunterkünften Es gibt und gab regional erfolgreiche Modellprojekte, in denen im Dialog mit Expert*innen aus der psychosozialen Versorgung in einzelnen Unterkünften Strukturen implementiert wurden, die Bewohner*innen den Zugang zu Schutzfaktoren und Ressourcen erleichtern. Zum Teil wurden dafür Beratungs- und Versorgungsangebote, z. B. psychologische Sprechstunden oder kunsttherapeutische Gruppen für Kinder vor Ort in der Unterkunft angeboten. Andere Modelle stützen sich auf eine enge Kooperation mit externen Akteur*innen aus der psychosozialen Versorgung. So ist im sogenannten „Friedländer Modell“ aus Niedersachsen eine enge Kooperation zwischen den Landesaufnahmebehörden, den Sozialdiensten, psychiatrischen Kliniken und dem Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen (NTFN) entwickelt worden. Die Kooperation der Akteur*innen erleichtere die Identifizierung besonders vulnerabler Geflüchteter, die Bewohner*innen würden durch den Sozialdienst besser erreicht, auch die Voraussetzungen für eine Weiterleitung in die Versorgung hätten sich verbessert – wenn auch die Anzahl der Personen, die am Ende tatsächlich eine Behandlung beginnen könne, an allen Standorten sehr niedrig bleibe (Thomsen, 2018). In Berlin hat das Psychosoziale Zentrum „Xenion“ ein Netzwerk von ehrenamtlichen Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen aufgebaut, um in den Wohnheimen unmittelbare psychosoziale Unterstützung bereitzustellen. Das PSZ hatte festgestellt, dass vor allem besonders stark belastete Menschen es oft nicht allein schaffen, sich Unterstützung zu suchen. Sie ziehen sich in den Unterkünften auf ihre Zimmer zurück und schmälern damit auch ihre Chance auf Integration. Das aufsuchende Angebot hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, eine Brücke zu bauen, kultursensibel mit den Familien ins Gespräch zu kommen und ein vertrauensvolles Beziehungsangebot zu machen. Angeboten werden unter anderem eine psychosoziale Sprechstunde vor Ort, Sozialberatung bei komplexen Fragestellungen rund um das Asyl- und Verfahrensrecht, Gesprächskreise für Männer und Frauen im Rahmen eines niedrigschwelligen, kultursensiblen, gruppenpsychotherapeutischen Modells, Kunsttherapie für Kinder und Jugendliche sowie psychologische Krisenintervention (Xenion, 2019). Neben Versorgungsangeboten durch externe Akteur*innen in den Unterkünften gab es in Hessen ein Modellprojekt, das gemeinsam mit Expert*innen aus Wissenschaft und Versorgung eine möglichst traumasensible Gestaltung des gesamten Unterkunftsalltags pilotiert hat (siehe Kapitel „Integration von Schutzfaktoren in das Unterkunftskonzept“ auf Seite 44). Die Angebote dieser Modellprojekte unterliegen sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, sowohl was ihre Finanzierung und personelle Ausstattung, die Kooperationsbereitschaft von Entscheidungsträger*innen und Betreiber*innen, als auch die zeitlich und regional variierenden gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen und damit einhergehend das (oft ehrenamtliche) Engagement betreffen. An vielen Orten wird nach wie vor auf das Engagement von freiwilligen Unterstützer*innen gebaut, Versorgungslücken und der eingeschränkte Zugang zum Gesundheitssystem wurden vielerorts durch ehrenamtlich Engagierte und/oder zeitlich begrenzte Projekte aufgefangen. Einen bundesweiten Überblick oder gar eine Evaluation dieser Projekte in der Gesamtschau gibt es nicht. Die Modellprojekte sind meist stark von individuellem Einsatz der Akteur*innen vor Ort und dem politischen Handlungsspielraum in der entsprechenden Zeit abhängig. Einige der Projekte werden inzwischen seit einigen Jahren durchgeführt und sind anerkannt, ein großer Teil jedoch wurde inzwischen eingestellt (so auch das Projekt „Step-by-Step“ in Hessen sowie das Angebot von Refugio München und Ärzte der Welt in den bayerischen Ankerzentren, siehe Kapitel „Unterstützungsangebote in Ankerzentren“ auf Seite 45). In Rheinland-Pfalz fördert die Landesregierung psychosoziale Angebote in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die von den Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) bereitgestellt werden und es finden fortlaufend themenspezifische Schulungen sowie Supervisionsangebote für Mitarbeiter*innen der Unterkünfte statt (siehe Kapitel „Niedrigschwellige psychosoziale Versorgung in Aufnahmeeinrichtungen“ auf Seite 44) 43 Integration von Schutzfaktoren in das Unterkunftskonzept Das Projekt „Step-by-Step“: Betreuung von traumatisierten Geflüchteten in der Erstaufnahmeeinrichtung „Michaelisdorf“ in Darmstadt. Die Arbeit im Projekt „Step-by-Step“ (01/2016 – 04/2017) in der Erstaufnahmeeinrichtung in Darmstadt speziell für besonders vulnerable Menschen wie schwer Traumatisierte, Kinder oder allein reisenden Frauen, konnte zeigen, dass eine „klare Strukturierung des Alltags, empathische, professionelle Beziehungen sowie die Möglichkeit, jeden Tag gezielt ‚‘etwas zu bekommen‘ aber auch anschließend an die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen „etwas zurückzugeben“ (Leuzinger-Bohleber & Andresen, 2017) besonders heilend sind und zu einer Stabilisierung beitragen. Im Projekt wurden die Menschen dazu angeregt, im Alltag selbst aktiv zu werden, in dem sie sich aus den bestehenden Angeboten etwas aussuchten, aber auch ihre Kompetenzen der Gemeinschaft zur Verfügung stellten und das Zusammenleben mitgestalteten (Dolmetschertätigkeiten, Kinderbetreuung, Mitarbeit beim Erwachsenenprogramm, Gartenarbeit, …). Eng verbunden waren diese Angebote aber auch mit einer zeitnahen, professionellen medizinischen, psychotherapeutischen und sozialpädagogischen Begleitung. Es wurde eine psychotherapeutische / psychosomatische Sprechstunde eingerichtet und das Personal der Unterkunft in speziellen Workshops, wöchentlichen Fallbesprechungen und Teamsupervisionen zur Erkennung von traumatisierten Geflüchteten geschult. Bei Bedarf wurden weitere Hilfe und Unterstützung (durch Psychosoziale Zentren für Flüchtlinge / medizinisch-psychiatrische Behandlung / sozialarbeiterische Begleitung) frühzeitig eingeleitet, um auch nach dem Transfer Unterstützung zu gewähren. Spezielle Angebote wurden auch für Kinder gemacht, darunter eine Kindergruppe für alle Kinder zwischen 3 und 12 Jahren mit Bastelprojekten, Bewegungs- und Spielangeboten oder auch Musikangeboten. Auch für Jugendliche wurden Angebote gemacht und Räume geschaffen, in denen sie sich zurückziehen und austauschen konnten. Für schwer belastete Kinder wurde außerdem eine therapeutische Malgruppe angeboten, in der die Kinder durch Malen, Kneten, Spielen oder Ausdrucksformen mit anderen Materialien, ihre belastenden und traumatischen Erfahrungen mitteilen und ausdrücken konnten. Im ausführlichen Abschlussbericht zum Projekt „Step–by-Step“ werden die