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Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung / Nullmeier, Frank (Rights reserved)

Bibliographic data

Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung

Description

Author:
Nullmeier, Frank
Title:
Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung / Frank Nullmeier
Publication:
Düsseldorf: Forschungsinstitut für Gesellschaftliche Weiterentwicklung, November 2019
Language:
German
Scope:
1 Online-Ressource (38 Seiten)
Series:
FGW-Studie Vorbeugende Sozialpolitik ; 26
Urban Studies:
Kws 750 Verwaltung. Verwaltungswissenschaften: Allgemeines
DDC Group:
320 Politik
URN:
urn:nbn:de:kobv:109-1-15404860
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Public administration, politics

Contents

Table of contents

  • Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung / Nullmeier, Frank (Rights reserved)

Full text

FGW-Studie Vorbeugende Sozialpolitik 26 Ute Klammer, Tom Heilmann (Hrsg.) Frank Nullmeier Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (e.V.) Kronenstraße 62 40217 Düsseldorf Telefon: 0211 99450080 E-Mail: info@fgw-nrw.de www.fgw-nrw.de Liquidator_innen (vormals geschäftsführender Vorstand) Prof. Dr. Ute Klammer, Prof. Dr. Dirk Messner Themenbereich Vorbeugende Sozialpolitik Prof. Dr. Ute Klammer, Themenbereichsleitung Tom Heilmann, wissenschaftlicher Referent Layout Olivia Pahl, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Förderung Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen ISSN 2567-0050 Erscheinungsdatum Düsseldorf, November 2019 Frank Nullmeier Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Auf einen Blick  Die Studie untersucht, wie die Politikberatung im Feld Sozialpolitik nachhaltiger gestaltet werden kann. Nachhaltig ist eine Politikberatung, wenn sie dauerhaft angelegt ist, eine integrierte, das gesamte Feld der Sozialpolitik beachtende Sicht entwickelt, sich nicht allein auf aktuelle Reformen richtet, sondern die langfristige Entwicklung von Sozialpolitik bedenkt und dabei unabhängig von kurzfristigen Moden in Politik und Wissenschaft agieren kann.  Eine Bestandsaufnahme der sozialpolitischen Beratungsgremien seit 2008 zeigt, dass die Defizite, gemessen an den benannten Nachhaltigkeitskriterien, insbesondere in der Fragmentierung der Beratung und ihrer Orientierung an einzelnen Reformvorhaben oder Problemfeldern ohne eine Langfristkomponente liegen.  Als neues Instrument nachhaltiger Politikberatung wird die Einrichtung eines Sachverständigenrats für die Begutachtung der sozialpolitischen Entwicklung empfohlen. i Abstracts Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Die Politikberatung leidet an Kurzfristigkeit bei von der Politik vorgegebenen Fragestellungen oder umfangreicher hochspezialisierter Berichterstattung mit geringer politischer Resonanz. In der Sozialpolitik kommt hinzu, dass nur sektorale Politikberatung für einzelne Teilfelder des Wohlfahrtsstaates existiert. Ursächlich dafür sind die Zusammensetzung, die inhaltliche Ausrichtung und die Organisationsstruktur von Politikberatungsgremien. Neben einer Typologie der Politikberatungsformen liefert die Kurzexpertise eine Bestandsaufnahme der Beratungsgremien seit 2008, die deutlich macht, wie weit Deutschland auf der Bundesebene von einer nachhaltigen und integrativen sozialpolitischen Beratung entfernt ist. Als Instrument nachhaltiger Politikberatung wird die Einrichtung eines Sachverständigenrats für die Begutachtung der sozialpolitischen Entwicklung, bestehend aus einer interdisziplinär besetzten Gruppe von Wissenschaftler_innen bei Berufung durch den Bundestagspräsidenten und einer hinreichend ausgebauten Geschäftsstelle, empfohlen. Sustainable shaping of social policy advice Policy advice suffers from the short-term nature of issues posed by politics or from extensive, highly specialised reporting with low political resonance. In social policy, there is also the fact that only sectoral policy advice exists for individual sub-fields of the welfare state. This is due to the membership, focus and organisational structure of policy advisory bodies. In addition to a typology of policy advisory forms, the brief expertise provides an overview of the advisory bodies since 2008, which makes it clear how far the German federal level is from sustainable and integrative social policy advice. As an instrument of sustainable policy advice, the establishment of a Council of Experts for the Assessment of Social Policy Development with an interdisciplinary team of scientists appointed by the President of the Bundestag and an adequately equipped secretariat is recommended. ii Inhalt Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................................iv 1 Einleitung ............................................................................................................................. 1 2 Nachhaltigkeitskriterien für Politikberatung .......................................................................... 3 3 Politikberatungsstrukturen ohne Nachhaltigkeit .................................................................... 5 4 Typologie der Zusammensetzung von Politikberatungsgremien.............................................. 7 5 Bestandsaufnahme der Politikberatungsgremien in der Sozialpolitik ...................................... 9 5.1 Politikberatungsgremien in der Sozialpolitik 2008 .................................................. 9 5.2 Politikberatungsgremien in der Sozialpolitik 2008 bis 2019 ................................. 12 5.3 Kurze Nachhaltigkeitsbilanz der sozialpolitischen Politikberatung ....................... 15 6 Alternative Politikberatungsformate ................................................................................... 17 7 Sachverständigenrat zur Begutachtung der sozialpolitischen Entwicklung ............................ 21 8 Schluss................................................................................................................................ 24 Literatur..................................................................................................................................... 25 Anhang ...................................................................................................................................... 29 Über den Autor .......................................................................................................................... 30 iii Abkürzungsverzeichnis ARB Armuts- und Reichtumsbericht BBAW Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BJK Bundesjugendkuratorium BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMFSFJ Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend BMG Bundesministerium für Gesundheit BTGO Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DZA Deutsches Zentrum für Altersfragen FIS Fördernetzwerk interdisziplinäre Sozialpolitikforschung IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ISS Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. ITAS Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse KIT Karlsruher Institut für Technologie SGB Sozialgesetzbuch TAB Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag UN United Nations/Vereinte Nationen WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WZB Wissenschaftszentrum Berlin iv Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung 1 Einleitung Die Defizite des derzeitigen Systems der Politikberatung in der Sozialpolitik, aber nicht nur in diesem Politikfeld, sind hinreichend bekannt. Etliche Studien, insbesondere aus den Jahren 2005 bis 2008, dokumentieren die Schwächen des Systems der Politikberatung in Deutschland (vgl. u. a. Brede 2006a; Brown et al. 2006; Falk et al. 2006; Falk/Römmele 2009; Heidelberger Akademie 2006; Leggewie 2007; Mayntz et al. 2008; Siefken 2007; Weingart/Lentsch 2008, international: Rich 2004). Zu den damaligen Diagnosen sind vertiefende Analysen und Bestandsaufnahmen hinzugetreten, die das Bild im Wesentlichen ergänzt haben (vgl. Weingart/Wagner 2015; Friedrichs et al. 2019; Falk et al. 2019). Als Reaktion auf die vielfach beschriebenen Schwächen hat die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Leitlinien der Politikberatung erarbeitet (BBAW 2008), die auch im Bereich der sozialpolitischen Praxis als normativer Maßstab aufgegriffen worden sind (vgl. Berner et al. 2015). Andere haben eine Art Weiterbildung im Feld der Politikberatung vorgeschlagen (vgl. Haslam 2017), die Vernetzungsstruktur der politikberatenden Wissenschaftler_innen analysiert (vgl. Schwarzbauer et al. 2019) oder auf Beispiele aus anderen Ländern (vgl. z. B. Friedrichs et al. 2019) oder von internationalen Organisationen verwiesen (vgl. z. B. Fischer 2009; Littoz-Monnet 2017; Sending 2017; Wood 2019). Die Praxis der Politikberatung setzt sich jedoch ohne wesentliche Veränderungen fort, wie für das Feld der Sozialpolitik unten zu dokumentieren sein wird. Die Defizite bestehen weiter: