Digitale Landesbibliothek Berlin Logo Full screen
  • Facebook Icon
  • Twitter Icon

Verfassungsschutzbericht (Rights reserved) Issue2021 (Rights reserved)

Access restriction

There is no access restriction for this record.

Copyright

No licence for use has been granted - all rights reserved.

Bibliographic data

fullscreen: Verfassungsschutzbericht (Rights reserved) Issue2021 (Rights reserved)

Access restriction

There is no access restriction for this record.

Copyright

No licence for use has been granted - all rights reserved.

Files

File
Description
Size
Format
Display
File
verfassungsschutzbericht-2021.pdf
Description
-
Size
4 MB
Format
PDF
Display

Unlock

Here you can send a request to obtain access to this file. You will receive an email confirming that we have successfully received your request.

The access to this file is restricted.

How many grams is a kilogram?:

I hereby confirm the use of my personal data within the context of the enquiry made.

Periodical

Title:
Verfassungsschutzbericht / Hrsg.: Senatsverwaltung für Inneres, Abteilung Verfassungsschutz, Berlin
Other titles:
Verfassungsschutzbericht Berlin
Verfassungsschutz Berlin
Other:
Berlin. Senatsverwaltung für Inneres
Publication:
Berlin, 2004 -
Scope:
Online-Ressource
Dates of Publication:
Nachgewiesen 2003(2004) -
ZDB-ID:
2454232-5 ZDB
Berlin:
B 767 Staat. Politik. Verwaltung: Senatsbehörden. Magistratsbehörden. Landesbehörden
Urban Studies:
Kws 730 Kommunale Sicherheit: Allgemeines
DDC Group:
350 Öffentliche Verwaltung
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
State,Politics,Administration,Law
Public administration,politics
Senate departments

Volume

Publication:
2022
Language:
German
Berlin:
B 767 Staat. Politik. Verwaltung: Senatsbehörden. Magistratsbehörden. Landesbehörden
Urban Studies:
Kws 730 Kommunale Sicherheit: Allgemeines
DDC Group:
350 Öffentliche Verwaltung
URN:
urn:nbn:de:kobv:109-1-15467594
Location:
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Copyright:
Rights reserved
Accessibility:
Free Access
Collection:
Public administration,politics
Senate departments
State,Politics,Administration,Law

Contents

Table of contents

  • Verfassungsschutzbericht (Rights reserved)
  • Issue2022 (Rights reserved)
  • Issue2021 (Rights reserved)
  • Issue2020 (Rights reserved)
  • Issue2019 (Rights reserved)
  • Issue2018 (Rights reserved)
  • Issue2017 (Rights reserved)
  • Issue2016 (Rights reserved)
  • Issue2016 Pressefassung (Rights reserved)
  • Issue2015 (Rights reserved)
  • Issue2014 (Rights reserved)
  • Issue2013 (Rights reserved)
  • Issue2012(2013) (Rights reserved)
  • Issue2011(2012) (Rights reserved)
  • Issue2010 (Rights reserved)
  • Issue2009 (Rights reserved)
  • Issue2008 (Rights reserved)
  • Issue2007 (Rights reserved)
  • Issue2006 (Rights reserved)
  • Issue2005 (Rights reserved)
  • Issue2004 (Rights reserved)
  • Issue2003 (Rights reserved)

