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Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen (Rights reserved) Issue [1].2005 (Rights reserved)

Bibliographic data

volume

Description

Title:
Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen / Herausgeber Bundesministerium der Finanzen
Other titles:
Finanz- und Wirtschaftspolitik
Publisher:
Deutschland / Bundesministerium der Finanzen
Publication:
Berlin: Bundesministerium d. Finanzen, Referat Öffentlichkeitsarbeit, 2005 - 2016
Scope:
Online-Ressource
Dates of Publication:
2005; 2.2008-4.2016
Note:
Gesamttitel früher: Finanz- und Wirtschaftspolitik Herausgebendes Organ früher: Bundesministerium der Finanzen, Referat Information und Publikation; Bundesministerium der Finanzen, Referat Öffentlichkeitsarbeit
ZDB-ID:
2905772-3 ZDB
Succeeding Title:
Tragfähigkeitsbericht ...
Urban Studies:
Kws 704 Kommunalverwaltung. Kommunalpolitik: Haushalt und Finanzen
DDC Group:
350 Öffentliche Verwaltung
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Public administration, politics

Description

Publication:
2005
Language:
German
Urban Studies:
Kws 704 Kommunalverwaltung. Kommunalpolitik: Haushalt und Finanzen
DDC Group:
350 Öffentliche Verwaltung
URN:
urn:nbn:de:kobv:109-1-12520713
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Public administration, politics

Contents

Table of contents

  • Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen (Rights reserved)
  • Issue 4.2016 (Rights reserved)
  • Issue 3.2011 (Rights reserved)
  • Issue 2.2008 (Rights reserved)
  • Issue [1].2005 (Rights reserved)

Full text

Finanz- und Wirtschaftspolitik Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Inhalt Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 5 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 9 I. Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik Seite 10 II. Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 16 2.1 Möglichkeiten und Grenzen von Tragfähigkeitsanalysen . . . . . . . . . . . . . . . Seite 16 2.2 Annahmen der Modellrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 21 2.3 Ergebnisse der Berechnungen der ifo-Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 23 2.3.1 Ausgangsvariante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 23 2.3.2 Sensitivitätsanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 28 2.3.3 Politiksimulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 32 III. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . tragfähigen Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 35 3.1 Die Rolle der Politik bei der Sicherung der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 35 3.2 Wachstum und Beschäftigung stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 36 3.2.1 Erwerbsbeteiligung erhöhen, Arbeitslosigkeit abbauen und Produktivitätsfortschritt fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 36 3.2.2 Steuerpolitik wachstumsfördernd ausgestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 39 3.2.3 Familienpolitik zukunftsorientiert ausrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 41 3.2.4 Zuwanderung steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 43 3.3 Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sicherstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 44 3.3.1 Konsolidierung fortsetzen für eine generationengerechte Finanzpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 44 3.3.2 Qualität der öffentlichen Finanzen weiter verbessern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 46 3.3.3 Subventionsabbau konsequent fortsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 50 3.3.4 Soziale Sicherungssysteme demographiefest gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 53 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 58 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 60 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 61 Seite 3 Seite 4 Vorwort Vorwort Deutschlands Bevölkerung wird – wie die der meisten westlichen Industriestaaten – aufgrund niedriger Geburtenraten und weiter wachsender Lebenserwartung in den kommenden Jahrzehnten stark altern. Besonders sichtbar wird dies, wenn die „Baby­ boomer“ der Nachkriegsgeneration in den Ruhestand eintreten. Kaum ein Bereich der Gesellschaft wird von solch massiven Veränderungen in der Struktur der Bevölkerung unberührt bleiben. Für die öffentlichen Haushalte wird diese absehbare demographische Entwicklung zu­ nehmend spürbare Auswirkungen haben. Besonders deutlich gilt dies für die sozialen Sicherungssysteme, die gerade zur Bewältigung der altersabhängigen Risiken ge­ schaffen wurden – die Renten- und Pflege-, aber auch die Krankenversicherung. Vor diesem Hintergrund ist die „Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen“ kein ab­ straktes Thema. Vielmehr betrifft diese Frage Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sehr konkret. Denn sie zielt auf die Sicherung der dauerhaften Handlungsfähigkeit der Finanzpolitik und die Erhaltung der langfristigen Grundlagen für wirtschaftliches Wachstum. Die mit der demographischen Entwicklung einhergehenden Herausforderungen müssen verantwortungsbewusst im Interesse der zukünftigen Generationen ange­ nommen werden. Die Bundesregierung hat mit der Agenda 2010 zukunftsweisende Reformen auf den Weg gebracht, die die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen deutlich erhöhen. Mit diesem ersten Bericht über die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen will das Bundesministerium der Finanzen sachgerecht über die Folgen des demographischen Wandels für die Finanzpolitik informieren und Ansatzpunkte für rechtzeitiges Gegensteuern aufzeigen. Der Bericht zeigt angesichts der bevorstehenden Veränderungen weiteren politischen Handlungsbedarf zur Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Fi­ nanzen auf. Der Bericht macht zugleich aber auch deutlich, dass durch eine gezielte Zusammenarbeit aller Politikbereiche die Herausforderungen des demographischen Wandels bewältigt werden können. Auch dokumentieren die Ergebnisse, dass mit den durchgeführten Reformen, vor allem mit den Maßnahmen bei der Renten- und Kran­ kenversicherung, schon deutliche Fortschritte bei der Sicherung der Tragfähigkeit er­ zielt werden konnten. Dieser Weg muss beschritten werden, um die mit der Bevölkerungsalterung verbun­ denen Belastungen gerecht auf alle Generationen zu verteilen. Zusammenfassung Zusammenfassung Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die öffentlichen Finan­ zen werden seit geraumer Zeit sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene intensiv diskutiert. In Deutschland ist die Bundesregierung bereits heute ge­ setzlich verpflichtet, über die mittel- und langfristigen Perspektiven in Einzelberei­ chen Auskunft zu geben (z. B. Entwicklung der gesetzlichen Renten und der Beam­ tenpensionen). Eine umfassende und sys­ tematische nationale Berichterstattung über die Tragfähigkeit der öffentlichen Fi­ nanzen existiert in Deutschland jedoch noch nicht. Das Bundesministerium der Finanzen hat daher das ifo-Institut mit entsprechen­ den Modellrechnungen beauftragt. Dabei werden die Ausgaben und Einnahmen des Staates (Gebietskörperschaften und Sozi­ alversicherungen) insgesamt betrachtet, nach einzelnen Ebenen (Bund, Länder, Ge­ meinden) wird nicht differenziert. Die Ergebnisse dieser Rechnungen die­ nen als Grundlage für den vorliegenden Bericht. Ein generelles Problem von Trag­ fähigkeitsanalysen ist, dass naturgemäß sehr lange Zeithorizonte betrachtet wer­ den und Rückkoppelungen budgetärer Entwicklungen oder politischer Maßnah­ men auf das Wirtschaftswachstum und auf das Verhalten der Unternehmen wie der privaten Haushalte nur unzureichend berücksichtigt werden. Daher sind die Rechnungen grundsätzlich mit großen Unsicherheiten behaftet. Die quantitati­ ven Ergebnisse sollten mit entsprechen- der Vorsicht interpretiert werden. Den­ noch ermöglichen die Analysen eine grobe Einschätzung künftiger finanzpoli­ tischer Spielräume und eine verglei­ chende Beurteilung der Wirkungen alter­ nativer Reformoptionen auf die Tragfä­ higkeit der öffentlichen Finanzen. Kapitel I beschreibt den in Deutsch­ land – wie in vielen anderen Ländern – zu erwartenden demographischen Wandel. Danach wird sich der Altenquotient, d.h. die Relation der Bevölkerung im Renten­ alter ab 65 Jahren zur Bevölkerung im Er­ werbsalter zwischen 20 und 64 Jahren, bis zum Jahr 2050 in etwa verdoppeln. In Kapitel II werden die wichtigsten Er­ gebnisse der ifo-Studie dargestellt. Dabei wird eine Methodik verwendet, die wäh­ rend der letzten zehn Jahre in zahlreichen Arbeiten der OECD vorgestellt und in jün­ gerer Zeit vom Wirtschaftspolitischen Ausschuss der EU für den Einsatz auf Ge­ meinschaftsebene fortentwickelt wurde. In den Modellrechnungen werden ein­ zelne Kategorien öffentlicher Ausgaben auf Basis konkreter Annahmen über die demographische und gesamtwirtschaftli­ che Entwicklung bis zum Jahr 2050 fortge­ schrieben. Explizit betrachtet werden die öffentlichen Ausgaben in den Bereichen staatliche Alterssicherung (Rentenversi­ cherung, Beamtenversorgung), Gesund­ heit (Krankenversicherung, Pflegeversi­ cherung) und Bildung sowie langfristige Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Die aggregierte Ausgabenquote für diese Bereiche sinkt zunächst kontinuierlich bis Seite 5 Seite 6 Zusammenfassung 2012 auf einen Wert von 23,6 % des Brutto­ inlandsprodukts (BIP), erst danach ergibt sich ein kontinuierlicher Anstieg bis 2050 auf 27,8 %. Ausgehend von der mittelfristigen Fi­ nanzplanung der Bundesregierung sowie der Annahme konstanter BIP-Anteile bei den sonstigen öffentlichen Ausgaben ab 2009 reduziert sich die gesamt staatliche Ausgabenquote von 48,9 % im Jahre 2003 (Datenstand bei Beginn der Modellrech­ nungen) auf 43,1 % im Jahre 2012. Danach steigt sie wieder an und zwar auf 47,3 % im Jahre 2050. Die Schuldenstandsquote würde – bei konstanter Einnahmenquote – bis etwa 2035 um 60 % des BIP schwanken und sich dann bis 2050 auf 111,1 % erhöhen. Ohne die jüngsten Reformen im Bereich der ge­ setzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung läge der Schuldenstand 2050 nochmals rund 20 Prozentpunkte höher. Dabei muss je­ doch berücksichtigt werden, dass die Ent­ wicklung des Schuldenstands in Relation zum BIP je nach Annahme konstanter oder steigender Einnahmen und in Ab­ hängigkeit des zugrunde gelegten Zins­ satzes stark variiert. Die prognostizierte Erhöhung des Schuldenstandes ergäbe sich unter der Annahme einer konstanten Einnahmenquote. Die im geltenden Recht angelegten Steigerungen der Einnah­ menquote bei steigenden Ausgaben in Be­ reichen, die in ihrer Dynamik stark von der Altersstruktur der Bevölkerung ab­ hängig sind, würden dazu führen, dass die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen weit gehend neutralisiert werden. In jedem Fall führt eine Verengung des Blicks allein auf das Endjahr der Projek­ tion zu einer verzerrten Wahrnehmung. Tatsächlich sinkt der Schuldenstand ge­ messen am BIP ohne weitere Anpassun­ gen auf der Einnahmenseite zunächst kontinuierlich und beginnt nicht vor 2020 wieder zu steigen. Erst dies ist der Zeit­ punkt, von dem an die Wirkungen der be­ reits verabschiedeten Reformen nicht mehr ausreichen, die demographiebe­ dingten Lasten vollständig auszuglei­ chen. Für Reaktionen von Seiten der Poli­ tik zeigt sich damit ein Zeitfenster, das sich für eine weitere Verbesserung der fis­ kalischen Tragfähigkeit nutzen lässt. Aussagekräftiger als die Schulden­ standsentwicklung und robuster gegenü­ ber den Effekten der Zinseszinsrechnung sind die von ifo verwendeten Tragfähig­ keitsindikatoren. Sie geben Auskunft dar­ über, in welchem Umfang heute Budget­ korrekturen erforderlich wären, um die Entwicklung der öffentlichen Finanzen langfristig tragfähig zu machen. Die in diesem Bericht ausgewiesenen Tragfähig­ keitslücken zeigen an, dass auf der Basis der durch den demographischen Wandel ausgelösten Entwicklung der staatlichen Ausgaben weiterhin finanzpolitischer Handlungsbedarf besteht. Über die Art der Beseitigung sagt das Konzept nichts aus; die Entscheidung darüber ist Auf­ gabe der Politik. Die Berechnungen werden ergänzt durch eine Reihe von Sensitivitätsanaly­ sen und Politiksimulationen. In den Sensi­ tivitätsanalysen werden Änderungen der Annahmen in den Bereichen Demogra­ phie, Erwerbsneigung, Beschäftigung, Produktivität und Zins berechnet und zu­ dem Variationen der Kostenentwicklung in einzelnen Ausgabenbereichen simu­ liert. Die Analysen belegen, dass sich nicht nur Änderungen im gesamtwirtschaft­ lichen Datenkranz, sondern auch abwei­ chende Annahmen über die künftige Ent­ Zusammenfassung wicklung der Gesundheitskosten zum Teil in erheblichem Umfang auf die langfris­ tige Entwicklung der öffentlichen Finan­ zen auswirken. In den Politiksimulationen werden die Auswirkungen verschiedener Reformop­ tionen bzw. bereits verabschiedeter Refor­ men auf die Tragfähigkeit untersucht. Die Berechnungen verdeutlichen, dass die Bundesregierung dem kurz- und mittel­ fristig bestehenden Handlungsbedarf durch die eingeleiteten Reformen der Agenda 2010 bereits Rechnung trägt. Die jüngsten Reformen im Bereich der gesetz­ lichen Rentenversicherung und der ge­ setzlichen Krankenversicherung haben die Tragfähigkeitslücken um etwa 20 % re­ duziert. Trotz dieser Erfolge besteht aber weiterer Handlungsbedarf. Zu einer er­ heblichen Verbesserung der langfristigen Entwicklung der öffentlichen Finanzen würden etwa Reformen wie eine Herauf­ setzung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, eine zusätzliche Ausgabendämp­ fung im Gesundheitswesen sowie eine weitere Senkung sonstiger konsumtiver öffentlicher Ausgaben beitragen. Das Spektrum an politischen Lösungs­ ansätzen wird in Kapitel III aufgezeigt. Da demographische Trends in der Regel sehr stabil und nur schwer zu beeinflussen sind, muss die Politik mit zusätzlichen Maßnahmen auf die Herausforderungen reagieren. Dabei ist nicht nur die Finanz­ politik, sondern auch die Politik in vielen anderen Bereichen gefordert. Bei der Kombination verschiedener Maßnahmen kumulieren sich die Effekte und die Tragfä­ higkeitslücken können rechnerisch kom­ plett geschlossen werden. Im Kern müssen die von der Politik zu ergreifenden Maßnahmen auf zwei Ziele hinführen: Dauerhaft höheres Wachstum und langfristig tragfähige öffentliche Fi­ nanzen. Mit einer breit angelegten Strate­ gie, die auf eine Kombination von Maß­ nahmen in unterschiedlichen Politikfel­ dern setzt, lässt sich das Nachhaltigkeits­ ziel am besten erreichen. Neben Refor­ men der sozialen Sicherungssysteme ist die Entfaltung künftiger Wachstums- und Be­ schäftigungsmöglichkeiten ebenso wich­ tig. Nicht zuletzt müssen wir Bedingun­ gen schaffen, um eine Trendumkehr bei den Geburtenraten einzuleiten. Je früher Reformen angegangen werden, desto grö­ ßer ist deren Hebelwirkung und desto eher können Belastungen in der Zukunft vermieden werden. Der folgende Kasten gibt einen Über­ blick über die Ansatzpunkte für politi­ sches Handeln. Seite 7 Seite 8 Zusammenfassung Ansatzpunkte für politisches Handeln Wachstum und Beschäftigung stärken > Erwerbsbeteiligung, vor allem von Frauen und älteren Erwerbs­ personen, erhöhen, Arbeitslosigkeit abbauen und Produktivi­ tätsfortschritt fördern. > Steuerpolitik wachstumsfördernd ausgestalten, vor allem auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung. > Familienpolitik zukunftsorientiert ausrichten, d. h. vor allem Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. > Zuwanderung steuern; Zuwanderungsregeln so gestalten, dass es nicht zu einer Überforderung der sozialen Sicherungs­ systeme kommt. Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sichern > Konsolidierung konsequent fortsetzen, vor allem durch Aus­ gabenkürzungen und Abbau von Steuervergünstigungen. > Qualität der öffentlichen Finanzen weiter verbessern: Zu­ kunftsausgaben wie Bildung, Forschung und Innovation stär­ ken. > Soziale Sicherungssysteme demographiefest gestalten: Er­ folgreiche Reformpolitik (vgl. Rentenversicherungs-Nachhal­ tigkeitsgesetz, Krankenversicherungs-Modernisierungsge­ setz) fortsetzen, Maßnahmen im Bereich der Alterssicherung wirkungsgleich auf die Beamtenversorgung übertragen. Weiterem Reformbedarf bei Kranken- und Pflegeversicherung nachkommen. > Betriebliche und private Altersvorsorge stärken. Einführung Seite 9 Einführung Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die öffentlichen Finanzen werden seit geraumer Zeit sowohl auf na­ tionaler als auch auf internationaler Ebene intensiv diskutiert. Viele Bereiche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden von der Bevölkerungsalterung berührt und müssen sich auf die langfristigen Verände­ rungen einstellen. Zielsetzung dieses Be­ richtes ist es, über die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Tragfä­ higkeit der öffentlichen Finanzen zu infor­ mieren. Im Jahresgutachten des Sachver­ ständigenrates 2003 werden die öffent­ lichen Haushalte als tragfähig definiert, „wenn die gegenwärtig und die auf der Grund­ lage des geltenden Rechts fortgeschriebenen zukünftig erzielten staatlichen Einnahmen ausreichen, um sämtliche staatliche Zah­ lungs- und andere Ausgabenverpflichtungen abzudecken.“ Die Bundesregierung ist bereits heute gesetzlich verpflichtet, über die mittel- und langfristigen Perspektiven in Einzelberei­ chen Auskunft zu geben (z. B. Rentenver­ sicherungsbericht, Versorgungsbericht). Eine umfassende und systematische natio­ nale Berichterstattung über die Tragfähig­ keit der öffentlichen Finanzen insgesamt existiert in Deutschland jedoch noch nicht. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat daher das ifo-Institut, München, Ende 2003 mit entsprechenden Modell­ rechnungen beauftragt. Dabei werden – der Berichterstattung in den Stabilitätspro­ grammen folgend – die Ausgaben und Ein­ nahmen des Staates (Bund, Länder, Ge­ meinden und Sozialversicherungen) insge­ samt betrachtet, eine Differenzierung nach einzelnen Ebenen der Gebietskörperschaf­ ten findet nicht statt. Der hier vorgelegte Be­ richt basiert auf den rechnerischen Ergeb­ nissen der im Dezember 2004 abgeschlosse­ nen ifo-Studie und formuliert auf dieser Grundlage mögliche politische Lösungsan­ sätze. Kapitel I beschreibt den in Deutsch­ land – wie in anderen Ländern – sich vollzie­ henden demographischen Wandel. In Kapi­ tel II werden die wichtigsten Ergebnisse der ifo-Studie dargestellt. Kapitel III zeigt politi­ sche Lösungsansätze auf. Trotz aller Einschränkungen aufgrund methodischer Probleme von Langfristbe­ rechnungen sind zumindest eine grobe Ein­ schätzung künftiger finanzpolitischer Spielräume und vergleichende Beurteilun­ gen der Wirksamkeit alternativer Reform­ optionen auf die Tragfähigkeit der öffent­ lichen Finanzen möglich. So stellte auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten 2003 fest: „Die gebotene Vorsicht bei der Interpreta­ tion von Tragfähigkeitslücken ist jedoch kein Grund, auf derartige Berechnungen zu ver­ zichten. Es ist in jedem Fall besser, eine unge­ fähre Vorstellung von den auf die öffentlichen Haushalte zukommenden Belastungen zu ha­ ben, als aus lauter Skrupeln überhaupt nichts zu sagen und damit die Notwendigkeit eines politischen Gegensteuerns zu ignorieren.