Kurzfristigkeit, Begrenztheit auf eine spezifische, von der Politik vorgegebene Fragestellungen ohne Berücksichtigung benachbarter Themengebiete und Regelungsmaterien, fehlende Zukunftsabschätzung und Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit anderen Politiken, umfangreiche Berichterstattung mit allerdings geringer Resonanz, geringer Status der Aufgabe der Politikberatung innerhalb der Wissenschaft auch aufgrund der eher politikbestimmten Nutzung von Politikberatung. Eines der zentralen Probleme für das Politikfeld der Sozialpolitik liegt darin, dass keine integrierte sozialpolitische Beratung existiert und auch die Forschung zur Politikberatung nur sektorale Analysen von Politikberatungsformen bietet (vgl. Eichhorst/Wintermann 2006; Brede 2006b, 2019; Sesselmeier 2019). Das Zusammenwirken der Maßnahmen in den einzelnen Subfeldern der Sozialpolitik sowie die langfristigen Auswirkungen eines stark fragmentierten Politikgeschehens auf die sozialen Risikolagen und die staatlichen Steuerungsmöglichkeiten in der Zukunft wird in wissenschaftlicher Politikberatung nicht zum Gegenstand gemacht. Deshalb wird hier die Vorstellung einer nachhaltigen Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung als eines weiteren Schrittes auf dem Weg zu einer „reflexiven Wissenspolitik“ (Neidhardt 2008, S. 27) entwickelt. Diese ist mit der Hoffnung verbunden, dass die zentralen Defizite durch einen Umbau der Beratungsinfrastruktur oder zumindest deren Ergänzung überwunden werden können. Zu diesem Zweck werden zunächst Kriterien einer nachhaltigen Politikberatung (2.) entwickelt. Danach scheiden eine Reihe von Politikberatungsformaten aus, weil sie ganz eindeutig keine Nachhaltigkeit im Sinne von Stabilität und Dauerhaftigkeit besitzen können (3.). Institutionalisierte Politikberatungsgremien erfüllen dieses Kriterium, können aber sehr unterschiedlich ge- 1 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung staltet werden. Zur Orientierung wird eine Typologie vorgestellt (4.), die als Leitlinie der folgenden Bestandaufnahme sozialpolitischer Beratungsgremien (5.) verwendet wird. In Fortsetzung einer 2008 vorgelegten Übersicht (5.1.) werden die seitdem eingerichteten Gremien vorgestellt (5.2.) und anhand der Nachhaltigkeitskriterien bewertet (5.3.). Bevor Empfehlungen für eine nachhaltigere Politikberatungsstruktur ausgesprochen werden, wird noch geprüft, ob alternative Formen der Politikberatung, z. B. solche außerhalb von Exekutive und Legislative, geeigneter sein könnten (6.). Da dies nicht der Fall ist, wird die Einrichtung eines Sachverständigenrates für die Begutachtung der sozialpolitischen Entwicklung empfohlen (7.). Zur Beurteilung der Vor- und Nachteile von rein von Wissenschaftler_innen besetzten Politikberatungsgremien und zur Idee eines solchen neuen Sachverständigenrates sind insgesamt fünf Interviews mit in der Politikberatung erfahrenen Personen auf der Basis eines Fragekatalogs geführt worden.1 Abschließend werden einige Überlegungen zu den Realisierungsmöglichkeiten nachhaltiger Sozialpolitikberatung vorgetragen (8.). 1 Übersicht über die Interviews im Anhang 2 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Nachhaltigkeitskriterien für Politikberatung 2 Die Geschichte und die Varianten des Nachhaltigkeitsbegriffs müssen hier vorausgesetzt werden (vgl. z. B. Caradonna 2014). Aus der politischen und wissenschaftlichen Literatur ergeben sich vor allem zwei Möglichkeiten einer Anwendung des Nachhaltigkeitsbegriffes in der Debatte über eine Verbesserung der Politikberatung: als Ausrichtung auch sozialpolitischer Politikberatung am weltgesellschaftlichen Ziel nachhaltiger Entwicklung mit seiner Sicherung der Bedürfnisse heutiger wie zukünftiger Generationen, der Berücksichtigung der drei Säulen ökonomischer, ökologischer und sozialer Entwicklung und der Umsetzung der siebzehn Sustainability Goals der UN im Rahmen der Agenda 2030 (vgl. Bundesregierung 2017). Die meisten dieser Ziele sind auch für eine sozialpolitische Agenda leitend, auch wenn sie nicht die Gesamtheit der Zielsetzungen gerade in einem wirtschaftlich hoch entwickelten Land beschreiben. Nachhaltigkeit in diesem inhaltlich bestimmten Sinne sollte auf jeden Fall Bestandteil des Zielbündels einer Politikberatung in der Sozialpolitik sein. Wenn hier von nachhaltiger Gestaltung der Politikberatung oder ‚nachhaltiger Politikberatung‘ gesprochen wird, so steht jedoch die Grundbedeutung von Nachhaltigkeit als eines dauerhaft tragfähigen Geschehens im Vordergrund: Gesucht wird mithin nach einer dauerhaft tragfähigen sozialpolitischen Beratung, in der das Ziel ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielt. Ingo Pies, der den Terminus „nachhaltige Politikberatung“ sehr früh verwendet hat (vgl. Pies 2009), verweist bereits auf die Verbindung beider Nachhaltigkeitsverständnisse: „Eine Politikberatung zugunsten (welt-)gesellschaftlicher Nachhaltigkeit muss konzeptionell als eine nachhaltige Politikberatung angelegt sein […].“ (Pies 2009, 26). Die folgenden Überlegungen nehmen ihren Ausgang bei einem auf Dauerhaftigkeit, Stabilität, Reaktionsfähigkeit und Zukunftsorientierung gerichteten Nachhaltigkeitsverständnis. Folgende Anforderungen sollen an eine nachhaltige Politikberatung im Bereich der Sozialpolitik gestellt werden: - Unter einer nachhaltigen Politikberatung wird erstens eine dauerhaft angelegte Politikberatung mit einer entsprechenden Infrastruktur verstanden, die zudem so flexibel ist, neue, virulente Themen aufzugreifen, ohne dabei zu einem Instrument kurzfristiger politischer Interventionen zu werden. - Unter einer nachhaltigen Politikberatung wird zweitens eine integrierte, themenübergreifende und das gesamte Politikfeld der Sozialpolitik berücksichtigende Form der Politikberatung verstanden, die der Fragmentierung der Sozialpolitik in Unterfelder und Teilpolitikgebiete entgegenwirkt. - Unter einer nachhaltigen Politikberatung wird drittens eine auf die mittel- und langfristige Fortbildung des Politikfeldes Sozialpolitik ausgerichtete Form der Politikberatung verstanden, die nicht allein auf aktuelle Gesetzgebungen gerichtet ist. Erforderlich ist 3 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung die Reflexion auch der langfristigen Folgen von Politiken sowie der zukünftigen Reaktionsmöglichkeiten von Politik angesichts veränderter Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Entwicklung. Eine Infrastruktur und Organisation der Politikberatung wird nur dann nachhaltig sein, wenn sie von den Beteiligten, also insbesondere Wissenschaft und Politik, als dauerhaft geeignet angesehen werden kann. Analysen, die die sozialwissenschaftliche Politikberatung unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit sozialwissenschaftlichen Wissens und des Erfolges im Sinne einer politischen Aufnahme und Nutzung dieses Wissens beurteilen (nur ein Beispiel unter vielen: vgl. Renn 2006), was gerade angesichts der aktuellen Tendenzen von Fake News und Wissenschaftsverachtung bzw. Leugnung hochevidenten Wissens eine politisch verständliche Haltung ist (vgl. Nichols 2019), sind perspektivisch verengt. Dennoch besteht ein Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen darin, dass eine Nachhaltigkeit in der Beratungs- und Kommunikationsbeziehung zwischen Wissenschaft und Politik nur erreicht werden kann, wenn auf wissenschaftliche Beratungsgremien nicht die Aufgabe der politischen Konsensfindung oder Dissensbestimmung (vgl. Hohmann 2017) übertragen wird, also politische Konsensfindung und wissenschaftliche Suche nach geeigneten Lösungen gesellschaftlicher Probleme soweit aneinander angenähert werden, dass die Eigenorientierungen beider Bereiche nicht mehr zum Tragen kommen (vgl. Nullmeier 2006). So ist auch als ein weiteres Kriterium zu postulieren: - Unter einer nachhaltigen Politikberatung wird viertens eine Politikberatungsinfrastruktur verstanden, die sich von den kurzfristigen Konjunkturen in Politik und auch Wissenschaft unabhängiger macht und weder der Politik zumutet, in wissenschaftlichen Fragen Selektionsfunktionen zu übernehmen, noch von der Wissenschaft verlangt, politische Konsensbildung zu unterstützen, oder Mehrheitsentscheidungen vorzubereiten hilft. Nachhaltig ist Politikberatung, wenn sie eine gewisse Distanz beider Sektoren aufrechterhält und gleichwohl den Austausch fördert. Im Ergebnis der Prüfung der bisher gegebenen Politikberatungsformate (basierend auf umfassenden Dokumenten- und Internetrecherchen) und ihrer Bewertung anhand der vier Nachhaltigkeitskriterien wird schließlich die Einrichtung eines Sachverständigenrates Sozialpolitik empfohlen. Um die Stärken und Schwächen einer nachhaltigen Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung besser bewerten zu können, wurden Gespräche mit politikberatenden Wissenschaftler_innen geführt. Diese haben nicht den Zweck einer umfassenden Erhebung und dienen lediglich der argumentativen Überprüfung der konzeptionellen Überlegungen und werden daher hier nicht im Detail dargelegt. 