Full text

VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN Bericht 2021 1 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon: 030 90129-440 Fax: 030 90129-844 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de Vertrauliches Telefon: 030 20054507 Deutsch / Englisch 030 20054532 Türkisch 030 20054553 Arabisch Herausgeber: Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport Abteilung Verfassungsschutz Redaktionsschluss: Januar 2022 Gestaltung: incorporate berlin gmbH & co.kg Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis: Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Alle Datumsangaben ohne Nennung von Jahreszahlen beziehen sich auf das Berichtsjahr. 2 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 3 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IM GESPRÄCH Iris Spranger, Senatorin für Inneres, Digitalisierung und Sport: Nach über zwei Jahren mit der Pandemie beschäftigen die sogenannten Corona-Proteste Berlin nach wie vor. Der Berliner Verfassungsschutz hat früh darauf hingewiesen, dass wir es da nicht mit einem vorübergehenden Phänomen zu tun haben. Auf was müssen wir uns einstellen? Michael Fischer: Ja, hier ist ein Milieu entstanden, das sich gegenseitig befeuert und radikalisiert. Der Hass und die Hetze, die vor allem über Messenger-Dienste verbreitet werden, führen immer häufiger auch zu physischer Gewalt. Dieses Phänomen ist auch dadurch schnell zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit geworden. Michael Fischer, Leiter des Berliner Verfassungsschutzes: In der Tat ist mit diesen Protesten etwas sichtbar geworden, was sich schon länger in Teilen der Gesellschaft andeutete: ­nämlich eine tiefsitzende Demokratieskepsis, ja Demokratieverachtung. Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen haben das noch befeuert. Daher beobachten wir seit 2021 mit „Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ einen neuen Phänomenbereich. Iris Spranger: Auch die rechtsextremistische Szene hat sich immer wieder an Corona-Protesten beteiligt. Offenbar vergeblich, denn ihr Einfluss auf diese Proteste blieb in Berlin überschaubar. Iris Spranger: Was mir Sorgen macht, ist, dass Teile dieses Spektrums sich in den vergangenen Monaten sehr radikalisiert haben. In Chatgruppen werden Feindbilder markiert und es kursieren Widerstands- und Gewaltfantasien. Ob Bedrohungen, Beleidigungen und auch gewalttätige Übergriffe: Ganze Berufsgruppen, aber auch Menschen, die einfach auf die Einhaltung der Hygieneregeln hinweisen, können zum Opfer werden. 4 Michael Fischer: Da gebe ich Ihnen Recht. Dieser mangelnde Einfluss war auch ein wesentlicher Grund dafür, dass sich die rechtsextremistische Szene in Berlin im vergangenen Jahr verstärkt anderen Themen zugewandt hat. Sie hat vor allem versucht, mit rassistischen Kampagnen Stimmung gegen Geflüchtete zu machen. Iris Spranger: Klar ist: Berlin tritt jeder Form von Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit entschieden entgegen. Das gilt auch und in besonderem Maße für rechtsextremistische Vorfälle in den eigenen Sicherheitsbehörden. Denn die gab es leider auch, die besten Maßnahmen können das nicht gänzlich verhindern. Mit dem „11-Punkte-Plan“ haben wir seit 2020 einen klaren Handlungsrahmen, um mögliche extremistische Tendenzen in den Sicherheitsbehörden zu bekämpfen. Michael Fischer: Der Berliner Verfassungsschutz arbeitet hier eng mit der ­Berliner Polizei zusammen. Wir liefern Erkenntnisse zu und ­wirken bei der Bewertung extremistischer Verdachtsfälle mit. Das Thema „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ ­genießt hohe Priorität. Das gilt nicht nur für den Berliner ­Verfassungsschutz, sondern für den gesamten Verfassungsschutzverbund. Iris Spranger: Neben der rechtsextremistischen Szene und dem verfassungsfeindlichen Spektrum der Staatsdelegitimierer ist auch die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus unverändert hoch. Im Februar wurde eine islamistische Missionierungsvereinigung verboten, die auch mit der Terrororganisation Islamischer Staat sympathisiert. Michael Fischer: Wir haben die Vereinigung über einen längeren Zeitpunkt beobachtet und mussten feststellen, dass dort jihadistische Propaganda und antisemitische Hetze verbreitet wurden. Mit dem Verbot konnten wir verhindern, dass sich aus der Gruppe heraus in Berlin Terrorstrukturen entwickeln. Iris Spranger: Lassen Sie uns noch über die Entwicklungen im Bereich Linksextremismus sprechen. Diese waren weniger ­eindeutig: ­Während ein Teil der Szene verstärkt den Anschluss an ­gewaltfreie Initiativen und Bündnisse gesucht hat … Michael Fischer: … zeigte sich der radikale Kern der Autonomen Szene unverändert gewalttätig. Nach wie vor ist es vor allem der Kampf um sogenannte „Autonome Freiräume“, der die linksextremistische Szene antreibt. Für Autonome, wie insbesondere die Szene um die Rigaer94, bieten Räumungen einen willkommenen Anlass für Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. Iris Spranger: Zum Schluss müssen wir über das Thema Antisemitismus sprechen. Im Mai 2021 kam es zu massiven antisemitischen und israelfeindlichen Ausbrüchen – auch auf Berliner Straßen. Hinzu kommt der Antisemitismus, der von Rechtsextremisten befeuert wird. Auch in der Szene der Staatsdelegitimierer kursiert eine Vielzahl antisemitischer Verschwörungsnarrative. Antisemitismus und Verfassungsfeindlichkeit bleiben eng miteinander verbunden. Michael Fischer: Absolut. Im Islamismus und Rechtsextremismus sind antisemitische Narrative Kernbestand der jeweiligen Ideologie. Immer wieder speisen Verfassungsfeinde antisemitische und israelfeindliche Stereotype in politische und gesellschaftliche Diskurse ein. Es ist unser Auftrag, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen. Iris Spranger: Der Verfassungsschutzbericht zeigt das aus meiner Sicht sehr gut. Er macht auch deutlich, dass der Berliner Verfassungsschutz ein wichtiger Bestandteil der Berliner Sicherheitsarchitektur ist. Um Extremismus in unserer Stadt wirksam zu bekämpfen, brauchen wir einen starken Verfassungsschutz. 5 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 INHALT I Der Verfassungsschutz in Berlin Der Verfassungsschutz in Berlin 6 II Aktuelle Entwicklungen 10 1 Sonderthema: Journalistinnen und Journalisten im Fokus von Verfassungsfeinden  15 2 Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 25 3 Rechtsextremismus 33 4 Reichsbürger und Selbstverwalter 45 5 Islamismus 51 6 Auslandsbezogener Extremismus 63 7 Linksextremismus 71 8 Spionageabwehr und ­Wirtschaftsschutz  81 9 Scientology Organisation 89 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 III Hintergrund Verfassungsschutz Berlin 96 Geheimschutz 100 Ideologien verfassungsfeindlicher Bestrebungen 102 Tabellarische Übersicht der Personenpotenziale 106 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 110 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 114 Endnoten 126 Personen- und Sachregister  128 Bildnachweise 131 Publikationsübersicht 132 7 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 8 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 I DER VERFASSUNGSSCHUTZ IN BERLIN 9 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 DER VERFASSUNGSSCHUTZ IN BERLIN Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden in Berlin durch die Abteilung II der Senatsverwaltung für Inneres, ­Digitalisierung und Sport wahrgenommen. Für die Aufgaben des Berliner Verfassungsschutzes standen 2021 Haushaltsmittel in Höhe von 18,45 Mio. Euro und 265,57 Stellen zur Verfügung. Aufgabenstellung, Arbeitsweise, Befugnisse