einzelnen Module des Konzepts sowie die Erfahrungen im Projekt im Detail beschrieben. Er ist verfügbar unter: https:// soziales.hessen.de/sites/default/files/media/hsm/ broschuere_step-by-step_screen.pdf Mit der Ableitung traumasensibler Grundprinzipien für die Unterbringung aus der Trauma- und der Migrationsforschung ist das Konzept des „Michaelisdorf“ bundesweit einmalig. Die Erfahrungen aus dem Projekt zeigen, dass die Strukturen und Angebote entscheidend zur Stabilisierung und Vertrauensbildung beigetragen haben und sollten als Vorbild einer möglichst risikoarmen Gestaltung von Unterbringungsbedingungen für Geflüchtete gelten. Aufgrund rückgehender Zugangszahlen wurde der Standort jedoch inzwischen geschlossen. Es ist nicht bekannt, ob das Konzept von einer weiteren Unterkunft übernommen wurde. Niedrigschwellige psychosoziale Versorgung in Aufnahmeeinrichtungen2 In Rheinland-Pfalz befindet sich mit der Ökumenischen Beratungsstelle für Flüchtlinge (ÖBF) ein Psychosoziales Zentrum (PSZ) direkt in den Räumlichkeiten der Erstaufnahmeeinrichtung. Dadurch können Verfahrensberatung, psychosoziale Beratung, Krisenintervention und niedrigschwellige Freizeit- und Gruppenangebote frühzeitig und direkt in der Unterkunft für neu ankommende Geflüchtete angeboten werden. Elementar für die Verständigung und die Qualität der Gespräche ist der Einsatz von Sprachmittler*innen, für die regelmäßig 2 44 Schulungen und Supervisionstermine angeboten werden. Um Wartezeiten zu überbrücken, wird direkt bei Anmeldung zur Psychotherapie ein Clearinggespräch durchgeführt, um nach Möglichkeit erste Hilfestellungen zu geben oder zu Ärzt*innen oder weiteren Fachdiensten zu vermitteln. Wegen der großen Rolle, die die aufenthaltsrechtliche und die sozialrechtliche Lebenssituation auch für die psychischen Belastungen der Klient*innen spielen, hat sich die Dieser Text wurde erstveröffentlicht im Versorgungsbericht zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in Rheinland-Pfalz: http://www.interkulturell-gesundheit-rlp.de/2018-06_versorgungsbericht-rlp.pdf Selbstwirksamkeit durch Kunsttherapiegruppen Um eine größere Zahl von Menschen zu erreichen, Wartezeiten zu überbrücken aber auch um stabilisierende Potentiale von Gruppen zu nutzen, bietet das PSZ Trier eine Reihe von niedrigschwelligen psychosozialen und therapeutischen Gruppen an. So treffen sich im Rahmen der einmal wöchentlich stattfindenden Kunsttherapiegruppe Klient*innen aus verschiedensten Ländern. Die Arbeit mit den unterschiedlichen Materialien eröffnet eine Ausdrucksform, die sprachungebunden ist und eine neue Möglichkeit zur Verarbeitung des Erlebten bietet. Zudem fördert die Teilnahme die Erfahrung, dass aktives Handeln eine Pause im problemorientierten Alltag aus Unsicherheit, psychischer Belastung und Langeweile bietet. Die Klient*innen erfahren Selbstwirksamkeit – sie stellen etwas her, tun etwas für sich und sind selbst in der Lage, etwas zu tun. Zusammenarbeit mit den anliegenden Migrationsfach-, Sozialdiensten und Verfahrensberater*innen als wichtig erwiesen, ebenso wie die Vernetzung mit Behörden wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), den Ausländerbehörden, den Sozialämtern oder dem Jobcenter. Ein weiterer zentraler Bereich der Arbeit ist die Kooperation mit Fachärzt*innen und Kliniken der medizinischen und psychiatrisch-psychotherapeutischen Regelversorgung. Herausforderungen bei der Identifizierung besonderer Schutzbedarfe und Versorgung Trotz der Implementierung dieser Strukturen berichten auch die Akteur*innen in Rheinland-Pfalz für den Aufnahme- und Unterbringungskontext zahlreiche Herausforderungen (Baron, Flory und Reusch, 2017). So führten die Verlängerung der Aufenthaltszeiten in den Aufnahmeeinrichtungen, die Zunahme von Dublinfällen, die schematische Durchführung der Verfahren bei „sicheren Herkunftsländern“ und die Einschränkung des Familiennachzuges in vielen Fällen zu einer Zunahme von Belastungen für die Betroffenen und ihren Familien. Besondere Schutzbedürftigkeit, die nicht unmittelbar ins Auge steche und wie im Falle von Traumafolgestörungen geduldig und aufwendig diagnostiziert werden müsste, finde im Asylverfahren bei Dublin oder „sicheren Herkunftsländern“ oder bei der Beurteilung der so genannten Reisefähigkeit nur noch in Ausnahmefällen Berücksichtigung. Dies werde in besonderer Weise in der psychosozialen Beratung und Krisenintervention in den Erstaufnahmeeinrichtungen spürbar. Krisenhafte Zuspitzungen häuften sich, langfristig stabilisierende oder gar therapeutische Arbeit sei kaum mehr möglich. Außerdem seien die Angebote in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) zur Krankenversorgung angesichts der Bedarfe personell, räumlich und fachlich nicht hinreichend ausgestattet. Aus Sicht des PSZ sollte die Identifizierung besonderer Schutzbedürftigkeit regelhaften und systematischen Charakter haben, damit es tatsächlich wirksam werden könne. In der Region fehlten ferner Dolmetscher*innendienste mit geschulten und angemessen vergüteten Dolmetscher*innen, auf die Kliniken, niedergelassene Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen zurückgreifen könnten. Unterstützungsangebote in Ankerzentren Die Entwicklung der Ankerzentren basierte auf den bereits seit 2015 bestehenden bayerischen „Transit-Zentren“, die ähnlich dem Anker-Konzept strukturiert sind und den Befürworter*innen des Konzepts als Vorbild galten. Die bayerischen „Transit-Zentren“ wurden ursprünglich für abgelehnte Geflüchtete aus sogenannten „Sicheren Herkunftsstaaten“ eingerichtet, die nur kurzzeitig hier untergebracht und möglichst schnell direkt aus der Sammelunterkunft abgeschoben werden sollten. Inzwischen ist diese isolierte Form der Massenunterbringung für alle Schutzsuchenden in Bayern Realität: In jedem Regierungsbezirk wurden die bisherigen Transitzentren oder Erstaufnahmeeinrichtungen samt ihren De- pendancen in ein Ankerzentrum umgewandelt. Im Wissen um die gesundheitlichen Risiken, die vor allem Kinder und Jugendliche in den Ankerzentren ausgesetzt sind, bot das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge und Folteropfer „Refugio München“ gemeinsam mit „Ärzte der Welt“ ein Unterstützungsangebot im Ankerzentrum Manching bei Ingolstadt an (Refugio München, 2019). Ein Jahr lang wurden ab Januar 2019 im 2-Wochen-Takt eine kinder- und jugendpsychiatrische Sprechstunde und eine kunsttherapeutische Gruppe für Kinder angeboten. Ziel des gemeinsamen Projektes sei es gewesen, besonders schutzbedürftige Geflüchtete zu identifizieren, damit ihrer Not Rechnung getragen wird. 45 Kunsttherapeutische Arbeit mit Kindern In den Kunstgruppen mit den Kindern sei versucht worden, dem unruhigen, oft angstmachenden und frustrierenden Alltag ohne Rückzugsräumen eine geschützte Umgebung gegenüber zu stellen. Die Kinder sollten alle zwei Wochen die Chance haben, konzentriert und kreativ zu arbeiten und ihren belastenden Alltag zumindest für die kurze Zeit zu vergessen. Außerdem hätten traumatisierte Kinder durch das Angebot ihre oft unaussprechlichen Erfahrungen auch ohne Worte zum Ausdruck bringen können. Das offene Angebot habe im Verlauf der Einsätze zunehmend Anklang gefunden. „Die Kinder malen oder basteln in den Kunstgruppen oft Häuser. Sie bauen sich damit einen Schutzraum auf. Wir sehen dann, wie sehr sie sich Geborgenheit wünschen, Ruhe und mehr Platz – all das, was sie hier in der Unterkunft nicht haben.