4 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Politikberatungsstrukturen ohne Nachhaltigkeit 3 Die vier Kriterien der Nachhaltigkeit lassen folgende Formen von Politikberatung als grundlegend ungeeignet erscheinen, weil durch sie Dauerhaftigkeit, Stabilität und Sicherung der Grundlagen der Beziehung von Politik und Wissenschaft im Vollzug der Politikberatung nicht sichergestellt werden können: - Informelle Politikberatung: Persönliche Beziehungen, mögen sie auf Mitgliedschaft in Parteien und Verbänden sowie Mitarbeit in ehrenamtlichen Gremien oder anderweitig begründet sein, können zu politikberatender Kommunikation zwischen ‚Wissenschaft‘ und ‚Politik‘ führen, sei es durch eher zufällige Gespräche, vereinbarte Treffen, Zusendung von wissenschaftlichen Artikeln, Anfertigung von Hinweisen oder Texten oder kleinen Ausarbeitungen bis hin zu Policy-Papern oder Gutachten. Auch wenn derartige persönliche Beziehungen zwischen Politiker_innen und Wissenschaftler_innen dauerhaft und stabil sein können, ist damit jedoch nicht die Nachhaltigkeit von Politikberatung gesichert. Die Abhängigkeit von einzelnen Interaktionskanälen ist zu hoch. - Medial vermittelte Politikberatung: Durch Stellungnahmen in der Presse, im Fernsehen, in sozialen Medien, durch die Beteiligung an Talk-Runden, Kommentierungen von Ereignissen in Nachrichtensendungen kann auch wissenschaftliches Wissen vermittelt werden. Die medialen Formen der Interaktion zwischen Wissenschaft und Politik sind jedoch stark situationsgebunden, abhängig vom Einsatz der jeweiligen Personen und jeweils von nur kurzer Dauer. Einzelne Wissenschaftler_innen können sich zu Medien-Politikberater_innen entwickeln (vgl. Nullmeier 2007), ihre eigenen Blogs und Homepages betreiben und so zu Mittler_innen zwischen Politik und Wissenschaft werden. Sie sind dann Ein-Personen-Unternehmen der Politikberatung, mit ihnen als Person steht und fällt die Güte, Intensität und Dauer der Beratung. - Beauftragung mit Gutachten und Expertisen: Hier handelt es sich um eine von Beginn sachlich und zeitlich begrenzte Aufgabe, Nachhaltigkeit ist im Stil der Projektförderung nicht gewollt. Auf der Basis klar bestimmter Auftragnehmer-Auftraggeber-Beziehungen wird hier wissenschaftliches Wissen bereitgestellt, ohne dass daraus ein Kommunikations- und Austauschprozess resultieren müsste. - Ad-hoc-Politikberatungsgremien mit einer Laufzeit von weniger als drei Jahren: Auch hier steht die Lösung einer ganz bestimmten politischen Aufgabe im Vordergrund, die sich der Position und dem Problembewusstsein einer Regierung oder eines Ministeriums verdankt. Nachhaltigkeit ist hier nicht gewollt, da es sich um ein begrenztes Ziel handelt, das mit wissenschaftlicher Hilfe gelöst oder bearbeitet werden soll. Mit den Ad-hoc-Expertenkommissionen ist man aber bereits in dem Bereich formell institutionalisierter und organisationsförmiger Politikberatung, von der allein die geforderte Nachhaltigkeit erwartet werden kann. Aber auf dem Feld der Politikberatungsgremien gibt es höchst unterschiedliche Gestaltungsoptionen. Eine umfassende Bestandsaufnahme haben Peter Weingart 5 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung und Justus Lentsch (vgl. Weingart/Lentsch 2008) im Rahmen der Arbeiten der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Wissenschaftliche Politikberatung in der Demokratie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt. Sie unterscheiden sechs Typen, von ressortgebundenen Beiräten über Ad-Hoc-Expertenkommissionen, Enquete-Kommissionen, politikfeldbezogenen Sachverständigenräten zu Sachverständigenkommissionen im Risiko- und Sicherheitsmanagement bis zur Ressortforschung. Dabei werden jeweils Kriterien der Robustheit und Unabhängigkeit herangezogen, die nicht nur die formelle institutionelle Verfasstheit erfassen (vgl. auch Lentsch 2016). Die Typenbildung leuchtet insbesondere in der Abgrenzung zwischen politikfeldbezogenen Sachverständigenräten und Sachverständigenkommissionen im Risikound Sicherheitsmanagement nicht ein und kann daher nur partiell für die vorliegende Untersuchung nutzbar gemacht werden. Ein bestimmtes Element scheint in den ansonsten hier leitenden Untersuchungen von Weingart und Lentsch noch unterschätzt zu sein: die personelle Zusammensetzung von Politikberatungsgremien. 6 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung 4 Typologie der Zusammensetzung von Politikberatungsgremien Wie Politikberatungsgremien oder Politikberatungsformate (mit diesem Ausdruck sollen weniger stark institutionalisierte Formen wie Dialogformate ebenfalls in die Diskussion einbezogen werden) personell zusammengesetzt sind, dürfte von hoher Bedeutung für Funktionsweise und Nachhaltigkeit der wissenschaftlichen Politikberatung sein. Schon die Formulierung Gremien oder Formate deutet an, dass es unterhalb einer institutionellen Verfestigung Formen der Politikberatung geben kann, für die die Kategorie ‚Mitgliedschaft‘ problematisch sein kann. Derartige Formate sind offen für Wissenschaftler_innen, sie werden eingeladen zu einzelnen Terminen, angehört und um einen Vortrag oder Beitrag in einer Diskussion gebeten, nehmen nach Eigenanmeldung teil an Sitzungen oder Arbeitsgruppen, übernehmen zusätzlich Gutachtenaufträge oder beteiligen sich an Online-Foren mit eigenen Texten. Dies ist zwar eine formelle Form von wissenschaftlicher Politikberatung (Einladungen etc., festgelegtes Format seitens der Exekutive), aber ein Politikberatungsformat ohne feste Mitgliedschaft für Wissenschaftler_innen. Sind Wissenschaftler_innen an einem Politikberatungsformat beteiligt, aber in einer formell vorgegebenen Sonderstellung mit einem geringeren Grad an Rechten als andere Mitglieder, z. B. ohne Stimmrecht, dann handelt es sich um ein Politikberatungsformat mit gestuften Rechten. Das ist rein logisch nur möglich in Gremien, in denen auch andere Akteure vertreten sind als Wissenschaftler_innen. Daher können solche Formate auch als ‚gemischt‘ bezeichnet werden. Denkbar sind sicherlich auch Politikberatungsformate, in denen der Wissenschaft höhere Rechte zukommen als anderen Gruppen. Enquete-Kommissionen sind der eher seltene Fall von Politikberatungsgremien, in denen Parteipolitiker_innen, hier Parlamentarier_innen, und Expert_innen zusammenwirken. Dies ist die direkte Form eines Politik-Wissenschafts-Formats mit der Legislative als institutionellem Anker und mit Mitgliedschaftsrechten. Ohne das Mitgliedschaftsrecht von Mitgliedern aus Parlament oder Regierung agieren tripartistische Politikberatungsgremien mit Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und Wissenschaftler_innen als den drei vertretenen Gruppen – sei es paritätisch oder mit besonderer Gewichtung für eine der drei Gruppen. Als Multi-Stakeholder-Format lassen sich Politikberatungsformen bezeichnen, die unter Einbeziehung von Wissenschaftler_innen auch etliche Vertreter_innen von unterschiedlichen Verbänden und aus der Zivilgesellschaft umfassen oder auch von Organisationen von Leistungsträgern und Leistungserbringern oder staatlichen Einrichtungen. Dieses Format gibt es in zwei Varianten: mit festgelegten Paritäten zwischen definierten Stakeholdergruppen (z. B. Wirtschaftsverbände, Parteien, Kirchen, Wissenschaft im Verhältnis von 4:4:2:2) oder mit nicht festgelegten Gruppenbezeichnungen und gleichem Stimmrecht für jedes Mitglied. 7 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Das Gegenstück zu diesen Formaten, in denen die Wissenschaft einer unter vielen Beteiligten ist, sind reine Wissenschaftler-Politikberatungsformate. Mitgliedschaftsrechte besitzen hier nur Vertreter_innen aus dem Wissenschaftsbereich. Diese Typologie soll einerseits helfen, die bestehende Vielfalt an Politikberatungseinrichtungen im Bereich der Sozialpolitik, hier eher weit gefasst, zu dokumentieren und zu ordnen, andererseits soll sie bei der Suche nach potentiell nachhaltigen Formaten der Politikberatung behilflich sein. 8 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Bestandsaufnahme der Politikberatungsgremien in der Sozialpolitik 5 Zur Beurteilung, ob überhaupt größere oder kleinere Veränderungen notwendig sind, um eine nachhaltige wissenschaftliche Beratung in der Sozialpolitik zu gewährleisten, ist eine Bestandsaufnahme der bisherigen Politikberatungsgremien erforderlich. 