und Kontrollverfahren des Berliner Verfassungsschutzes sind gesetzlich festgelegt – im Grundgesetz (GG), im Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln), dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10) und dem Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG). Gesetzlicher Auftrag des Berliner Verfassungsschutzes ist es, „den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über ­Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu unterrichten“. Solche Gefahren bestehen insbesondere dann, wenn Gruppierungen oder gewaltbereite Einzelpersonen zentrale Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angreifen und beseitigen wollen. Zu diesen Grundpfeilern unserer Demokratie gehören im ­Wesentlichen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Der Verfassungsschutz erhält einen großen Anteil seiner Information aus offen zugänglichen Quellen. Darüber hinaus räumt das Gesetz dem Verfassungsschutz in begründeten Fällen die Möglichkeit ein, Informationen mit nachrichtendienstlichen 10 Mitteln zu gewinnen. Zu diesen nachrichtendienstlichen Mitteln zählen die Observation, die verdeckte Bild- und Tonaufzeichnung, der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und – unter engen Voraussetzungen – die Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs. Die Arbeit des Berliner Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle auf unterschiedlichen Ebenen. Zu diesen Kontrollinstanzen zählen u. a. der Ausschuss für Verfassungsschutz und die G10-Kommission des Abgeordnetenhauses von Berlin, die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte, die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, der Rechnungshof von Berlin sowie eine eigenständige, beim Innenstaatssekretär angesiedelte Kontrolleinheit. KONTROLLINSTANZEN Ausschuss des Abgeordnetenhauses Ausschuss für Verfassungsschutz, Vertrauenspersonen Kontrolle Verfassungsschutz Arbeitsgruppe der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport G10-Kommission Kontrolle von Eingriffen in das Post- und Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG Kontrolle des Abgeordnetenhauses Debatten, Aktuelle Stunden, Parlamentarische Anfragen, Petitionen, Untersuchungsausschuss Gerichtliche Kontrolle u. a. durch Verwaltungs- und Verfassungsgerichte Öffentliche Kontrolle durch Bürger und Medien Datenschutz Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Rechnungshof von Berlin Referat II A Grundsatz Recht Datenschutz Verwaltung IT Referat II F W Linksextremismus Referat II B z chut ftss hutz a c h sc ims irt ehe G Rechtsextremismus Geheimschutz Abteilung II Stab Verfassungsschutz Abteilungsleiter/in Referat II C Referat II E b Sta Beschaffung Salafistische und Islamistisch-terroristische Bestrebungen Referat II D Spionageabwehr Islamismus Auslandsbezogener Extremismus Struktur und Kontrolle 11 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 12 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 II AKTUELLE ENTWICKLUNGEN 13 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 14 1 SONDERTHEMA: JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN IM FOKUS VON VERFASSUNGSFEINDEN Zentrale Aussagen 16 Einleitung 17 Medienfeindlichkeit und Rechtsextremismus 19 Medienfeindlichkeit und Islamismus 21 Medienfeindlichkeit und Linksextremismus 22 Fazit 23 15 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ZENTRALE AUSSAGEN 2021 wurden in Deutschland so viele Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten dokumentiert wie nie zuvor. Diese Entwicklung ist auch Ausdruck des von Verfassungsfeinden propagierten Feindbildes der sogenannten „Lügenpresse“. Vor allem von der rechtsextremistischen Szene werden ­Medienschaffende als Feindbilder definiert. Sie werden ­bedroht, tätlich angegriffen und sollen zum Schweigen ­gebracht werden. Mit über sogenannte „Alternative Medien“ verbreiteten Falschmeldungen greifen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten zudem gezielt die Reputation ­etablierter Medien an. Auch in den islamistischen Ideologien ist das „Feindbild ­Medien“ verankert. In die Ablehnung etablierter Medien mischen sich auch dezidierte Gewaltaufrufe gegen Journalistinnen und Journalisten. Medienschaffende stehen auch im Fokus der gewaltbereiten linksextremistischen Szene. Vor allem Journalistinnen und Journalisten, die über linksextremistische Aktivitäten berichten oder deren Ansichten nicht in das Weltbild der Szene passen, werden attackiert. 1 Journalistinnen und Journalisten im Fokus von Verfassungsfeinden 16 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 EINLEITUNG 2021 war ein Jahr, in dem in Deutschland so viele Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten dokumentiert wurden, wie nie zuvor.1 In sozialen Netzwerken und über Messenger-­ Dienste als Feindbilder markiert, wurden Medienschaffende bei der Ausübung ihres Berufs immer häufiger auch physisch angegriffen. Im April musste eine Fernsehübertragung vor dem Bundeskanzleramt unterbrochen werden, nachdem mehrere Männer eine Liveübertragung zum „Impfgipfel“ massiv gestört hatten. Im August wurde der Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) am Rande einer nicht genehmigten Demonstration, die sich gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richtete, in Kreuzberg Opfer einer gefährlichen Körperverletzung. Mehrere Personen hatten ihn von seinem Fahrrad gestürzt, zu Boden geschlagen und auf ihn eingetreten. Im Dezember wurde ein Reporter, der über verbotene Corona-Proteste berichten wollte, von mehreren Teilnehmenden dieser Veranstaltung körperlich attackiert, nachdem ihm zuvor sein Handy entrissen worden war. Das sind nur einige Beispiele dafür, welches Ausmaß Hass und Hetze gegen Medienschaffende angenommen haben und welche Folgen dies hat. Es ist dabei kein Zufall, dass es gerade und immer wieder sogenannte Corona-Proteste waren, in deren Umfeld Journalistinnen und Journalisten angegriffen wurden. Innerhalb dieser Proteste hat sich eine neue verfassungsfeindliche Szene entwickelt, deren Ziel es ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu delegitimieren und zu destabilisieren. Die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten sind auch ­Ausdruck der Verachtung, die dieses Spektrum der Presseund Meinungsfreiheit und damit zentralen Prinzipien unserer Verfassung entgegenbringt. Darin unterscheidet sich dieses neue verfassungsfeindliche Phänomen nicht von anderen extremistischen Ideologien. Journalistinnen und Journalisten standen schon immer im Fokus von Verfassungsfeinden. Investigativer Journalismus, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt sind allen extremistischen Ideologien fremd. Lange Zeit ging es Verfassungsfeinden dabei vor allem darum, Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen, die öffentlich über meist im Verborgenen stattfindende Aktivitäten von politischen Extremisten berichteten. Seit einiger Zeit geht es Verfassungsfeinden jedoch um mehr. Es werden nicht mehr nur ausgewählte Journalistinnen und Journalisten attackiert, sondern die Presse in Gänze. Die Popularisierung des Wortes „Lügenpresse“ steht beispielhaft für diese Entwicklung. Rechtsextremisten verwendeten diese abwertende Bezeichnung ab den 2000er Jahren immer häufiger, um ihre Verachtung gegenüber freien Medien und Journalisten auszudrücken und dieses Feindbild in die Öffentlichkeit zu transportieren. Spätestens mit den flüchtlingsfeindlichen Protesten ab 2015 gelang es der Szene, den Begriff „Lügenpresse“ auch in politischen und gesellschaftlichen Debatten jenseits extremistischer Kreise zu verankern. 