“ Bei den politischen Schlussfolgerungen ist allerdings darauf zu achten, dass die Grenzen der Berechnungsmethoden ange­ messen berücksichtigt werden. Im Jahresgutachten des Sachverständigenrates 2003 werden die öffentlichen Haushalte als tragfähig defi­ niert, „wenn die gegenwär­ tig und die auf der Grund­ lage des geltenden Rechts fortgeschriebenen zukünftig erzielten staatlichen Einnah­ men ausreichen, um sämtli­ che staatliche Zahlungs- und andere Ausgabenverpflich­ tungen abzudecken.“ Seite 10 Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik I. Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik Entscheidender Auslöser für die Sorge um die Tragfähigkeit der öffentlichen Finan­ zen ist der demographische Wandel. Die­ ser ist schon im derzeitigen Altersaufbau der Bevölkerung angelegt und wird – bei anhaltend niedrigen Geburtenraten und weiter wachsender Lebenserwartung – in den kommenden Jahrzehnten zu gra­ vierenden Veränderungen in der Zu­ sammensetzung der Bevölkerung führen. Verschiebungen im zahlenmäßigen Verhältnis zwischen jüngeren und älteren Menschen finden in Deutschland – wie in den übrigen Industriestaaten – zwar schon seit langem statt. Die Veränderungen voll­ zogen sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts aber eher allmählich und un­ bemerkt, weil der säkulare Trend eines Rückgangs der Geburtenziffern in den spä­ ten 50er und den 60er Jahren vorüberge- Abbildung 1: Entwicklung des Bevölkerungsanteils im Kindes- und Jugendalter (bis unter 20 Jahre) bzw. im Seniorenalter (65 und älter) in Deutschland von 1871 bis 2050 Prozent 50 65 und älter 0 bis unter 20 Jahre 40 30 20 10 0 Quelle: Statistisches Bundesamt, Aufbereitung: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik Seite 11 hend von einer Phase vergleichsweise ho­ her Geburtenzahlen („Babyboom“) abge­ löst wurde. Bis heute verstärkt diese Gene­ ration den Anteil der Menschen im er­ werbsfähigen Alter. In der folgenden Abbildung wurde die übliche Form der Darstellung der Bevölke­ rungsstruktur in Form einer Alterspyra­ mide mit einer Kommentierung versehen, die neben dem aktuellen Stand der Dinge für Deutschland auch die häufig weit zu­ rückliegenden Ursachen für die mehr oder minder starke Besetzung einzelner Jahr­ gänge beschreibt. Abbildung 2: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 2003 Alter in Jahren Männer Frauen 95 90 Gefallene des 2. Weltkriegs 85 Geburtentief im 1. Weltkrieg Geburtentief im 1. Weltkrieg 80 Frauenüberschuss 75 70 Geburtentief während der Wirtschaftskrise um 1932 Geburtentief während der Wirtschaftskrise um 1932 65 60 Geburtentief Ende des 2. Weltkriegs Geburtentief Ende des 2. Weltkriegs 55 50 45 Männerüberschuss 40 Babyboom Generation 35 30 25 Zweiter Geburtenrückgang 1965 bis 1975 20 15 10 Geburtentief Neue Länder Geburtentief Neue Länder 5 0 800 600 400 Anzahl in Tausend Quelle: Statistisches Bundesamt, BIB 200 0 0 200 400 600 800 Anzahl in Tausend Seite 12 Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik Wenn die heute noch aktiven gebur­ tenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit zu Senioren werden, wird der AltenquoWenn die heute noch aktitient, der die Relation der Bevölkerung im ven geburtenstarken JahrRentenalter zur Bevölkerung im Erwerbs­ gänge der Nachkriegszeit alter beschreibt, viel rascher als in der zu Senioren werden, wird Vergangenheit steigen. Das hat das Statisder Altenquotient, der die Relation der Bevölkerung im tische Bundesamt mit seinen im Jahr 2003 Rentenalter zur Bevölkerung aktualisierten Bevölkerungsvorausberech­ im Erwerbsalter beschreibt, viel rascher als in der Vergan­ nungen erneut aufgezeigt. Kommen der­ zeit auf 100 Einwohner im erwerbsfähigen genheit steigen. Alter noch weniger als 30 Personen, die 65 Jahre alt oder älter sind, so werden es bereits in 25 Jahren fast 50 sein, und im Jahr 2050 dürfte sich der Altenquotient gegenüber heute fast verdoppelt haben. Zu einer schnellen Zunahme des Anteils alter und sehr alter Menschen an der Ge­ samtbevölkerung kommt es auch dann, wenn – wie in einigen der für Deutschland entwickelten Szenarien – die absolute Zahl der Einwohner am Ende nicht wesentlich niedriger ist als heute. Tabelle 1: Entwicklung des Altenquotienten Relation der Bevölkerung im Rentenalter (ab 65 Jahren) zur Bevölkerung im Erwerbsalter (20 bis unter 65) 2001 2010 2020 2030 2040 2050 niedriger Einwohnerzahl 27,5 32,8 36,8 48,5 55,3 56,4 mittlerer Einwohnerzahl 27,5 32,6 36,4 47,3 53,1 54,5 hoher Einwohnerzahl 27,5 32,6 36,1 46,5 52,0 53,8 Variante mit: Quelle: Statistisches Bundesamt, 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik Seite 13 Von einer deutlichen Schrumpfung der Bevölkerung ist dagegen nicht zwingend auszugehen. In einer der vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Rechnungen ist die absolute Bevölkerungszahl im Jahr 2050 – selbst bei unverändert niedriger Geburtenrate – durch angenommene hohe Wanderungsgewinne und eine wei­ ter wachsende Lebenserwartung noch annähernd so hoch wie heute. Abbildung 3: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 1990 bis 20501) Millionen 90 90 85 85 80 80 75 75 70 70 65 65 60 60 1990 2000 2010 2020 Jahre 2030 2040 2050 Tatsächlicher Wert Variante 1 Variante 5 Variante 9 1 Quelle: Statistisches Bundesamt, BIB Abbildung 3 stellt die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1990 bis 2050 nach Varianten der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung dar. Abgebildet sind 3 von insgesamt 9 Varianten, die sich hinsichtlich der Annahmen zur Lebenserwartung und Migration unterscheiden. In Variante 9 wird sowohl eine hohe Lebenserwartung als auch eine hohe Migration unterstellt, wohingegen bei Variante 1 Lebenserwartung und Migration niedrig sind. Mittlere Werte be­ züglich der Lebenserwartung und Migration wurden bei Variante 5 zugrunde gelegt. Diese Variante bildet gleichzeitig die Basis für die folgenden Tragfähigkeitsanalysen. Varianten bezüglich der Größen Wanderung und Lebenserwartung werden für sich genommen bei den Sensitivitätsanalysen untersucht. Seite 14 Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik Abbildung 4: Altersaufbau der Bevölkerung in den Jahren 1910, 1950, 1975, 2000, 2025 und 2050 (in %) Alter in Jahren Alter in Jahren 95 Männer Frauen 1950 85 80 80 70 70 65 60 60 60 55 55 55 50 50 50 45 45 45 40 40 40 35 35 35 30 30 30 25 25 25 20 20 20 0 5 0 0,5 1,0 1,5 1,5 1,0 0,5 0 Männer 90 1,5 1 0,5 0 Männer 2050 85 75 70 70 70 65 65 60 60 60 55 55 55 50 50 50 45 45 45 40 40 40 35 35 35 30 30 30 25 25 25 20 20 20 15 15 5 Männerüberschuss 10 5 10 5 0 0 0 Prozent 0,5 1,0 1,5 1,5 1,0 0,5 0 Frauenüberschuss 80 65 0 1,5 Frauen 95 75 Männerüberschuss 1,0 90 Frauenüberschuss 80 15 0,5 0 Alter in Jahren Frauen 85 Frauenüberschuss 10 0 1,5 90 2025 85 0,5 1,0 Prozent 95 75 1,0 0,5 0 Alter in Jahren Frauen 80 1,5 5 0 Prozent 95 Männerüberschuss 10 0 Alter in Jahren 2000 Männerüberschuss 10 Prozent Männer 15 15 Männerüberschuss Frauenüberschuss 75 65 5 0,5 80 70 0 1,0 85 Frauenüberschuss 75 15 1,5 1975 65 10 Frauen 90 85 Frauenüberschuss 75 Männerüberschuss 95 Männer Frauen 90 90 1910 Alter in Jahren 95 Männer 0 0,5 1,0 1,5 Prozent 1,5 1,0 0,5 0 0 0,5 1,0 1,5 Prozent Quelle: Statistisches Bundesamt, Aufbereitung: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) In der folgenden Abbildung wird deut- bung der Altersstruktur im Kreise der In­ lich, dass Deutschland mit der Verschie- dustrienationen keineswegs allein steht. Der demographische Wandel: Eine Herausforderung für die Politik Seite 15 Abbildung 5: Entwicklung des Altenquotienten in der OECD Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und mehr je 100 der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren 80 70 60 50 40 30 20 10 Ja pa Sp n an ie Ts n ch G ec rie Ital hi ch ien sc he enla Re nd pu b Sc lik hw Ö st eiz er re ic Ko h r Po ea rt ug Un al ga rn De Po ut le sc n hl a Be n d lg Sl ien ow Sc ake hw i Fr ede an n kr e F in ic h n l No an rw d eg K a en Dä nad a n N i em ed ar er k la nd Irl e an Ve d re I sl in ig Au an te st d s K ra ön lie n i Ne gre us ich e Ve L ela r e ux n in em d ig te bu St rg aa te M n ex ik o Tü rk ei 0 Quotient 2000 Quotient 2050 Quelle: UN Population Division, World Population Prospects, The 2002 Revision, Aufbereitung: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) Es gibt kaum einen Bereich der Gesell­ schaft, der von so massiven Veränderun­ gen in der Struktur der Bevölkerung un­ berührt bleiben wird. Das wurde in den vergangenen Jahren auf umfassende Weise von der Enquete-Kommission „De­ mographischer Wandel“ des Deutschen Bundestages dokumentiert. Zum erwarteten Zusammenhang zwi­ schen Bevölkerungsalterung und Wirt­ schaftswachstum sind sich die vorliegen­ den Analysen weit gehend einig: Auf Dauer – und bei ansonsten unveränderten Bedingungen – dürfte der demographi­ sche Wandel die wirtschaftliche Dynamik in den davon betroffenen Industriestaa­ ten negativ beeinflussen. Das ist vor allem eine Folge des mit der Bevölkerungsalte­ rung einher gehenden Rückgangs im Er­ werbspersonenpotenzial. Auch dieser Bericht kommt nicht aus ohne die Setzung von Annahmen über die künftigen gesamtwirtschaftlichen Bedin­ gungen (etwa mit Blick auf die Höhe der Erwerbsbeteilung, der strukturellen Ar­ beitslosigkeit und des Produktivitätsfort­ schritts). Sein eindeutiger Fokus liegt aber auf der sich anschließenden Analyse der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Der Sachverständigenrat definiert in sei­ nem Jahresgutachten 2003 öffentliche Haushalte dann als tragfähig, „wenn die gegenwärtig und die auf der Grundlage des geltenden Rechts fortgeschriebenen zukünf­ tig erzielten staatlichen Einnahmen ausrei­ chen, um sämtliche staatliche Zahlungs­ und andere Ausgabenverpflichtungen abzu­ decken.“ Seite 16 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen II. Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen 2.1 Möglichkeiten und Grenzen von Tragfähigkeitsanalysen An Untersuchungen zur Tragfähigkeit ist das BMF auf internationaler Ebene seit 2000 beteiligt. Komplexe gesellschaftliche Entwick­ lungsprozesse, die sich in erwarteten de­ mographischen Veränderungen spiegeln, können nicht exakt erfasst, modelliert und prognostiziert werden. Das gilt auch für die möglichen Folgen der Bevölke­ rungsalterung und erst recht dann, wenn langfristig angelegte demographische, makroökonomische und fiskalische Ent­ wicklungen zugleich dargestellt werden sollen. Einen Ausweg bieten Modellrechnun­ gen, die das künftige Geschehen bei Set­ zung unterschiedlicher Annahmen im Rahmen gewisser Bandbreiten abzugrei­ fen suchen. Dies ist auch das Vorgehen, für das sich die EU und OECD bei ihren Unter­ suchungen zur Tragfähigkeit der öffent­ lichen Finanzen entschieden haben. An entsprechenden Arbeiten auf internatio­ naler Ebene ist das BMF seit dem Jahr 2000 beteiligt. Eine erste gemeinschaftsweite Schätzrunde wurde im November 2003 mit einem Bericht an den Rat der Wirt­ schafts- und Finanzminister der EU abge­ schlossen. Basis der Berechnungen waren in diesem Fall Bevölkerungsprojektionen von Eurostat und darauf abgestimmte ge­ samtwirtschaftliche Annahmen. Danach werden die Lasten für die öffentlichen Haushalte als Folge der Bevölkerungsalte­ rung in der EU insgesamt deutlich zuneh­ men. Der Anstieg des so genannten Belas­ tungsquotienten, der die Veränderung der alterungsbedingten Ausgaben in Re­ lation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) be­ schreibt, erreichte in den meisten Mit­ gliedstaaten bis 2050 eine Größenord­ nung von drei bis sieben Prozentpunkten. Für Deutschland wurde eine Zunahme um sechs Prozentpunkte veranschlagt. Bei den Alterssicherungsausgaben wurden aus Gründen der Vergleichbarkeit aller­ dings noch die Ergebnisse einer zwei Jahre zuvor auf Gemeinschaftsebene durchge­ führten Rechnung verwendet. Die belas­ tungsmindernden Effekte der Rentenre­ form von 2001 und aller erst danach verab­ schiedeten Maßnahmen in Deutschland sind dort jedoch noch nicht berücksich­ tigt worden. Spätere Modellrechnungen ergaben unter Einschluss der Rentenre­ form 2001 nur noch einen Anstieg der al­ tersbedingten Ausgaben um etwa vier Prozentpunkte. Darin zeigt sich ein Dilemma, dem die auf internationaler Ebene abgestimmten Schätzungen regelmäßig ausgesetzt sind: Die Ergebnisse sind von ihrem Ansatz her eher vergleichbar als isolierte nationale Berechnungen. Sie können den institutio­ nellen Besonderheiten einzelner Mit­ Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 17 gliedstaaten, Änderungen in den recht­ lichen wie politischen Rahmenbedingun­ gen und damit verbundenen Fragestel­ lungen aber notwendigerweise nur be­ grenzt Rechnung tragen. Dies liegt auch an den bislang verwendeten – sehr einfa­ chen – Modellansätzen, deren Ergebnisse nur mit allergrößter Vorsicht interpretiert werden dürfen, da Auswirkungen bereits verabschiedeter Reformen auf die wirt­ schaftliche Entwicklung und Änderungen im Verhalten der Menschen, wie etwa eine steigende Erwerbsbeteiligung, dort häufig nicht berücksichtigt werden. Die ausgewiesenen Belastungen und/oder Entlastungen für die öffentlichen Haus­ halte hängen zudem davon ab, welche Be­ reiche staatlicher Ausgaben überhaupt ei­ ner genaueren Prüfung unterzogen wur­ den. Für die Berichterstattung gegenüber der EU wurden bei der jüngsten Aktuali­ sierung des deutschen Stabilitätspro­ gramms deshalb bereits die Ergebnisse von Modellrechnungen verwendet, die das ifo-Institut im vergangenen Jahr im Auftrag des BMF durchgeführt hat. Die Er­ gebnisse dieser Rechnungen bilden auch die Basis der folgenden Ausführungen, sie wurden als Band 17 der ifo-Beiträge zur Wirtschaftsforschung im Januar 2005 ver­ öffentlicht. Zum Konzept der fiskalischen Trag­ fähigkeit und zur Methodik Mit einer Bewertung unterschiedlicher Konzepte zur Prüfung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen hat sich unter anderem der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen auseinander gesetzt und dabei eine ganze Reihe von Anforderungen an eine nach­ haltige Finanzpolitik formuliert. So stellt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in seinem Gutachten zur „Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik“ (2001) fest: „Die Forde­ rung nach einer dauerhaft soliden Finanz­ politik ist keine Erfindung unserer Zeit. Er­ fahrungen aus der langen historischen Ent­ wicklung des öffentlichen Haushaltswesens haben Regeln von Verfassungsrang hervor­ gebracht, welche der Finanzpolitik und ih­ rem Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft Grenzen auferlegen. Die Begren­ zung der öffentlichen Kreditaufnahme nach Art. 115 GG und die in Art. 109 GG normierte Verpflichtung der öffentlichen Haushalts­ wirtschaft, den Erfordernissen des gesamt­ wirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen, sind Beispiele dafür. Die Vor­ schriften zur Vermeidung übermäßiger öf­ fentlicher Defizite im Recht der Europä­ ischen Union (Art. 104 EG-Vertrag) setzen diese Entwicklung fort.