5.1 Politikberatungsgremien in der Sozialpolitik 2008 Für das Jahr 2008 (Stichtag 1.1.2008) liegt eine Aufstellung der Politikberatungsgremien auf Bundesebene vor (Weingart/Lentsch 2008, S. 289-295). Aus dieser Liste sind hier die im engeren Sinne als sozialpolitisch zu nennenden Gremien samt der von Weingart und Lentsch entwickelten Typcharakterisierung aufgelistet: - Gemeinsamer Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG, seit 1994, ressortgebundener Beirat, der aber der Koordination der Behörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit in Fragen von Wissenschaft und Forschung dient und keine Wissenschaftler_innen ohne Funktion in diesen Behörden einbezieht) - Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen (seit 1970, Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend – BMFSFJ, ressortgebundener Beirat) - Sachverständigenkommission zur Erstellung des jeweiligen Altenberichts der Bundesregierung (Bundesregierung, BMFSFJ, „Sachverständigenkommission im Risiko- und Sicherheitsmanagement“) - Sachverständigenkommission zur Erstellung des jeweiligen Familienberichts der Bundesregierung (Bundesregierung, BMFSFJ, „Sachverständigenkommission im Risiko- und Sicherheitsmanagement“) - Sachverständigenkommission zur Erstellung des jeweiligen Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung (Bundesregierung, BMFSFJ, „Sachverständigenkommission im Risiko- und Sicherheitsmanagement“) - Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (BMG, „politikfeldbezogener Sachverständigenrat“) - Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Bundesregierung, „politikfeldbezogener Sachverständigenrat“) - Kommission moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Bundeskanzleramt, 2002, Adhoc-Expertenkommission) 9 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung - Benchmark-Gruppe des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit (Bundeskanzleramt, 1998-2002, Ad-hoc-Expertenkommission) - Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, nach dem Vorsitzenden so genannte ‚Rürup-Kommission‘ (Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 2002-2003, Ad-hoc-Expertenkommission) - Enquete-Kommission Demographischer Wandel (Bundestag, 1990-2002, Enquete-Kommission) Da es hier nicht um Forschungsinstitute mit Politikberatungsaufgaben, sondern um Institutionen bzw. organisationsartige Formate der Politikberatung geht, sind in diese Darstellung die bei Lentsch und Weingart (vgl. Lensch/Weingart 2008, S. 164-201) prominent behandelten politikberatenden (Ressort-)Forschungseinrichtungen nicht aufgenommen, zu denen auch alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute in der Leibniz-Gemeinschaft, das ebenfalls der Leibniz-Gemeinschaft zugehörende Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), das 1967 als Forschungseinrichtung der Bundesanstalt für Arbeit gegründete und seit 2004 als Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit firmierende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und das vom Bund grundfinanzierte Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) gezählt wurden. Ebenso wenig wird hier ein Politikberatungsverständnis vertreten, das sich am Begriff des Thinktanks orientiert und neben Forschungsinstituten auch Stiftungen und Verbände umfasst, dafür aber die Beratungsinstitutionen ausklammert (Friedrichs et al. 2019). In Weingarts und Lentschs Analyse fehlt der Sozialbeirat, der gesetzgebende Körperschaften und die Bundesregierung berät. Trotz seines Namens, der auf umfassende Betrachtung aller sozialen und sozialpolitischen Fragen deuten könnte, hat dieser Rat eine nur sehr begrenzte Aufgabe. Er veröffentlicht bei einer Sitzungsfrequenz von sechs Treffen im Jahr einmal jährlich ein Gutachten zum Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung. Zwar können durchaus auch weitere Gutachten und Stellungnahmen erfolgen, doch davon macht der Sozialbeirat nur selten Gebrauch. Das liegt auch an seiner Konstruktion als Gremium, in dem die Wissenschaft eine begrenzte Rolle spielt. Getragen wird der Rat von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter_innen. Er ist insofern ein ‚tripartistisches‘ und annähernd drittelparitätisch besetztes Gremium (der ‚Wissenschaftsbank‘ müsste der bzw. die Vertreter_in der Deutschen Bundesbank zugerechnet werden) mit den drei Gruppen Versicherte (meist vertreten durch Gewerkschaften), Arbeitgeber_innen (vertreten durch Arbeitgeberverbände) und Wirtschafts- und Sozialwissenschaft. Skepsis besteht auch gegenüber der Wirkungskraft des Sozialbeirates, der z.B. mehrfach nicht verhindern konnte, dass die gesetzliche Rentenversicherung mit versicherungsfremden Aufgaben belastet wurde (vgl. Färber 2018). Die Aufstellung von Weingart und Lentsch kann auch bei den Ad-hoc-Expertenkommissionen erweitert werden, so fehlen 10 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung - die sogenannte ‚kleine Rürup-Kommission‘, die Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkommen unter dem Vorsitz des Wirtschaftswissenschaftlers Bert Rürup (2004). - der Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der vom BMG 2006 eingesetzt wurde und 2009 seinen Bericht vorlegte. - der Runde Tisch Pflege (2003 bis 2005), der allerdings als Grenzfall eingeschätzt werden muss. An dieser gemeinsamen Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung beteiligten sich in mehreren Arbeitsgruppen ca. 200 Expert_innen aus Ländern, Kommunen, Einrichtungsträgern, Wohlfahrtsverbänden, Interessenvertretungen der älteren Menschen sowie Wissenschaftler_innen, Stiftungen etc.), betreut von einer Geschäftsstelle beim DZA. Zu den Ergebnissen gehört unter anderem die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“. Hier ist nur eine vage Organisationsförmigkeit gegeben und es fehlt an klaren Mitgliedschaftsregeln. - die ebenfalls nur als Grenzfall erwähnenswerte Evaluation der Experimentierklausel in der Arbeitsmarktpolitik – ein Feld, in dem sich Beratungsinstanzen von Wirtschafts- und Sozialpolitik besonders intensiv begegnen (vgl. Sesselmeier 2019). Sie war, bei einem extrem hohen wissenschaftlichen Ressourceneinsatz, für das gesamte Politikfeld von großer Bedeutung. Gegenstand war die Evaluation der durch eine Experimentierklausel (§ 6a SGB II) ermöglichten Wahrnehmung der Aufgaben durch die zugelassenen kommunalen Träger im Vergleich zur Aufgabenwahrnehmung durch die Agenturen für Arbeit. Dem Ministerium war nach § 6c SGB II die Wirkungsanalyse zur Experimentierklausel überantwortet. Allein die Länder waren pflichtig, sich bei der Entwicklung der Untersuchungsansätze und der Auswertung der Untersuchung zu beteiligen. Zur Entwicklung der Untersuchungsansätze wurde ein Arbeitskreis gebildet, dem neben den Ländern auch die Vertreter_innen der drei kommunalen Spitzenverbände, der Bundesagentur für Arbeit, des IAB sowie von BDA und DGB angehörten. Die Wissenschaft war in diesem steuernden Arbeitskreis, der vier Untersuchungsfelder festlegte und die Untersuchungen jeweils an Konsortien wissenschaftlicher Institute vergab, nicht vertreten. Die Ergebnisse dieser Gutachten wurden in einem Bericht der Bundesregierung an den Bundestag zusammengefasst, der nach entsprechender Abstimmung mit den Ländern unter Ausschluss der übrigen Mitglieder des Arbeitskreises allein vom damaligen Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft verantwortet wurde (vgl. Bundesregierung 2008). - das Bundesjugendkuratorium (BJK) als ein unabhängiges Expertengremium, das die Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Kinder- und Jugendhilfe berät und in jeder Legislaturperiode neu berufen wird. Dabei nimmt das Bundesjugendkuratorium, dem bis zu 15 Expert_innen aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Wissenschaft angehören (Multi-Stakeholder-Gremium), sämtliche Vorhaben aus allen Ressorts der Bundesregierung in den Blick, wenn die Belange von Kindern und Jugendlichen betroffen sind, und 11 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung erarbeitet entsprechende Stellungnahmen. Das BJK wird durch die Arbeitsstelle Kinderund Jugendpolitik am Deutschen Jugendinstitut e. V. unterstützt. 5.2 Politikberatungsgremien in der Sozialpolitik 2008 bis 2019 Gegenüber der Aufstellung von Weingart und Lentsch für das Jahr 2008 (vgl. Weingart/Lentsch 2008) sind inzwischen zumindest folgende Politikberatungsgremien oder -formate hinzugekommen: - Expertenbeirat zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (2012-2013) des Bundesministeriums für Gesundheit, ein Fall einer Ad-hoc-Expertenkommission im Multi-Stakeholder-Format mit vielen beteiligten Vertreter_innen der relevanten Organisationen (insbesondere Verbände und Träger), Wissenschaftler_innen als Einzelsachverständigen und Vertreter_innen des Bundes und der Länder mit Gaststatus. Der Expertenbeirat bewältigte seine Aufgaben in mehreren Arbeitsgruppen, die durch eine Koordinierungsgruppe und eine Geschäftsstelle beim BMG unterstützt wurden. - Beirat des Bundesgesundheitsministeriums zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (2016), eine Ad-hoc-Expertenkommission im Multi-Stakeholder-Format mit der Aufgabe, die letzte Vorbereitungsphase vor der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs fachlich zu begleiten. - Der Unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, der auf dem Gesetz über die Familienpflegezeit beruht und 2019 seinen ersten Bericht veröffentlicht hat, setzt sich ganz überwiegend aus Vertreter_innen von Verbänden zusammen. Aus der Wissenschaft kommen nur zwei