17 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Hinter der Bezeichnung „Lügenpresse“ verbergen sich die Behauptungen, etablierte Medien berichteten nur selektiv, würden bestimmte Entwicklungen verschweigen und nur einseitige Meinungen publizieren. Mit diesen anhaltenden Attacken auf die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten soll das Vertrauen der Bevölkerung in etablierte Medien gezielt untergraben werden. Parallel dazu hat sich die Informations- und Medienlandschaft im Zuge der digitalen Transformation in den letzten Jahren fundamental verändert. Über soziale Medien kann jede und jeder zu einem potenziellen Nachrichtenproduzenten werden. Verfassungsfeinde nutzten diese Entwicklung, um jenseits der etablierten Medien eigene Informationskanäle aufzubauen und dort „alternative Fakten“ zu verbreiten. Vor allem die rechtsextremistische Szene – und hier die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte – hat sich auf diese Weise in den letzten Jahren eine regelrechte „alternative Informationsinfrastruktur“ geschaffen. Über diese Informationsinfrastruktur, zu der u. a. Blogs, Webseiten, Videoportale und Messenger-Dienste zählen, wird die eigene Anhängerschaft mobilisiert und auch mehr oder weniger subtil radikalisiert. Immer wieder arbeitet sich die Szene dabei auch an Berichten etablierter Medien ab. Immer mehr Journalistinnen und Journalisten werden beleidigt und bedroht, ihre Recherchen von Extremistinnen und Extremisten mit „eigenen Statistiken“ oder falschen Behauptungen attackiert. 18 Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung weiter forciert. Seit dem Ausbruch der Pandemie werden Berichte über die Gefährlichkeit des Virus und die Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit Verschwörungserzählungen und Falschmeldungen angegriffen. „Alternative Informationsinfrastrukturen“ haben maßgeblich zur Entstehung und Festigung des neuen verfassungsfeindlichen Spektrums der Staatsdelegitimierer und – destabilisierer 2 beigetragen. Es ist ein erklärtes Ziel dieses Spektrums, etablierte Medien zu diskreditieren und zu attackieren. Zu „Lügenpresse“ kamen Beleidigungen wie „GEZ-Huren“ oder „Volksverräter“ hinzu. Welchen Einfluss diese Stimmungsmache mittlerweile auf die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten hat, ­zeigen die Ergebnisse einer im Mai 2020 veröffentlichten Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, die vom Mediendienst Integration veröffentlicht wurde.3 Diese Studie beschäftigt sich damit, welche Erfahrungen Medienschaffende in Deutschland mit Hass und Angriffen gemacht haben. Knapp zwei Drittel der befragten Journalisten gaben dieser Studie zufolge an, innerhalb eines Jahres mindestens einmal – verbal oder körperlich – angegriffen worden zu sein. 16 % aller Befragten wurden schon einmal körperlich angegriffen und ebenfalls 16 % der befragten Journalistinnen und Journalisten hatten schon einmal eine Morddrohung erhalten. 92,5 % der Befragten, die bereits verbal oder körperlich attackiert wurden, sahen die Angriffe als politisch motiviert. In 82,4 % der Fälle wurden die Angreifenden JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN IM FOKUS VON VERFASSUNGSFEINDEN dem „rechten politischen Spektrum“ zugeordnet.4 Insgesamt kommt die Studie zu dem besorgniserregenden Befund, dass aufgrund dieser Erfahrungen knapp zwei Drittel (62 %) aller Befragten die Freiheit und Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Deutschland gefährdet sehen. Dieses Ergebnis ist dramatisch. Auch wenn nicht alle Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten einen extremistischen Hintergrund haben, ist die Stimmungsmache von Verfassungsfeinden gegen etablierte Medien jedenfalls geeignet, den Nährboden dafür zu bilden. Dass etablierte Medien immer stärker von Verfassungsfeinden attackiert werden, ist kein Zufall. Extremisten haben erkannt, wie wichtig es ist, in der aktuellen Informations- und Wissensgesellschaft die Deutungshoheit über bestimmte Themen zu erlangen. Dafür publizieren sie nicht mehr nur eigene Positionen, sondern attackieren permanent diejenigen, die entgegenstehende Meinungen veröffentlichen. Letztlich handelt es sich dabei um einen schleichenden Angriff auf die Meinungsvielfalt und den gesellschaftlichen Pluralismus und damit auf zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Auch wenn dies für das rechtsextremistische Spektrum und die Szene der Staatsdelegitimierer und – destabilisierer in besonderem Maße gilt, ist das „Feindbild Medien“ keineswegs auf diese verfassungsfeindlichen Spektren beschränkt. Auch Islamisten und Linksextremisten attackieren Medien, Journalistinnen und Journalisten. Verfassungsschutzrelevanz von Medienfeindlichkeit Presse- und Meinungsfreiheit sind Grundrechte von fundamentaler Bedeutung. In Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) heißt es hierzu: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Für eine freiheitliche Demokratie sind Meinungs- und Pressefreiheit konstitutiv. Medien erfüllen dabei mehrere wichtige Funktionen: • Informationsfunktion: Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich mithilfe der Medien ungehindert und umfassend darüber informieren können, welche Tatsachen und Meinungen den öffentlichen Diskurs prägen und welche Positionen hierzu vertreten werden. • Meinungsbildungsfunktion: Durch die Vielfalt der Medien sollen auch widerstreitende Positionen und Meinungen abgebildet werden. Auf diese Weise soll verschiedenen Ansichten öffentlicher Raum gegeben werden und dadurch jeder Einzelne in die Lage versetzt werden, sich aus unterschiedlichen Positionen eine eigene Meinung zu bilden. • Kritik- und Kontrollfunktion: Eine weitere zentrale Funktion von Medien ist es schließlich, auf Fehlentwicklungen und Missstände hinzuweisen. Dadurch leisten sie einen wichtigen Beitrag dazu, das Handeln von Politik und Verwaltung zu kontrollieren. Darauf, wie eng Meinungs-, Medienfreiheit und Demokratie miteinander verknüpft sind, hat auch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen hingewiesen. Unter anderem heißt es dazu: „Die Pressefreiheit ist grundrechtlich im Hinblick darauf besonders geschützt, dass eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte Presse ein Wesenselement des freiheitlichen Staates und für eine Demokratie unentbehrlich ist.“5 Die Vielfalt unterschiedlicher Meinungen und ihrer Repräsentanz in der Öffentlichkeit sind zentrale Pfeiler eines demokratischen Gemeinwesens. Attacken von Extremisten gegen Journalistinnen und Journalisten sind damit auch immer Angriffe auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie. MEDIENFEINDLICHKEIT UND RECHTSEXTREMISMUS Journalistinnen und Journalisten – soweit sie nicht selbst Teil der Szene sind – sind klare Feindbilder der rechtsextremistischen Szene. Sie werden diffamiert, beleidigt, bedroht und auch körperlich attackiert. Diese Presse- und Journalistenfeindlichkeit zieht sich durch alle rechtsextremistischen Strömungen. Bereits den Nationalsozialisten war eine freie Presse verhasst, und sie sahen darin vor allem eine Gefahr für ihre Macht. Dementsprechend sorgten sie mit dem sogenannten „Schriftleitergesetz“ unmittelbar nach ihrer Machtübernahme für die Gleichschaltung der Presse. Dieses Gesetz bestimmte, dass Medien und der Presse zuallererst die Aufgabe zukommen sollte, die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ zu propagieren. Darüber hinaus wurden Presseberufe nur noch Menschen zugänglich gemacht, die die „Deutsche Reichsangehörigkeit“ besaßen und einen „Ariernachweis“ erbringen