“ (IP23) Zugleich habe man in den Gruppen auch deutlich gesehen, dass die Kinder, wenn man sie nicht zu lange mit ihren Schwierigkeiten allein lasse, auch starke und phantasievolle Menschen seien, die vor allem aufgrund der schlechten Unterbringungsbedingungen Symptome entwickelten. Im Verlauf ihrer Einsätze identifizierten die Teams zahlreiche Herausforderungen, die ihre Arbeit in der Unterkunft erschwerten (Ärzte der Welt & Refugio München, 2019). Herausforderungen der Arbeit im Ankerzentrum Identifizierung und Versorgung von besonders schutzbedürftigen Geflüchteten Ein großer Teil der Patient*innen, die an den Angeboten der Teams teilgenommen hätten, seien psychisch und / oder körperlich bereits erkrankt gewesen, als sie in die Anker-Einrichtung aufgenommen wurden, hätten jedoch bislang keine Versorgung erhalten. Auch die wenigen Fälle, die als besonders belastetet identifiziert wurden, seien oft unversorgt geblieben, weil sie in ihrer Alltagsbewältigung so stark eingeschränkt waren, dass sie Termine bei Psychiater*innen, in Kliniken oder Ambulanzen nicht ohne besondere Unterstützung hätten wahrnehmen können. Vermutet werde außerdem, dass die meisten psychisch stark belasteten Kinder und Jugendlichen in den Unterstützungsangeboten gar nicht gesehen würden, weil die normalerweise unabdingbare Zusammenarbeit mit Schulen nicht möglich gewesen sei. In der Regel könnten Lehrer*innen durch den engen Kontakt zu den Kindern wichtige Informationen über die Befindlichkeit ihrer Schüler*innen weitergeben. Im Kontext der Sonderbeschulung im Ankerzentrum sei es jedoch nicht möglich gewesen, dafür gute Kooperationsstrukturen aufzubauen. 46 Verschlechterung des Gesundheitszustands durch die Lebensbedingungen Bei den meisten Kindern und Eltern, die die Teams in ihren Einsätzen gesehen hätten, sei zudem deutlich geworden, dass vor allem die Lebensbedingungen im Ankerzentrum sie belasten. Durch die beengten Wohnverhältnisse, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, nächtliche Ruhestörungen und die soziale Isolation verschlechtere sich der Gesundheitszustand von Kindern, die bereits psychisch erkrankt seien – Symptome wie Schlafstörungen, Angstsymptome und Übererregung verstärkten sich. Bei bislang unauffälligen Kindern seien diese Bedingungen mitunter der Auslöser für eine Belastungssymptomatik. Die engmaschige Begleitung, die in vielen Fällen nötig sei, könne in einer Anker-Einrichtung in der Regel nicht sichergestellt werden. Auch die teils eingeleiteten Behandlungen könnten ihre Wirksamkeit nur entfalten, wenn sie unter entsprechenden Umgebungsbedingungen und in einem interdisziplinären Konzept stattfänden. Nach einem Jahr im Ankerzentrum resümiert Refugio München, dass es unter den äußerst restriktiven äußeren Bedingungen kaum möglich sei, die Bedarfe traumatisierter Menschen fachgerecht zu adressieren (Refugio München, 2019). Die engagierten Sozialdienste seien schon mit den Alltagsschwierigkeiten der Bewohner*innen an ihren Kapazitätsgrenzen und könnten unter diesen Umständen kaum Vermittlungsarbeit in die Angebote leisten. Ärzt*innen gebe es in den Ankerzentren nur für wenige Stunden pro Woche, sie seien nicht auf psychische Erkrankungen spezialisiert und würden ohne Dolmetscher*innen arbeiten. Die Bilanz des Geschäftsführers, Jürgen Soyer, findet sich auf der Homepage der Einrichtung: „Nach einem Jahr mussten wir und Ärzte der Welt feststellen, dass es sehr viele psychisch stark belastete Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Manching gibt. Wir mussten feststellen, dass die oben beschriebenen Lebensbedingungen für neu ankommende Flüchtlinge und ganz besonders für Kinder eine Katastrophe sind und die Menschen zusätzlich krank machen. Wenn wir eine Person als traumatisiert identifiziert haben, gib es kein funktionierendes System, wie man auf ihre Bedürfnisse eingehen könnte. Jeder Fall ist ein neuer Kampf um Zuständigkeit, eine zeitnahe Reaktion und eine positive Entscheidung.“ Refugio München. „Anker-Zentren. Wo die Not zum Himmel schreit – ein Jahr Hilfe für Kinder im Anker-Zentrum Manching. Eine Bilanz von Jürgen Soyer, Geschäftsführer“. Zugriff unter: https://www.refugio-muenchen.de/ueber-uns/ einblicke/ankerzentren/manching/ [14.01.2020] Auch die Organisation „Ärzte der Welt“ stellte die Unterstützungsangebote im Ankerzentrum ein, weil die krankmachenden Bedingungen eine erfolgreiche Behandlung verhinderten (Ärzte der Welt, 2019). Es gebe kein System besonders vulnerable Personen zu identifizieren. François De Keersmaeker, Direktor von „Ärzte der Welt“ fordert vor diesem Hintergrund, Asylsuchende dezentral unterzubringen und nationale wie internationale Mindeststandards in den Unterkünften einzuhalten. Die Gesundheitsexpert*innen von "Refugio München" und "Ärzte der Welt" informierten regelmäßig die Verantwortlichen sowie die Öffentlichkeit über die Eindrücke, die sie zur belastenden Situation der Bewohner*innen vor Ort gewonnen hatten. Neben Medienberichten und Interviews fand im Herbst 2019 auch eine Expert*innen-Befragung zur Situation in den bayerischen Ankerzentren im Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration statt. Dort berichtete der Psychiater des Angebots, dass er Kinder betreue, die sich um ihre Mutter kümmern müssten, weil sie bereits drei Mal versucht hätte, sich umzubringen. Er erzählte von krebskranken Jugendlichen, die nicht ins Krankenhaus verlegt werden, obwohl sie regelmäßig Krampfanfälle erlitten, die ihre Geschwister mit ansehen müssten und von Kindern, die mit zehn Jahren wieder beginnen, einzunässen, wenn die Polizei in der Unterkunft auftauche. (Guyton, 2019). „Ärzte der Welt“ berichteten beispielhaft von einer traumatisierten jungen Frau, die ein lybisches Foltergefängnis überlebt hat und jetzt regelmäßig gewalttätige Auseinandersetzungen mit Sicherheitsdiensten und Polizeikontrollen miterleben müsse (Ärzte der Welt, 2019). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hingegen lobte die Ankerzentren als „bayerisches Vorbild“, in denen Mitarbeitende „sehr positive Rückmeldungen“ von Bewohner*innen erhielten (Guyton, 2019). In einer Stellungnahme vom gleichen Tag (BAMF, 2019) führt die Behörde aus, dass die Behördenzentralisierung sich bewährt habe und nachweislich zu Beschleunigungseffekten führe. Bewohner*innen nähmen Termine, Beratungsangebote und tagesstrukturierende Maßnahmen besser wahr. Allen Asylsuchenden werde so aufmerksam begegnet wie im herkömmlichen Verfahren. Besonders schutzbedürftige Personen würden bereits bei der Aufnahme identifiziert, könnten aber auch später in der Verfahrensberatung und im Asylverfahren festgestellt werden. Die bayerischen Anker-Einrichtungen hätten damit „beachtliche Pionierarbeit für den bundesweiten Trend zur Etablierung von Anker- oder funktionsgleichen Einrichtungen geleistet“ (BAMF, 2019; S.5). Zur Situation geflüchteter Kinder im Ankerzentrum Dresden Das sächsische Ankerzentrum in Dresden unterscheidet sich in mehrerlei Hinsicht von den bayerischen Vorbildern, unter anderem befindet es sich relativ zentral im Innenstadtbereich der Landeshauptstadt. Dennoch berichten Ärzt*innen ähnlich wie für die bayerischen Einrichtungen, dass das Leben vor Ort für Kinder eine enorme Belastung sei. Kinder, die nicht bereits traumatisiert seien, würden dort traumatisiert, berichtet eine Psychiaterin gegenüber dem Tagesspiegel (Schmidt, 2020). Sie betreut Kinder, die in der Unterkunft leben. Sie behandele etwa ein 11-jähriges Mädchen aus Eritrea, deren kleiner Bruder auf der Flucht durch die Wüste verdurstet sei – es habe nun im Ankerzentrum aufgehört zu sprechen. Auch ein Jugendlicher, dessen Vater von Milizen erschossen worden sei, lebe hier: Er empfände die Unterkunft durch die Präsenz der Sicherheitsdienste als „gefängnisähnliche Situation“ und sei dadurch ständig mit den Erlebnissen konfrontiert, die ihn traumatisiert hätten. Diese Kinder fänden im Ankerzentrum keinen Schutz, die Grundbedürfnisse für eine gesunde Entwicklung der Kinder seien nicht erfüllt. Es sei nicht ratsam, Kinder auch nur für wenige Monate unter diesen Bedingungen unterzubringen. Zum Artikel: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/ich-wusste-nicht-mehrwelcher-wochentag-war-wie-europa-gefluechtete-kinder-einsperrt/25406306.html 47 16. Empfehlungen In der Zusammenschau der Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien und den Berichten der Interviewpartner*innen empfiehlt die BAfF folgende Punkte, um die Gesundheit von geflüchteten Kindern zu schützen: Recht auf Schutz Verletzungen des Rechts auf Schutz, des Rechts auf Bildung, des Rechts auf Gesundheit, sowie der Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Massenunterkünften sind durch ein kontinuierliches Monitoring der Unterbringungsbedingungen zu überprüfen. Es sind Konzepte zu entwickeln, wie diese Rechte für alle jungen Geflüchteten sichergestellt werden können. Wenigstens die „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ (UNICEF, BMFSFJ) müssen in allen Flüchtlingsunterkünften in Deutschland umgesetzt, eingehalten und fester Bestandteil von Betreiberverträgen werden. Darüber hinaus sind Maßnahmen zur Identifizierung, zum Schutz und zur Versorgung traumatisierter und/oder psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher zu entwickeln und einzuhalten. Räumliche Bedingungen Bei der räumlichen und organisatorischen Gestaltung von Flüchtlingsunterkünften sind die Prinzipien traumasensibler Umgebungen zu berücksichtigen. Es braucht: • Alltagsstrukturen, die Sicherheit und Verlässlichkeit bieten; • Soziale Interaktionen, die alternative Beziehungserfahrungen nach Gewalt und Verlust ermöglichen; • Gestaltungsspielräume für sinnstiftende Aktivitäten (um Passivität, Ohnmacht und Kontrollverlust entgegen zu wirken); • Ruhe- und Rückzugsräume; abschließbare Zimmer; • Sicherheitsstandards für Schutzräume wie Frauenschutzhäuser; • Hygienestandards; • Ruhe & Sicherheit in Zimmern, Gemeinschaftsräumen, auf den Gängen, dem Gelände und insbesondere Sanitäranlagen mit ausreichender Beleuchtung; • Ruhezeiten und -räume für Kinder und Jugendliche zum Lernen (Hausaufgaben) und Spielen; • Alle Kinder und Jugendlichen brauchen ausreichend Raum für sich selbst (räumliche Enge verändert die Familiendynamik und führt zu Konflikten). Kindgerechte Angebote Kindern und Jugendlichen muss die Möglichkeit gegeben werden, selbst aktiv zu werden, selbstbestimmt ihr Leben zu bestreiten und Verantwortung zu tragen. Freizeitaktivitäten wie Spiel, Sport, Tanz und Musik fördern sowohl die körperliche Gesundheit als auch das psychische Wohlbefinden. Kinder- und jugendfreundliche Orte und Angebote müssen fester Bestandteil der Unterkünfte sein. 48 • Sie müssen allen als sichere Orte zugänglich sein. • Angebote müssen durch pädagogisch qualifiziertes Betreuungspersonal durchgeführt werden. • Über die Angebote muss niedrigschwellig informiert werden. Kindgerechte Ernährung Bewohner*innen sollten auch in Bezug auf ihre Ernährungsgewohnheiten in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung gestärkt werden. Allen Bewohner*innen, insbesondere Menschen, die aufgrund von Erkrankungen, Entwicklungsdefiziten oder Behinderungen besondere Bedarfe haben, muss gestattet werden, sich so zu verpflegen, wie es ih- nen guttut oder sie es gewohnt sind. Dazu gehören Kochmöglichkeiten in den Unterkünften und die Aufhebung sowohl des Sachleistungsprinzips als auch der Verbote, Lebensmittel in die Unterkünfte mitzunehmen. Eltern von Kindern mit besonderen Bedarfen müssen bei der Organisation spezieller Nahrungsmittel unterstützt werden. Ruhe und äußere Sicherheit Für die Gesundheit und Entwicklung von Kindern ist die Sicherheit ihrer Umgebung, aber auch ein erholsamer Schlaf eine zentrale Grundvoraussetzung. Kinder und Jugendliche müssen vor nächtlichen Ruhestörungen, Zimmerkontrollen, Polizeieinsätzen und Abschiebungen geschützt werden. Andernfalls leben sie weiter in einer Situation permanenter Angst und Bedrohung. Die Sicherheitsstandards für Schutzräume zum Beispiel speziell für Frauen und ihre Kinder sind unbedingt einzuhalten. Insbesondere traumatisierte Geflüchtete benötigen „äußere Sicherheit“, um sich auch psychisch zu stabilisieren. Flüchtlingsunterkünfte sollten sich daher ähnlich wie die Traumapädagogik für die Jugendhilfe mit der Gestaltung „heiler“ bzw. „sicherer Orte“ (vgl. Scherwath und Friedrich 2012, zit. nach Zito, 2017) beschäftigen. Traumatisierendes Umfeld – traumapädagogische Ziele – konkrete Handlungsmöglichkeiten (nach Meyeringh, 2017) Traumatisierendes Umfeld Traumapädagogische Ziele Konkrete Handlungsmöglichkeiten Unberechenbarkeit Transparenz und Verlässlichkeit • Information und Orientierung, Aufklärung (Alltagsleben, Schule/Lernen, Leben in Jugendhilfeeinrichtung, etc.) • Zuverlässige Unterstützung anbieten • Termine und Versprechen einhalten • Sicherheit, Ruhe, Beständigkeit Strukturverlust Struktur Einsamkeit Beziehungsangebote, soziale