der 21 Mitglieder. Es handelt sich um eine ressortgebundene Sachverständigenkommission (BMFSFJ) im Multi-Stakeholder-Format. - Expertenbeirat des Innovationsausschusses beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Dieser Beirat wurde 2016 eingerichtet, um bei der Förderung neuer Versorgungsformen beratend tätig zu werden. Acht Wissenschaftler_innen, ein bzw. eine Vertreter_in der Krankenkassen und ein bzw. eine Vertreter_in der Krankenhäuser bilden dieses Gremium, das einer reinen Wissenschaftlerkommission recht nahekommt. - Die Wissenschaftliche Fachgruppe RehaFutur (2007-2008) bestand aus elf Wissenschaftler_innen und einem Verbandsvertreter (Behindertenverbände) mit der Aufgabe, Empfehlungen für die langfristige Entwicklung der Rehabilitation vorzulegen – eine Ad-hocExpertenkommission im beinahe reinen Wissenschaftlerformat. - Im Rehabilitationsbereich wurde als Folgevorhaben zu RehaFutur das Projekt Reha Innovationen – Projekt zur Weiterentwicklung der medizinischen und medizinisch-beruflichen Rehabilitation im Jahre 2015 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Abstimmung mit dem BMG gestartet. Ein Expertenbeirat aus Vertreter_innen 12 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung der Ministerien, der Verbände im Bereich Rehabilitation, der Leistungsträger und Leistungserbringer, der Betroffenenverbände unter Einbeziehung von Rehabilitationswissenschaftler_innen bildet hier das zentrale Gremium im Projekt. Es handelt sich um ein Multi-Stakeholder-Format, dessen Ad-hoc-Charakter noch durch die Projektförmigkeit des Gesamtvorhabens betont ist. Die Grenze zu den üblichen Projektbeiräten, z. B. bei wissenschaftlichen Vorhaben, ist schwer zu ziehen. - Sachverständigenkommission für den (1.,2.,3.) Gleichstellungsbericht. Die seit 2011 in jeder Legislaturperiode zu erstellenden Gleichstellungsberichte werden von einer vom BMFSFJ eingesetzten Sachverständigenkommission vorbereitet. Der Gleichstellungsbericht besteht aus dem Gutachten der Sachverständigenkommission und der Stellungnahme der Bundesregierung, seit dem 2. Bericht (2017) ergänzt um eine Bilanz der Umsetzungsschritte seit dem vorherigen Bericht. Die bisherigen drei Sachverständigenkommissionen waren reine Wissenschaftlerkommissionen (wie auch die Sachverständigenkommissionen zur Erstellung des Familienberichts; beim 15. Kinder- und Jugendbericht wirkten ein Verbandsvertreter und zwei Vertreter von Länderministerien als Kommissionsmitglieder mit; beim 7. Altenbericht war neben zehn Wissenschaftler_innen nur ein Vertreter der Wohlfahrtsverbände Mitglied), unterstützt von einer Geschäftsstelle, die beim aktuell zu erstellenden 3. Bericht mit dem Schwerpunktthema Digitalisierung beim Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. (ISS) angesiedelt ist. - Der Deutsche Ethikrat (seit 2009), dem in bestimmten Bereichen der Gesundheitspolitik große Bedeutung zukommt. Er hat gemäß Ethikratgesetz die Aufgabe, sowohl als Beratungsgremium als auch als Dialogforum zu fungieren, wissenschaftliche Spezialdiskurse zusammenzuführen und die gesellschaftliche Diskussion insbesondere durch öffentliche Veranstaltungen zu fördern, also Politik- und Gesellschaftsberatung (vgl. Leggewie 2007) zu verbinden, ein im weit gefassten Bereich der Sozialpolitik wohl einmaliges Aufgabenspektrum. Die 26 Mitglieder dieses politikfeldbezogenen Sachverständigenrates werden hälftig von Bundesregierung und Bundestag vorgeschlagen und vom Bundestagspräsidenten berufen. Es handelt sich um eine stark von Wissenschaftler_innen geprägte Institution, aber in der Gesamtzusammensetzung doch um ein Multi-Stakeholder-Arrangement, weil auch Kirchenvertreter_innen und Personen, die in besonderem Maße mit den basalen ethischen Problemstellungen vertraut sind, berufen werden können. Der Deutsche Ethikrat erstattet dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung einmal jährlich Bericht über seine Aktivitäten und den Stand der gesellschaftlichen Debatte. Nach dem Scheitern eines ständigen parlamentarischen Begleitgremiums wird der Austausch mit den Abgeordneten über parlamentarische Abende organisiert. - Der unabhängige wissenschaftliche Beirat des Fördernetzwerkes interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS-Beirat) beim BMAS ist nur bedingt als Politikberatungsgremium zu werten, da es beim FIS um die Unterstützung von Forschung und Lehre im Aufgabenbereich des BMAS geht, nicht um Politikgestaltung und Gesetzgebung. Der FIS-Beirat stellt 13 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung bei drei Gruppen, zehn Wissenschaftler_innen aus sechs wissenschaftlichen Disziplinen, vier Vertreter_innen wichtiger Institutionen im Geschäftsbereich des BMAS und drei Vertreter_innen des Ministeriums, letztere ohne Stimmrecht, das eher seltene Beispiel eines gemischten Politikberatungsformates mit gestuften Rechten mit der Wissenschaft auf der Seite der privilegierten Mitglieder dar. - Seit 2008 sind keine Enquete-Kommissionen mit sozialpolitischer Thematik mehr eingesetzt worden. - Die Mindestlohnkommission wird gemäß § 4 Abs. 2 Mindestlohngesetz alle fünf Jahre neu berufen. Sie besteht aus einer bzw. einem Vorsitzenden, sechs stimmberechtigten ständigen Mitgliedern aus dem Kreis der Sozialpartner und zwei beratenden Mitgliedern aus der Wissenschaft ohne Stimmrecht, die zudem auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innen berufen werden. Die wissenschaftliche Beratung ist hier auf ein Minimum reduziert, es dominiert der strikt paritätische Charakter des Gremiums als eines korporatistischen Gremiums der Sozialpartner. Die Entscheidung der Kommission zur Überprüfung der Mindestlohnhöhe hat den Charakter einer Delegation der Entscheidungskompetenz an eine unabhängige Instanz, da die Bundesregierung die von der Mindestlohnkommission vorgeschlagene Anpassung des Mindestlohns durch Rechtsverordnung verbindlich macht. - Das Wissenschaftliche Gutachtergremium im Rahmen der Armuts- und Reichtumsberichterstattung. 16 Wissenschaftler_innen beraten das BMAS aktuell bei der Erstellung des sechsten Armuts- und Reichtumsberichts (6. ARB). Das Gutachtergremium organisiert den wissenschaftlichen Austausch zwischen den Forschungsprojekten, die für den 6. ARB in Auftrag gegeben wurden. Das Gremium setzt sich zusammen aus einem bzw. einer Vertreter_in eines jeden geförderten Forschungsvorhabens sowie Vertreter_innen zentraler Einrichtungen wie dem Robert-Koch-Institut, dem Statistischen Bundesamt, dem IAB und dem Forschungsnetzwerk Alterssicherung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie vier Träger_innen wichtiger gesellschaftspolitischer Positionen, womit das Gremium sowohl forschungskoordinierenden Charakter unter Wissenschaftler_innen hat als auch die Erzeugung von Konsens im Rahmen eines Multi-Stakeholder-Formats leisten soll. Zudem gibt es noch einen Beraterkreis, dem neben Vertreter_innen des Deutschen Bundestages, der Länder, der Kommunen, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie der Deutschen Bundesbank auch zivilgesellschaftliche Akteure angehören. - Nicht zu den organisationsartigen Politikberatungsformaten kann die 2009 vom BMFSFJ und dem Bundesminsterium für Finanzen gemeinsam in Auftrag gegebene Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland zählen. Die öffentliche Resonanz nach Veröffentlichung des Abschlussberichts durch die beauftragte Prognos AG im Jahre 2014 war allerdings erheblich. Der Bericht fasste die Ergebnisse von zwölf 14 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Forschungsmodulen zusammen, die von über 70 Wissenschaftler_innen erarbeitet wurden. Der in demselben Themenfeld agierende Wissenschaftliche Beirat für Familienfragen gründet seine Arbeit auch auf die Formulierung von Gutachten, aber bei weit geringerer Resonanz und niedrigerem Ressourceneinsatz. Das Evaluationsgutachten beruhte zudem auf Arbeiten, die in einem Zeitraum von fünf Jahren enstanden, eine für externe Gutachtenanfertigung sehr lange Zeit. Die Bedeutung für die Politikberatung könnte in diesem Fall einer bloßen Beauftragung höher sein als bei einer ständigen Beratungsinstitution. Kaum organisationsähnliche Gestalt gewinnen Dialog- und Runde-Tisch-Formate, die aber durchaus eine relevante Rolle in der wissenschaftlichen Politikberatung spielen können. Zu nennen wären 5.3 - ein vom BMG initiierter Runder Tisch Gesundheit, der viermal im Zeitraum 2010 bis 2013 zum Thema Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf tagte. Es handelte sich um ein dann nicht weitergeführtes Multi-Stakeholder-Format. - die beiden vom BMAS durchgeführten Rentendialoge unter den Ministerinnen Ursula von der Leyen und Andrea Nahles mit einer jeweils sehr begrenzten Zahl an Treffen, aber unter Einbeziehung von Wissenschaft und Verbänden in einem Multi-StakeholderFormat. - Weit stärker strukturiert und organisiert, aber dennoch eine Ad-hoc-Form der Politikberatung, war der Dialogprozess Arbeiten 4.0 (2015 bis 