konnten. Das Gesetz verbot auch „tendenziöse“ Berichterstattung, die nach Meinung der Nationalsozialisten geeignet war, „den Gemeinschaftswillen des deutschen Volkes, die deutsche Wehrhaftigkeit, Kultur oder Wirtschaft“ zu schwächen.6 Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten Eine solche „Gleichschaltung“ der Presse ist in der gefestigten Demokratie der Bundesrepublik unvorstellbar. Trotzdem gibt es seit Jahren Kampagnen der rechtsextremistischen Szene, mit denen Journalistinnen und Journalisten eingeschüchtert werden sollen. Dies betrifft in erster Linie Medienschaffende, die über Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene berichten. Sie werden auf Feindeslisten geführt, und 19 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 ihre Namen zirkulieren in sozialen Medien. Diese Hetze findet berichten und die Bevölkerung systematisch belügen. Es jedoch längst nicht mehr nur in der vermeintlichen Anonymität war der Ausgangspunkt einer seitdem anhaltenden Kamdes Internets statt. Immer offener bekunden Rechtsextremistin- pagne, die das Ziel hat, das Vertrauen der Bevölkerung in nen und Rechtsextremisten ihren Hass auf einzelne Journalisdie etablierten Medien systematisch zu untergaben. Diese tinnen und Journalisten. „Lügenpresse“-Kampagne war auch einer der Anknüpfungspunkte, über den die rechtsextremistische Szene Anschluss an 2019 gerieten beispielsweise mehrere Journalisten ins Visier die Corona-Proteste suchte. Auch dieses Spektrum stand der von Neonazis, die in einer Fernsehreportage über die KriegsBerichterstattung etablierter Medien in zunehmendem Maße verbrechen eines ehemaligen SS-Angehörigen berichtet ablehnend gegenüber. Diese Entwicklung hatte Folgen. Das hatten. Die NPD thematisierte diese Reportage, nannte dabei Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) einen der beteiligten Journalisten mit Namen und zeigte ihn zählte im ersten Jahr der Corona-Pandemie so viele Angriffe auf einem rot durchgestrichenen Foto. Man müsse ihn „in auf Journalistinnen und Journalisten wie noch nie seit Beginn die Schranken weisen!“, hieß es. Unter dem Motto „Schluss seiner Beobachtung im Jahr 2015.8 Vor allem im Rahmen der mit steuerfinanzierter Hetze!“ führte die Partei eine DemonsDemonstrationen im Zusammenhang mit den Corona-Protestration mit etwa 100 Teilnehmenden in unmittelbarer Nähe ten kam es immer wieder zu Gewaltvorfällen. Bemerkenswert ist, dass der Hälfte der Übergriffe eine rechtsextremistische zur Wohnung eines der betroffenen Journalisten in Hannover durch. In Berlin wurden Journalistinnen und Journalisten in der Tatmotivation zugrunde lag. Für die andere Hälfte der Überjüngeren Vergangenheit vor allem bei rechtsextremistischen griffe waren allerdings offensichtlich radikalisierte AnhängeAufzügen attackiert. Am 3. Oktober 2019 demonstrierten etwa rinnen und Anhänger des Corona-Protest-Spektrums verant1 000 Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten in Berlin. wortlich. Diese Zahlen sind ein Beleg dafür, dass sich die von Die Journalistinnen und Journalisten, die von diesem Aufzug der rechtsextremistischen Szene befeuerte Medienfeindschaft berichteten, wurden massiv an ihrer Arbeit behindert. Kamezunehmend ausbreitet und konkrete Folgen für Journalistinnen ras wurden bedeckt, Kameraleute angespuckt und presseund Journalisten hat. feindliche Parolen gerufen. Ein Teilnehmer skandierte etwa: „ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick“. Im Juni 2020 wurde Verbreitung von „Fake News“ und „Alternativen Fakten“ ein Journalist des „Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus“ bei einer Veranstaltung der ReichsNeben solchen tätlichen Angriffen sind Rechtsextremistinnen bürger-Gruppierung staatenlos.info beleidigt, bedrängt und und Rechtsextremisten auch immer stärker darum bemüht, antisemitisch beschimpft. der Berichterstattung in etablierten Medien „Fake News“ und „alternative Fakten“ entgegenzusetzen. In Kommentaren im Feindbild „Lügenpresse“ Internet und in eigenen Medienerzeugnissen werden Kontexte von Informationen, Nachrichten und Statistiken bewusst verSeit Langem geht es der rechtsextremistischen Szene jedoch dreht oder weggelassen. Vor allem die verfassungsschutzrelenicht mehr nur darum, einzelne Journalistinnen und Journavante Neue Rechte hat es sich zum Ziel gesetzt, eine eigene listen einzuschüchtern. Die Angriffe der Szene richten sich Informationsinfrastruktur zu etablieren, um damit gesellschaftvielmehr gegen alle etablierten Medien, deren Berichte liche und politische Diskurse zu beeinflussen, zu stören und im nicht zur eigenen Weltsicht passen. Der rechtsextremistische eigenen Sinne zu manipulieren. Kampfbegriff der „Lügenpresse“ ist zum Synonym für diese Entwicklung geworden. Der Begriff, der eine lange Tradition Ganz bewusst soll in breiten Teilen der Bevölkerung ein Zuin antiliberalen und antidemokratischen Kreisen hat, hat stand der Desorientierung herbeigeführt werden, in dem nicht auch eine antisemitische Komponente. Bereits Mitte des mehr zwischen Fakten und Falschbehauptungen unterschie19. Jahrhunderts nutzten konservative Eliten diesen Begriff den werden kann. Das soll auch die Empfänglichkeit für die und behaupteten, Liberalismus und Demokratie seien bösunterkomplexen und einfachen Lösungsangebote rechtsextreartige jüdische Erfindungen, die mithilfe einer vermeintlich mistischer Ideologien steigern. Dabei verbreiten Rechtsextrevon Juden kontrollierten Presse verbreitet würden. Der Begriff misten nicht nur eigene „Fake News“. Sie bieten auch Akteuüberdauerte in rechtsextremistischen Kreisen und wurde ab ren eine Plattform, die nicht originär rechtsextremistisch sein der Mitte der 2000er Jahre immer häufiger in Szenepublikamüssen. Wichtig ist lediglich, dass sich die Inhalte gegen das tionen verwandt. „System“ und das in der etablierten Presse beschriebene Bild der Realität richten. Dass sie sich z. T. sogar widersprechen, Spätestens ab 2015 gelang es der rechtsextremistischen ist beabsichtigt. Der der amerikanischen „Alt-Right“-BeweSzene, den Begriff „Lügenpresse“ weit über die eigenen gung mindestens nahe stehende Ex-Berater eines ehemaligen Szenegrenzen hinaus zu verbreiten. Anlass waren die damals US-Präsidenten beschrieb diese „Desorientierungsstrategie“ stark gestiegenen Geflüchtetenzahlen. Im Internet, aber in verblüffender Offenheit mit den Worten: auch auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen – wie etwa der –GIDA-Bewegung7 –, wurde in immer aggressiverer Diktion behauptet, die etablierten Medien würden ­tendenziös 20 JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN IM FOKUS VON VERFASSUNGSFEINDEN „The real opposition is the media. And the way to deal with them is to flood the zone with shit.”9 Der Verleger eines rechtsextremistischen Monatsmagazins adaptierte diese Idee und gab in einem Interview zu den von ihm publizierten Inhalten offen zu: „Es ist nicht die Wahrheit, aber es hält sozusagen den Volksdiskurs am Laufen. Und das ist erst sozusagen die Hefe, aus der ein politischer Widerstand im rationalen Sinne erst entstehen muss.