Unterstützung • Soziale Kontakte • Vermitteln, dass man gemeinsam über Probleme und Lösungen sprechen kann, aber nicht muss • Vermitteln, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und v.a. nicht an diesen Schuld sind • Grenzen ziehen ohne zu verletzen Nicht gesehen / gehört werden Beachtet werden / wichtig sein Geringschätzung Wertschätzung Entmutigung Ermutigung • • • • Bedürfnisse missachtet Bedürfnisorientierung Ausgeliefert sein – andere bestimmen über mich Mitbestimmen können / Partizipation Leid Freude Ernst nehmen Kulturelle Besonderheiten beachten Nicht verallgemeinern Jugendliche nicht allein lassen, wenn sie sich unangepasst oder undankbar verhalten • u.a. auch Ressourcen finden und stärken • u.a. nicht darauf drängen, dass z. B. traumatische Inhalte erzählt werden • Gemeinsame Entwicklung von Regeln (Partizipation) • Ablenkung, Sport, Musik, Einbindung in Peer Groups 49 Soziale Netzwerke Die Isolierung und Kontrolle von geflüchteten Familien in Massenunterkünften enthält ihnen zahlreiche Schutzfaktoren vor, die sie zur Stabilisierung und für ein gesundes Heranwachsen nach der Flucht benötigen. Es braucht eine soziale Anbindung sowohl an Communities als auch die Aufnahmegesellschaft in den Kommunen. Geflüchteten Kindern und Jugendlichen muss ermöglicht werden, neue Freundschaften zu knüpfen und sich in Vereinsstrukturen, z. B. im Sport, zu integrieren. Sie müssen die Chance erhalten, Teil einer „normalen“ Lebenssituation zu sein, einer Nachbarschaft anzugehören und sich ein soziales Netz aufzubauen. Die Zusammenarbeit mit ehrenamt- lichen Unterstützer*innen, Beratungsstellen und Freizeitangeboten und insbesondere pädagogischen Institutionen außerhalb der Unterkünfte ist dafür eine zentrale Voraussetzung. Häufig sind dafür inzwischen kaum noch zusätzliche Maßnahmen nötig, weil es bereits Akteur*innen und Angebote gibt, die in den Städten und Gemeinden, in den Nachbarschaften und mit entsprechenden Fachdiensten bereits aktiv sind. Ihr Engagement muss jedoch in erster Linie zugelassen, gestärkt, gegebenenfalls koordiniert und mit den jeweils notwendigen Ressourcen ausgestattet werden. Bildung Der häufig hohen Motivation und dem großen Interesse junger Geflüchteter, zur Schule zu gehen und sich eine Perspektive aufzubauen, muss durch den möglichst frühen Zugang zum Schul- und Ausbildungssystem Rechnung getragen werden. Die Qualität und der Umfang der Sonderbeschulungen wurde übereinstimmend als unzureichend beschrieben. Damit verschlechtern sich die Bildungschancen der Heranwachsenden. Die Schulpflicht für geflüchtete Minderjährige muss bundesweit in allen Unterkünften umgesetzt werden. Um Bildungsbenachteiligungen so früh wie möglich entgegenzuwirken muss auch der Zugang zu frühkindlicher Bildung sichergestellt werden und geflüchtete Kinder sollten in die umliegenden Kitas aufgenommen werden. Foto von Katrina_S | pixabay. de 50 Durch den Besuch von Kita und Schule erhalten Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, in den Strukturen und der Routine der Institutionen einen „sicheren Ort“ zu finden, an dem sie mit ihren Fähigkeiten ernst genommen werden, soziale Kompetenzen ausbauen und Freundschaften aufbauen können. Sie werden aus ihrer Passivität befreit, Frustration, Langeweile und Perspektivlosigkeit kann entgegengewirkt werden. Berücksichtigt werden muss an dieser Stelle jedoch auch, dass ein wesentlicher Teil des schulischen Lernens auch außerhalb der Schule mit den Hausaufgaben stattfindet und Schüler*innen dafür ein sicheres, konzentrationsförderndes Umfeld brauchen. Auch in den Unterbringungsbedingungen müssten dafür geschützte, ruhige und lernförderliche Orte geschaffen werden. Angesichts der räumlichen und organisatorischen Bedingungen erscheint dies für einen Großteil der Sammelunterkünfte kaum realisierbar. Auch hier zeigt sich, dass insbesondere Familien mit Kindern und Jugendlichen nicht in Sammelunterkünften, sondern dezentral in Wohnungen untergebracht werden sollten. Auch die Sensibilisierung der Fachkräfte in Schule und Kita für die Lernausgangs- und die Lebensbedingungen von jungen Geflüchteten ist von zentraler Bedeutung. Neben dem Verständnis der Bedarfe und Schwierigkeiten, der Stärken und Ressourcen der ankommenden Kinder und Jugendlichen sollten auch Fortbildungsmöglichkeiten zu Traumasensibilität in pädagogischen Kontexten angeboten und Lehrkräfte stärker in Fragen der frühen Identifizierung von psychischen Belastungen und Auffälligkeiten eingebunden werden. Zusammenarbeit mit Eltern Psychische Belastungen von Eltern können sich nachteilig auch auf die Entwicklung und die Gesundheit ihrer Kinder auswirken. Es braucht daher familienbezogene Interventionen, die auch die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen und Eltern in ihrer Erziehungskompetenz und in ihrer Elternrolle im neuen Kontext stärken. Die besonderen Bedarfe psychisch belasteter geflüchteter Eltern sollten in einem systematischen Verfahren identifiziert und auch in ihren Auswirkungen auf das Familiensystem berücksichtigt werden. Besonderes Augenmerk sollte dabei auch Kindern zukommen, die sich oft umfangreich um ihre Eltern kümmern, sich schuldig fühlen oder sich für ihre Situation schämen. Alle Kinder und Jugendlichen sollten darin gestärkt werden, auch ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und soziale Kontakte auch zu haltgebenden Personen außerhalb der Familie zu knüpfen. Mitarbeitende in den Unterkünften benötigen für diese Aufgaben einen angemessenen Personalschlüssel und themenspezifische, regelmäßige Qualifizierungs-, Supervisions- und Intervisionsangebote. Da die Sicherheit der gesamten Familie entscheidend auch vom Aufenthaltsstatus und der (wahrgenommenen) Bleibeperspektive abhängig ist, sind auch Beratungsangebote zu Fragen des Asylverfahrens von zentraler Bedeutung. Es ist daher sicherzustellen, dass alle asylsuchenden Familien Zugang zu einer unabhängigen individuellen Asylverfahrensberatung haben. Diskriminierungserfahrungen Kinder und Jugendliche, die Alltagsrassismus, Beleidigungen oder Bedrohungen erleben, müssen in ihren Erfahrungen ernst genommen werden. Auch die strukturelle Diskriminierung von Flüchtlingskindern und ihren Familien im schulischen und behördlichen Kontext oder auch im Gesundheitssystem sollte mitgedacht und sowohl durch sozialarbeiterisches Handeln als auch durch strukturell-politische beziehungsweise institutionelle Änderungen adressiert werden. Insbesondere die Separation und unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten nach Herkunftsländern und daran geknüpfte vorausgesetzte Bleibeperspektive muss dabei reflektiert werden. Alle Geflüchteten sind mit ihren individuellen Biographien ernst zu nehmen. Sowohl im Unterbringungskontext als auch im Bildungs- und