“ Über solche bereits bestehenden Rege­ lungen hinaus – so der Beirat weiter – soll­ ten im Konzept einer nachhaltigen Fi­ nanzpolitik haushaltspolitische und ge­ samtwirtschaftliche Zusammenhänge be­ achtet werden, die zur Realisierung seiner Zielsetzungen – der Sicherung der dauer­ haften Handlungsfähigkeit der Finanzpo­ litik und der Erhaltung der langfristigen Grundlagen für wirtschaftliches Wachs­ tum – notwendig sind. Die Zielsetzung der budgetären Nachhaltigkeit – wie sie Tragfähigkeitsanalysen sind aufgrund der Betrachtung sehr langer Zeithorizonte zwar mit Unsicherheiten be­ haftet, sie erlauben aber eine grobe Einschätzung fi­ nanzpolitischer Spielräume und eine vergleichende Be­ urteilung unterschiedlicher Reformoptionen. Seite 18 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auch der Sachverständigenrat formuliert hat – steht bei allen derzeit vorhandenen Konzepten im Vordergrund. Ihr gemein­ sames Ziel ist die Entwicklung von quanti­ tativen Indikatoren, mit denen die Tragfä­ higkeit der gegenwärtigen Finanzpolitik geprüft werden kann. Bei der Entwicklung solcher Messgrö­ ßen hat es in einschlägigen Untersuchun­ gen zwei Entwicklungsstränge gegeben, die über lange Zeit getrennt verfolgt wur­ den. Einerseits wurden Maßstäbe entwi­ ckelt, die sich auch bei der Ermittlung erst künftig entstehender Zahlungspflichten des Staates eng an gängige Verfahren zur Planung und Analyse der laufenden Haus­ haltspolitik und damit an die gewohnte Messung expliziter öffentlicher Verschul­ dung anlehnen (so die Arbeiten der OECD). Andererseits wurden Ansätze mit mehr theoretischer Fundierung konzi­ piert, deren Ziel zunächst vor allem in der Messung von Belastungs- und Vertei­ lungseffekten fiskalischer Maßnahmen auf der Mikro-Ebene bestand (Konzept der Generationenbilanzierung). Erst in jüngerer Zeit sind Maßstäbe ent­ standen, die Elemente beider Entwick­ lungsstränge – die Nähe zur konventio­ nellen Budgetanalyse und die theoreti­ sche Fundierung – in sich vereinen. Dazu gehören die vom Sachverständigenrat er­ rechneten „Tragfähigkeitslücken“ ebenso wie die von der EU-Kommission bei der jährlichen Prüfung der Stabilitätspro­ gramme verwendeten „Sustainability Gaps“. Beide Ansätze lassen sich ineinan­ der überführen, wenn bei der Definition der Indikatoren die gleichen Zeiträume betrachtet werden. Das ifo-Institut bediente sich in seinen Modellrechnungen der Methodik, die während der letzten Jahre in zahlreichen Arbeiten der OECD vorgestellt und in jün­ gerer Zeit vom Wirtschaftspolitischen Ausschuss der EU für den Einsatz auf Ge­ meinschaftsebene fortentwickelt wurde. Das Interesse konzentriert sich dabei auf die möglichst genaue Abbildung der staatlichen Ausgaben in den von der Be­ völkerungsalterung besonders betroffe­ nen Bereichen. Explizit modelliert werden die Ausgaben in den Bereichen staatliche Alterssicherung (Gesetzliche Rentenversi­ cherung, Beamtenversorgung), Gesund­ heit (Gesetzliche Krankenversicherung, Soziale Pflegeversicherung) und Bildung (einschließlich der Ausgaben für Kinder­ betreuungseinrichtungen im Vorschulbe­ reich). Die fiskalischen Konsequenzen von langfristigen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt (Ausgaben der Gesetz­ lichen Arbeitslosenversicherung) kom­ men hinzu. Unter der Annahme, dass alle von den Projektionen nicht erfassten „sonstigen“ staatlichen Ausgaben im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung konstant bleiben, werden die projizierten Ausga­ benänderungen als Änderungen des pri­ mären Finanzierungssaldos des gesamt­ staatlichen Haushalts interpretiert. Aus­ gehend von dem in der mittelfristigen Fi­ nanzplanung der Bundesregierung aus­ gewiesenen Finanzierungssaldo (ein­ schließlich der Zinszahlungen auf die öf­ fentliche Verschuldung) für das Jahr 2008 lassen sich Langfristszenarien für die Ent­ wicklung der staatlichen Defizitquote und der Schuldenstandsquote bis 2050 entwi­ ckeln. Die Berechnungen wurden sowohl für die Annahme einer konstanten Einnah­ menquote als auch für die Annahme einer sich anpassenden Einnahmenquote durchgeführt. Die Unterscheidung ist Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 19 wichtig, weil es nach dem geltenden Recht in Deutschland bei Finanzierungs­ lücken im Bereich der sozialen Siche­ rungssysteme zu quasi-automatischen Anpassungen auf der Einnahmenseite kommt. Ein direkter Zusammenhang zwi­ schen Ausgaben- und Einnahmenent­ wicklung besteht beispielsweise auch in der Gesetzlichen Rentenversicherung. So wird, wenn die Ausgaben die Einnahmen nicht decken, der Beitragssatz zwangsläu­ fig erhöht. Ein steigender Beitragssatz führt seinerseits zu einer Dämpfung der Rentenanpassung und damit zu niedrige­ ren Rentenausgaben. Diese Mechanismen werden im Szena­ rio mit unveränderter Einnahmenquote nicht vollständig abgebildet. Die Summe der Einnahmen des Staates wird dort in Relation zum BIP konstant gehalten, selbst wenn sich in den Rechnungen für die einzelnen Zweige der Sozialversiche­ rung eine Anpassung der Beitragsätze nach oben (wie in der Rentenversiche­ rung) oder unten (wie in der Arbeitslosen­ versicherung) ergibt. Dabei handelt es sich um ein auf internationaler Ebene üb­ liches Verfahren, dessen Verwendung da­ für sorgt, dass die demographisch beding­ ten Belastungen nicht schon deshalb aus den Rechnungen zur Anspannung der öf­ fentlichen Haushalte herausfallen, weil sie von den berücksichtigten Beitragssatz­ änderungen verdeckt werden. Ausgehend von den Langfristszena­ rien für die Entwicklung von Finanzie­ rungssalden und Schuldenstand lassen sich dann Tragfähigkeitsindikatoren er­ rechnen, die den finanzpolitischen An­ passungsbedarf zur Herstellung einer langfristig tragfähigen Haushaltssitua­ tion in Form einer einzelnen, leicht inter­ pretierbaren Kennziffer erfassen sollen. Auch bei der Ableitung dieser Kennzif­ fern hat sich das ifo-Institut an den auf EUGemeinschaftsebene entwickelten Kon­ zepten orientiert. Die zur Sicherstellung der „langfristigen Tragfähigkeit“ der öf­ fentlichen Finanzen notwendigen Bud­ getkorrekturen werden an unterschied­ lichen Referenzszenarien gemessen und wie folgt beschrieben: > Die Tragfähigkeitslücke 1 („Sustainabi­ lity gap 1“, S1) misst, welche betragsmä­ ßig konstante Senkung der in jedem Jahr projizierten Ausgabenquote (bzw. welche Erhöhung der Einnahmen­ quote) erreicht werden müsste, damit die Schuldenstandsquote im Jahr 2050 derjenigen Quote entspricht, die sich bei einem über den gesamten Projek­ tionszeitraum (hier ab 2009) ausgegli­ chenen Budget ergeben würde. > Die Tragfähigkeitslücke 2 („Sustainabi­ lity gap 2“, S2) misst, welche Verände­ rung der projizierten Ausgaben- (bzw. Einnahmen-)quote in jedem Jahr des Projektionszeitraums und auf Dauer er­ reicht werden müsste, damit über ei­ nen unendlichen Zeithorizont alle öf­ fentlichen Ausgaben exakt den öffent­ lichen Einnahmen entsprechen. Die erste dieser Kennziffern lehnt sich eng an eine konventionelle Analyse staat­ licher Finanzpolitik und das von der OECD entwickelte Konzept der Projektion von Fi­ nanzierungssalden mit begrenztem Zeit­ horizont an. Die zweite greift das in der theoretischen Literatur entwickelte Kon­ strukt einer allgemeinen intertemporalen Budgetbeschränkung des Staates bei un­ begrenztem Zeithorizont auf. Eine „Trag­ fähigkeitslücke“ mit einem Wert von +1,2 bedeutet z.B., dass das gesamtstaatliche Defizit rechnerisch um 1,2 Prozentpunkte niedriger liegen müsste als Jahr für Jahr projiziert, um die Tragfähigkeit der öf­ fentlichen Finanzen trotz der demogra­ phiebedingten Belastungen auf Dauer zu sichern. Ein negativer Wert würde ent­ Seite 20 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sprechend einen „Tragfähigkeitsüber­ schuss“ ausweisen. Tragfähigkeitslücken zeigen dabei le­ diglich den finanzpolitischen Handlungs­ bedarf insgesamt an. Über die Art der Be­ seitigung sagt das Konzept nichts aus; dies ist letztlich Aufgabe der Politik. Die erforderliche Reduzierung der laufenden primären Finanzierungsdefizite kann so­ wohl durch eine Erhöhung der staatlichen Einnahmen, sei es über Steuern und/oder Sozialbeiträge, als auch durch eine Sen­ kung der staatlichen Ausgaben erreicht werden. Im Rahmen der Modellrechnun­ gen, in denen Verhaltensreaktionen der Individuen auf Änderungen der Abgaben­ quote ausgeblendet werden, haben beide Optionen identische Effekte. Die Aussagekraft der Ergebnisse sol­ cher Rechnungen darf aus verschiedenen Gründen nicht überschätzt werden. Da­ rauf hat auch das ifo-Institut bei der Vor­ lage seiner Studie zu Recht hingewiesen (s. Kasten). Jeder Blick in die Zukunft ist mit erheblichen Unsicherheiten verbun­ den. Extrem langfristige Fortschreibun­ gen werden zentral durch die getroffenen Annahmen determiniert, eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit lässt sich ih­ nen nicht zuordnen. Rückkoppelungen fiskalischer Entwicklungen auf die ge­ samtwirtschaftliche Entwicklung werden auch dort nicht berücksichtigt, wo Teile einzelner Ausgabenkategorien – wie im Gesundheitsbereich – das Bruttoinlands­ produkt definitorisch mitbestimmen. All das schränkt die Möglichkeiten zur Ablei­ tung unmittelbarer politischer Hand­ lungsempfehlungen ein. Zur Interpretation von langfristig angelegten Modellrechnungen stellt ifo in seinem Gutachten fest: „Bei der Interpretation der Ergebnisse der langfristig angelegten Modellrechnungen ist aus mehreren Gründen Zurückhaltung geboten. Generelle Unsicherheit über zu­ künftige wirtschaftliche und sozioökonomische Entwicklungen, Unsicherheiten über die Entwicklung wichtiger Determinanten der Resultate in zahlreichen der hier be­ trachteten Einzelbereiche sowie der Zwang zur Vereinfachung komplexer Zusammen­ hänge führen dazu, dass die Ergebnisse in erster Linie ein in qualitativer Hinsicht – d. h. bezüglich der grundlegenden Richtung der Effekte des demographischen Wandels für die öffentlichen Finanzen – zutreffendes und klares Bild zu geben vermögen. In quanti­ tativer Hinsicht – bezüglich der möglichen Stärke dieser Effekte – können sie eher nur eine grobe Orientierung bieten. Das bewusst einfach angelegte Modell, auf dem die Berechnungen basieren, muss außerdem zahlreiche indirekte Effekte, namentlich Rückwirkungen der projizierten Änderungen der öffentlichen Einnahmen und Ausga­ ben auf die wirtschaftliche Entwicklung, weit gehend ausblenden. Ob und inwieweit solche Rückwirkungen eintreten, ist vor allem eine Frage der Anreizeffekte und der ‚Qualität‘ der öffentlichen Finanzen.“ Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 21 2.2 Annahmen der Modell­ rechnungen Trotz aller Einschränkungen erlauben die von ifo vorgestellten Modellrechnun­ gen zumindest eine grobe Einschätzung künftiger finanzpolitischer Spielräume und vergleichende Beurteilungen der Wirksamkeit alternativer Reformoptio­ nen auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Darüber hinaus entspricht die von den Gutachtern angewandte Me­ thode zur Ermittlung der Tragfähigkeits­ lücken internationalen Gepflogenheiten auf diesem Gebiet und erleichtert damit die zwischenstaatliche Vergleichbarkeit. Die Berechnungen des Instituts bezogen sich zunächst auf zwei Varianten, die sich hinsichtlich der Annahmen zur langfristi­ gen Entwicklung von Erwerbsbeteiligung und Beschäftigung unterscheiden: In der „Ausgangsvariante“ wurden im Wesent­ lichen die Annahmen übernommen, die auch den im Auftrag der Bundesregie­ rung erstellten Langfristprojektionen der Rürup-Kommission zu- grunde lagen. In einer davon abweichenden „Risikovariante“ wurden speziell bei der Entwick­ lung der Erwerbsbeteiligung und des Ar­ beitsmarktes langfristig weniger günstige Annahmen getroffen. Hinsichtlich der unterstellten demographischen Entwick­ lung basieren beide Varianten auf den jüngsten Bevölkerungsvorausberechnun­ gen des Statistischen Bundesamtes (mitt­ lere Variante). Die sonstigen gesamtwirt­ schaftlichen Annahmen orientieren sich für den Zeitraum bis 2008 an den Eckwer­ ten der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung, anschließend beruhen sie auf Fortschreibungen, die gemessen an tatsächlich beobachteten Trends und unter Einschluss der Effekte bereits verab­ schiedeter Reformen aus heutiger Sicht plausibel erscheinen. Einen Überblick über die wichtigsten Annahmen gibt die nachstehende Ta­ belle. Seite 22 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Tabelle 2: Annahmen für die Modellrechnungen 2010 2020 2030 2040 2050 Demographische Annahmena) Wohnbevölkerung (Mio.) 83,1 82,8 81,2 78,5 75,1 Altenquotientb) ( %) 32,6 36,4 47,3 53,1 54,5 Annahmen zur Arbeitsmarktentwicklungc) ("Ausgangsvariante") Erwerbsbeteiligung (%): Männer (20–64) 86,3 86,2 86,9 87,7 87,2 Frauen (20–64) 71,9 72,9 76,2 77,3 76,6 39,3 39,1 37,7 36,1 34,0 7,3 6,3 3,9 3,3 3,3 Erwerbstätige (Mio.) Erwerbslosenquoted) (%) Annahmen zur Arbeitsmarktentwicklung ("Risikovariante") Erwerbsbeteiligung (%): Männer (20–64) 86,2 85,0 85,1 86,4 86,1 Frauen (20–64) 72,9 73,9 75,0 76,5 75,9 39,5 38,8 36,1 34,5 32,7 7,2 7,0 6,5 6,2 5,9 Erwerbstätige (Mio.) Erwerbslosenquoted) (%) Annahmen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Arbeitsproduktivitäte) (%) +1,5 +1,7 +1,7 +1,8 +1,8 Ausgangsvariante +1,9 +1,7 +1,4 +1,3 +1,1 Risikovariante +2,0 +1,5 +1,0 +1,3 +1,2 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5 BIP-Wachstume) (%): Realzins (%) a) Mittlere Variante der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes. b) Relation der Bevölkerung im Rentenalter (ab 65) zur Bevölkerung im Erwerbsalter (20 bis unter 65). c) Weitestgehend Übernahme der Annahmen der Langfristprognosen der Rürup-Kommission. d) In % der Erwerbspersonen. e) In realen Größen, Veränderung p.a.: 2010/2003, 2020/2010, 2030/2020, 2040/2030, 2050/2040. Anmerkung: Periodenabgrenzung und Definition des Altenquotienten entsprechen den Meldungen zum jüngsten deutschen Stabilitätsprogramm. Quelle: ifo. Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 23 Das durchschnittliche Eintrittsalter bei der Altersrente hat sich in den letzten Jah­ ren erhöht. Es ist von 1998 bis 2003 von 62,2 auf 62,9 Jahre gestiegen und liegt da­ mit nur noch gut zwei Jahre unter der Re­ gelaltersgrenze von 65 Jahren. Das heißt, das tatsächliche Renteneintrittsalter nä­ hert sich stetig dem gesetzlichen an. Aus heutiger Sicht scheint die in der Aus­ gangsvariante angenommene Entwick­ lung der Erwerbsbeteilung durchaus plausibel, zumal das in der Risikovariante unterstellte Renteneintrittsalter von 63,1 Jahren bereits heute nahezu erreicht ist. Im Folgenden bilden die Ergebnisse der Modellrechnungen der Ausgangsvariante daher den Schwerpunkt der Darstellung. Der in der Ausgangsvariante angenom­ mene Abbau der Arbeitslosigkeit geht da­ von aus, dass die von der Bundesregie­ rung durchgeführten Reformen auf dem Arbeitsmarkt mittel- und langfristig ent­ sprechende Wirkung entfalten. Die Aus­ wirkungen einer ungünstigeren Entwick­ lung bei der Erwerbsbeteiligung und bei der Beschäftigung werden hier für sich genommen bei den Sensitivitätsanalysen beschrieben. Das gilt auch für die zusätz­ lichen Belastungen, die sich für die öffent­ lichen Haushalte ergäben, wenn es in Deutschland trotz der bereits ergriffenen Maßnahmen zu keiner wesentlichen Ver­ ringerung der strukturellen Arbeitslosig­ keit kommt. Grundlage der Berechnungen zur Ent­ wicklung der öffentlichen Finanzen sind die rechtlichen Rahmenbedingungen vom Sommer 2004, d. h. einschließlich der Reformen bei der Gesetzlichen Rentenund Krankenversicherung, die unter Be­ rücksichtigung der darin angelegten An­ passungsmodalitäten und bereits gesetz­ lich verankerter zukünftiger Änderungen oder – wo entsprechende Regelungen im geltenden Recht fehlen – von ifo im Sinne einer Fortführung dort erkennbarer Ziel­ setzungen fortgeschrieben wurden. 2.3 Ergebnisse der Berech­ nungen der ifo-Studie 2.3.1 Ausgangsvariante Im Bereich der Gesetzlichen Rentenversi­ cherung (GRV) führen die durch das „Ren­ tenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz“ 2004 vorgenommenen Rechtsänderun­ gen zu einer deutlichen Dämpfung der langfristig zu erwartenden Ausgabenent­ wicklung. Gleichwohl steigen die Ausga­ ben der GRV bezogen auf das BIP von der­ zeit (2003) 10,3 % in der Ausgangsvariante der Modellrechnungen bis 2050 auf 12,6 %. Die Ausgaben für die Beamtenversorgung erhöhen sich im Projektionszeitraum von derzeit (2003) rund 1,6 % des BIP bis etwa 2025 kontinuierlich auf 2,1 % und verhar­ ren für den Rest des Projektionszeitraums annähernd auf diesem Niveau. Auch im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) führen ak­ tuelle Reformmaßnahmen durch das „GKV-Modernisierungsgesetz“ vom No­ vember 2003 mittelfristig zu einer deut­ lichen Begrenzung der Ausgaben, die bei der projizierten langfristigen Dynamik fortwirken. Gemessen am laufenden BIP reduzieren sich die Ausgaben der GKV von derzeit (2003) 6,6 % schon bis 2005 auf unter 6 %. Ab etwa 2015 steigen sie jedoch kontinuierlich wieder an und erreichen bis 2050 ein Niveau von 7,7 %. Die Ausgaben der Sozialen Pflegever­ sicherung steigen von derzeit rund 0,8 % des BIP durchgängig an, bis zum Endjahr der Projektion auf 1,8 %. Dabei wurde von ifo anders als im geltenden Recht unter­ stellt, dass die Pflegesätze im Sinne einer Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Si­ cherungsniveaus über eine Anpassung der Leistungsausgaben an das Lohnni­ veau fortgeschrieben werden. Damit wird allerdings angenommen, dass es im Pfle­ gebereich auch langfristig keinerlei Effi­ zienzgewinne – bei gleicher Qualität der Seite 24 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Pflege – gibt. Vorhandene Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsabläufe und technische Rationalisierungsmöglichkei­ ten zumindest in Randbereichen der Pflege bleiben demnach unberücksich­ tigt. Im Bereich der staatlichen Bildungsfi­ nanzierung ergibt sich aus den Modell­ rechnungen – trotz der Annahmen einer steigenden Bildungspartizipation der 15­ bis 24-Jährigen und eines anhaltenden Trends zu höherwertigen Bildungsab­ schlüssen – über den Projektionszeitraum ein leichter Rückgang der Ausgaben in Relation zum laufenden BIP. Die Summe der hier erfassten öffentlichen Ausgaben für Kinderbetreuungseinrichtungen im Vorschulbereich, für Bildungseinrichtun­ gen des Primar-, Sekundar- und Tertiärbe­ reichs sowie zur finanziellen Unterstüt­ zung und Förderung der Bildungsteilneh­ mer sinkt in den Modellrechnungen von gegenwärtig (2003) 4,1 % des BIP auf 3,6 %. Deutliche Senkungen der Ausgaben in Relation zum laufenden BIP ergeben sich in den Modellrechnungen nur im Bereich der Arbeitslosenversicherung, wobei die Stärke dieses Rückgangs allerdings von den genauen Annahmen zur langfristigen Entwicklung der Arbeitsmarktsituation abhängt. In der Ausgangsvariante redu­ ziert sich die BIP-Quote der Ausgaben der Arbeitslosenversicherung von derzeit (2003) 2,9 % bis 2050 auf 1,1 %. In der folgenden Tabelle werden die Ergebnisse der Einzelprojektionen zu grö­ ßeren Ausgabenblöcken zusammenge­ fasst. Diese Art der Kategorisierung („age­ related expenditure“) entspricht dem in der Berichterstattung gegenüber der EU üblichen Vorgehen. Entsprechende Daten werden inzwischen von allen Mitglied­ staaten im Zuge der jährlichen Aktualisie­ rung ihrer Stabilitäts- und Konvergenz­ programme bereitgestellt. Tabelle 3: Entwicklung der demographieabhängigen Ausgaben (in % des BIP) Jahr Alterssicherungs­ Gesundheits­ ausgaben b) ausgaben a) 2003 2010 2020 2030 2040 2050 a) b) c) d) Bildungc) Arbeits­ Summe d) losenvers. 