“10 Mit dieser Strategie sollen gezielt Stimmungen geschürt und Vorurteile manifestiert werden. Die rechtsextremistische Szene vermischt dabei regelmäßig Medienkritik mit rassistischen, antisemitischen und anti-demokratischen Inhalten. Reflexartig reagiert die Szene vor allem bei Straftaten, für die Geflüchtete oder Migranten verantwortlich sein sollen. Dabei werden rassistische Stereotype verbreitet und gleichzeitig behauptet, die etablierten Medien würden solche Taten oder den ethnischen Hintergrund des vermeintlichen Tatverdächtigen verschweigen. MEDIENFEINDLICHKEIT UND ISLAMISMUS Auch in den islamistischen Ideologien ist das „Feindbild Medien“ fest verankert. Das Verhältnis islamistischer Organisationen zu den Medien ist allerdings nicht einheitlich. Es reicht von Versuchen taktischer Beeinflussung über eine generelle Ablehnung etablierter Medien bis hin zu dezidierten Gewaltaufrufen gegen Journalistinnen und Journalisten. Am größten und auch sichtbarsten ist die Ablehnung der Presse- und Meinungsfreiheit innerhalb der salafistischen und jihadistischen Szene. Presse- und Meinungsfreiheit werden als unislamisch bewertet und sind Teil der grundsätzlichen Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Vor diesem Hintergrund werden nicht nur Repräsentantinnen und Repräsentanten des säkularen politischen Systems in Deutschland, sondern auch Journalistinnen und Journalisten als „Götzendiener“ und „Polytheisten“ diffamiert und Muslime aufgefordert, sich von ihnen abzusondern.11 Eine solche negative Thematisierung hat Folgen. Seit Jahren steht etwa die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Fokus der islamistischen Szene. Nachdem die Zeitschrift erneut Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte, rief ein Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) 2020 über einen Messengerdienst zur Ermordung weiterer Karikaturisten von Charlie Hebdo auf. Wörtlich hieß es in dem Aufruf: [...] Abschlachten, das ist wie wir Muslime eure Karikaturen zeichnen. Das Schwert als Stift, euer Blut als Tinte und Eure toten Körper als Karikaturen.“12 Bereits im Januar 2015 war es zu einem verheerenden Anschlag auf die Mitarbeitenden von Charlie Hebdo gekommen. Zwei islamistische Attentäter waren in die Redaktionsräume der Zeitschrift eingedrungen und töteten elf Menschen. Charlie Hebdo hatte in den Jahren zuvor immer wieder Mohammed-Karikaturen veröffentlicht und war dadurch zur Zielscheibe massiver Propaganda und Anfeindungen durch Terrororganisationen wie al-Qaida, aber auch der gesamten islamistischen Szene geworden. Ein weiterer Kontext, in dem Journalistinnen und Journalisten in den Fokus der islamistischen Szene geraten, ist der Nahostkonflikt. Die nicht-gewaltorientierten legalistischen Organisationen wie die arabische Muslimbruderschaft (MB) und die türkische Millî Görüş-Bewegung (MGB) stellen die deutsche Medienlandschaft dabei allerdings nicht grundsätzlich in Frage. Vielmehr verfolgen sie die deutsche Berichterstattung zum Nahen und Mittleren Osten genau und versuchen, mit eigenen Perspektiven durch ihre eigenen Medienkanäle eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. In diesem Zusammenhang werfen sie den deutschen Medien vor allem eine einseitige Berichterstattung vor. Auch terroristische Organisationen, wie etwa die HAMAS oder die Hizb Allah behaupten, die deutschen Medien würden generell für Israel Partei ergreifen und kritiklos die Propaganda der von der Hizb Allah so bezeichneten „usurpatorischen ­Entität“ Israel übernehmen. Die israelische „Propaganda“ diene aus Sicht des Generalsekretärs der Hizb Allah, Hassan Nasrallah, dem alleinigen Ziel, eine dauerhafte Aufrechterhaltung der israelischen Besatzung palästinensischer ­Gebiete zu rechtfertigen.13 Die Medienfeindschaft der islamistischen Szene ist auch eng verbunden mit Antisemitismus und aggressiver Israelfeindschaft. In der HAMAS-Charta von 1988 sind mehrere Bezüge zu einer vermeintlichen „jüdischen Weltverschwörung“ enthalten, darunter auch die Behauptung, dass Juden die „Kontrolle über die internationalen Medien“ erlangt hätten. Auch die Aussagen eines bekannten salafistischen Predigers aus Berlin stehen beispielhaft für die Verbindung von Medienfeindschaft und Antisemitismus. In einer 2018 veröffentlichten Predigt heißt es u. a.: „Die Deutschen hier werden gefüttert von der zionistischen Presse, die über uns lügt Tag und Nacht [...]. Aber sie haben „Es ist unser tiefer Glaube, dass wir durch das Abschlachten es geschafft mit ihrer hinterhältigen Masche [...], […] Menschen, die vielleicht ein offenes Herz für den Islam hätten, [...] dieser Karikaturisten näher zu Allah gelangen und unsere [...] so zu verderben, dass diese Leute nur noch schlecht über uns Liebe zu Ehren des Propheten [...] zeigen. Es ist unser tiefer Glaube [...], dass wir die Karikaturisten, indem wir sie schlach- denken.“14 ten, in die ewige Verdammnis des Höllenfeuers befördern. 21 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 In einer weiteren Videobotschaft behauptet er, dass die ­„zionistische Presse“ es den Menschen in Deutschland ­inzwischen in den Kopf „eintätowiert“ habe, nicht zwischen Muslimen und Islamisten zu unterscheiden und Islam und Extremismus gleichzusetzen.15 Schließlich lehnen auch andere islamistische Gruppierungen, insbesondere aus dem Umfeld der Hizb ut-Tahrir (HuT),16 wie etwa die Social-Media-Initiative Generation Islam, deutsche Medien grundsätzlich ab. Sie konstruieren Vorwürfe, nach denen „die deutschen Medien“ bewusst Islamfeindlichkeit befördern und ein Feindbild „Muslim“ schaffen würden.17 Sie schwören ihre Anhängerschaft auf eine HuT-konforme „muslimische Identität“ ein und versuchen, eine ablehnende Haltung gegenüber den deutschen Medien zu erzeugen. Solche Kampagnen sind längst mehr als ein Nischenphänomen. Onlineaufrufe und -petitionen von Generation Islam fanden in der Vergangenheit bis zu 100 000 Unterstützerinnen und Unterstützer. MEDIENFEINDLICHKEIT UND LINKSEXTREMISMUS Anders als vom rechtsextremistischen oder islamistischen Spektrum wurden von der linksextremistischen Szene Berlins in der jüngeren Vergangenheit keine Kampagnen initiiert, die sich gegen die etablierte Medienlandschaft und die damit verbundene Meinungsvielfalt in Gänze richteten. Allerdings standen bestimmte Medien, Journalistinnen und Journalisten vor allem dann im Fokus der Szene, wenn sie über deren Aktivitäten berichteten. 22 So wurde beispielsweise eine Reportage des rbb über die Situation rund um die Rigaer94 im Jahr 2020 mit einem mehrseitigen Artikel auf einer auch von Linksextremisten genutzten Internetplattform kommentiert. Die an der Reportage beteiligten Journalisten wurden namentlich benannt und ihnen wurde vorgeworfen, aus politischem Kalkül zu handeln sowie „systematische Hetze“ und „dreiste Lügen“ zu verbreiten.18 Dieser Kommentar ließ auch keine Zweifel daran, dass sich diese Sichtweise nicht nur auf die Arbeit der beteiligten Journalisten bezog. Vielmehr wurde mehreren etablierten Medien abgesprochen, ausgewogen und frei zu berichten. „Dass Medien wie der Spiegel oder die B. Z., die politisch verortet und von Verkaufsquoten abhängig sind, zu diesen Mitteln greifen, wundert uns nicht. Dass sich aber öffentlichrechtliche Medien nicht zu schade sind, bei der Hetze mitzumachen, finden wir höchst bedenklich.