Gesundheitssystem sind hier Sensibilisierungsmaßnahmen notwendig. Es braucht: • Empowerment-Angebote für geflüchtete Kinder, Jugendliche und ihre Eltern • Rassismuskritische Schulungen der Mitarbeitenden in Unterkünften; kritische Reflektion der eigenen Rolle/Arbeit • Vernetzung bzw. Zusammenarbeit mit Opferberatungsstellen bzw. Anlaufstellen für Opfer rassistischer Gewalt, sowie mit Psychosozialen Akteur*innen und weiteren spezialisierten Beratungsstellen (für Menschen mit Behinderung, LSBTIQ, …) 51 Frühe Identifizierung psychischer Belastung und Betreuung Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bleiben in Sammelunterkünften meist unsichtbar und bedürfen daher systematischer Beachtung. Die Zusammenarbeit mit Eltern oder anderen Sorgeberechtigten ist dafür zentral, ein Vertrauen in die elterliche Sorge und Verantwortung als alleinige Maßnahme jedoch nicht ausreichend für die Identifizierung besonderer Bedarfe oder Auffälligkeiten. Zur systematischen Identifizierung der Belastungen und Bedarfe von Kindern und Jugendlichen im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie braucht es daher ein strukturiertes, gegebenenfalls fragebogengestütztes Elterngespräch durch psychologisch qualifiziertes Personal. Auch auf Ängste und Hemmungen, psychisch belastete Kinder in Unterstützungsstrukturen vorzustellen, sowie auf eigene Belastungen der Eltern muss dabei sensibel und qualifiziert eingegangen werden. Besondere Berücksichtigung sollten hier auch Heranwachsende erhalten, die sich häufig mit ihren Schwierigkeiten zurückziehen, um ihre Familie nicht noch mehr zu belasten, und Kinder, die sich zurückziehen, verstummen, nicht mehr spielen oder Vermeidungssymptome zeigen. Wird lediglich auf störendes Verhalten wie Hyperaktivität und Unruhe oder Aggressivität geachtet, erhält ein großer Teil der Kinder nicht die Hilfe, die sie bräuchten. Ein bedarfsgerechtes Verfahren zur frühen Identifizierung und Versorgung sollte entlang eines 3-stufigen Prozesses mit klaren Verweisstrukturen, Rollen und Verantwortlichkeiten erfolgen (siehe auch Baron et al., 2020) 1. Strukturierte Identifizierung, unabhängige Beratung und Information Es braucht ein strukturiertes persönliches Gespräch innerhalb einer vertrauensvollen Atmosphäre. Dieses Gespräch muss im Gegensatz zur medizinischen Erstuntersuchung freiwillig sein, gleichzeitig jedoch allen Bewohner*innen so früh wie möglich angeboten werden und darf nicht lediglich beschwerdeabhängig erfolgen. Von zentraler Bedeutung ist die Sichtbarkeit und die Erreichbarkeit dieses Angebots. Idealerweise wird das Vertrauen durch das Angebot eines unabhängigen, nicht-staatlichen Akteurs hergestellt, der in jedem Fall über die notwendige psychosoziale Qualifikation verfügen muss. Aber auch die Schlüsselfunktion der Sozialdienste, die im Alltag den engsten Kontakt zu den Bewohner*innen und in die entsprechenden Unterstützungsstrukturen haben, sollte für die Hinweisaufnahme genutzt werden. Damit die Sozialdienste Hinweise auf Belastungen und besondere Bedarfe wahrnehmen und in entsprechende Versorgungsstrukturen vermitteln können, braucht es in den Unterkünften angemessene Personalschlüssel und 52 entsprechende Arbeitsbedingungen, Schulungsund Supervisionsangebote sowie qualifizierte Sprachmittlung. Auch die Kinderbetreuung oder pädagogische Fachkräfte sowie die Schule erweisen sich in diesem Prozess in der Regel als entscheidende Hinweisgeber*innen, die einbezogen werden sollten, weil sie am ehesten feststellen, wenn ihre Schüler*innen beim Lernen oder in ihren sozialen Kompetenzen beeinträchtigt sind. Von großer Bedeutung ist darüber hinaus eine gute Zusammenarbeit mit Akteur*innen aus der unabhängigen Verfahrensberatung. 2. Qualifizierte Diagnostik und Bedarfsermittlung Ergeben sich in dem ersten Gespräch Hinweise auf eine psychische Erkrankung, muss den Betroffenen eine Möglichkeit zur zeitnahen Diagnostik, fachspezifischen Bedarfsermittlung und Erstversorgung angeboten werden. 3. Leistungsgewährung und Versorgung Wurde ein Behandlungsbedarf festgestellt, muss die Gewährung der Leistung einschließlich der sprachlichen Verständigung sichergestellt werden. Jede Unterkunft sollte ein an diesem Modell sowie den regionalen Versorgungserfahrungen orientiertes Verfahren zur Identifizierung und Versorgung besonders vulnerabler Kinder und ihrer Familien in den Aufnahmealltag integrieren. Die identifizierten Bedarfe sollten datenschutzkonform dokumentiert und idealerweise auch statistisch ausgewertet werden, um eine fundiertere Planung und Weiterentwicklung der Unterstützungsangebote sicherzustellen. Eine Weitergabe der persönlichen Daten z. B. an weitere Versorgende darf nur nach Aufklärung und informierter Einwilligung der Person oder ihrer Sorgeberechtigten erfolgen. Kommunikations- und Kooperationsstrukturen Es müssen außerdem Formate des regelmäßigen Austauschs zwischen den Akteur*innen, die mit der Erfassung besonderer Bedarfe befasst sind, gefunden werden, auf Fallebene sowie zur Evaluation des Verfahrens auf struktureller Ebene. Wirksamkeit entfalten Systeme der Identifizierung besonderer Schutzbedürftigkeit in der Regel nur dann, wenn sie auch behördlicherseits gewollt sind. Insbesondere Formate wie Runde Tische mit Teilnehmenden aus Sozialdiensten, Versorgungsstrukturen, Aufnahmebehörden, Leistungsträgern und gegebenenfalls dem BAMF haben sich in erfolgreichen Modellprojekten bewährt. 1. Hinweisaufnahme, unabhängige Beratung und Information • Strukturiertes persönliches Gespräch in vertrauensvoller Atmosphäre • Niedrigschwelliger, qualifizierter Kontakt & Alltagsbeobachtungen • Aufklärung und Beratung zu Unterstützungsangeboten 2. Qualifizierte Diagnostik • Fachspezifische Bedarfsermittlung und Erstversorgung 3. Leistungsgewährung und Versorgung • Etablierte Vermittlungsstrukturen, gutes Schnittstellenmanagement und ausreichend Versorgungsangebote → Klare Verweisungswege und Handlungsempfehlungen → Verlässliche Kommunikationsstrukturen zwischen den Akteur*innen Abb. 1: Mehrstufiger Prozess zur frühen Identifizierung psychischer Belastung und Versorgung Gesundheitsversorgung in Massenunterkünften Das Versorgungsangebot für geflüchtete Kinder und Jugendliche muss sowohl innerhalb der Unterkünfte als auch im Regelsystem ausgebaut und qualitativ verbessert werden. Psychisch belasteten Personen, die in Sammelunterkünften leben, muss frühzeitig ein Zugang zu Diagnostik, Beratung und Behandlung gewährt werden. Barrieren, die durch Informations- und Vermittlungsdefizite, die strukturellen Einschränkungen durch das AsylbLG sowie die räumlich-geographische Isolation in Massenunterkünften entstehen, sind abzubauen, bedarfsgerechte Angebote wie psychologische Sprechstunden oder kunsttherapeutische Gruppen müssen in ihren Kapazitäten gestärkt