2017), der vom BMAS mit einem Grünbuch eröffnet, von Dialogforen im Multi-Stakeholder-Format mit über 200 beteiligten Expert_innen sowie 20 Forschungsprojekten begleitet und mit einem Weißbuch abgeschlossen wurde. Kurze Nachhaltigkeitsbilanz der sozialpolitischen Politikberatung Die Übersicht zu den Politikberatungsformaten und -gremien im Zeitraum 2008 bis 2019 beansprucht keine Vollständigkeit, dürfte aber für eine erste Bilanz hinreichendes Material bieten. Die Dominanz von Ad-hoc-Kommissionen im Multi-Stakeholder-Format setzt sich fort. Die in den beiden rot-grünen Regierungsperioden besonders beliebten Ad-hoc-Expertenkommissionen, nach Zählung von Siefken waren es 28 (vgl. Siefken 2007, S. 281), darunter die bekannten Hartzund Rürup-Kommissionen, setzten sich je nach Zählweise nur zu 22% bzw. 30% aus Wissenschaftler_innen zusammen. Dies ist über alle Kommissionen hinweg zwar der größte Anteil, doch mit 26% Verwaltung und Politik, 15% Wirtschaftsunternehmen und 13% Sozialpartnern sind andere Gruppen zusammen deutlich in der Mehrheit (vgl. Siefken 2007, S. 291-292). Auch heute überwiegt das Multi-Stakeholder-Modell bei weitem gegenüber reinen Wissenschaftlerkommissionen. In den durchgeführten Interviews werden die Vor- und Nachteile beider Zusammensetzungen recht einheitlich geschildert: Der größeren Fachlichkeit und tiefergehenderen Proble- 15 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung merörterung in Wissenschaftlerkommissionen steht die Nähe zur Praxis und zu den unmittelbaren Problemen der Umsetzung von Vorschlägen bei Verbandsvertreter_innen gegenüber (Interview 4, 2019; Interview 5, 2019). Zudem könne es sein, dass die Politik reine Wissenschaftlergremien nicht ernstnimmt (Interview 3, 2019). Der Vorzug der Fachlichkeit bei diesem Typus von Kommission kann aber auch verlorengehen, dann jedenfalls, wenn die Wissenschaftler_innen zugleich als Projektleiter_innen Beauftragte von Ministerien sind und daher ihre Handlungen von der Überlegung leiten lassen, ob sie ein Folgeprojekt erhalten oder nicht (Interview 3, 2019). Während bei Wissenschaftlerkommissionen die Kommissionsmitglieder selbst als Autor_innen des Berichts auftreten, ist dies bei der Mitgliedschaft von Verbandsvertreter_innen nicht zu erwarten. Die Arbeit der Textverfassung geht dann auf eine Geschäftsstelle über, die entsprechend ausgestattet sein muss (Interview 1, 2019). Mit den Dialogformaten nehmen die nicht-institutionalisierten Multi-Stakeholder-Veranstaltungen sogar zu. Im Pflegebereich ist mit einer Abfolge von Kommissionen zu fast demselben Themenkomplex gearbeitet worden, ohne den Institutionalisierungsgrad und damit die Nachhaltigkeit zu erhöhen. Allein mit dem Gleichstellungsbericht ist das im BMFSFJ geübte Modell der Politikberatung auf ein neues Themenfeld erweitert worden. Mit dem Deutschen Ethikrat ist ein innovatives Beratungskonzept implementiert und institutionalisiert worden, allerdings in einem Themenfeld, das nur am Rande zur Sozialpolitik gezählt werden kann. Ein Schritt in Richtung der oben genannten Nachhaltigkeitskriterien ist nicht zu erkennen. 16 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung 6 Alternative Politikberatungsformate Institutionelle Anknüpfungspunkte von Politikberatungsformaten: Üblicherweise wird in Untersuchungen zur Politikberatung angenommen, dass sich Politikberatung, hier sei nur die Bundesebene betrachtet, auf die Legislative oder die Exekutive, also Bundestag (der Bundesrat entfällt als Bezugsinstitution), Bundeskanzleramt, Bundesregierung oder einzelne bzw. mehrere Bundesministerien bezieht. Diese Anbindung an die Kerninstitutionen eines politischen Systems ist aber keineswegs alternativlos. Wissenschaftliche Beratung findet sich auch bei Organisationen wie Parteien, Verbänden, Krankenkassen, Stiftungen, sozialen Bewegungen, Kampagnenorganisationen oder anderen Vereinigungen der Zivilgesellschaft (zu diesen Entwicklungen im Gesundheitssektor vgl. Brede 2019). Diese Beratungsformen sind durchaus wichtige Brücken im Wissenschafts-PolitikVerhältnis und können, obwohl meist mit weniger finanziellen Ressourcen ausgestattet, durchaus hohe Stabilität und Kontinuität erreichen. Die Problematik besteht eher in der durch Ressourcenmangel oder fehlenden Zugang zum Wissenschaftssystem bedingten Ungleichheit zwischen diesen politischen Organisationen in Umfang und Intensität der Politikberatung. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass wissenschaftliche Fachgesellschaften mit finanzieller Unterstützung von Stiftungen eigene Politikberatungsgremien bzw. Sachverständigenräte bilden. Bei einem solchen Modell ist zu bezweifeln, ob hier Nachhaltigkeit erreicht werden kann. Stiftungen sind an einer Dauerfinanzierung eventuell nicht interessiert. Aussagen und Empfehlungen einer Kommission können aber auch zu Konflikten innerhalb einer Fachgesellschaft führen und dürften von diesen eher als Gefährdung angesehen werden, zumal auch nicht für alle Themengebiete, die in einer Disziplin und Fachgesellschaft relevant sind, Sachverständigenkommissionen eingeführt werden können. Die Privilegierung eines Themengebietes kann bereits vor jeder inhaltlichen Stellungnahme als Problem der thematisch-subdisziplinären Balance innerhalb einer Disziplin oder Fachgesellschaft angesehen werden. Eine ähnliche Variante ohne Beteiligung der Fachgesellschaften bildet ein von mehreren Stiftungen getragener wissenschaftlicher Rat. Ein bekanntes Beispiel für diese Form der Politikberatung ist der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration, der unter anderem über jährliche Gutachten, aber auch durch einen Forschungsbereich auf Öffentlichkeit und Politik einwirkt. Eine derartige Organisationsform ohne Anbindung an die Institutionen des politischen Systems ist ein Muster rein zivilgesellschaftlich getragener Politikberatung. Bei Beteiligung operativer Stiftungen stellt sich allerdings die Frage der Unabhängigkeit dieses Sachverständigenrates stärker als in einer Konstellation, in der Stiftungen nur als Projektförderer auftreten, was wiederum der Idee einer Einrichtung auf Dauer widerspricht. Es bieten sich daher eher Ad-hoc-Kommissionen an, wie beispielsweise die Kommission Arbeit der Zukunft der HansBöckler-Stiftung von 2015 bis 2017. 17 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Die Zusammenführung wissenschaftlichen Wissens zu Politikberatungszwecken kann auch ohne Gründung formeller Politikberatungsgremien als Brücke zwischen Wissenschaft und Politik vonstattengehen. Wenn die Wissensbündelung im Wissenschaftsfeld selbst erfolgt, kann Politikberatung etwa durch Übersendung von Gutachten und Empfehlungen, kommunikativen Austausch und andere niedrigschwellige Formate realisiert werden. Die Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften verfolgt ein solches Verständnis von Politikberatung, bei dem die Leopoldina zu einer Art zentraler Vertretungsinstitution der Wissenschaft mit der Formulierung von Empfehlungen an die Politik wird. Die Leopoldina spielt aber bisher für den Bereich der Sozialpolitik im engeren Sinne noch keine Rolle (Ansätze existieren in einzelnen Feldern der Gesundheitspolitik). Eine weitere Möglichkeit besteht darin, innerhalb der Sozialwissenschaften eine Vereinigung speziell zu dem Zweck zu gründen, Politikberatung im Feld der Sozialpolitik zu fördern oder selbst bereitzustellen, z.B. durch einen Sachverständigenrat und weitere Maßnahmen wie Tagungen. Einen derartigen Zusammenschluss der interessierten Sozialpolitikforscher_innen gibt es in den USA (National Academy of Social Insurance). Nachteile einer solchen reinen Mitgliederorganisation sind die geringen finanziellen Ressourcen und auch die Selbstorganisation des gesamten Beratungsprozesses. Bei ausgeprägter Übereinstimmung in der Betrachtung sozialpolitischer Fragen sind diese sicherlich leichter zu lösen, doch kann eine derartige Organisation auch zu einem (wissenschaftlich-politischen) Strömungsorgan werden. Bei größerer Pluralität der wissenschaftlichen Ansätze und Positionen innerhalb des Zusammenschlusses können Konflikte bei der Auswahl der Gruppe an Personen entstehen, die Berichte verfassen. Zudem ist zu klären, ob die Mitgliedschaft insgesamt Berichte verantwortet (und mithin abstimmt) oder ob aus der Mitgliedschaft nur ein Rat für eine bestimmte Periode per Wahl gebildet wird, der dann die Aufgabe der Verfassung von politikberatenden Publikationen übernimmt. Kommen all diese Formen nicht als Optionen erhöhter Nachhaltigkeit in der Politikberatung in Betracht, da es ihnen an Ressourcen und Dauerhaftigkeit mangeln dürfte, ist zu wählen zwischen einer Anbindung eines Politikberatungsgremiums an - die Bundesregierung bzw. das Kanzleramt, - ein einzelnes Bundesministerium oder mehrere Ministerien, - den Deutschen Bundestag. Die Anbindung an ein einzelnes Ministerium ließe sich sicherlich am ehesten politisch realisieren, doch stecken in diesem Fall die Zuständigkeiten des Ministeriums auch die Themen der Beratungsarbeit ab. Eine wirklich übergreifende, integrierte Sicht von Sozialpolitik ist nicht möglich, weil dazu Themenfelder behandelt werden müssten, die derzeit bei mehr als drei Ministerien bearbeitet und verwaltet werden. Entsprechend wäre eine interministerielle Kooperation erforderlich, um einer Politikberatungsinstitution mit dem Ziel integrierter Sozialpolitikanalyse eine Verankerung in der Exekutive zu ermöglichen. 