“19 Darüber hinaus sind auch bestimmte Medien erklärte Feindbilder der linksextremistischen Szene. So agitieren linksextremistische Akteure beinahe reflexartig und in einer Traditionslinie seit den 1960er Jahren gegen die Verlagsgruppe „Axel Springer SE“. Veröffentlichungen aus diesem Haus und die für diese Veröffentlichungen verantwortlichen Personen werden diskreditiert und beleidigt. Der Ursprung dieser Auseinandersetzung liegt in der Zeit der Studentenunruhen und des Attentats auf den Studentenführer Rudi Dutschke. Seinerzeit wurde der Vorwurf erhoben, der Medienkonzern trage durch journalistische Provokationen die Verantwortung für das Attentat und die Eskalation der Situation. JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN IM FOKUS VON VERFASSUNGSFEINDEN FAZIT Dabei blieb es in der Vergangenheit nicht nur bei verbalen Anfeindungen. Auf das Auto eines regelmäßigen Kolumnisten der vom Springer-Verlag herausgegebenen B. Z. wurden 2014 Als Kapitel in einem Verfassungsschutzbericht können die hier gemachten Ausführungen nur ein Schlaglicht auf das Thema und 2019 Brandanschläge verübt. In einem auf einer linksextremistischen Internetseite veröffentlichten Selbstbekenntnis Medienfeindschaft in verfassungsfeindlichen Bestrebungen werfen. Die Entwicklungen der letzten Jahre machen es aber zur Brandstiftung 2019 wurde der Kolumnist verleumdet und unumgänglich, auf die zunehmenden Attacken gegen Jourbeleidigt. Der Text machte deutlich, dass es einzig und allein nalistinnen und Journalisten aufmerksam zu machen. Die hier seine Meinung und die von ihm vertretenen Standpunkte gemachten Ausführungen verdeutlichen, dass diese Attacken waren, die es nach Auffassung der Verfasser rechtfertigen – wenn auch in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung würden, das Auto des Journalisten anzuzünden. Besonders – zum Aktionsrepertoire aller extremistischen Phänomenbereiperfide ist der in diesem Text enthaltene Hinweis auf die che zählen. Neben direkten Angriffen auf Medienschaffende Wohnanschrift, unter der der Kolumnist „mit seinen Kindern“ gehört es mittlerweile auch zur Strategie von Verfassungsfeinlebt.20 den, mit „alternativen Medien“, die Integrität und das Vertrauen der Bevölkerung in die etablierten Medien zu untergraben. Dass gewalttätige Angriffe auf missliebige, vor allem vermeintlich „rechte“ Journalistinnen und Journalisten zum Die vorliegenden Zahlen zu Angriffen auf Journalistinnen und Aktionsrepertoire linksextremistischer Akteure gehören, belegt Journalisten zeigen, dass das Problem im Zusammenhang mit auch ein Angriff auf ein ZDF-Fernsehteam im Mai 2020. Eine den Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene besonders aus 20 bis 25 vermummten Personen bestehende Gruppe virulent ist. Immer öfter werden gezielte Kampagnen gefahren, griff das Kamerateam einer Satiresendung an und verletzte um Journalistinnen und Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern fünf Personen z. T. schwer. Das Team hatte zuvor Filmaufund mundtot zu machen. Die Reichweite und der Empfängernahmen und Interviews bei einer sogenannten „Hygienekreis solcher Kampagnen haben sich in den vergangenen demonstration“ gemacht. Die linksextremistische Szene hatte Jahren deutlich vergrößert. In den virtuellen „Filterblasen“ und diese Demonstrationen in mehreren Veröffentlichungen als „rechtsoffen“ bzw. rechtsextremistisch bezeichnet.21 Ein offenes „Echokammern“ sozialer Netzwerke werden Journalistinnen und Journalisten zum „Freiwild“ erklärt. Aus verbalen DrohunBekenntnis zu dem Übergriff wurde nicht abgegeben. Allergen werden tätliche Angriffe. dings wurde in der linksextremistischen Szene selbst intensiv darüber diskutiert, dass es sich wohl um eine „schlecht gelaufene Spontanaktion gegen Neonazifilmer*innen“ gehandelt Diese Angriffe richten sich sowohl gegen konkrete Personen haben könnte. als auch das „System der Lügenpresse“ in Gänze. Ein ganzer Berufszweig soll dadurch in Misskredit gebracht werden. Die Verachtung und der Hass, der Medienschaffenden entgegenBemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine auf einer Berliner Antifa-Webseite veröffentlichte Stellungnahme zu schlägt, ist nicht weniger als ein Angriff auf die Presse- und diesem Übergriff. In dieser Stellungnahme werden diverse Meinungsfreiheit. Für eine freiheitliche Demokratie ist das mögliche Hintergründe der Attacke diskutiert. Verurteilt wird nicht hinnehmbar. sie aber nicht. Vielmehr liest sich der Text wie eine grundsätzliche Rechtfertigung, mit Gewalt gegen andere Meinungen vorzugehen. Unter anderem heißt es: „Selbstverständlich bleibt für uns dabei, dass Militanz ein wichtiger und notwendiger Bestandteil im Repertoire antifaschistischer Aktionsformen ist. [...] Gerade am 1. Mai, dem Arbeiter*innenkampftag, sollte Nazis nicht die Deutungshoheit überlassen werden und der nervenden Querfrontmasse gezielt eine Abreibung verpasst werden.“22 Diese Beispiele machen deutlich, dass Journalistinnen und Journalisten auch im Fokus der linksextremistischen Szene stehen. Die gerade von der Autonomen Szene für sich selbst immer wieder beanspruchte allumfassende Freiheit, gilt offensichtlich nicht für Kritiker der Szene und Andersdenkende. 23 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 24 2 BESTREBUNGEN ZUR DELEGITIMIERUNG UND DESTABILISIERUNG DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG Entwicklungen 2021 27 Das Phänomen der Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung28 Auftreten der Staatsdelegitimierer bei Aufzügen und Demonstrationen 29 Messenger-Dienste und die zunehmende Radikalisierung von Teilen der Staatsdelegitimierer30 Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als bleibendes Phänomen  31 25 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 IDEOLOGIE Bei den Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (verfassungsschutzrelevante Staatsdelegitimierung) handelt es sich um verfassungsfeindliche netzwerkartige Strukturen von Gruppierungen und Einzelpersonen, die sich im Zuge des Protestgeschehens gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen radikalisiert haben. Kennzeichnend für dieses Spektrum sind die anhaltenden und systematischen Angriffe auf die Legitimität staatlicher Maßnahmen und Institutionen sowie seiner Repräsentanten. Ein weiteres Wesensmerkmal besteht in der Bezugnahme auf Verschwörungserzählungen, die sich auch gegen zentrale Normen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten. Zu den bedeutsamsten Verschwörungsnarrativen des Spektrums zählen die Verschwörungserzählung von der „geheimen jüdischen Weltverschwörung“ und die QAnon-Verschwörungserzählung. 2 Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 26 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 • Berlin war eine der zentralen Bühnen, die von den Anhängerinnen und Anhängern des Spektrums der verfassungsschutzrelevanten Staatsdelegitimierung wiederholt für ihre Kundgebungen und Demonstrationen missbraucht wurden. • In den Sozialen Medien und über Messenger-Dienste vernetzt und radikalisiert sich das Spektrum. Aus virtueller Empörung droht so immer häufiger, physische Gewalt zu entstehen. Ausfluss dieser Entwicklung ist die Tötung eines Menschen im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein am 18. September. • Insgesamt ist das Spektrum der verfassungsschutzrelevanten Staatsdelegitimierung durch einen hohen Grad an Heterogenität gekennzeichnet. Das Spektrum ist von häufigen Neugründungen von Gruppierungen und wechselnden Zweckbündnissen geprägt. In diesem Spektrum agieren auch Einzelpersonen ohne Organisationsanbindung, die sich – mindestens verbal – zunehmend radikalisieren. 