werden. Von der Erstuntersuchung an ist sicherzustellen, dass im Rahmen der Gesundheitsversorgung eine Verständigung in einer gemeinsamen Sprache möglich ist. Qualifizierte Sprachmittlung muss gewährleistet werden, damit es nicht zu Missverständnissen, Fehldiagnosen und Behandlungsfehlern kommt. Psychisch belastete Kinder, Jugendliche und ihre Familien müssen die Möglichkeit haben, Versorgungsangebote außerhalb der Unterkunft wahrzunehmen und sollten bei Bedarf aktiv bei der Suche nach Hilfsangeboten unterstützt werden. Eine alleinige Versorgung durch Sprechstunden-Formate in den Unterkünften selbst ist in der Regel nicht ausreichend, zum einen, weil häufig keine entsprechend spezialisierten Fachkräfte vor Ort sind, zum anderen, weil insbesondere psychosoziale Belastungen eines geschützten Raumes und einer vertrauensvollen Atmosphäre bedürfen, die in Sammelunterkünften nicht herzustellen ist. Die Schwierigkeiten, die sich im Moment bei der Kostenübernahme für Psychotherapien, Sprachmittlungs- und Fahrtkosten zeigen, sind nicht nachvollziehbar. Minderjährige Geflüchtete zählen zu den besonders vulnerablen Gruppen im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie: In ihrem Falle reduziert sich der Ermessensspielraum, den das AsylbLG für die Gewährung von Leistungen nach §6 AsylbLG vorsieht, „auf Null“. Behandlungen müssen gewährt werden, wenn eine fachliche Indikation besteht. Für eine europarechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung sind Verwaltungsvorschriften notwendig, die klare Vorgaben für die behördliche Praxis definieren. Die Erfahrungen mit Unterstützungsangeboten in Massenunterkünften zeigen überdies, dass es vor allem die Lebensbedingungen sind, die Symptome psychischer Erkrankungen auslösen, verstärken oder aufrechterhalten. Aus gesundheitlicher und psychosozialer Perspektive ist die Unterbringung in Sammelunterkünften nicht vertretbar. 53 Aufenthaltsdauer in Sammelunterkünften Der Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften muss auf ein Minimum reduziert werden. In dieser Zeit sollten alle notwendigen Informationen und Untersuchungen geleistet werden und gegebenenfalls notwendige Vermittlungen an Beratungsstellen oder ärztliche Behandlung beziehungsweise psychosozialer Beratung in den Kommunen aktiv angestoßen werden. Die Personen sollten auch tatsächlich in kleinere, dezentrale Unterkünften verteilt werden. In der Praxis wird teil- weise so verfahren, dass einzelne Gebäudeabschnitte der Erstaufnahme- oder Ankerzentren lediglich zur Gemeinschaftsunterkunft „umgewidmet“ wurden und die Personen bei einem Transfer dann nur in einen anderen Trakt auf dem gleichen Gelände verlegt werden. Dieses Vorgehen ist zu unterlassen, damit Lebenssituationen, Integrationsperspektiven zeitnah verbessert und psychische Belastungen reduziert werden können. Zusammenfassung der Empfehlungen 54 • Reduktion der max. Aufenthaltsdauer in Sammelunterkünften auf ein Minimum • dezentrale Unterbringung • Identifizierung besonderer Schutzbedürftigkeit • feste Verankerung niedrigschwelliger, psychosozialer Beratung (mehr als Sprechstunde 1x/Woche) • Gleichbehandlung von Flüchtlingskindern mit allen Kindern im Zugang zum Gesundheits- und Sozialsystem • Finanzierung der Sprachmittlung • fest verankerte, finanzierte Angebotsstrukturen für Kinder, Jugendliche (mit pädagogischem Fachpersonal) und Erwachsene • Selbstbestimmung im Alltag (Essen, kein Sachleistungsprinzip, freie Arztwahl) • Zugang zu regulären Bildungseinrichtungen (Kita, Schule) und Sprachkursen • Monitoring der Unterbringungsbedingungen • Kindgerechte Rückzugsräume (zum Spielen und Lernen) • Sicherheitsstandards für Schutzräume, abschließbare Zimmer • Unterstützung ehrenamtlicher Angebote zur sozialen Integration • Aktives Vorgehen gegen Diskriminierung 17. Fazit Geflüchtete Kinder und Jugendliche haben häufig nicht nur vor und während der Flucht Gewalterfahrungen gemacht und sind dadurch belastet, sie müssen auch deren Verarbeitung in einer von Einschränkungen und Unsicherheit geprägten neuen Lebenssituation lösen. Die Unterbringungssituation in Deutschland ist sehr durch regional unterschiedliche Bedingungen und Voraussetzungen geprägt. Durch neue Gesetze werden aktuell immer mehr Kinder und Jugendliche mit ihren Familien in großen Sammelunterkünften untergebracht. Die Unterbringung und die damit verbundenen Angebote und Zugänge sind entscheidend für die Entwicklung der jungen Geflüchteten und für die Verarbeitung des Erlebten. Große Gesundheitsstudien bei Kindern und Jugendlichen zeigen, dass die psychische Gesundheit eine der Voraussetzungen für Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und Teilhabe darstellt (Kuntz et al., 2018). Wenn in jungen Jahren psychische Probleme und Belastungen auftreten, führt dies oftmals zu Beeinträchtigungen in der Gestaltung des Alltags und bei sozialen Kontakten. Außerdem können dadurch die Entwicklungschancen z. B. im Hinblick auf die schulische und berufliche Ausbildung verringert werden (Hölling et al., 2007, 2014). Daher ist die Unterstützung der jungen Geflüchteten unmittelbar nach ihrer Ankunft von großer Bedeutung, sodass sich Gefühle wie Passivität, Hilflosigkeit und Ohnmacht – der die Kinder auch schon während traumatisierender Situationen ausgesetzt waren – nicht wiederholen. Damit Kinder und Jugendliche wieder ein Gefühl von Sicherheit und Selbstbestimmung gewinnen können, müssen sichere Orte für sie geschaffen werden. Die Recherche zeigt jedoch, dass Sammelunterkünfte keine sicheren Orte für Kinder und Jugendliche – wie auch Erwachsene – darstellen. Stattdessen wirken eine hohe Anzahl von Risiko- und Belastungsfaktoren zusammen, die ein Ankommen und zur Ruhe kommen verunmöglichen, ihrer psychischen Gesundheit massiv schaden und langfristig die Integration verhindern. Bei psychisch bereits belasteten Personen wurde immer wieder deutlich, wie sehr die schlechten Unterbringungsbedingungen ihre Symptomatik verstärken. Wer nicht schon krank ist, wird krank und bereits psychisch Erkrankte noch kränker. Die Gesundheitsversorgung und die psychosoziale Versorgung junger Geflüchteter in den Massenunterkünften wurden für die meisten Einrichtungen als besorgniserregend unzureichend beschrieben. Quantitativ liegt das Versorgungsangebot um ein Vielfaches unter dem Bedarf, der Zugang zu Beratung und Behandlung ist hart umkämpft. Ein Grund dafür sei der hohe Personalmangel und Überlastung der Sozialarbeitenden, der wiederum auch einer der Gründe für das Fehlen eines systematischen Verfahrens zur Identifizierung der besonderen Bedarfe von (psychisch belasteten) Kindern ist. Die Befunde legen den Eindruck nahe, dass der Unterstützungsbedarf traumatisierter Kinder, die in Massenunterkünften untergebracht werden, aktuell häufig nicht beziehungsweise