11,9 % 7,4 % 4,1 % 2,9 % 25,3 % 11,3 % 6,9 % 3,9 % 2,4 % 23,7 % 12,3 % 7,5 % 3,6 % 2,0 % 24,5 % 13,6 % 8,2 % 3,7 % 1,3 % 25,8 % 14,2 % 9,0 % 3,6 % 1,1 % 26,8 % 14,7 % 9,5 % 3,6 % 1,1 % 27,8 % Gesetzliche Rentenversicherung und Beamtenversorgung. Gesetzliche Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Einschließlich Leistungen zur Betreuung von Kindern im Vorschulalter, ohne Ausgaben für Weiterbildungsmaßnahmen der BA. Abweichungen durch Berücksichtigung des Verrechnungsverkehrs zwischen den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung. Quelle: ifo-Berechnungen Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 25 Die aggregierte Ausgabenquote, die Summe der von ifo explizit modellierten Komponenten der öffentlichen Ausga­ ben, belief sich 2003 auf 25,3 % des BIP. Im Anschluss ergibt sich bis 2012 zunächst ein Rückgang auf 23,6 %, anschließend ein kontinuierlicher Wiederanstieg. Im Jahr 2030 liegen die gesamten Ausgaben mit 25,8 % nur geringfügig über dem heuti­ gen Wert. Mit den eingeleiteten Refor­ men wird den Herausforderungen des de­ mographischen Wandels auf absehbare Zeit angemessen begegnet. Erst nach 2030 zeigen die Modellrechnungen einen über das heutige Niveau hinausgehenden Anstieg, der bis 2050 einen Wert von 27,8 % erreicht. Nimmt man an, dass alle sonstigen öf­ fentlichen Ausgaben in Prozent des BIP bis 2008 nach Maßgabe der mittelfristi­ gen Finanzplanung der Bundesregierung reduziert werden und anschließend kon­ stant bleiben, ergibt sich somit eine Ent­ wicklung der gesamtstaatlichen Ausga­ benquote ausgehend von 48,9 % im Jahre 2003 (Datenstand bei Beginn der Modell­ rechnungen) über 43,1 % im Jahre 2012 auf 47,3 % im Jahre 2050. Parallel dazu variieren jedoch auch die in den Projektionen erfassten öffentlichen Einnahmen, insbesondere durch regelge­ bundene Anpassungen der Beitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherung, die im aktuellen Recht vorgezeichnet sind. In der Summe gehen diese Beitragssätze, ausgehend von aktuell (2004) 42,0 % – ge­ messen in Prozent der beitragspflichtigen Bruttoentgelte –, zunächst auf 38,7 % im Jahre 2012 zurück. Bis 2030 wird der heu­ tige Wert ungefähr wieder erreicht. Erst danach steigen sie bis 2050 kontinuierlich über den heutigen Wert an und erreichen am Ende 45,5 %. Einen Überblick über die langfristige Entwicklung aller hier projizierten, demo­ graphieabhängigen Ausgaben und Ein­ nahmen in Relation zum laufenden BIP sowie über die damit verbundene Ent­ wicklung der kumulierten Sozialbeiträge geben die beiden folgenden Abbildun­ gen. Abbildung 6: Entwicklung der von ifo projizierten, (demographieabhängigen) Ausgaben und Einnahmen 1998–2050 35 % 30 % in % des Bruttoinlandsprodukts kumulierte Ausgaben 25 % 20 % 15 % kumulierte Einnahmen 10 % 5% 0% 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quelle: ifo-Studie Seite 26 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Abbildung 7: Entwicklung der Sozialbeiträge 1998–2050 in % der beitragspflichtigen Bruttoentgelte 55 % 50 % 45 % 40 % 35 % 30 % 25 % Quelle: ifo-Studie 2000 2005 2010 2015 2020 2025 Auf Basis der mittelfristigen Finanzpla­ nung der Bundesregierung sowie unter Be­ rücksichtigung, dass alle sonstigen staat­ lichen Ausgaben in Relation zum BIP in der Folgezeit konstant bleiben, impliziert die Entwicklung der hier projizierten Ausga­ benkomponenten, dass das rechnerische Haushaltsdefizit (ohne Berücksichtigung steigender Einnahmenquoten) sich zu­ nächst reduziert, dann aber bis 2050 – ver­ stärkt durch Zinseszinseffekte – auf 7,0 % des BIP ansteigt. Die rechnerische Entwicklung der Schuldenstandsquote folgt jeweils ähn­ lichen Pfaden: In der Ausgangsvariante schwankt sie bis etwa 2035 um 60 % des BIP und erhöht sich bis 2050 auf 111,1 %. Berück­ sichtigt man auch die in den Einzelprojek­ tionen vorausgeschätzten Einnahmenände­ rungen aufgrund regelgebundener Anpas­ 2030 2035 2040 2045 2050 sungen der Beitragssätze, ergibt sich allerdings ein günstigeres Bild. Demnach sinkt die Schuldenstandsquote kontinu­ ierlich bis zum Ende des Projektionszeit­ raums auf 29,8 %. Voraussetzung dieser Entwicklungen sind allerdings die zuvor genannten Erhöhungen der Sozialbei­ träge bis 2050, die dem geltenden Recht entsprechen. In der folgenden Abbildung werden beide Verläufe dargestellt und um einen Zeitpfad ergänzt, der die Entwick­ lung des Schuldenstandes (in % des BIP) bei ab 2009 konstanter Ausgaben- und Ein­ nahmenquote beschreibt. Die Entwicklung des Schuldenstandes ist zwar nur ein Zwischenschritt hin zur Berechnung der Tragfähigkeitslücken und für sich genommen stark abhängig vom jeweils unterstellten Zinssatz (bzw. dem Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 27 Zins-Wachstums-Differential), findet aber in aller Regel wegen ihrer unmittelbaren Anschaulichkeit und Nähe zur konventio­ nellen Budgetanalyse große Aufmerksam­ keit. Klar muss aber sein, dass solche Werte rein modellhaften Charakter besit­ zen und keinesfalls eine Prognose der er­ warteten Entwicklungen darstellen. Eine Verengung des Blicks allein auf das Endjahr der Projektion würde in je­ dem Fall zu einer verzerrten Wahrneh­ mung führen. Tatsächlich sinkt der Schul­ denstand gemessen am BIP schon in der Ausgangsvariante – also ohne weitere Po­ litikmaßnahmen – und ohne weitere An­ passungen auf der Einnahmenseite zu­ nächst kontinuierlich und beginnt nicht vor 2020 wieder zu steigen. Erst dies ist der Zeitpunkt, von dem an die Wirkungen schon jetzt verabschiedeter Reformen nicht mehr ausreichen, die demographie­ bedingten Lasten vollständig auszuglei­ chen. Für Reaktionen von Seiten der Poli­ tik zeigt sich damit ein Zeitfenster, das sich für eine weitere Verbesserung der fis­ kalischen Tragfähigkeit nutzen ließe, wenn sich die Kosten der Alterung der Ge­ sellschaft nicht in einer steigenden Ein­ nahmenquote niederschlagen sollen. Zu einer Überdramatisierung der Risiken für die öffentlichen Haushalte besteht des­ halb kein Anlass. Die Tragfähigkeit der öf­ fentlichen Finanzen hat sich bereits heute als Folge der Reformpolitik der Agenda 2010 – wie ifo in einer der nachfolgenden Politiksimulationen unter 2.3.3 zeigt – deutlich erhöht. Abbildung 8: Entwicklung des Schuldenstandes 1998 bis 2050 140 % 120 % Schuldenstand (% des BIP) 111,1 % 100 % Ausgangsvariante bei isolierter Änderung der Ausgabenquote 80 % 66,2 % 64,2 % 60 % Ausgangsvariante bei projizierten Änderungen von Ausgaben- und Einn.quoten 40 % 29,8 % Referenzpfad bei konstanter Ausgabenund Einnahmenquote 20 % 0% 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 15,1 % 2045 2050 Quelle: ifo Seite 28 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Die Resultate der Berechnungen zur Höhe der Tragfähigkeitslücken werden in der nachstehenden Tabelle zusammenge­ fasst. Die Indikatorwerte zeigen an, dass bei einer Anpassung der Einnahmen­ quote die Tragfähigkeitslücken trotz des erheblichen demographischen Wandels geschlossen sind. Eine Anpassung der Ein­ nahmenquote über steigende Beitrags­ sätze kann jedoch mit negativen Wirkun­ gen auf das Wachstumspotenzial verbun­ den sein, da eine Steigerung der Lohnne­ benkosten den Keil zwischen Brutto- und Nettoeinkommen erhöht und so die An­ reize zur Aufnahme einer Beschäftigung bzw. Schaffung von Arbeitsplätzen verrin­ gern kann. Ohne Anpassung der Einnah­ menquote weisen die Modellergebnisse Nachhaltigkeitslücken im Sinne des hier verwendeten Konzepts und damit einen finanzpolitischen Handlungsbedarf aus. Aufgabe der Politik bleibt es, Entschei­ dungen über Einnahmenerhöhungen und Ausgabendämpfungen so zu treffen, dass die Belastungen des demographi­ schen Wandels gerecht auf die Generatio­ nen verteilt werden. Tabelle 4: Die Höhe der Tragfähigkeitslücken in % des BIP Tragfähigkeits-Tragfähigkeits­ lücke 1 lücke 2 (S 1) (S 2) Ausgangsvariante > ohne Anpassung der Einnahmenquote > mit Anpassung der Einnahmenquote Quelle: ifo-Berechnungen 1,22 1,51 0,13 –0,27 2.3.2 Sensitivitätsanalysen In einer Serie von Sensitivitätsanalysen zur Reagibilität der Ergebnisse gegenüber Änderungen der Annahmen in den Berei­ chen Demographie, Erwerbsneigung, Pro­ duktivität und Zins verdeutlicht ifo die unterschiedlichen Auswirkungen auf die in der Ausgangsvariante errechneten Tragfähigkeitslücken. > Die Annahme einer höheren Migration als in der Ausgangsvariante wirkt sich ebenso positiv auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen aus wie ein ge­ ringerer Anstieg der Lebenserwar­ tung. Hierzu nutzt ifo die unterschied­ lichen Bevölkerungsvarianten des Sta­ tistischen Bundesamts mit hoher und niedriger Lebenserwartung sowie hö­ here bzw. niedrige Zuwanderungszah­ len pro Jahr. Dabei wird in dem ifo-Mo­ dell unterstellt, dass langfristig alle Zu­ wanderinnen und Zuwanderer ebenso wie die heimischen Arbeitnehmerin­ nen und Arbeitnehmer tatsächlich eine Beschäftigung finden, es also z.B. nicht zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten der bislang in Deutschland Le­ benden kommt. > Der Entwicklung der Arbeitslosigkeit kommt eine besondere Bedeutung zu. Bleibt es auf lange Sicht bei einer hohen Unterauslastung des Faktors Arbeit (d. h. Arbeitslosenquote würde auf dem aktuellen Schätzwert der OECD der strukturellen Erwerbslosenquote von 7,2 % verharren), belastet dies die Trag­ fähigkeit der öffentlichen Finanzen. > Eine hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen (Erwerbsquote ab 2030 durch­ gängig nur noch fünf Prozentpunkte unter der männlichen Erwerbsbeteili­ gung) hat positive Auswirkungen auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Fi­ Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 29 nanzen. Dagegen wirkt sich die An­ nahme einer vergleichsweise niedrigen Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jähri­ gen (Annahmen der Risikovariante, s. Abschnitt 2.2) erwartungsgemäß ne­ gativ aus. Nimmt die Erwerbsneigung in beiden Bevölkerungsgruppen – bei weiblichen Erwerbstätigen ebenso wie bei den älteren Arbeitnehmern – zu, ad­ dieren sich die Effekte, insgesamt würde eine beträchtliche positive Wir­ kung erzielt. Das gilt für die Tragfähig­ keit der öffentlichen Finanzen ebenso wie für das künftige Wachstum. > Variationen hinsichtlich der Produkti­ vitätsentwicklung (jeweils Erhöhung um die Hälfte bzw. Verringerung um ein Drittel) haben wegen der gleichge­ richteten Effekte für das BIP bzw. die Beitragsbemessungsgrundlage einer­ seits und Leistungsausgaben anderer­ seits nur relativ geringfügige Auswir­ kungen auf die Tragfähigkeit der öf­ fentlichen Finanzen, aber fühlbare Aus­ wirkungen auf das Wirtschaftswachs­ tum und damit das Wohlstandsniveau der Gesellschaft. Etwas stärker wirken sich veränderte Zinsannahmen (jeweils Erhöhung um die Hälfte bzw. Verringe­ rung um ein Drittel) auf die errechnete Tragfähigkeitslücke aus. Eine Ver­ schlechterung der Tragfähigkeit auf­ grund höherer Zinsen ist dabei in erster Linie auf die steigenden Zinslasten der öffentlichen Haushalte zurückzufüh­ ren. Eine Verringerung der Tragfähig­ keitslücke ergibt sich, wenn ein niedri­ gerer Zinssatz angenommen wird. Die in den folgenden Tabellen 5, 6 und 7 zusammengestellten Ergebnisse der ifoStudie vermitteln einen Eindruck, wie stark sich einzelne Entwicklungen jeweils auf die Tragfähigkeit auswirken. Dabei zeigen negative Werte in den letzten bei­ den Spalten eine Verbesserung, positive Werte dagegen eine Verschlechterung der Tragfähigkeitslücken gegenüber der Ausgangsvariante an. Änderungen der Annahmen in den Bereichen Demogra­ phie, Erwerbsbeteiligung, Produktivität und Zins verän­ dern die Höhe der Trag­ fähigkeitslücken. Seite 30 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Tabelle 5: Ausgangsvariante und Sensitivitätsanalysen im Vergleich A. Ausgangsvariante und Annahmevariationen mit belastungssteigerndem Effekt Tragfähigkeitslücken Abstand zur Aus­ gangsvariante (S1) (S2) (S1) (S2) 1,22 1,51 - - – hohe Lebenserwartung 1,36 1,80 +0,14 +0,29 – niedrige Migration 1,76 2,31 +0,54 +0,80 – hohe Arbeitslosenquote 2,20 2,89 +0,98 +1,38 – niedrige Erwerbsbeteiligung (55–64) 1,70 2,04 +0,48 +0,53 – niedrige Produktivität 1,36 1,60 +0,14 +0,09 – hoher Zins 1,74 1,69 +0,52 +0,18 Ausgangsvariante Alternativrechnungen (a) Demographische Varianten (b) Arbeitsmarktvarianten (c) Produktivitäts- und Zinsvarianten B. Ausgangsvariante und Annahmevariationen mit belastungsminderndem Effekt Tragfähigkeitslücken Abstand zur Aus­ gangsvariante (S1) (S2) (S1) (S2) 1,22 1,51 - - – niedrige Lebenserwartung 1,04 1,19 –0,18 –0,32 – hohe Migration 0,84 0,90 –0,38 –0,61 0,92 1,15 –0,30 –0,36 – hohe Produktivität 1,03 1,43 –0,19 –0,08 – niedriger Zins 0,67 1,34 –0,55 –0,17 Ausgangsvariante Alternativrechnungen (a) Demographische Varianten (b) Arbeitsmarktvarianten – hohe Frauenerwerbsbeteiligung (c) Produktivitäts- und Zinsvarianten Quelle: ifo-Studie, eigene Berechnungen Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 31 > Die Unwägbarkeiten im Gesundheits­ sektor bildet ifo in seinen Modellrech­ nungen gesondert ab. Die Sensitivitäts­ analysen werden dazu um zwei Varian­ ten ergänzt, in denen sowohl die Ef­ fekte sinkender altersspezifischer Mor­ bidität als auch des medizinisch-techni­ schen Fortschritts auf die Entwicklung der Ausgaben der gesetzlichen Kran­ kenversicherung und der sozialen Pfle­ geversicherung berücksichtigt werden, wobei der medizinisch-technische Fort­ schritt im Bereich der Pflegeversiche­ rung kaum ausgabensteigernde Wir­ kungen haben dürfte. Dabei zeigt sich, dass die Unsicherheit über die Kosten­ effekte des zukünftigen technischen Fortschritts, insbesondere im Bereich der GKV und auch im Hinblick auf die hier angestellten Tragfähigkeitsanaly­ sen, ein nicht zu vernachlässigender Faktor ist. Insbesondere kann im Rah­ men der Analyse nicht modelliert wer­ den, ob und welche wachstums- und beschäftigungsfördernden Effekte vom medizinischen und medizinisch-techni­ schen Fortschritt ausgehen. Tabelle 6: Tragfähigkeitslücken bei alternativer Entwicklung der Gesundheitskosten Tragfähigkeitslücken (S 1) Abstand zur Ausgangsvariante (S 2) (S 1) (S 2) 1,22 1,51 - - – niedrige Morbidität 0,70 0,60 –0,52 –0,91 – medizinischer Fort­ schritt 2,84 4,39 +1,62 +2,88 – niedrige Morbidität plus medizinischer Fort­ schritt 2,07 2,94 +0,85 +1,43 Ausgangsvariante Alternativrechnungen Quelle: ifo-Studie, eigene Berechnungen Seite 32 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Die Sensitivitätsanalysen belegen, dass sich nicht nur Änderungen im gesamt­ wirtschaftlichen Datenkranz, sondern auch abweichende Annahmen über die künftige Entwicklung der Gesundheits­ kosten zum Teil in erheblichem Umfang auf die langfristige Entwicklung der untersuchten Größen (von den Ausgaben­ quoten über die gesamtstaatlichen Finan­ zierungssalden und den Schuldenstand bis zu den Tragfähigkeitslücken) auswir­ ken. Sie machen damit nochmals deut­ lich, mit welch großer Vorsicht die absolu­ ten Werte der Schuldenstandsentwick­ lung und der Tragfähigkeitslücken in der Ausgangsvariante interpretiert werden müssen. 2.3.3 Politiksimulationen In den vorgelegten Politiksimulationen untersucht ifo die Auswirkungen ver­ schiedener Reformoptionen bzw. wichti­ ger bereits verabschiedeter Reformen auf die Tragfähigkeit. > Ohne die jüngsten Reformen im Be­ reich der gesetzlichen Rentenversi­ cherung und der gesetzlichen Kran­ kenversicherung wäre die Gesamtbe­ lastung an Sozialbeiträgen bis 2050 auf 49,2 % gestiegen, verglichen mit 45,5% in der Ausgangsvariante. Der Schulden­ stand wäre ab etwa 2015 zusehends schneller angewachsen und hätte 2050 rund 20 Prozentpunkte höher gelegen als in der Ausgangsvariante. Auch die Tragfähigkeitslücken hätten sich ohne die Reformen deutlich ausgeweitet (s. nachfolgende Tabelle). Tabelle 7: Ausgangsvariante und Politiksimulationen im Vergleich Tragfähigkeitslücken (S 1) Abstand zur Ausgangsvariante (S 2) (S 1) (S 2) 1,22 1,51 - - – Ohne Reformen GKV und GRV 1,46 1,95 +0,24 +0,44 – Regelaltersgrenze 67 1,10 1,32 –0,12 –0,19 0,67 0,46 –0,55 –1,05 1,65 1,89 +0,43 +0,38 0,22 0,44 –1,00 –1,07 0,76 0,79 –0,46 –0,72 Ausgangsvariante Politiksimulationen – Gesundheitsausgaben­ dämpfung – mehr Ressourcen im Bildungsbereich – schnelle Senkung sonstiger Ausgaben – langsame Senkung sonstiger Ausgaben Quelle: ifo-Studie, eigene Berechnungen Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Seite 33 zielt wird, kommt es zu einer Ausgaben­ > Eine weitere Politiksimulation betrach­ verlagerung in den privaten Bereich. tet die Heraufsetzung des gesetz­ Hierbei gilt es allerdings zu berücksich­ lichen Renteneintrittsalters. Dabei tigen, dass die entsprechenden Einspa­ wird der Vorschlag der Rürup-Kommis­ rungen durch den voraussichtlich stei­ sion von 2003 untersucht, der vorsah, genden medizinisch-technischen Fort­ die gesetzliche Regelaltersgrenze zwi­ schritt (siehe Abschnitt 2.3.2) mehr als schen 2011 und 2035 schrittweise um aufgewogen werden können. jeweils einen Monat pro Jahr auf 67 Jahre heraufzusetzen. Diese Maß­ > Eine Erhöhung des Ressourceneinsat­ zes im Bildungsbereich mit jeweils nahme trägt, obwohl sie nur allmählich unterschiedlichen Steigerungssätzen in und schrittweise umgesetzt wird, so­ den einzelnen Bildungsstufen, je nach wohl zu mehr Wachstum und Beschäf­ Aufholbedarf zum OECD-Durchschnitt tigung als auch zur Verbesserung der des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, führt Tragfähigkeit bei. Bei einer schnelleren in diesem Modell ausschließlich zu er­ Heraufsetzung wären die positiven Aus­ höhten Ausgaben des öffentlichen Sek­ wirkungen auf die Tragfähigkeitslütors. Da die gleichzeitig zu erwartenden cke entsprechend deutlich größer. Auswirkungen auf Produktivitätsent­ Auch wenn der Sachverständigenrat in wicklung und Wirtschaftswachstum im seinem Gutachten 2003 das etwas an­ Modell nicht abgebildet werden kön­ dere Konzept der impliziten Staatsver­ nen, führt eine Erhöhung der Bildungs­ schuldung nutzt, kommt auch er bei ausgaben rechnerisch zu einer Ver­ der Betrachtung allein der beiden Maß­ schlechterung der Tragfähigkeit. Hier nahmen „Einführung des Nachhaltig­ stoßen die notwendigerweise einfach keitsfaktors“ und „Heraufsetzung des angelegten Modellrechnungen klar an gesetzlichen Rentenalters auf 67“ eben­ ihre Grenzen, da sie weder Rückkoppe­ falls zu dem Ergebnis, dass beide in er­ lungen auf die gesamtwirtschaftliche heblichem Maße zur Tragfähigkeit der Entwicklung noch auf den Arbeits­ öffentlichen Haushalte beitragen. markt zulassen (zu den methodischen > Eine zusätzliche Ausgabendämpfung Problemen s. Abschnitt 2.2). Sie ergeben im Gesundheitswesen, wie sie ifo für allein also noch kein vollständiges Bild; den Bereich der gesetzlichen Kranken­ vielmehr sind bei der Beurteilung der versicherung und der Pflegeversiche­ Tragfähigkeit auch qualitative Aspekte rung in einer Politiksimulation unter­ zu berücksichtigen. stellt, kann zu einer nennenswerten Verbesserung der langfristigen Ent­ > Deutliche Verringerungen der Tragfä­ higkeitslücke ergeben sich bei einer wicklung der öffentlichen Finanzen als pauschalen Senkung der „sonstigen“ – Ganzes beitragen. Dabei wird von ifo also nicht demographieabhängigen – kein Reformkonzept konzipiert, son­ Staatsausgaben (zusätzliche Ausga­ dern lediglich ein geringerer Anstieg benreduzierung um jeweils 1,2 Prozent­ der Leistungsausgaben in der GKV als in punkte bis 2010 bzw. gestreckt bis 2050: der Ausgangsvariante sowie real kon­ „schnelle“ bzw. „langsame“ Senkung stante Ausgaben bei der Pflegeversiche­ der sonstigen Ausgaben). Dabei fällt die rung unterstellt. Sofern ein geringerer langfristige Verbesserung der Situation Anstieg der Leistungsausgaben nicht der öffentlichen Finanzen desto stärker durch Effizienzsteigerungen oder eine aus, je rascher eine solche Ausgabengeringere Morbiditätsentwicklung er­ Die Berechnungen zeigen, dass die jüngsten Reformen im Bereich der gesetzlichen Renten- und Krankenversi­ cherung die langfristige Tragfähigkeit der öffent­ lichen Finanzen bereits spür­ bar verbessert haben, wei­ tere Reduktionen der Trag­ fähigkeitslücke sind mög­ lich. Seite 34 Modellrechnungen zur langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Bei einer Kombination unterschiedlicher Entwick­ lungen und bestimmter Politikmaßnahmen kumulie­ ren sich die Effekte und die Tragfähigkeitslücken kön­ nen rechnerisch komplett geschlossen werden, ohne dass die Einnahmenquote erhöht werden muss. senkung durchgeführt wird. In der Pra­ xis – im Modell aus den bekannten Gründen jedoch unberücksichtigt – kommt es ferner auf die Art der Staats­ ausgaben an, d. h. mögliche Wachs­ tumseffekte einzelner Ausgabekate­ gorien dürfen nicht aus den Augen ver­ loren werden. Die vorangegangenen Berechnungen – Sensitivitätsanalysen und Politiksimula­ tionen – belegen, dass einzelne Maßnah­ men für sich allein genommen nicht aus­ reichen, die Tragfähigkeit sicherzustellen. Bei einer Kombination unterschiedlicher Entwicklungen, die von der Politik beein­ flussbar sind, und bestimmter Politikmaß­ nahmen – beispielsweise einer höheren Frauenerwerbsbeteiligung, der Rente mit 67 und einer Dämpfung der Gesundheits­ ausgaben – kumulieren sich jedoch die Ef­ fekte und die Tragfähigkeitslücken kön­ nen rechnerisch komplett geschlossen werden, ohne dass die Einnahmenquote erhöht werden muss. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 35 III. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik 3.1 Die Rolle der Politik bei der Sicherung der Nach­ haltigkeit der öffent­ lichen Finanzen Die Alterung der Bevölkerung wäre auch bei kontinuierlicher Zuwanderung und bei einem plötzlichen Geburtenanstieg kurz- und mittelfristig nicht aufzuhalten. Demographische Trends sind sehr stabil und nur schwer zu beeinflussen. Nur lang­ fristig lassen sich solche Trends umkeh­ ren. Was also kann die Politik bereits heute tun, um diesen Entwicklungen gerecht zu werden? Wenn es um die öffentlichen Fi­ nanzen geht, dann ist naturgemäß die Fi­ nanzpolitik vorrangig gefragt. Sie kann und sollte die Herausforderung aber nicht alleine meistern, denn die Politik in vielen anderen Bereichen hat unmittelbare Aus­ wirkungen auf die öffentlichen Finanzen und deren Tragfähigkeit. Ähnlich wie die Geldpolitik, die zwar über die Nutzung ih­ res geldpolitischen Instrumentariums die notwendigen Rahmenbedingungen für Preisstabilität schaffen kann, aber gleich­ zeitig auf die Kooperation anderer ange­ wiesen ist, braucht auch die Finanzpolitik verantwortungsvolle Partner zur Sicher­ stellung der Tragfähigkeit der öffent­ lichen Finanzen. Nicht nur die Politik, sondern auch Wirtschaft und Gesellschaft können ihren Beitrag leisten. Die Vergangenheit hat ge­ zeigt, dass sowohl die Märkte als auch die Bürger mit entsprechenden Verhaltens­ änderungen auf veränderte Rahmenbe­ dingungen reagieren. So dürfte in Zu­ kunft beispielsweise der Anteil der priva­ ten und betrieblichen Altersvorsorge und sonstiger Quellen der Einkommenssiche­ rung im Alter – wie Haus- und Grundbe­ sitz oder Geldvermögen – an der gesam­ ten Altersvorsorge kontinuierlich zuneh­ men. Unterbleiben dringend erforderliche Maßnahmen, dann hat dies Konsequen­ zen für die Zukunft. Verschiebt man das Handeln auf morgen oder übermorgen, müssen die Maßnahmen dann umso ein­ schneidender und schmerzhafter sein. Je früher Reformen angegangen werden, desto größer ist deren Hebelwirkung und desto eher können Belastungen in der Zu­ kunft vermieden werden. Im Kern müssen die von der Politik zu ergreifenden Maßnahmen auf zwei Ziele hinführen: Dauerhaft höheres Wachstum und langfristig tragfähige öffentliche Fi­ nanzen. Die Bundesregierung hat mit der Agenda 2010 bereits große Fortschritte in dieser Richtung erzielt. Dies bestätigt auch das ifo-Institut in seiner Studie: „Da­ bei zeigt sich, dass diese Reformen die lang­ fristige Tragfähigkeit der öffentlichen Fi­ nanzen in Deutschland – bei vergleichbarer Berechnung auch im Vergleich zur Situa­ tion in anderen EU-Staaten – spürbar ver­ bessert haben dürften.“ Die Projektionen zeigen aber auch, dass wir uns nicht auf dem Erreichten ausruhen können. Mit ei- Die Finanzpolitik kann die Herausforderungen des demographischen Wandels nicht allein meistern. Seite 36 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik ner breit angelegten Strategie, die auf eine Kombination von Maßnahmen in unterschiedlichen Politikfeldern setzt, lässt sich das Nachhaltigkeitsziel am be­ sten erreichen. 3.2 Wachstum und Be­ schäftigung stärken Im Kern müssen die von der Politik zu ergreifenden Maß­ nahmen auf zwei Ziele hin­ führen: Dauerhaft höheres Wachstum und langfristig tragfähige öffentliche Fi­ nanzen. Die Beschränkung der Debatte über die Auswirkungen des demographischen Wandels auf renten- und sozialpolitische Aspekte, wie dies in der Öffentlichkeit oft geschieht, greift zu kurz. Größere Beach­ tung verdienen auch die Auswirkungen auf das langfristige Wirtschaftswachs­ tum. Denn gerade die Wachstumsschwä­ che der vergangenen Jahre hat deutlich gemacht, welche finanziellen Probleme niedrige gesamtwirtschaftliche Zuwachs­ raten für die öffentlichen Haushalte und die sozialen Sicherungssysteme mit sich bringen. Umgekehrt tragen eine Stärkung des Wachstums und ein Abbau der Ar­ beitslosigkeit ganz wesentlich dazu bei, die Staatsverschuldung abzubauen und die sozialen Sicherungssysteme finanziell auf eine sichere Grundlage zu stellen. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass durch die Strukturreformen der Agenda 2010 im Zusammenwirken mit ei­ ner wachstums- und stabilitätsorientier­ ten makroökonomischen Politik das Wachstumspotenzial in Deutschland mittel- und längerfristig nachhaltig er­ höht werden kann. 3.2.1 Erwerbsbeteiligung erhöhen, Arbeitslosigkeit abbauen und Produktivitätsfortschritt för­ dern Der Rückgang der Personen im erwerbsfä­ higen Alter würde bei Konstanz aller an­ deren Faktoren zu einer dauerhaften Ab­ schwächung des Wachstums führen. Durch eine Erhöhung des quantitativen Einsatzes der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital und eine Steigerung der Fak­ torproduktivität bzw. des technischen Fortschritts können diese negativen Aus­ wirkungen jedoch grundsätzlich kompen­ siert werden. Mit Hilfe eines höheren Wachstumspfads können die Konsequen­ zen der Bevölkerungsalterung auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zumindest teilweise aufgefangen werden. Es ist keineswegs sicher, ob es infolge der demographischen Entwicklung zu ei­ ner Schwächung der Investitionstätigkeit kommen wird. Bei einer Verringerung des Arbeitskräftepotenzials könnte es sich viel­ mehr lohnen, verstärkt in Arbeitsplätze zu investieren, um einen hohen Produktions­ ausstoß über eine Kapitalintensivierung zu erreichen. Zukunftsaussagen über die Ent­ wicklung des technischen Fortschritts sind äußerst schwierig. Zu einer Verlangsa­ mung des technischen Fortschritts muss es aber aufgrund des beschriebenen Zu­ sammenhangs auch in einer alternden Ge­ sellschaft nicht notwendigerweise kom­ men. Einerseits kann die Erhöhung der Pro­ duktivität des knapper werdenden Faktors Arbeit, sei es über eine höhere Arbeitseffi­ zienz oder über einen verstärkten Sachka­ pitaleinsatz, einer wirtschaftlichen Abschwächung infolge der demographi­ schen Entwicklung entgegenwirken. An­ dererseits lässt sich der Wachstumsver­ langsamung mit einer Erhöhung des Arbeitsvolumens begegnen. Das kann vor allem über eine Nutzung bislang brachlie­ gender Ressourcen, also einen Abbau der hohen Arbeitslosigkeit, geschehen. Auch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit erhöht den quantitativen Einsatz des Fak­ tors Arbeit. Dafür gibt es in Deutschland zu Beginn wie am Ende des Erwerbslebens noch erheblichen Spielraum. Auch die Jah­ resarbeitszeit ist in Deutschland im inter­ nationalen Vergleich niedrig. Lediglich in den Niederlanden, in Dänemark und in Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 37 Frankreich wird weniger gearbeitet. Bei solchen Vergleichen muss jedoch berück­ sichtigt werden, dass die niedrigere Jahres­ arbeitszeit in einigen Ländern auch durch den relativ hohen Anteil an Teilzeitarbeit beeinflusst wird. Trotz der unbestrittenen Bedeutung von Bildung ist eine Straffung von Ausbil­ dungs- und vor allem der im internationa­ len Vergleich zu langen Studienzeiten in Deutschland sinnvoll. Die Erwerbsbeteili­ gung jüngerer Menschen zwischen 15 und 24 Jahren ist in Deutschland in den vergan­ genen Jahren stark gesunken. Ferner muss es gelingen, wieder mehr Menschen als bisher in eine Beschäftigung zu bringen. Eine erhebliche Herausforde­ rung für die gesamte Gesellschaft besteht in der Anhebung der Beschäftigungsquote für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit­ nehmer (55 bis unter 65 Jahre). Sie lag in Deutschland mit 39,5 % im Jahr 2003 zwar auf dem höchsten Wert seit Anfang der 90er Jahre, allerdings unterhalb des EU- Durchschnitts (EU 15: 41,7 %; EU 25: 40,2 %). Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass die eigentliche Herausforderung bei der Beschäftigung der 60- bis 64-jährigen Ar­ beitnehmerinnen und Arbeitnehmer be­ steht. Hierzu müssen die Anreize verstärkt werden, bis zum gesetzlichen Rentenein­ trittsalter im Erwerbsleben zu verbleiben. Durch angemessene Abschläge bei vorzei­ tigem Renteneintritt ist es bereits gelun­ gen, das tatsächliche Renteneintrittsalter deutlich zu erhöhen. Mit dem Auslaufen der Übergangsregelungen ist davon aus­ zugehen, dass sich das Renteneintrittsal­ ter bereits kurz- und mittelfristig weiter deutlich erhöhen wird. So wird es nach 2011 nicht mehr möglich sein, eine Alters­ rente vor Erreichen des 62. Lebensjahres zu beziehen (Ausnahme: Rente für schwerbehinderte Menschen) und ein vor­ zeitiger Rentenbezug ist dann nur bei Vor­ liegen einer langjährigen Versicherungs­ zeit und unter Inkaufnahme von Abschlä­ gen möglich. Abbildung 9: Beschäftigungsquoten in der EU-15 (2003) 80 70 50 40 30 20 10 Beschäftigungsquote insgesamt Quelle: EU-Kommision: Strukturindikatoren lie n It a an d n he nl lg ie ie c Be Gr 25 xe m bu rg Sp an ie n Lu h Beschäftigungsquote weibliche Bevölkerung EU kr ei c EU 15 Fr an sc hl an d Irl an d De ut tu ga l Po r nl an d F in an ni en Ö st er re ic h ed en oß br it Gr Sc hw Ni ed e rla nd e ar k 0 Dä ne m Beschäftigungsquote in % 60 Beschäftigungsquote ältere Erwerbstätige 55–64 J. Seite 38 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Es gilt, eine Erhöhung der Er­ werbsbeteiligung herbeizu­ führen und einen zügigen Abbau der Arbeitslosigkeit voranzutreiben. Nicht nur die Erwerbsbeteiligung von älteren Menschen, sondern auch die von Frauen ist in Deutschland nach wie vor re­ lativ niedrig. Eine verbesserte Vereinbar­ keit von Beruf und Familie dürfte hier den meisten Erfolg versprechen (s. Abschnitt 3.2.3). Schließlich sollten vermehrt Mo­ delle entwickelt und angewandt werden, die Müttern den Wiedereinstieg in das Be­ rufsleben erleichtern. Die Auswirkungen des demographi­ schen Wandels auf den Arbeitsmarkt sind keineswegs ausgemachte Sache. Wenn das Arbeitskräfteangebot zurückgeht, kann gleichzeitig die Arbeitsnachfrage aufgrund einer nachlassenden Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen sin­ ken. Andererseits wird sich die Nachfrage hin zu neuen, altersgerechten Produkten und altersspezifischen Dienstleistungen verschieben und insgesamt ein durchaus sinnvoller Strukturwandel der deutschen Volkswirtschaft angestoßen. Das Wirtschaftswachstum hängt nicht nur von der Quantität, sondern auch von der Qualität des Arbeitseinsatzes ab. Wenn die Qualifikation des Arbeitsanbieters nicht mit dem gewünschten Profil des Ar­ beitsnachfragers übereinstimmt, kommt es zur „mismatch“-Arbeitslosigkeit. Des­ halb sind Investitionen in Humankapital sowie sonstige Maßnahmen zur Flexibili­ sierung und Verbesserung der Funktions­ fähigkeit des Arbeitsmarktes erforderlich. Hierdurch kann die Beschäftigungsinten­ sität des Wachstums erhöht und die So­ ckelarbeitslosigkeit reduziert werden. Beide Effekte tragen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen bei (s. Abschnitt 3.3.2). Mit der Agenda 2010 hat die Bundesre­ gierung das umfassendste wirtschaftspo­ litische Reformprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorge­ legt. Sie verbindet im Rahmen der sozia­ len Marktwirtschaft die Förderung wirt­ schaftlicher Effizienz und Eigeninitiative mit den Zielen der sozialen Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeit, liefert damit also auch einen Beitrag zur Generationenge­ rechtigkeit. Mit der Agenda 2010 werden die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung deutlich verbessert. Die Balance von individuellen Rechten und Pflichten, von sozialer Sicherheit so­ wie Chancen- und Generationengerech­ tigkeit wird neu definiert. Das Regelwerk für den Arbeitsmarkt wird so umgestaltet, dass die (Wieder-)Vermittlung in den Ar­ beitsmarkt stärker in den Vordergrund rückt und nicht die Finanzierung von Ar­ beitslosigkeit. Damit trägt die Agenda 2010 u.a. dazu bei, dass die Flexibilität er­ höht wird, das Wachstumspotenzial ge­ stärkt und die strukturelle Arbeitslosig­ keit gesenkt werden kann. Diesen einge­ schlagenen Weg müssen wir konsequent fortsetzen. Eingebettet in die Agenda 2010 findet sich auch ein Konzept zur Förderung des Finanzmarktes – der Finanzmarktförder­ plan 2006 sowie das 10-Punkte-Programm zur Stärkung des Anlegerschutzes und der Unternehmensintegrität. Hierdurch kön­ nen die Potenziale des Finanzplatzes Deutschland besser ausgeschöpft sowie Wachstum, Beschäftigung und private Al­ tersvorsorge gestärkt werden. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 39 3.2.2 Steuerpolitik wachstumsför­ dernd ausgestalten Neben den strukturellen Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den sozialen Si­ cherungssystemen, die längerfristig auch die öffentlichen Haushalte entlasten, be­ darf es weiterhin einer strikten Begren­ zung der Gesamtausgaben bzw. des Ausgabenwachstums durch langfristig wirksame strukturelle Konsolidierungs­ maßnahmen. Spielraum für höhere Aus­ gaben zur Stärkung von Wachstumspo­ tenzialen und Wettbewerbsfähigkeit kann nur geschaffen werden, wenn zu­ gleich spürbare Konsolidierungsfort­ schritte bei vergangenheitsbezogenen Ausgaben erreicht werden. Dies gilt ent­ sprechend auch für die Steuerpolitik. Sie muss die Konsolidierungspolitik von der Einnahmenseite flankieren. Die Steuerreform der Bundesregierung hat für die deutsche Wirtschaft – Arbeitge­ ber- wie Arbeitnehmerseite – einen wachs­ tums- und beschäftigungsfreundlichen Rahmen geschaffen. Die steuerlichen Be­ dingungen haben sich seit 1998 in vielerlei Hinsicht verbessert. Mit der letzten Stufe der Steuerreform 2000, die am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, wurde das größte Steuersenkungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch­ land vollständig umgesetzt. Das Gesamt­ entlastungsvolumen für Bürger und Unternehmen beträgt im Vergleich zu 1998 fast 60 Mrd. Euro jährlich. Abbildung 10: Entwicklung der Einkommen- und Körperschaft­ steuersätze 1998–2005 Höchststeuersatz 53,0 % 53,0 % 51,0 % 48,5 % Körperschaftsteuersatz 48,5 % 45,0 % 42,0 % (Thesaurierungssatz) Eingangssteuersatz 48,5 % 45,0 % 40,0 % 40,0 % 23,9 % 22,9 % 25,9 % 25,0 % 25,0 % 26,5 % 19,9 % 19,9 % 19,9 % 25,0 % 16,0 % Grundfreibetrag 6.322 € 1998 6.681 € 1999 Quelle: Bundesministerium der Finanzen 6.902 € 2000 7.206 € 2001 7.235 € 2002 7.235 € 2003 7.664 € 2004 25,0 % 15,0 % 7.664 € 2005 Seite 40 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Die Ausgestaltung des Steu­ ersystems ist wichtiger Be­ standteil einer tragfähigen Finanzpolitik. Deutschland hat heute eine historisch niedrige gesamtwirtschaftliche Steuer­ quote, auch im internationalen Vergleich eine der geringsten Steuerquoten sowie eine Abgabenquote im internationalen Mittelfeld. Zwar scheint sich auf den ers­ ten Blick die Position Deutschlands bei internationalen Unternehmenssteuer­ belastungsvergleichen sowohl bei der no­ minalen als auch bei der effektiven steuer­ lichen Belastung verschlechtert zu haben. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist aber eine gewisse Vorsicht geboten. So werden oft nur Kapitalgesellschaften be­ trachtet, doch in Deutschland sind ca. 83 % der Unternehmen Personenunterneh­ men, deren Einkommensteuerbelastung meist geringer ist. Zudem vernachlässi­ gen die Berechnungen meist weitere Fak­ toren, wie z. B. die intertemporalen Ver­ lustverrechnungsmöglichkeiten. Klar ist jedoch, dass ein niedriger Tarif in Verbin­ dung mit einer breiten Bemessungs­ grundlage für die steuerlichen Standort­ bedingungen insgesamt attraktiver ist. Im Bereich der Besteuerung kann es keinen Stillstand geben, denn die interna­ tionale Steuerlandschaft bleibt in Bewe­ gung. Das gilt insbesondere für die Unter­ nehmensbesteuerung. Dabei muss sich Deutschland sowohl an den Erfordernis­ sen der internationalen Wettbewerbsfä­ higkeit als auch an den Haushaltswirkun­ gen orientieren. Die Besteuerung der Kapitalgesell­ schaften muss in der Höhe konkurrenzfä­ hig sein und gleichzeitig dafür sorgen, dass in Deutschland anfallende Gewinne auch hier versteuert werden. Anknüpfend an die Steuerreform aus dem Jahr 2000 soll deshalb – im Vorgriff auf eine umfas­ sende Reform der Unternehmensbesteue­ rung – der Steuersatz für die Unterneh­ men von derzeit 25 auf 19 Prozent noch­ mals deutlich gesenkt werden. Im Gegen­ zug sieht das von der Bundesregierung vorgeschlagene Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Standortbedingungen Verbreiterungen bei der Bemessungs­ grundlage und die Eindämmung von Steuergestaltungsmöglichkeiten vor. Auch die steuerlichen Rahmenbedin­ gungen für die kleinen und mittelständi­ schen Unternehmen werden weiter ver­ bessert. Die Erhöhung des Anrechnungs­ faktors der Gewerbesteuer bei der Ein­ kommensteuer von 1,8 auf 2 schafft eine spürbare steuerliche Entlastung des er­ wirtschafteten Ertrags von Personenunternehmen. Darüber hinaus wird im Rahmen einer mittelstandsorientierten Reform der Erbschaftsteuer die Betriebs­ fortführung und der Erhalt der Arbeits­ plätze beim Übergang von Personenunternehmen gesichert. Dieses Ziel wird erreicht, in dem die auf produktiv einge­ setztes Vermögen entfallende Erbschaftund Schenkungssteuer über einen Zeit­ raum von zehn Jahren gestundet werden und die Steuerschuld in diesem Zeitraum bei Fortführung des Betriebs in gleichen Jahresraten abgeschmolzen wird. Bei ei­ ner Fortführung des Betriebes von mehr als zehn Jahren wird also die Erbschaft­ steuer nicht erhoben. Die Umsetzung die­ ser Maßnahmen kann nur in enger Zu­ sammenarbeit mit den Ländern im Bundesrat gelingen. Die Ausgestaltung des Steuersystems ist wichtiger Bestandteil einer tragfähigen Finanzpolitik. Die jüngsten Reformen tra­ gen nicht nur zu einer Verbesserung der Standort- und Investitionsbedingungen und damit zur Stärkung des Wachstums Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 41 bei, sondern vermeiden über die Siche­ rung des Steueraufkommens gleichzeitig auch eine Schwächung der Tragfähigkeit über die Einnahmenseite. In Vorbereitung auf eine Fortführung der Unternehmenssteuerreform hat die Bundesregierung den Sachverständigen­ rat mit der Erarbeitung eines umfassen­ den Steuerreformkonzepts bis Ende des Jahres beauftragt. Es ist heute nicht mehr vorstellbar, Steuerpolitik ohne eine kon­ sistente Einbettung in das europäische und internationale Umfeld zu betreiben. Angesichts der Rechtsprechung des EuGH sind in der Unternehmensbesteuerung europäische Konzepte gefragt. Die Bundesregierung setzt sich daher nach­ drücklich für die Entwicklung einer ein­ heitlichen Bemessungsgrundlage für die steuerliche Gewinnermittlung von Unter­ nehmen sowie für eine verstärkte Konver­ genz der Körperschaftsteuersysteme in der EU ein. 3.2.3 Familienpolitik zukunfts­ orientiert ausrichten Nicht nur über Reformen, sondern auch über steigende Geburtenzahlen können die sozialen Sicherungssysteme wieder mehr finanziellen Spielraum gewinnen. Die Geburtenrate in Deutschland zählt im internationalen Vergleich zu den niedrig­ sten. Um die Bevölkerungszahl ohne Zu­ wanderung stabil zu halten, müssten je 100 Frauen 210 Kinder – statt der 135 ak­ tuell – geboren werden. Allerdings würde selbst ein plötzlicher starker Anstieg der Geburtenraten den Rückgang des Er­ werbspotentials durch den Alterungspro­ zess in den nächsten 20 bis 30 Jahren nicht stoppen können. Dennoch brauchen wir eine Trendumkehr der Bevölkerungsent­ wicklung hin zu wieder höheren Kinder­ zahlen. Dies liegt sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Interesse. Familienpolitik allein auf die Frage von Wirtschaftswachstum und Erwerbsbetei­ ligung zu reduzieren, wie dies für die Zwe­ cke dieses Berichts notwendigerweise ge­ schieht, wird dem umfassenden gesell­ schaftlichen Anspruch und Nutzen nicht gerecht. Eine nachhaltige Familienpolitik dient auch dazu, dass Menschen ihre Kinderwünsche tatsächlich verwirklichen können. Neben den negativen sozialen Auswir­ kungen, die der fehlende Nachwuchs aus­ lösen kann, führt eine niedrige Geburtenrate auf Dauer zu ökonomischen Proble­ men. Die Erhöhung des Altenquotienten mit entsprechenden Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme wurde be­ reits mehrfach erwähnt. Des Weiteren wird der Bedarf an qualifizierten Arbeits­ kräften immer mehr zunehmen. Auf der anderen Seite sinkt das Erwerbspersonenpotenzial aufgrund der Verschiebung der Altersstruktur deutlich. Besonders spür­ bar ist der Rückgang bei den jüngeren Menschen sowie Erwerbspersonen im mittleren Alter. Menschen sollen ihre Kinderwünsche verwirklichen kön­ nen. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Abbildung 11: Entwicklung der Zahl der Erwerbspersonen nach Altersklassen in Deutschland 2000–2050 in Mio. 45 40 35 Erwerbspersonen in Mio. 30 25 20 15 10 5 0 20 02 20 04 20 06 20 08 20 10 20 12 20 14 20 16 20 18 20 20 20 22 20 24 20 26 20 28 20 30 20 32 20 34 20 36 20 38 20 40 20 42 20 44 20 46 20 48 20 50 0 20 0 Seite 42 20–34 Jahre 35–49 Jahre 50–64 Jahre Quelle: ifo, bis 2003: VGR/ifo-Schätzung; ab 2004: ifo-Projektion (Bevölkerung: StBA; Erwerbsquoten: IAB/ifo) Im zurückliegenden Jahrzehnt war die Familienpolitik primär auf den Ausbau und die Verbesserung finanzieller Leis­ tungen für Familien ausgerichtet. Trotz der schwierigen haushaltspolitischen und ökonomischen Situation hat die Bundes­ regierung in der vergangenen und lau­ fenden Legislaturperiode durch steuer­ und familienpolitische Maßnahmen die Einkommenssituation von Familien insge­ samt verbessert, die finanziellen Leistun­ gen und steuerlichen Maßnahmen für Fa­ milien ausgebaut und dabei insbesondere das Kindergeld und Steuerfreibeträge für Familien erhöht. Die Beträge aus den unterschiedlichsten Quellen summieren sich dabei auf insgesamt über 150 Mrd. Euro jährlich. Diese ernormen finanziellen Leistun­ gen konnten allerdings die Entwicklung der Geburtenraten nicht signifikant be­ einflussen. Dabei ist Untersuchungen zu­ folge der Wunsch nach Kindern deutlich höher als die tatsächliche Geburtenrate. Über die Gründe der Kinderlosigkeit strei­ ten die Experten. Sicherlich spielen bei der Entscheidung, eine Familie zu grün­ den, viele verschiedene Einflüsse eine Rolle. Zum Beispiel wird die Geburtenrate auch von dem in einem Land vorherr­ schenden Familienmodell und der Kin­ derfreundlichkeit der Gesellschaft beein­ flusst. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 43 Das Einkommen allein scheint kein ausschlaggebendes Kriterium für die Fa­ miliengründung zu sein. Die Bundesre­ gierung hat deshalb neue Prioritäten in der Familienpolitik eingeleitet. Sie richtet ihre Anstrengungen verstärkt auf den Ausbau einer wirksamen, Familien und Kinder unterstützenden Infrastruktur für Bildung und Betreuung sowie auf Maß­ nahmen zur Erwerbsintegration von Frauen und für eine bessere Balance von Familie und Arbeitswelt. Mehr und bes­ sere Angebote für die Kinderbetreuung können bewirken, dass sich mehr junge Menschen als bislang für Beruf und Kind entscheiden. Ein Blick in unsere Nachbarländer ver­ deutlicht den Nachholbedarf Deutsch­ lands auf diesen Gebieten. Die Erwerbstä­ tigenquote von Müttern mit Kindern un­ ter sechs Jahren liegt bei uns deutlich un­ ter der von Frankreich, Großbritannien oder den Ländern Skandinaviens. Im Ver­ gleich zu diesen und anderen Staaten scheiden Frauen in Deutschland darüber hinaus extrem lange für die Kinderbetreu­ ung aus dem Arbeitsmarkt aus. Die Vereinbarkeit von Beruf und Fami­ lie ist somit ein Schlüsselkriterium einer zukunftsorientierten Familienpolitik. Mit dem Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tages­ betreuung für Kinder, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, will die Bundes­ regierung die Betreuung von Kindern un­ ter drei Jahren deutlich verbessern. Wei­ tere wichtige Schritte wurden mit dem „Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung“ eingeleitet. In dem mit 4 Mrd. Euro ausgestatteten Programm för­ dert die Bundesregierung den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen. Diese hel­ fen Eltern dabei, Familie und Beruf zu ver­ einbaren und entsprechen damit besser den heutigen Bedürfnissen. Auch hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erforderlich. Ganz allgemein sollte die Politik auch dafür sorgen, dass Arbeitsanreize für die nicht erwerbstätigen Partnerinnen oder Partner erhalten bleiben und umgekehrt die Familiengründung erwerbstätiger Paare zumindest nicht erschwert werden. Aber nicht nur der Staat, sondern auch die Wirtschaft und sonstige private Initia­ tiven sind gefordert. Von familienfreund­ lichen Arbeitszeitmodellen in der Wirt­ schaft profitieren nicht nur die Familien, auch für die Unternehmen rechnet sich dies Untersuchungen zufolge aufgrund niedrigerer Überbrückungs-, Fluktuations­ und Wiedereingliederungskosten. Gebur­ tenraten hängen letztlich aber auch vom Gesellschaftsmodell allgemein sowie von Grundstimmung und Zukunftsperspekti­ ven des Einzelnen ab. Auch hierzu kann und muss die Politik durch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen ihren Anteil leisten. 3.2.4 Zuwanderung steuern Vor dem Hintergrund der mit der demo­ graphischen Entwicklung verbundenen zukünftigen ökonomischen Herausforde­ rungen ist bereits ein Umdenken in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik erfolgt. Mit dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetz wurde eine neue Zuwanderungs- und Integra­ tionspolitik eingeleitet. Zwar wird der bis­ lang geltende Anwerbestopp im Bereich Auch wenn sich Tragfähig­ keitslücken nicht allein durch Zuwanderung schlie­ ßen lassen können, so kann sie dennoch einen wertvol­ len Beitrag zu deren Verringerung leisten Seite 44 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik der Zulassung zu qualifizierten und weni­ ger qualifizierten Tätigkeiten aufrecht­ erhalten; Sonderregelungen für diese Gruppen erfolgen durch Beschäftigungs­ verordnungen. Für hochqualifizierte aus­ ländische Spitzenkräfte wurden jedoch erleichterte Zulassungsmöglichkeiten ge­ schaffen. Sie können eine Niederlassungs­ erlaubnis erhalten, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit und zu einem un­ beschränkten Aufenthalt berechtigt. Ihre Familienangehörigen können einen Auf­ enthaltstitel erhalten, der ebenfalls zu ei­ ner Beschäftigung berechtigt. Auch wenn sich Tragfähigkeitslücken nicht allein durch Zuwanderung schlie­ ßen lassen können, so kann sie dennoch einen wertvollen Beitrag zu deren Verringerung leisten. Wichtig ist dabei die konkrete Ausgestaltung der Zuwande­ rungsregeln. Durch die Förderung der Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften wird eine Überforderung der sozialen Sicherungssysteme vermie­ den, die Produktivität gesteigert und das Bevölkerungsstrukturproblem abge­ schwächt. 3.3 Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sicherstellen Es gibt keine Alternative zu einer entschlossenen Konso­ lidierung der öffentlichen Haushalte. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die direkt auf der Ausgaben- oder Einnah­ menseite der staatlichen Haushalte anset­ zen, sowie um Reformen in den sozialen Sicherungssystemen. Nur wenn wir Zu­ kunftsorientierung und Defizitabbau in den öffentlichen Haushalten in Einklang bringen, werden wir unserer Verantwor­ tung gegenüber lebenden und künftigen Generationen gerecht. 3.3.1 Konsolidierung fortsetzen für eine generationenge­ rechte Finanzpolitik Solide und langfristig tragfähige öffentli­ che Finanzen haben einen hohen Stellen­ wert. Der fortgesetzte Abbau staatlicher Defizite und die nachhaltige Begrenzung der öffentlichen Verschuldung sind erfor­ derlich > für die Wiedergewinnung von Hand­ lungsspielräumen zur Bewältigung von zentralen Zukunftsaufgaben, > als Vorraussetzung für Preisstabilität und zur Stärkung der Wachstumskräfte und > nicht zuletzt als Bedingung für mehr Generationengerechtigkeit. Konsolidierung bedeutet in der Regel, gegen den Widerstand organisierter Gruppeninteressen und Besitzstandswah­ rer angehen zu müssen. Erfreulicherweise ist in den vergangenen Jahren jedoch die allgemeine Grundüberzeugung gewach­ sen, dass es keine Alternative zu einer ent­ schlossenen Fortsetzung der Konsolidie­ rung der öffentlichen Haushalte gibt. Die Stärkung des Potenzialwachstums ist auch in diesem Zusammenhang eine zen­ trale finanz- und wirtschaftspolitische Aufgabe, da hierdurch die öffentlichen Haushalte entlastet werden können. Wachstum und Konsolidierung gehören untrennbar zusammen. Ein höheres Wirt­ schaftswachstum allein genügt jedoch nicht, um dauerhaft tragfähige öffentli­ che Finanzen zu garantieren. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen muss in eine dauerhafte und überzeu­ gende Gesamtstrategie eingebettet sein und dabei vorrangig an der Ausgaben­ seite des Budgets ansetzen. Ähnliche ge­ samtwirtschaftliche Effekte wie Ausga­ benkürzungen – einschließlich des Ab­ Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 45 baus von Finanzhilfen – hat auch der Ab­ bau von Steuervergünstigungen. So kam auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten 2003 zu dem Ergebnis, dass sich der Abbau von Steuervergünstigun­ gen prinzipiell ebenso gut zur Haushalts­ konsolidierung eignet wie eine Kürzung der Ausgaben. (Der englische Begriff für Steuervergünstigungen – „tax expendi­ ture“ – macht deutlich, dass es sich eigent­ lich um über das Steuersystem getätigte Ausgaben handelt.) Beides – Ausgabenrückführung und Abbau von Steuervergünstigungen – hat die Bundesregierung in Angriff genom­ men. Dass die Defizitreduzierung in den vergangenen Jahren dennoch nicht vor­ angekommen ist wie gewünscht, lag am gleichzeitigen Rückgang der Steuerein­ nahmen. Die Steuerquote – in der Abgren­ zung der volkswirtschaftlichen Gesamt­ rechnung – hat 2004 mit rund 21,8 % des BIP einen Tiefstand erreicht und wird auch in den kommenden Jahren auf die­ sem historisch niedrigen Niveau verhar­ ren. Die dreijährige Stagnationsphase zu Beginn dieses Jahrzehnts hat Spuren bei den öffentlichen Finanzen hinterlassen. Um die Konjunkturentwicklung nicht zu­ sätzlich zu belasten, mussten höhere Defi­ zite in den öffentlichen Haushalten in Kauf genommen werden als ursprünglich geplant. Ein „Hineinsparen“ in Form zusätz­ licher Sparmaßnahmen ist bei zögerlicher wirtschaftlicher Erholung in der Regel kontraproduktiv. Denn die Konsolidie­ rung öffentlicher Haushalte dämpft die wirtschaftliche Entwicklung über entspre­ chende Nachfrageeffekte. In Theorie und Praxis herrscht daher weit gehend Einver­ nehmen darüber, die so genannten „auto­ matischen Stabilisatoren“ wirken zu las­ sen. Im Konjunkturverlauf schwanken die Staatsausgaben, insbesondere die Ausga­ ben für den Arbeitsmarkt. Auch die Staats­ einnahmen, insbesondere die Steuerein­ nahmen, sind konjunkturabhängig. Diese zyklischen Schwankungen der öffent­ lichen Einnahmen und Ausgaben sollten hingenommen werden, auch wenn damit in wirtschaftlichen Schwächephasen eine höhere Kreditaufnahme verbunden ist. Andernfalls würde die jeweilige konjunk­ turelle Situation noch verschärft und die Finanzpolitik prozyklisch wirken. Dies än­ dert jedoch nichts an der Tatsache, dass mittel- und langfristig die Defizite weiter abgebaut werden müssen. Deutschland hat trotz des konjunktu­ rell gebotenen Wirkenlassens der auto­ matischen Stabilisatoren gleichzeitig die strukturelle Konsolidierung der Staatsfi­ nanzen vorangetrieben. Die durchschnitt­ liche jährliche Ausgabensteigerungsrate von 1999 bis 2003 lag unter 1 %. Allein im vergangenen Jahr ist die Staatsquote – d.h. die Staatsausgaben in % des BIP – um 1,2 Prozentpunkte auf 46,9 % und damit auf den niedrigsten Stand seit 1991 gesunken. Dies zeigt eine äußerst strikte Konsolidie­ rungslinie an. Im Finanzplanungsrat ha­ ben Bund und Länder zuletzt vereinbart, das nominelle Ausgabenwachstum bis 2006 auf 1 % zu beschränken. Für die kom­ menden Jahre ist ein weiterer ambitio­ nierter Rückgang der Staatsquote auf 43,5 % im Jahr 2008 geplant. Dies ent­ spricht einem Rückgang von rund fünf Prozentpunkten zwischen 2003 und 2008. Diesen Konsolidierungspfad wird Deutschland in den kommenden Jahren weiter beschreiten, um für die ansteigen­ den Belastungen des demographischen Wandels gewappnet zu sein. Beides – Ausgabenrückfüh­ rung und Abbau von Steuer­ vergünstigungen – hat die Bundesregierung in Angriff genommen. Seite 46 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Abbildung 12: Jahresdurchschnittliche Entwicklung der Ausgaben von 2003–2008 in % Jahresdurchschnittliche Entwicklung einzelner Ausgaben 2003–2008 ¾ Ausgaben insgesamt ½ Monetäre Sozialleistungen -1 ½ Subventionen Investitionen ¾ Vorleistungen, Entgelte, Sachleistungen ¾ Zinsausgaben 3 -2 0 2 4 Quelle: Bundesministerium der Finanzen 3.3.2 Qualität der öffentlichen Finanzen weiter verbessern Neben der quantitativen Konsolidierung steht die qualitative Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte weiterhin auf der Agenda. Ziel der qualitativen Konsoli­ dierung ist es, unter Beachtung der jewei­ ligen nationalen und europäischen Bud­ getbeschränkungen eine Umstrukturie­ rung der öffentlichen Haushalte weg von vergangenheitsbezogenen hin zu zu­ kunftsorientierten Ausgaben zu errei­ chen. Die qualitative Konsolidierung läuft der quantitativen Konsolidierung nicht zuwider. Es geht vielmehr darum, mit ei­ ner „Qualitätsoffensive“ die Struktur des Budgets zukunftsfähiger zu gestalten. Hierbei sollen Ausgabenbereiche wie Bil­ dung, Forschung und Innovation sowie Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestärkt, öffentli­ che Ausgaben in anderen, weniger zu­ kunftsorientierten Bereichen dagegen ab­ gebaut werden. Daher wird in Deutsch­ land seit 1998 wieder verstärkt in For­ schung und Entwicklung investiert. Der Anteil der gesamten Ausgaben für For­ schung und Entwicklung (FuE) am Brutto­ inlandsprodukt ist von 2,31 % auf 2,55 % ge­ stiegen. Die Bundesregierung hält an ih­ rer Zielsetzung fest, das vom Europäi­ schen Rat in Barcelona im März 2002 ver­ abschiedete Ziel, bis 2010 den Anteil der FuE-Ausgaben in der EU auf 3 % des EUBruttoinlandsproduktes zu steigern, auch national umzusetzen. Davon sollen zwei Drittel auf die Wirtschaft und ein Drittel auf den Staat entfallen. Die Gerechtigkeit zwischen den Gene­ rationen verlangt, dass innovations- und wachstumsfördernde Ausgaben Vorrang Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 47 erhalten, um heute das Fundament für das zukünftige Entwicklungspotenzial der Volkswirtschaft und deren künftigen Wohlstand zu legen. Die Problematik wird angesichts der zurückliegenden Entwicklung der Ausga­ benstruktur der öffentlichen Haushalte ganz besonders anschaulich. Beispielhaft kann diese Tendenz anhand des Bundes­ haushalts dargestellt werden, auch wenn sich dessen Struktur aufgrund unter­ schiedlicher Zuständigkeiten von der der Länderhaushalte unterscheidet. Die Sozi­ alausgaben des Bundes machen mittler­ weile fast die Hälfte der gesamten Bundesausgaben aus. Dies ist auch ein Reflex der Entscheidung, fiskalische Effekte aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenversiche­ rung hierin zu verlagern. Damit wurde ein weiterer Anstieg der Lohnnebenkosten vermieden, eine Verbesserung der Tragfä­ higkeit der Finanzen insgesamt aber nicht erreicht. Zusammen mit den Zins- und Personalausgaben stehen damit mehr als 70 % der Bundesausgaben nicht für Inves­ titionen und wesentliche Zukunftsfelder zur Verfügung. Volkswirtschaftlich betrachtet wirken Bildung und Forschung positiv auf Pro­ duktivität und Wachstum. Für ein Land mit begrenzten natürlichen Ressourcen, wie es Deutschland ist, sind diese Bereiche von besonderer Bedeutung. Investitionen in Humankapital und Innovation und die Schaffung geeigneter Rahmenbedingun­ gen können zu einer Ankurbelung des Produktivitätswachstums und dem Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit führen und über diese Effekte zur Sicherung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen beitragen. Hervorragend qualifizierte Ar­ beitskräfte und ein leistungsfähiges For­ schungs- und Innovationssystem bilden die Grundlagen für erfolgreiche Spitzen­ forschung und ermöglichen damit die Entwicklung neuer Produkte, Verfahren und innovativer Dienstleistungen. Nur so kann internationale Wettbewerbsfähig­ keit dauerhaft gesichert werden. Mit dem intersektoralen Strukturwandel in Rich­ tung