18 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Der Bundestag kennt nur das Instrumentarium der Enquete-Kommissionen, das auf zeitliche Begrenzung angelegt ist. Die Enquete-Kommission Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung arbeitete von 1987 bis 1990, die Enquete-Kommission Demographischer Wandel war aufgrund besonderer Umstände letztlich über zehn Jahre tätig (1992 bis 2002), was aber in der Geschichte der Enquete-Kommissionen eine Besonderheit und Ausnahme darstellt. In der Literatur gilt diese Kommission als Beispiel für eine „missglückte Vermittlungsarbeit“ zwischen Wissenschaft und Politik (Wilkoszewski 2006, S. 506): Die umfangreichen Berichte wären nicht zur Kenntnis genommen worden, was neben Fehlern in Anlage und Durchführung der Kommissionsarbeit auch am Querschnittscharakter des Kommissionsthemas gelegen habe. Die Abhängigkeit von parlamentarischen Verhältnissen kann jedoch auch bedeuten, dass Enquete-Kommissionen gar nicht eingesetzt werden. So zeigt Altenhof (vgl. Altenhof 2002) in seiner Studie, dass bis zum Jahre 2000 zahlreiche (auch außerparlamentarische) Vorschläge auf Einsetzung einer EnqueteKommission zu sozialpolitischen Fragen trotz des § 56 Absatz 1 Satz 2 BTGO, der den Bundestag verpflichtet, auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder eine Enquete-Kommission einzusetzen, nicht realisiert wurden, so 1985 zur Rentenreform, 1986 zum Thema Armut, 1995 zum Thema Armut und Obdachlosigkeit, 1995 zu den Themen Frührente und Neugestaltung der Arbeit (vgl. Altenhof 2002, S. 98-114). Entscheidend für die Form der Enquete-Kommission ist aber die Zusammenarbeit von Parlamentarier_innen und Expert_innen in einem parlamentarischen Gremium mit entsprechender Nähe zu politischen Entscheidungen und eher nachgeordneter Stellung der Expert_innen, wobei die entsprechenden Sachverständigen auch nur zum Teil an wissenschaftlichen Einrichtungen beschäftigt sind (vgl. Altenhof 2002, S. 80-87, S. 183-188). In den gemeinsamen Beratungen muss sich daher ein Konsens zwischen Wissenschaft und Politik – und dort auch über Fraktionsgrenzen hinweg – bilden, damit eine Kommission erfolgreich sein kann. Wollte man den Bundestag, den man durchaus für den richtigen Ort der Verankerung eines rein wissenschaftlichen Beratungsgremiums halten kann, für dieses Unterfangen gewinnen, käme dies einer Parlamentsreform gleich. Allerdings gibt es einen Fall einer am Bundestag ausgerichteten Beratungsinstanz jenseits der Enquete-Kommissionen: das 1990 eingerichtete und 1993 verstetigte Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB; vgl. Brown et al. 2006, S. 109-127), das ohne gesetzliche Basis, allein aufgrund eines Parlamentsbeschlusses und eines Vertrages mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), betrieben wird. Die Konstruktion ist allerdings sehr voraussetzungsreich, denn das TAB agiert als selbstständige wissenschaftliche Einheit des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) im KIT. TAB und ITAS arbeiten sowohl bei der Durchführung von Projekten als auch bei der methodischen und konzeptionellen Weiterentwicklung der Technikfolgenabschätzung eng zusammen. Der Leiter des TAB wird vom KIT im Einvernehmen mit dem Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung benannt und trägt die wissenschaftliche Verantwortung für die Arbeitsergebnisse des TAB. Die direkte Ansiedlung beim Bundeskanzleramt wiederum schafft Konflikte mit dem zuständigen Minsterium bzw. den Ministerien. Eine integrative Sozialberichterstattung im Namen der Bun- 19 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung desregierung bei Anbindung an mehrere Ministerien ist darüber hinaus nicht problemlos, solange nicht geklärt ist, welches Ministerium unmittelbar für die Betreuung des Rates zuständig ist, scheint aber noch der gangbarste Weg zu sein. 20 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung 7 Sachverständigenrat zur Begutachtung der sozialpolitischen Entwicklung Im Unterschied zu anderen Berichten der Bundesregierung an den Bundestag (Altenbericht, Familienbericht, Kinder- und Jugendbericht) wird der einmal in jeder Legislaturperiode zu erstellende Sozialbericht nicht von einer Sachverständigenkommission vorbereitet oder begleitet. Dieser Bericht wird seit 1969 in zunächst jährlichem Rhythmus, heute einmal innerhalb einer Legislaturperiode (meist am Ende einer solchen) vorgelegt. Er ist aus dem Vorhaben entstanden, die Gesamtheit sozialpolitischer Ausgaben in einem Sozialbudget zusammenzustellen. Seit längerer Zeit wird dieses Sozialbudget um eine Fünf-Jahres-Projektion der Entwicklung der Sozialausgaben sowie um eine Berichterstattung zu den sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung ergänzt. Diese Maßnahmendarstellung bietet zwar einen informativen Überblick über alle Teilfelder der Sozialpolitik, gerät aber in vielen Passagen eher zu einer Erfolgsbilanz der jeweiligen Regierung. Eine solche ‚beratungslose‘ Berichterstattung könnte einen geeigneten Ansatzpunkt für die Etablierung einer nachhaltigen Politikberatung im Bereich Sozialpolitik bieten. Eine Denkmöglichkeit besteht darin, den Sozialbericht nicht von der jeweiligen Regierung, sondern von einer Sachverständigenkommission in Anlehnung an das Modell der Kommissionen im BMFSJF erstellen zu lassen. Aufgrund des retrospektiven synthetisierenden Blicks auf die Sozialpolitik einer Regierung würde eine expertenbasierte Sozialberichtserstellung aber in die Schwierigkeit hineingeraten, die Regierungsmaßnahmen in ihrer ganzen Breite bewerten zu müssen. Dass eine derartige rein nachträglich bewertende Funktion einer Sachverständigenkommission überantwortet wird, ist politisch nicht zu erwarten und dürfte auch nur zur Politisierung der Politikberatung beitragen. Daher ist lediglich dann eine beratungsbasierte Sozialberichtserstattung denkbar, wenn der Sozialbericht selbst eine andere, zukunftsorientierte Ausrichtung erhält und als Analyse möglicher Entwicklungstendenzen der sozialen Lagen und Risiken sowie möglicher politischer Reaktionsweisen angelegt wird. Damit würde die Untersuchung mittel- und langfristiger Entwicklungsperspektiven von Sozialpolitik, also die Zukunft der Sozialpolitik in einem umfassenden, integrativen Sinne, zur Aufgabe der Arbeit einer interdisziplinär zusammengesetzten Sachverständigenkommission. Da diese Analysearbeit selbst eine dauernd wieder zu tätigende Aufgabe darstellt und gerade keine Separierung in Einzeltendenzen, spezifische Herausforderungen oder einzelne Felder(gruppen) der Sozialpolitik duldet, ist es nicht sinnvoll, zur Erstellung des Berichtes jeweils neu eine Kommission zu berufen. Diese Praxis bietet sich bei den Alten-, Familienund Kinder- und Jugendberichten (hier bei zwei von drei Berichten) an, weil dort jeweils ganz bestimmte Themenschwerpunkte bearbeitet werden, für die jeweils andere Wissenschaftler_innen die entsprechenden Expertisen aufweisen. Eine Daueraufgabe wie die Berichterstattung zu den möglichen Zukünften der Sozialpolitik bedarf einer solch gezielten Rekrutierungspolitik nicht. Daher ist das Modell eines Sachverständigenrates in Anlehnung an den Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und den Sachverständigenrat zur 21 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit einer kleineren Zahl an Wissenschaftler_innen, die periodisch, aber zeitlich gestaffelt ersetzt werden, vorzuziehen (vgl. auch den Vorschlag für einen Sachverständigenrat zur Begutachtung nachhaltiger Lebensqualität, Tiemann/Wagner 2013). Dann wird die Auswahl der Mitglieder des Sachverständigenrates aber zu einer politischen und auch fachpolitischen Entscheidung (Interview 3, 2019). In den Interviews wird auch betont, dass ein solcher Sachverständigenrat durch seine Interdisziplinarität ein Gegengewicht zum rein ökonomisch bestimmten Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung darstellen könnte und sollte (Interview 4, 2019; Interview 5, 2019) und auch eine stärker integrative Sichtweise der vielen Dimensionen und Felder von Sozialpolitiken entwickeln könne (Interview 2, 2019). Auswahl der Wissenschaftler_innen: Es ist deshalb zu fragen, ob es für reine Wissenschaftlerkommissionen ein Auswahlverfahren geben kann, in dessen Rahmen nicht die vorhandenen politischen Vorlieben und Netzwerke zum Tragen kommen. Bei öffentlichen Anhörungen im Bundestag werden die wissenschaftlichen Expert_innen in der Regel von den Fraktionen benannt. Bei Enquete-Kommissionen werden die Sachverständigen