erst bei extrem zugespitzten Verläufen erkannt wird. Weitere Risikofaktoren und Mängel sind: räumliche Enge, fehlende Privatsphäre, die regelmäßigen Ruhestörungen, das Beobachten von Abschiebungen und die schlechten Ernährungsbedingungen. Sie wirken sich deutlich sowohl auf gesunde als auch schon durch traumatische Ereignisse belastete geflüchtete Kinder und Jugendliche aus. Es fehlt an kind- bzw. jugendgerechten Angeboten und Spiel- bzw. Aufenthaltsräumen. Viele Kinder und Jugendliche haben während ihres Aufenthalts in den Sammelunterkünften keinen Zugang zum regulären Bildungssystem und können nur an einem mangelhaften Parallelsystem innerhalb der Einrichtung teilnehmen. Weil es kaum kind- bzw. jugendgerechte Angebote gibt, stehen den zahlreichen Belastungen kaum Schutzfaktoren gegenüber, die Sicherheit und Verlässlichkeit bieten. Räume der Entspannung und Erholung gibt es bislang meist nicht, das Stresslevel bleibt daher dauerhaft hoch. Die Betroffenen haben Angst vor erneuter Gewalt und Übergriffen, Diskriminierung und weiteren Konflikten. Sie haben oft das Gefühl, ausgeliefert zu sein und ihre Situation nicht kontrollieren zu können. Die wissenschaftliche Einbettung der Ergebnisse der Recherche zeigte auch, dass die Missstände in den Unterkünften wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Rehabilitation nach Trauma entgegenstehen. Auch aktuelle wissenschaftliche Gutachten im Rahmen der Anhörung zu Ankerzentren in Bayern benennen die erwähnten Risikofaktoren. Durch die Ergebnisse der Recherche und die seit Jahren zum Thema durchgeführten wissenschaftlichen Studien kann festgestellt werden, dass Sammelunterkünfte – und dabei insbesondere Ankereinrichtungen – keine kindgerechte bzw. den Vorgaben der UN- Kinderrechtskonvention und der EU-Aufnahmerichtlinie entsprechende Unterbringung darstellen. Es liegen Verletzungen der Rechte aus der Kinderrechtskonvention vor, darunter die Nichtberücksichtigung des Rechts des Kindes „auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit” oder auch des Rechts auf Entwicklung. Die Lebenssituation junger Geflüchteter in Sammelunterbringungen steht dem Kindeswohl entgegen. Es gibt oder gab an einzelnen Standorten Vorstöße hin zu einer kindgerechten Unterbringung, bedarfsgerechten Angeboten und der Einrichtung von 55 „child-friendly spaces”. Jedoch zeigt die Recherche auch, dass viele Projekte trotz erfolgsversprechender Ergebnisse und Auswirkungen auf die psychische Stabilität der Menschen nicht weitergeführt werden. Eine Rehabilitation wie auch die Suche nach eigener Identität und Perspektive kann nur durch ausreichend Schutz und äußere und innere Sicherheit gelingen. Der Gegebenheiten, unter denen junge Menschen nach ihrer Flucht untergebracht werden, bestimmen ihre individuellen Möglichkeiten psychische Gesundheit zu erlangen, Selbstwirksamkeit zu erleben und ein Leben ohne Angst zu führen. Sie wirken sich direkt auf die Entwicklungs- und Bildungschancen, wie auch die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen aus, auf die Beziehungen zwischen den Kindern und ihren Eltern, wie auch zwischen anderen Bewohner*innen der Unterkünfte. Sie werden bestimmt durch politische beziehungsweise asylrechtlichen Entscheidungsprozesse, die die Unterbringung in „kindesfeindlichen“ Unterkünften festschreiben. Die Kombination dieser Benachteiligungen auf Mikro-, Meso- und Makroebene stellt eine Form der strukturellen Gewalt (Galtung, 1969) dar, der junge Geflüchtete ausgeliefert sind. Foto von sagewords | pixabay. de 56 18. Literatur Amadeu Antonio Stiftung. (2017). Gewalt gegen Flüchtlinge 2017: Brandenburg und Sachsen traurige Spitzenreiter – Auch bundesweit kein Grund zur Entwarnung. Anders, Y. (2013). Stichwort: Auswirkungen frühkindlicher institutioneller Betreuung und Bildung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16(2), 237–275. https://doi. org/10.1007/s11618-013-0357-5 Antidiskriminierungsstelle des Bundes. (2016). Diskriminierungsrisiken für Geflüchete in Deutschland. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/ SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Expertisen/ Diskriminierungsrisiken_fuer_Gefluechtete_in_ Deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=4 Ärzte der Welt. (2019). 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Sie vertritt die Interessen von Überlebenden schwerer Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Politik und der (Fach)Öffentlichkeit, vernetzt Akteur*innen der psychosozialen Arbeit auf nationaler wie europäischer Ebene und beeinflusst durch Projekte, Veranstaltungen, Publikationen sowie gezielte Lobbyund Öffentlichkeitsarbeit den fachlichen und den politischen Diskurs. Während die traditionellen Gesundheitsversorgungssysteme bislang nur zögerlich Angebote für die komplexe Problemlage Geflüchteter entwickelt haben, bauten in den vergangenen 40 Jahren Bürgerinitiativen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände Angebote der gesundheitlichen – insbesondere der psychosozialen und psychotherapeutischen – Versorgung auf. Diese inzwischen 42 Psychosozialen Zentren und Initiativen werden seit 1996 durch die BAfF als ihren Dachverband vernetzt. Die BAfF koordiniert den Austausch von Erfahrung, Wissen und Information zwischen Akteur*innen, die sich im Flüchtlingsschutz engagieren, veranstaltet Fortbildungen, Sensibilisierungstrainings und Expert*innenrunden, sucht das Gespräch mit Entscheidungsträger*innen des Gesundheits- und Sozialsystems und setzt sich für den Abbau von Barrieren ein, die Geflüchtete am Zugang zu Gesundheitsfürsorge und sozialen Sicherheitssystemen behindert. Wir engagieren uns für den Abbau von Vorbehalten und eine Öffnung des Gesundheitssystems für Geflüchtete und setzen Impulse im öffentlichen ebenso wie im wissenschaftlichen Diskurs. Dabei verfolgen unsere Aktivitäten das Ziel, die öffentliche und auch die professionelle Wahrnehmung für die Folgen organisierter Gewalt und unfreiwilligen Exils zu sensibilisieren und dabei auch Geflüchteten selbst über die Dokumentation von Zeitzeugnissen eine Stimme im öffentlichen Raum zu geben. Es braucht starke Aufklärungskampagnen, authentische Einzelfalldokumentationen und Menschen, die Geflüchteten mit therapeutischem und rechtlichem Knowhow zur Seite stehen. Damit das Menschenrecht auf Gesundheit wirklich für alle gilt – unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus. Dafür setzen wir uns ein! Die BAfF und die PSZ finanzieren sich größtenteils über Projektmittel und unregelmäßige Zuwendungen. Wir freuen uns daher sehr über jegliche Unterstützung! Spendenkonto: BAfF e.V., Bank für Sozialwirtschaft Berlin IBAN: DE86100205000003209600, BIC: BFSWDE33BER www.baff-zentren.org/spenden 59

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