wissensbasierte Branchen steigt der Bedarf an hoch qualifizierten Fachkräften weiter. Bildung und Forschung erhalten damit für die Zukunft Deutschlands zu­ sätzliches Gewicht. Andere Staaten wie zum Beispiel die skandinavischen Länder haben dies bereits erkannt und daher ihre Investitionen in diese Bereiche erheblich gesteigert. Ziel der qualitativen Konsoli­ dierung ist es, unter Beach­ tung der jeweiligen nationa­ len und europäischen Bud­ getbeschränkungen eine Umstrukturierung der öf­ fentlichen Haushalte weg von vergangenheitsbezoge­ nen hin zu zukunftsorien­ tierten Ausgaben zu errei­ chen. Seite 48 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Abbildung 13: Ausgabenstruktur im Bundeshaushalt 1964, 1984 und 2004 Renten 12,9 % 1964 Arbeitsmarkt 0,2 % Übrige Bundesausgaben 67,0 % Sonstige soziale Ausgaben 18,0 % Zinsausgaben 1,9 % Renten 14,0 % 1984 Arbeitsmarkt 3,8 % Sonstige soziale Ausgaben 14,7 % Übrige Bundesausgaben 56,5 % Zinsausgaben 11,0 % 2004 Übrige Bundesausgaben 37,7 % Renten 30,7 % Arbeitsmarkt 9,9 % Zinsausgaben 14,4 % Quelle: Ist-Zahlen zum Bundeshaushalt; eigene Be­ rechnungen sonstige soziale Ausgaben 7,2 % Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 49 Die PISA-Studien wie auch die OECDAnalysen „Bildung auf einen Blick“ haben deutlich gemacht, dass ein dauerhaft si­ cherer Platz Deutschlands in der interna­ tionalen Leistungsspitze umfassende Re­ formen erfordert. Trotz der eingeleiteten Reformfortschritte in der Bildungspolitik in den vergangenen Jahren besteht weite­ rer Handlungsbedarf. Die PISA-Ergebnisse haben besondere Schwachstellen beim Leistungsniveau im schulischen Sekun­ darbereich offen gelegt. Im Vergleich zu anderen Ländern ist in Deutschland die so genannte Risikogruppe, also die Gruppe derjenigen Schülerinnen und Schüler, die Mindestanforderungen nicht erfüllen, be­ sonders groß. Gleichzeitig ist eine be­ sonders starke Korrelation zwischen sozi­ alem Hintergrund und Bildungserfolg feststellbar. Aus den Ergebnissen der internationa­ len Schulleistungsvergleichsstudien kann geschlussfolgert werden, dass eine stär­ kere individuelle Förderung aller Kinder bereits im Vorschulbereich ansetzen sollte. Im Widerspruch zur Bedeutung vorschulischer Erziehung und Bildung steht die Bildungsfinanzierung: Im Vor­ schulbereich wird ein vergleichsweise ho­ her Anteil privat finanziert und in etwas geringerem Ausmaße im Schulbereich. Zur Sicherung der Qualität der schuli­ schen Bildung sind nationale Bildungs­ standards sinnvoll. Die Bundesregierung hat auf ihren Handlungsfeldern bereits wichtige Bei­ träge geleistet, beispielsweise zur Auswei­ tung der Ganztagsschulangebote. Die Verantwortung für umfassende Reformen im Bildungssektor liegt allerdings weit ge­ hend in der Hand der Länder. Hier sind also in erster Linie die Länder gefordert, fi­ nanzielle Spielräume zugunsten von Zu­ kunftsaufgaben zu schaffen. Finanziert werden können die Reformprojekte bei­ spielsweise durch die Abschaffung von ökonomisch, ökologisch und finanzpoli­ tisch nicht mehr zu rechtfertigenden Sub­ ventionen. Eine schlichte Erhöhung der Bildungs­ ausgaben insgesamt ist in der Regel nicht zielführend. Bei internationalen Leis­ tungsvergleichen wird immer wieder deutlich, dass kein signifikanter Zu­ sammenhang zwischen der Höhe der Bil­ dungsausgaben und der Leistungsfähig­ keit des Bildungssystems besteht. Länder mit hohen Bildungsausgaben schneiden bei PISA nicht notwendigerweise positiv ab. Vielmehr muss es auch um die Erhö­ hung der Effizienz der eingesetzten Mittel gehen. Die Ergebnisse der PISA-Studie deuten darauf hin, dass Effizienzgewinne bei gleich bleibendem Mitteleinsatz durch einen Wechsel zu einer stärker out­ put-orientierten Steuerung des bestehen­ den Bildungssystems und durch umfas­ sende Unterrichtsreformen, die sich stär­ ker als bisher an dem Prinzip individueller Förderung orientieren, erzielt werden können. Im internationalen Vergleich ist unklar, ob zusätzliche Effizienzgewinne im Gesamtsystem auch durch Verbesse­ rung der Anreizstrukturen und Einfüh­ rung von Wettbewerbselementen auf der Angebotseite und/oder die Stärkung der Nachfrageseite durch größere Wahlmög­ lichkeiten erzielt werden können. Auch eine Umschichtung der öffentlichen Mittel zwischen den einzelnen Ebenen kann effizienzsteigernd sein. So fordert auch der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2004, öffentliche Mittel prioritär vor allem dort einzusetzen, wo hohe soziale Zusatzerträge zu erwarten sind, also besonders im Vorschul- und Seite 50 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Grundschulbereich. Nach Auffassung der Bundesregierung kann das für die Zu­ kunftssicherung wichtige Ziel, die Stu­ dienanfängerquoten weiter zu erhöhen, nur erreicht werden, wenn die hohe sozi­ ale Selektion des deutschen Bildungswe­ sens überwunden wird. Auch die Diskussionen zur Weiterent­ wicklung des Europäischen Stabilitäts­ und Wachstumspakts werden u.a. mit dem Ziel geführt, dass der Pakt in Zukunft deutliche Anreize für mehr Wachstum und Beschäftigung sowie für Strukturre­ formen zur nachhaltigen Ausrichtung der öffentlichen Finanzen setzt. Die aktuelle Halbzeitbilanz zur Lissabon-Strategie der EU macht ebenfalls deutlich, dass eine wirtschafts- und finanzpolitische Refokussierung auf die Aspekte Wachstum und Nachhaltigkeit dringend geboten ist und diese ihren Niederschlag auch in den öffentlichen Finanzen finden muss. Aus den genannten Gründen wird die Bundesregierung – gerade angesichts enger Budgetrestriktionen – der Umschichtung der öffentlichen Haushalte auf wachstumswirksame Ausgaben im Bereich Sach- und Humankapital sowie zur Stärkung der wissensbasierten Gesellschaft in Zukunft weiter Priorität einräumen. Auch die Länder sind aufgrund ihrer Kompetenzen aufgefordert, in ihren Haushalten entsprechende Umstrukturierungen vorzunehmen. zugreifen. Mit der gezielten Förderung wirtschaftlicher Aktivitäten, die der Markt nur in ungenügendem Ausmaß zur Verfügung stellt, zur Abfederung von Härten im Rahmen des Strukturwandels oder zur Umverteilung von Einkommen kann ein Eingriff des Staates gewünscht und sinnvoll sein. Wenn das angestrebte Ziel er­ reicht oder nicht mehr begründet ist, wenn es mit der Art der Maßnahme nicht erreicht werden kann oder ein anderes, besseres Instrument zur Zielerreichung existiert, müssen Subventionen wieder zu­ rückgeführt werden. Der Subventionsabbau leistet neben der quantitativen Konsolidierung ebenfalls einen Beitrag zur „qualitativen“ Kon­ solidierung der öffentlichen Haushalte, vor allem beim Abbau vergangenheits­ orientierter, nicht mehr zeitgemäßer Sub­ 3.3.3 Subventionsabbau konseventionen. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren substanzielle quent fortsetzen Fortschritte beim Subventionsabbau erGrundsätzlich kann es durchaus gute öko- zielt. Exemplarisch kann dies an den Fi­ nomische Gründe geben, mit Hilfe von nanzhilfen des Bundes veranschaulicht Subventionen in das Marktgeschehen ein- werden; diese konnten 2005 gegenüber 1998 nahezu halbiert werden. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 51 Abbildung 14: Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes 1998 bis 2008 in Mrd. Euro 12,00 12,00 11,39 10,89 0,36 10,07 0,44 10,00 2,17 9,48 10,00 0,46 2,08 0,49 8,09 1,92 8,00 1,79 0,52 8,00 7,49 0,64 6,72 1,35 0,61 1,53 6,00 6,94 1,28 6,54 5,73 5,73 0,53 0,44 0,73 0,57 1,20 5,93 4,00 6,04 1,01 5,39 6,00 0,45 0,44 4,00 5,74 4,78 4,37 3,82 3,31 2,00 1,92 1,75 1,83 1,45 0,00 1998 1999 2000 2001 3,27 3,65 3,62 2,00 1,26 1,13 1,01 0,96 0,91 0,90 0,89 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 0,00 Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Gewerbliche Wirtschaft (ohne Verkehr) Wohnungswesen Sonstige Gesamt Quelle: Mittelfristige Finanzplanung des Bundes (bis 2004 Ist-Zahlen Bundeshaushalt); eigene Berechnungen Um Transparenz, Rechtfertigung und Steuerungsmöglichkeiten im Subven­ tionswesen zu erhöhen, hat die Bundesre­ gierung 2003 wichtige Grundsätze der künftigen Subventionspolitik beschlos­ sen. Insbesondere sollen neue Subventio­ nen grundsätzlich nur noch als Finanzhil­ fen und nicht mehr als Steuervergünsti­ gungen gewährt werden. Neue und beste­ hende Finanzhilfen sollen nur noch ge­ setzlich befristet sowie degressiv ausge­ staltet sein und so eine Erfolgskontrolle ermöglichen. Bestehende Steuersubven­ tionen sollen – wenn möglich – in Finanz­ hilfen umgewandelt werden. Aus ökonomischer Sicht sollten Sub­ ventionen grundsätzlich selektiv gekürzt werden. Zuerst und am stärksten müssen nicht mehr begründete und verzerrende Vergünstigungen abgebaut werden, die die größten nachteiligen Wohlfahrtsef­ fekte verursachen. In der politischen Rea­ lität sind aber oft nur gleichmäßige Kür­ zungen nach der „Rasenmähermethode“ durchsetzbar, da dies als „faire“ Lastentei­ lung empfunden wird. Während die Schaffung neuer Subventionen von vie­ len, naturgemäß besonders von den Be­ günstigten, allgemein begrüßt wird, ge­ staltet sich deren Abschaffung nicht zu- Um Transparenz, Rechtferti­ gung und Steuerungsmög­ lichkeiten im Subventions­ wesen zu erhöhen, hat die Bundesregierung 2003 wichtige Grundsätze der künftigen Subventionspoli­ tik beschlossen. Seite 52 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik letzt aufgrund der föderalen Entschei­ dungsstrukturen in Deutschland als schwierig. Gerade bei Mischfinanzierun­ gen von Finanzhilfen und bei Steuersub­ ventionen ist der Bund auf die Mitwir­ kung der Länder angewiesen. Zum weiteren konsequenten Abbau von Finanzhilfen und Steuervergünsti­ gungen, sei es durch lineare Subventions­ kürzungen oder durch den gezielten Ab­ bau einzelner Fördermaßnahmen, gibt es in den kommenden Jahren keine Alterna­ tive. Insbesondere im Bereich der Steuer­ vergünstigungen besteht weiterhin gro­ ßer Handlungsbedarf. In den drei am In den drei am stärksten sub­ stärksten subventionierten Wirtschaftsbe­ ventionierten Wirtschafts­ bereichen – Steinkohleberg­ reichen – Steinkohlebergbau, Wohnungs­ bau, Wohnungsbau und bau und Landwirtschaft – setzt sich die Landwirtschaft – setzt sich Bundesregierung nachdrücklich für wei­ die Bundesregierung für tere Kürzungen ein, was im Bereich des weitere Kürzungen ein. Steinkohlebergbaus in der Vergangenheit gelungen und für die kommenden Jahre bereits festgeschrieben ist. Auch im Wohnungsbau sind Subven­ tionskürzungen überfällig. Der Vorschlag der Bundesregierung zum Abbau der Ei­ genheimzulage wurde jedoch von der Mehrheit des Bundesrates blockiert. Da­ bei wird die Einschätzung der Bundesre­ gierung, dass es sich bei der Eigenheimzu­ lage um eine überholte und ineffiziente sowie extrem teure Subvention handelt, von nahezu allen Experten geteilt. So stellte beispielsweise der Sachverständi­ genrat in seinem Gutachten 2003 fest: „Die Eigenheimzulage hat sich überlebt. (…) Die Politik sollte sich zu einer kompletten Streichung der Eigenheimzulage durchrin­ gen.“ Die Eigenheimzulage ist seit Jahren diejenige steuerliche Einzelsubvention mit dem höchsten Volumen im Bundes­ haushalt. Wissenschaftliche Untersu­ chungen haben gezeigt, dass die derzei­ tige Ausgestaltung der Förderung nicht mehr zielführend ist, da das ursprüngli­ che Förderziel längst erreicht ist. Mittler­ weile ist die Wohnraumversorgung in Deutschland so gut wie nie zuvor. Darü­ ber hinaus kommt es bei der Eigenheim­ zulage in großem Umfang zu reinen Mit­ nahmeeffekten, d. h. die Bau- und Er­ werbsmaßnahmen würden auch ohne staatliche finanzielle Förderung durchge­ führt. Berücksichtigt man schließlich, dass der demographische Wandel lang­ fristig zu einem veränderten und mögli­ cherweise auch verminderten Woh­ nungsbedarf führen wird, wäre es ökono­ misch wenig sinnvoll, wenn durch Sub­ ventionen die Ersparnisse von vielen Haushalten in Verwendungsrichtungen gelenkt werden, deren langfristige Renta­ bilität nicht gewährleistet ist. Zu einer Rückführung von Subventio­ nen muss es auch im Bereich der Land­ wirtschaft kommen. Der wesentliche An­ teil der Ausgaben für den Agrarsektor wird im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU bereitgestellt. Rund die Hälfte des EU-Haushalts wird gegenwärtig für die GAP aufgewandt. Die verschiedenen Reformschritte seit Beginn der 1990er Jahre haben zwar zu einer zu­ nehmenden Marktorientierung der Agrar­ produktion und einer verbesserten Trans­ fereffizienz der eingesetzten öffentlichen Mittel geführt, sie haben jedoch keine Verringerung der Agrarausgaben auf EUEbene zur Folge gehabt. Als ein wichtiger Schritt zur Vermeidung eines weiteren starken Anstiegs des Agrarbudgets durch die Osterweiterung wurde von den EURegierungschefs auf dem Europäischen Rat in Brüssel im Oktober 2002 eine Be­ grenzung des Ausgabenvolumens für Di­ rektzahlungen und Marktmaßnahmen (1. Säule der GAP) bis 2013 auf dem für 2006 vorgesehenen Stand zuzüglich einer jährlichen Steigerung um 1 % beschlossen. Mittelfristig ist darüber hinaus aber eine substanzielle Rückführung der Ausgaben der 1. Säule notwendig, insbesondere Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 53 durch ein „phasing out“ der produktions­ entkoppelten Direktzahlungen. Auch im Bereich der ländlichen Entwicklung (2. Säule der GAP) müssen die Beihilfen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähig­ keit der Land- und Forstwirtschaft gemäß den von der Bundesregierung beschlosse­ nen Grundsätzen zur zukünftigen Sub­ ventionspolitik degressiv ausgestaltet werden. In ihrem Subventionsbericht 2005 wird die Bundesregierung die Ergebnisse im Detail darlegen. Dabei wird ersichtlich, dass die Bundesregierung den Subven­ tionsabbau auch mittel- und langfristig weiter vorantreiben wird. 3.3.4 Soziale Sicherungssysteme demographiefest gestalten Durch niedrigeres Wachstum und das sich stetig verschlechternde Verhältnis zwischen arbeitender Bevölkerung und Rentnern ergibt sich in Zukunft ein zu­ nehmendes Missverhältnis zwischen Aus­ gaben- und Einnahmeentwicklung in den umlagefinanzierten Systemen der sozia­ len Sicherung im Alter. Die Bundesregie­ rung hat daher Reformen auf den Weg ge­ bracht, um die sozialen Sicherungssys­ teme im Hinblick auf den Alterungspro­ zess der Bevölkerung auf eine zukunftsfä­ hige, finanziell solide Basis zu stellen. An­ sonsten würden entweder die Beitrags­ sätze auf ein inakzeptabel hohes Niveau steigen oder die Leistungen auf ein nicht hinnehmbares Niveau sinken. Rentenversicherung Deutschland hat bereits mit der Rentenre­ form 2001 entscheidende Weichen zur Anpassung der Alterssicherung an die de­ mographische Entwicklung gestellt. Zum einen wurde die umlagefinanzierte ge­ setzliche Rentenversicherung an die Er­ fordernisse der alternden Gesellschaft an­ gepasst (modifizierte Rentenanpassung – Dämpfung des Rentenanstiegs). Zum an­ deren – und dies war das grundlegende neue Element der Reform – wurde der freiwillige Aufbau einer ergänzenden ka­ pitalgedeckten Altersvorsorge („RiesterRente“) durch eine steuerliche Förderung unterstützt. Mitte 2004 wurde das „Rentenversi­ cherungs-Nachhaltigkeitsgesetz“ verab­ schiedet. Wichtigste Neuregelung ist die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors zum 1. Juli 2005, der die Veränderung des Verhältnisses von Rentenbeziehern zu Beitragszahlern berücksichtigt. Mit ihm wird bei sinkender Zahl der Beitragszah­ ler im Verhältnis zu den Rentenbeziehern der Beitragssatz durch eine gedämpfte Rentenanpassung stabilisiert. Damit ha­ ben sich die langfristigen Finanzierungs­ grundlagen der Gesetzlichen Rentenversi­ cherung erheblich verbessert. Auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen insgesamt wirkt sich das deutlich positiv aus (s. auch Abschnitt 2.3.3). Zugleich soll die gesetzliche Rente bezahlbar bleiben und eine stärkere Belastung des Faktors Arbeit durch die Beiträge vermieden wer­ den. Ziel ist es, den Beitragssatz bis zum Jahr 2020 nicht über 20 Prozent bezie­ hungsweise bis 2030 nicht über 22 Pro­ zent steigen zu lassen. Die Maßnahmen in der Gesetzlichen Rentenversicherung füh­ ren zu einer Verstetigung der Beitrags­ satzentwicklung. Ohne die getroffenen Maßnahmen hätte der Beitragssatz im Jahr 2004 um einen Beitragssatzpunkt und im Jahr 2005 um 0,6 Beitragssatz­ punkte über dem tatsächlichen Satz gele­ gen. Nach Rechnungen der Bundesregie- Die Bundesregierung hat Re­ formen durchgeführt, um die sozialen Sicherungssys­ teme im Hinblick auf den Al­ terungsprozess der Bevölke­ rung auf eine zukunftsfä­ hige, finanziell solide Basis zu stellen. Seite 54 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik rung wird der Beitragssatz der Gesetz­ lichen Rentenversicherung durch die Re­ formmaßnahmen bis zum Jahr 2030 um 2,3 Beitragssatzpunkte entlastet. Mit der schrittweisen Anhebung der Al­ tersgrenzen wurden in Deutschland bereits seit 1997 in erheblichem Maße Anreize zu vorzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbs­ leben abgebaut. Zuletzt wurden im Ren­ tenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz die Altersgrenzen für die vorzeitige Alters­ rente wegen Arbeitslosigkeit und nach Al­ tersteilzeitarbeit von 60 auf 63 Jahre zwi­ schen 2006 und 2008 in Monatsschritten angehoben. Positive Ergebnisse dieser Be­ mühungen zeigen sich schon derzeit am durchschnittlichen Renteneintrittsalter, obwohl die Übergangsphase der Anhe­ bung der Altersgrenzen noch nicht abge­ schlossen ist. Das durchschnittliche Ren­ teneintrittsalter bei der Altersrente ist von 1998 bis 2003 von 62,2 auf 62,9 Jahre gestie­ gen und liegt damit nur noch gut zwei Jahre unter der Regelaltersgrenze von 65 Jahren. Die Ursache für den Anstieg des durchschnittlichen Eintrittsalters bei Al­ tersrenten dürfte in erster Linie in der sich zunehmend bemerkbar machenden Ein­ führung der Abschläge bei vorzeitigem Rentenbezug liegen. Ab 2006 wird es – ab­ gesehen von besonderen Vertrauens­ schutzregelungen – überhaupt nicht mehr möglich sein, im Alter von 60 Jahren wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit in Rente zu gehen. Mit dem Rentenversicherungs-Nach­ haltigkeitsgesetz hat sich die Bundesregie­ rung verpflichtet, ab dem Jahr 2008 alle vier Jahre zu prüfen, ob die derzeitigen Er­ kenntnisse und Annahmen über die künf­ tige demographische Entwicklung und die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auch auf der Grundlage dann vorliegender neurer wirtschaftlicher und demographi­ scher Erkenntnisse Bestand haben und ob es gegebenenfalls erforderlich ist, gesetz­ geberische Schritte für eine Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 Jahren einzulei­ ten. Auch eine solche Maßnahme wäre ge­ eignet, die Tragfähigkeitslücke weiter zu verkleinern (s. Abschnitt 2.3.3). Beamtenversorgung Die Altersversorgungssysteme des öffent­ lichen Dienstes sind ebenso wie die gesetz­ liche Rentenversicherung von den Auswir­ kungen des demographischen Wandels in unserer Gesellschaft tief greifend betrof­ fen. Zusätzlich wird die Altersversorgung des öffentlichen Dienstes durch die perso­ nelle Ausweitung seit den 1960er und 1970er Jahren belastet, die damals eine Folge der gestiegenen gesellschaftlichen Anforderungen (insbesondere Schulen, Hochschulen, Innere Sicherheit) war und in den kommenden Jahren zu einer stark an­ steigenden Zahl von Versorgungsempfän­ gern führen wird. Seit 1992 sind Maßnahmen der gesetz­ lichen Rentenversicherung stets wirkungs­ gleich auf die Beamtenversorgung übertra­ gen worden. Mit dem Versorgungsreform­ gesetz 1998 ist die Bildung von Versor­ gungsrücklagen bei Bund und Ländern vorgeschrieben worden, die im Wege ver­ minderter Bezügeanpassungen von Beam­ ten sowie den Versorgungsempfängern aufgebracht werden. Damit haben Ele­ mente der Kapitaldeckung Eingang in die Beamtenversorgung gefunden. Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 55 Nach aktuellen Vorausberechnungen werden die Versorgungsausgaben auch unter Berücksichtigung der Maßnahmen des Versorgungsänderungsgesetzes 2001 in den kommenden Jahrzehnten weiter deutlich ansteigen und einen wachsenden Teil der gesamtwirtschaftlichen Leistung und der Steuereinnahmen in Anspruch nehmen. Das bisherige Versorgungsniveau wäre längerfristig ohne Steuererhöhungen oder erhebliche Umschichtungen inner­ halb der öffentlichen Haushalte zugunsten der Altersversorgung nicht aufrechtzuer­ halten. Die künftigen Finanzierungsprobleme können durch eine Dämpfung des Anstiegs der Versorgungsbezüge besser gelöst wer­ den. Derzeit bereitet die Bundesregierung eine dem Rentenversicherungsnachhaltig­ keitsgesetz 2004 entsprechende nachhal­ tigkeitsorientierte Reform der Beamten-, Richter- und Soldatenversorgung vor. Dar­ über hinaus sollen durch eine entspre­ chende gesetzliche Regelung für neu beru­ fene Beamte des Bundes künftig Versor­ gungsrückstellungen gebildet und einem Versorgungsfonds zugeführt werden. Die Bundesregierung folgt damit dem Land Rheinland-Pfalz, das diese Lösung seit 1996 erfolgreich praktiziert. Weitere Länder er­ wägen diesen Weg zur nachhaltigen Fi­ nanzierung der Beamtenversorgung. Alterseinkünftegesetz Mit dem Alterseinkünftegesetz, das zu Be­ ginn dieses Jahres in Kraft trat, ist schließ­ lich ein langfristiger Übergang zu einer nachgelagerten Besteuerung der Altersein­ künfte eingeleitet worden. Das Gesetz ge­ staltet schrittweise die steuerliche Behand­ lung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkünften bis 2040 verfassungs­ konform und transparent um. Dadurch werden die finanziellen Spielräume zur pri­ vaten Altersvorsorge vergrößert. Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Ersparnis der privaten Haushalte sind nicht eindeutig. Einige Untersuchungen gehen von einem Rück­ gang der Sparquote mit steigendem Durchschnittsalter aus, da Rentnerinnen und Rentner gemäß der sog. Lebenszyklus­ hypothese nach Beendigung des Erwerbs­ lebens eher entsparen. In der Praxis lässt sich aber beobachten, dass auch ältere Menschen weiter sparen, wenn auch in ge­ ringerem Umfang als in früheren Jahren. Ob die gesamtwirtschaftliche Ersparnis in Zukunft eher sinkt oder steigt, ist somit nicht eindeutig zu prognostizieren. Ferner ist zu bedenken, dass aufgrund der interna­ tionalen Kapitalmobilität auch ausländi­ sches Kapital in Form von Portfolio- und Di­ rektinvestitionen nach Deutschland flie­ ßen kann. Dies hängt natürlich maßgeblich von der Standortqualität und den gebote­ nen Renditemöglichkeiten im Vergleich zu anderen Anlagealternativen ab. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit solchen und ähnlichen Kapitalmarktfragen würde – wegen des notwendiger­ weise internationalen Bezugs – den Rah­ men dieses Berichts sprengen. Die Bundesregierung befasst sich in verschie­ denen internationalen Gremien, u.a. der OECD und den G 10, gemeinsam mit ihren ebenfalls von der Gesamtproblematik be­ troffenen Partnerstaaten, intensiv mit die­ sen Fragestellungen und ihren möglichen Auswirkungen auf die nationale Lage. Die Gesetzliche Rentenversicherung ist mit über 50 Millionen Versicherten die wichtigste Säule der Altersvorsorge in Deutschland. Die betriebliche und die pri­ Seite 56 Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik vate kapitalgedeckte Altersvorsorge bil­ den die zweite und dritte Säule der Alters­ sicherung. Diese ergänzenden Säulen werden immer wichtiger, um den Lebens­ standard auch im Alter aufrechtzuerhal­ ten. Private und betriebliche Zusatzvor­ sorge sind freiwillig und werden teilweise staatlich gefördert. Mit der Einführung der staatlich geför­ derten kapitalgedeckten Altersvorsorge („Riester-Rente“) wurde vor drei Jahren eine positive Entwicklung bei der zusätz­ lichen Altersvorsorge in Gang gesetzt. Im März 2003 besaßen bereits mehr als 15 Millionen Beschäftigte und damit ca. 57 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten Anwartschaften auf eine Betriebsrente. Daneben wurden bis Ende 2004 rund 4,2 Millionen private RiesterRenten abgeschlossen. Gleichwohl ist si­ cherlich noch eine deutliche Ausweitung des Umfangs der kapitalgedeckten Altersvorsorge in Deutschland erforderlich, um einen größeren Kapitalstock aufzubauen. Hier müssen Staat und Wirtschaft zu einer intensiveren Aufklärung der Bevölkerung über die Bedeutung zusätzlicher Altersvorsorge beitragen. Neuere Zahlen zur Entwicklung der privaten und betrieb­ lichen kapitalgedeckten Altersvorsorge werden im Rahmen des für Herbst 2005 vorgesehenen Alterssicherungsberichtes vorliegen. Auf seiner Basis soll über wei­ tere, gegebenenfalls auch gesetzgeberi­ sche Maßnahmen entschieden werden. Kranken- und Pflegeversicherung Aussagen zur Ausgabenentwicklung in der GKV sind vor allem aufgrund des me­ dizinisch-technischen Fortschritts und der demographisch bedingten Veränderun­ gen mit noch größeren Unsicherheiten behaftet als bei der Rentenversicherung, da entsprechende Modellrechnungen stark variieren in Abhängigkeit von der angenommenen wirtschaftlichen, sozialund gesundheitspolitischen Entwicklung sowie der des medizinisch-technischen Fortschritts. Mögliche Rückkopplungsef­ fekte für Wachstum und Beschäftigung werden in den Modellrechnungen weder auf der Einnahmen- noch auf der Ausga­ benseite berücksichtigt. Ganz allgemein lässt sich beobachten, dass die Ausgaben für Gesundheit und Pflege mit zunehmendem Lebensalter im Schnitt der Bevölkerung erst allmählich, dann aber rasch und drastisch ansteigen. Eine Verlängerung der in guter Gesund­ heit verbrachten Lebenszeit, etwa durch Erfolge bei verstärkter Prävention und Ge­ sundheitsförderung, kann dagegen ten­ denziell zu einer Verringerung der Belas­ tung der öffentlichen Haushalte beitra­ gen. Inwieweit eine steigende Lebenserwar­ tung die Ausgaben insgesamt ansteigen lässt, hängt davon ab, ob man eher der „Medikalisierungsthese“ (steigende Kos­ ten mit steigender Lebenserwartung) oder der „Kompressionsthese“ (lediglich Verschiebung der Kosten ins höhere Al­ ter) zuneigt. Bisher scheinen trotz ausga­ bendämpfender Effekte der aktuellen Re­ formen die Ausgabensteigerungen im Zu­ sammenhang mit der Medikalisierungs­ these zu überwiegen. Mit einer auch zu­ künftig steigenden Lebenserwartung kön­ nen weitere Ausgabensteigerungen da­ her nicht ausgeschlossen werden. In der Gesundheitspolitik haben die jüngsten Reformmaßnahmen dazu ge­ führt, dass die Finanzlage der gesetz­ lichen Krankenkassen konsolidiert wer­ den. Das Gesetz zur Modernisierung der Handlungsnotwendigkeiten zur Sicherung einer tragfähigen Finanzpolitik Seite 57 Gesetzlichen Krankenversicherung, seit Januar 2004 in Kraft, dient der Verbesse­ rung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Gesundheitsversorgung und ist in sei­ ner finanziellen Zielsetzung von vornher­ ein mittelfristig angelegt. Die gemeinsam von Regierung und Opposition getragene Reform enthält u. a. strukturelle Maßnah­ men zur Stärkung des Wettbewerbs und der Eigenverantwortung der Versicherten sowie Neuregelungen der Finanzierung. Ziel ist u.a. auch, die Lohnnebenkosten zu begrenzen und damit mehr Beschäfti­ gung zu ermöglichen. Zugleich ist klar, dass weitere Reformen zur Verbesserung der Effizienz der Finanzgrundlagen, aber vor allem auch der Leistungserbringung erforderlich sind. Eine zukünftige Reform des Gesundheitssystems muss Finanzie­ rungs- und Steuerungsmechanismen ent­ wickeln, die den Anforderungen der Nachhaltigkeit gerecht werden, die Belas­ tung des Faktors Arbeit reduzieren und größere Verteilungsgerechtigkeit bewir­ ken. Die Bundesregierung wird daher die Umsetzung und die Auswirkungen der jüngsten Maßnahmen zur Stärkung neuer Strukturen und des Wettbewerbs beob­ achten und darauf aufbauend in der nächsten Legislaturperiode weitere Re­ formschritte einleiten. Dies ist umso wich­ tiger, als die mittel- und langfristige Aus­ gabenentwicklung im Bereich der Kran­ ken- und Pflegeversicherung äußerst schwer vorhersehbar ist. In der Sozialen Pflegeversicherung gilt seit Beginn dieses Jahres für kinder­ lose Mitglieder ein Beitragszuschlag von 0,25 Beitragssatzpunkten. Damit wird Kindererziehung auch in dieser Versiche­ rung berücksichtigt. Darüber hinaus ist sich die Bundesregierung des grundsätz­ lichen Handlungsbedarfs in der sozialen Pflegeversicherung bewusst. Zentrale Punkte sind insbesondere die Stärkung der häuslichen Pflege, eine bessere Be­ rücksichtigung des besonderen Hilfebe­ darfs demenziell erkrankter Menschen, eine Dynamisierung der Leistungen sowie eine Vernetzung der Hilfeangebote. Um auch langfristig die Funktion der Pflege­ versicherung als eine stabile Säule der so­ zialen Sicherung zu gewährleisten, sind insbesondere angesichts des demographi­ schen Wandels in den kommenden Jah­ ren weitere erhebliche Reformanstren­ gungen erforderlich. Die Bundesregie­ rung wird deshalb eine gesamtgesell­ schaftliche Diskussion in Gang setzen und zügig zu einem Ergebnis bringen, um ein Konzept zur Weiterentwicklung der Pfle­ geversicherung zu erhalten, das von mög­ lichst breiter Akzeptanz getragen wird. Seite 58 Fazit IV. Fazit Die Sicherstellung der lang­ fristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ist eine der wichtigsten Aufga­ ben, wenn es um die Wah­ rung der Generationenge­ rechtigkeit geht. Der Bericht kann keine einfachen und pla­ kativen Antworten auf die Frage nach der Sicherung langfristig tragfähiger Finan­ zen in einer alternden Gesellschaft liefern. Er vermag aber mögliche Entwicklungen, die Konsequenzen bereits erfolgter Refor­ men sowie weiteren Reformbedarf aufzu­ zeigen. Der Bericht macht deutlich, dass die Bundesregierung dem kurz- und mittel­ fristig bestehenden Handlungsbedarf durch die Reformen der Agenda 2010 Rechnung trägt. Mit den jüngst ergriffe­ nen Maßnahmen ist sie in der Lage, mit der notwendigen Flexibilität auf unter­ schiedliche Entwicklungen zu reagieren. So wurde beispielsweise mit dem Nach­ haltigkeitsfaktor in der Rentenversiche­ rung eine solche Reagibilität bereits auto­ matisch eingebaut. Aber auch die Neure­ gelungen des „GKV-Modernisierungsge­ setzes“ haben die Tragfähigkeit bereits in nennenswertem Umfang verbessert. Der Bericht zeigt aber auch, dass weiterhin Handlungsbedarf besteht. Ne­ ben Reformen der sozialen Sicherungssys­ teme ist die wirksame Entfaltung künfti­ ger Wachstums- und Beschäftigungsmög­ lichkeiten mindestens ebenso wichtig. Letztlich liefern Wirtschaftswachstum und Beschäftigung den wesentlichen Bei­ trag zu Stabilisierung der öffentlichen Haushalte. Die Modellrechnungen zei­ gen, dass die Arbeitsmarktentwicklung ei­ nen ganz erheblichen Einfluss auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen hat. Er gilt daher, die Nutzung derzeit noch brachliegender Ressourcen über eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung zu aktivieren und einen zügigen Abbau der Arbeitslosigkeit voranzutreiben. Mit den Reformen am Arbeitsmarkt, aber auch mit der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat die Bundesregie­ rung bereits wichtige Schritte auf diesem Gebiet eingeleitet. Weitere Maßnahmen werden angegangen. Fest steht aber auch: Deutschland braucht im individuellen wie im gesell­ schaftlichen Interesse eine Trendumkehr bei den Geburtenraten. Die Entscheidung für ein Leben mit Kindern muss erleich­ tert werden. Hierzu brauchen wir eine fa­ milienorientierte Politik und eine kinder­ freundliche Gesellschaft. Zu all dem können Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihren Beitrag leisten. Die Entscheidung für Kinder ist und bleibt eine persönliche und private Entschei­ dung. Diese Entscheidungen sind jedoch für die Allgemeinheit von größter Bedeu­ tung. Die Verbesserung der Situation der Familien ist deshalb eine vordringliche gesellschaftliche Aufgabe. Die Belange von Familien müssen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Deutsch­ land muss zu einem kinder- und familien­ freundlichen Land werden. Die Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ist für die Bundesregierung eine der wich­ tigsten Aufgaben der nächsten Jahre. Zur Fazit Seite 59 Bewältigung der demographischen Her­ ausforderungen setzt die Bundsregierung dabei auf eine Bündelung von Maßnah­ men in unterschiedlichen Politikberei­ chen. Einerseits kommt es dabei darauf an, die sozialen Sicherungssysteme über strukturelle Reformen und eine konse­ quente Politik zur nachhaltigen Stärkung von Wachstum und Beschäftigung „de­ mographiefest“ zu machen. Andererseits gilt es, die demographische Entwicklung selbst über einen grundlegenden Wandel in den gesellschaftlichen Einstellungen zu Familie und Kindern, über eine familien­ freundliche Wirtschafts- und Arbeitswelt sowie über moderne Zuwanderungsrege­ lungen zu verändern. Langfristsimulationen unterstellen in ihren Status-quo-Szenarien eine unverän­ derte Fortgeltung der heutigen gesetz­ lichen Rahmenbedingungen. Daraus folgt, dass weitere Reformen, die wir in den nächsten Jahren angehen, sowie kon­ tinuierliche Verhaltensänderungen über 50 Jahre eine ernorme „Hebelwirkung“ im Sinne einer positiven Ergebniskorrektur entfalten können, und das erst recht, wenn es zu einer Bündelung von Maßnah­ men in unterschiedlichen Politikberei­ chen kommt. Dies zeigen auch die Berech­ nungen des ifo-Instituts. Einzelne Maß­ nahmen sind für sich allein genommen nicht ausreichend, bei einer Kombination unterschiedlicher Entwicklungen und Maßnahmen – wie aus den Sensitivitäts­ analysen und Politiksimulationen ersicht­ lich – kumulieren sich jedoch die Effekte und eine langfristig tragfähige Haushalts­ situation ist erreichbar. Für eine fatalistische Haltung gibt es also keinen Anlass. Die Sicherstellung der langfristigen Tragfähigkeit der öffent­ lichen Finanzen ist für die Bundesregie­ rung eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre. Entscheidend ist, dass alle Reformanstrengungen Hand in Hand gehen. Durch eine gezielte Zusammenarbeit aller Politikbereiche können die Herausforderungen des demografischen Wandels bewältigt werden. Seite 60 Abbildungsverzeichnis/Tabellenverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Entwicklung des Bevölkerungsanteils im Kindes- und Jugendalter (bis unter 20 Jahre) bzw. im Seniorenalter (65 und älter) in Deutschland von 1871 bis 2050 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bevölkerungsentwicklung in Deutschland 1990 bis 2050 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Altersaufbau der Bevölkerung in den Jahren 1910, 1950, 1975, 2000, 2025 und 2050 (in %) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Altenquotienten in der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der von ifo projizierten, demographieabhängigen Ausgaben und Einnahmen 1998–2050 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Sozialbeiträge 1998–2050 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung des Schuldenstandes 1998–2050 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschäftigungsquoten in der EU-15 (2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Einkommen- und Körperschaftsteuersätze 1998–2005 . . . . . . . . . . . Entwicklung der Zahl der Erwerbspersonen nach Altersklassen in Deutschland 2000–2050 in Mio. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jahresdurchschnittliche Entwicklung der Ausgaben 2003–2008 in % . . . . . . . . . . . . . . Ausgabenstruktur im Bundeshaushalt 1964, 1984 und 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes 1998 bis 2008 in Mrd. Euro . . . . . . . . . . . . . . Seite 10 Seite 11 Seite 13 Seite 14 Seite 15 Seite 25 Seite 26 Seite 27 Seite 37 Seite 39 Seite 42 Seite 46 Seite 48 Seite 51 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Entwicklung des Altenquotienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annahmen für die Modellrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der demographieabhängigen Ausgaben (in % des BIP) . . . . . . . . . . . . . . . Die Höhe der Tragfähigkeitslücken in % des BIP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangsvariante und Sensitivitätsanalysen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tragfähigkeitslücken bei alternativer Entwicklung der Gesundheitskosten . . . . . . . . Ausgangsvariante und Politiksimulationen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12 Seite 22 Seite 24 Seite 28 Seite 30 Seite 31 Seite 32 Impressum Seite 61 Herausgeber: Bundesministerium der Finanzen Referat Information und Publikation Wilhelmstraße 97 10117 Berlin www.bundesfinanzministerium.de Redaktion: Grundsatzabteilung Satz und Gestaltung: KIWI GmbH, Osnabrück Berlin, Juni 2005 Seite 62 Notizen Notizen Seite 63 Seite 64 Notizen Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums der Finanzen heraus­ gegeben. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung ver­ wendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags- und Kommunalwahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Auf­ drucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Wei­ tergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in wel­ cher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugesagt ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Bundesregierung zugunsten einzelner poli­ tischer Gruppen verstanden werden könnte.

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