im Einvernehmen mit den Fraktionen benannt (§ 56 Abs. 2 BTGO). Damit ist ein relativ hoher Grad an Pluralität und auch Politisierung der benannten Wissenschaftler_innen zu erwarten. Fraktionen werden jene Expert_innen benennen, die sie schon aus anderen Kontexten (partei- und fraktionsinterne wissenschaftliche Politikberatung, Gutachten, Kontakte bei parteinahen politischen Stiftungen, Medienkontakte) kennen. Wer sich als Wissenschaftler_in bisher nicht in die Nähe von Parteien oder medialer Präsenz begeben hat, besitzt bei diesem Modus kaum eine Benennungschance. Zugleich ist eine Reproduktion der aus vorherigen Expertenstatements bekannten Kontroversen zu erwarten. Medien- und Beratungswissenschaftler_innen werden Vorzug erhalten vor forschungsstarken Wissenschaftler_innen, die sich nicht im Transfer engagiert haben. Bei einer alleinigen Benennung durch ein Ministerium ist zwar eine problembezogene Auswahl von Expert_innen eher zu erwarten, auch wenn der Rückgriff auf bereits aus anderen Kooperationen bekannte Personen naheliegt. So kann eine wissenschaftliche und politische Homogenität in einem Beratungsorgan erreicht werden, die bei einer Benennung durch Fraktionen nicht zu erwarten ist. Aus Sicht des Wissenschaftssystems können beide Vorgehensweisen aber zu einer Vernachlässigung innovativer und forschungsstarker Wissenschaftler_innen führen. Allerdings sind Beratungserfahrung und die Vertrautheit mit Formen problembezogener oder angewandter Forschung durchaus sinnvolle Kriterien – auch aus der Sicht einer wissenschaftlichen Disziplin, die an der öffentlichen Präsenz und Güte ihrer Politikberatungsaktivitäten interessiert ist. Daher ist vielleicht ein Modus zu wählen, der sich an der Berufungspraxis des Deutschen Ethikrates orientiert, diesen aber um die Einbeziehung wissenschaftlicher Fachgesellschaften erweitert. Die Mitglieder des Deutschen Ethikrates werden hälftig von Bundesregierung und Bundestag vorgeschlagen und vom Bundestagspräsidenten berufen. Die Berufung durch den Bundestagspräsidenten bietet sich auch deshalb an, weil jede Berichterstattung im Rahmen eines Sozialberichts an den Bundestag gerichtet ist, dieser also das zentrale Auditorium darstellt. Die Vor- 22 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung schläge könnten allerdings von drei Seiten kommen: von Bundestag, Bundesregierung und Wissenschaft – Letztere vertreten durch die einschlägigen Fachgesellschaften, die sich auf einen Vorschlag einigen müssen. Ausstattung: Die Funktionsfähigkeit und auch die potentielle Wirkmacht einer wissenschaftlichen Politikberatungsinstitution hängen zentral von den personellen Ressourcen ab, die für die Kommissionsarbeit genutzt werden können. Da die Arbeit der Wissenschaftler_innen als ehrenamtliche Tätigkeit gilt, sind hier Grenzen der Ressourcenaufbringung gegeben, auch wenn der Einsatz vielfach weit über das Erwartbare hinausgeht. Deshalb stellen das Vorhandensein sowie die Ausstattung einer Geschäftsstelle strategische Faktoren für die Nachhaltigkeit einer Politikberatung dar. Im Umweltsektor (vgl. Tils 2006) sind gerade in diesem Bereich vorbildliche Ressourcenausstattungen erreicht, so beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), wobei die Ausstattung auch in Relation zur Zahl und zum Umfang der Produkte und Kommunikationsaufgaben des Politikberatungsgremiums stehen muss. Ist nur ein Jahresbericht zu erstellen, liegt ein anderes Arbeitsvolumen vor als in dem Fall, dass zusätzlich Sondergutachten, kurze Policy-Paper, eigene Öffentlichkeitsarbeit der Beratungskommission und öffentliche Auftritte der Mitglieder verlangt werden. 23 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung 8 Schluss Den Anforderungen an eine nachhaltige und integrative sozialpolitische Politikberatung entspricht am ehesten ein Sachverständigenrat mit einer reinen Besetzung durch Wissenschaftler_innen bei Berufung durch den Bundestagspräsidenten und einer hinreichend ausgebauten Geschäftsstelle. Die gegenwärtige Situation, dass für Teilgebiete der Sozialpolitik hervorragend arbeitende Beratungsstrukturen entwickelt sind, für den Gesamtzusammenhang der Sozialpolitik aber nicht, sodass an keiner Stelle überprüft wird, wie das riesige Arsenal an sozialpolitischen Maßnahmen auf die Gesellschaft, neue und alte Risikolagen und auf sich selbst zurückwirkt, ist nicht tragbar. Mit dem FIS ist ein Instrument entwickelt worden, interdisziplinäre Sozialpolitikforschung zu stärken, welche gerade das Zusammenwirken der vielen Teilpolitiken untersuchen soll. Dem würde als nächster Schritt entsprechen, eine nachhaltige sozialpolitische Beratungsinfrastruktur zu installieren, die die Wirkung der vielfältigen sozialpolitischen Maßnahmen auch unter zukünftig veränderten Rahmenbedingungen zu erfassen vermag. Es wird zu prüfen sein, ob nicht Beratungsinfrastrukturen aus anderen Politikfeldern oder aus Querschnittsfeldern vorbildlich für die nähere Ausgestaltung der Beratungstätigkeit eines Sachverständigenrates Sozialpolitik sein könnten, zu denken ist hier insbesondere an den WBGU. 24 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Literatur Altenhof, Ralf (2002): Die Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.) (2008): Leitlinien Politikberatung, Berlin: BBAW. 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Wood, Matthew (2019): Hyper-active Governance: How Governments Manage the Politics of Expertise, Cambridge: Cambridge University Press. 28 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Anhang Verzeichnis der Interviews Interview 1, 2019: Interview, September 2019, mit einem Leiter einer Geschäftsstelle einer Sachverständigenkommission. Interview 2, 2019: Interview, September 2019, mit einem Mitglied einer Arbeitsgruppe in der Jugendhilfeberichterstattung. Interview 3, 2019: Interview, September 2019, mit einem Mitglied der Programmgruppe Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen und des Gutachtergremiums für einen Armuts- und Reichtumsbericht. Interview 4, 2019: Interview, September 2019, mit einem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat zu einem Armuts- und Reichtumsbericht. Interview 5, 2019: Interview, September 2019, mit einem Mitglied des Sozialbeirates und weiterer Expertenkommissionen. 29 Nachhaltige Gestaltung sozialpolitischer Politikberatung Über den Autor Prof. Dr. Frank Nullmeier Frank Nullmeier ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen und Leiter der Abteilung „Theoretische und normative Grundlagen“ des SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sozialpolitikforschung und Politische Theorie. 30 Das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) Das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) wurde mit Unterstützung des für Wissenschaft zuständigen Ministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen im September 2014 als eigenständiger, gemeinnütziger Verein mit Sitz in Düsseldorf gegründet. Aufgabe und Ziel des FGW ist es, in Zeiten unübersichtlicher sozialer und ökonomischer Veränderungen neue interdisziplinäre Impulse zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung zu geben und politische Gestaltungsoptionen für die Gewährleistung sozialer Teilhabe in einer sozial integrierten Gesellschaft zu entwickeln. Durch die Organisation innovativer Dialogformate und die Förderung zukunftsorientierter Forschungsprojekte will das Forschungsinstitut die Vernetzung von Wissenschaft, Politik und zivilgesellschaftlichen Akteur_innen vorantreiben und den zielgruppengerechten Transfer neuer Forschungsergebnisse gewährleisten. Weitere Informationen zum FGW finden Sie unter: www.fgw-nrw.de Der Themenbereich „Vorbeugende Sozialpolitik“ Vorbeugende Sozialpolitik zielt darauf ab, die Entstehung und Verfestigung sozialer Problemlagen durch wirkungsorientierte Interventionen, den Aufbau von „Präventionsketten“ und eine bessere Verzahnung der Regelsysteme nach Möglichkeit bereits im Vorfeld zu verhindern, anstatt die daraus resultierenden Defizite nachträglich zu kompensieren. Zentrale Aufgabe des Themenbereichs „Vorbeugende Sozialpolitik“ des FGW ist es, das in den verschiedenen Handlungsfeldern vorhandene Handlungs- und Erfahrungswissen systematisch zu bündeln und aufzubereiten, die konkreten Spannungsfelder und Dilemmata zu analysieren, innerhalb derer sich vorbeugende Sozialpolitik bewegt, und die Ergebnisse dieser Arbeit in einen fruchtbaren Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft einzuspeisen. Durch die Förderung kleinerer und größerer Forschungsprojekte sowie durch geeignete Dialogformate will der Themenbereich dazu beitragen, für die verschiedenen beteiligten Akteure und Professionen eine gesicherte Wissensgrundlage und einen gemeinsamen Orientierungs- und Bezugsrahmen zu schaffen. Weitere Informationen zum Profil und zu den aktuellen Aktivitäten des Themenbereichs finden Sie unter: www.fgw-nrw.de/sozialpolitik

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