27 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 DAS PHÄNOMEN DER DELEGITIMIERUNG UND DESTABILISIERUNG DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG Ausgehend von Demonstrationen in Berlin und Stuttgart wurden ab dem Frühjahr 2020 Proteste gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bundesweit sichtbar. An diesen Protesten beteiligte sich ein heterogenes Spektrum. Die Zielrichtung der Proteste war zu diesem Zeitpunkt diffus und (noch) nicht verfassungsfeindlich. Erkennbar war allerdings, dass sich auch Rechtsextremisten und Reichsbürger an diesen Protesten beteiligten. Im Verlauf des Jahres 2020 veränderten sich diese Proteste jedoch zusehends. Teile der Protestierenden radikalisierten sich, und auch die öffentlichen Veranstaltungen verliefen häufig aggressiver. Dabei zeigte sich, dass diese Entwicklung nicht allein auf den Einfluss bekannter verfassungsfeindlicher Akteure zurückzuführen war. Vielmehr waren diese Proteste gleichermaßen Katalysator und Ventil für eine tiefsitzende Demokratieskepsis, z. T. sogar für Demokratieverachtung. Punktuelle Kritik entwickelte sich zu teils fundamentaler Opposition gegen Regierung, Parlament, Justiz, Wissenschaft und Medien. Schmähungen, Drohgebärden und Umsturzfantasien wurden immanenter Bestandteil aggressiver werdender Mobilisierungskampagnen. Hinzu kam die nicht zu unterschätzende radikalisierende Wirkung diverser Verschwörungserzählungen, die in diesem Spektrum zirkulierten. 28 Dadurch bildete sich aus Teilen der Corona-Proteste ein verfassungsfeindliches Spektrum, das nicht in die gängigen Schablonen der bekannten Extremismusphänomene passt. Es ist eine heterogene Bewegung mit verschiedenen Akteuren, die das Ziel eint, die Demokratie und ihre Institutionen zu delegitimieren und zu destabilisieren. Propaganda und Aktivitäten dieses Spektrums richten sich gegen alle tragenden Säulen des demokratischen Rechtsstaates: Parlamentarische Entscheidungen werden verhöhnt und verunglimpft, Ordnungskräfte sehen sich im Internet und auch auf der Straße mit verbalen und tätlichen Anfeindungen und Angriffen konfrontiert. Gerichtliche Entscheidungen werden ignoriert und Journalistinnen und Journalisten verleumdet und an ihrer Arbeit gehindert. All dies sind Angriffe auf zentrale Werte und Institutionen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. BESTREBUNGEN ZUR DELEGITIMIERUNG UND DESTABILISIERUNG DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG AUFTRETEN DER STAATSDELEGITIMIERER BEI AUFZÜGEN UND DEMONSTRATIONEN Bereits 2020 entwickelte sich Berlin zu einer – wenn nicht der – zentralen Bühne für die öffentlichen Veranstaltungen der Anhängerinnen und Anhänger der Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Staatsdelegitimierer). Der weit überwiegende Teil der Teilnehmenden an diesen Veranstaltungen stammte nicht aus Berlin, sondern reiste aus dem gesamten Bundesgebiet an. Die Veranstaltungen verliefen zunehmend aggressiver. Beispielhaft dafür steht eine Demonstration, die am 18. November 2020 in Berlin stattfand. Bei dieser Demonstration vor dem Sitz des Deutschen Bundestages wurden Polizistinnen und Polizisten sowie Journalistinnen und Journalisten beleidigt, bedroht, angespuckt, angegriffen und verletzt. Die Demonstrierenden widersetzten sich ostentativ den Anordnungen der Polizei, die das erste Mal seit Jahren wieder Wasserwerfer einsetzen musste. Auch im Bundestag selbst wurden Abgeordnete bedrängt und beleidigt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich innerhalb des Protestgeschehens das verfassungsfeindliche Personenspektrum herausgebildet und etabliert, das zielgerichtet die Delegitimierung und Destabilisierung des Staates betreibt. Auch 2021 mobilisierte dieses Spektrum der Staatsdelegitimierer mehrfach zu Demonstrationen in Berlin. Auf ähnliche Mobilisierungserfolge wie im Vorjahr hoffend, wurden die größeren öffentlichen Veranstaltungen der Szene vor allem an „Jahrestagen“ organisiert, an denen die Szene bereits im Jahr zuvor in Berlin demonstriert hatte. Dementsprechend waren erneut für den 1., 28. und 29. August zahlreiche Demonstrationen in Berlin angemeldet worden. Aufgrund der zu erwartenden Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz verbot die Berliner Versammlungsbehörde die meisten davon. Dennoch reisten am 1. August mehrere tausend Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet an und bewegten sich durch Berlin. Nach Aufrufen in Sozialen Netzwerken sammelten und zerstreuten sie sich schließlich in der City West. Insgesamt nahmen an den nicht angemeldeten Aufzügen etwa 8 500 Menschen teil. Den Mobilisierungsaufrufen folgten an beiden Tagen jeweils 6 000 bis 7 000 Personen – mehrheitlich erneut nicht aus Berlin –, die in Kleingruppen durch Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg zogen. Insgesamt ließ der Verlauf des Protests einen niedrigen Grad an Koordination und Organisation erkennen. Die Gruppen bewegten sich zeitweise im Kreis, und unter den Protestierenden entzündeten sich zwischenzeitlich hitzige Debatten über eine gemeinsame Marschrichtung. Erneut zeigte sich, dass es für die Veranstaltungen ebenso wenig einen „Masterplan“ gab wie eine ordnende Hand. Stattdessen zirkulierte eine Vielzahl von Aufrufen unterschiedlicher Akteure, die oft wenig mehr gemeinsam hatten als den Willen, durch irgendeine Form von Widerstand ihre Ablehnung der staatlichen Ordnung zu demonstrieren. Für den 4. Dezember mobilisierte das Spektrum der Staatsdelegitimierer erneut zu einer Demonstration in Berlin. Thematisiert wurde im Zusammenhang mit der Mobilisierung vor allem ein vermeintlicher Impfzwang. Trotz eines Verbots durch die Versammlungsbehörde kamen bis 800 Personen dezentral in der City-Ost zusammen. Die Gruppen, in deren Umfeld sich auch Rechtsextremisten bewegten, versuchten, sich polizeilichen Feststellungen oder anderen Maßnahmen zu entziehen und zerstreuten sich, sobald Polizeikräfte vor Ort erschienen. Am Rande der Proteste kam es in Friedrichshain zu tätlichen Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten. Unter anderem wurde einem Journalisten bei einem Angriff aus dem Protestgeschehen heraus das Handy entrissen. Bei der sich daraufhin entwickelnden Auseinandersetzung ermöglichten Veranstaltungsteilnehmende einem Tatverdächtigen mit Schlägen und Tritten die Flucht. Diese Angriffe waren ein weiterer Beleg für die zunehmende Radikalisierung von Teilen der Staatsdelegitimierer. Auch die für den 28. und 29. August angemeldeten Demonstrationen mit thematischen Bezügen zur Corona-Pandemie wurden mehrheitlich verboten. Die Initiatoren der Veranstaltungen riefen ihre Anhänger dazu auf, dennoch unangemeldet im gesamten Stadtgebiet zu protestieren. Darüber hinaus wurden Videostreamer gesucht, die systematisch das Geschehen dokumentieren sollten. Dafür wurden auch Vorbereitungen getroffen, Protestteilnehmende mit selbst erstellten „Presseausweisen“ und „Pressewesten“ auszustatten. Ziel dieser Aktion war keine neutrale Berichterstattung. Vielmehr ging es darum, mit Provokationen und zusammengeschnittenen Ausschnitten Bilder einer vermeintlich übergriffigen Staatsmacht zu erzeugen. 29 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 MESSENGER-DIENSTE UND DIE ZUNEHMENDE RADIKALISIERUNG VON TEILEN DER STAATSDELEGITIMIERER Bereits zu Beginn der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zeigte sich, dass der Instant-Messengerdienst Telegram die maßgebliche Plattform zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen und „Fake-News“ zum Pandemiegeschehen war. Auch die Mobilisierung zu den „Hygiene-Demos“ und den Corona-Protesten im Allgemeinen erfolgte ganz überwiegend über diesen Dienst. Längst werden Chatgruppen auf dieser Plattform von den Staatsdelegitimierern aber nicht mehr nur zur Mobilisierung und zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen genutzt. In der vermeintlichen Anonymität dieser Chatgruppen werden auch gefälschte Gesundheitszeugnisse und Impfzertifikate und sogar Waffen angeboten. Die von den Teilnehmenden in diesen Chats geteilten verfassungsfeindlichen Ansichten setzen zunehmend verbale Radikalisierungsspiralen in Gang. Sie wähnen sich in einem „Dritten Weltkrieg“ oder sehen sich als Teil einer vermeintlichen Widerstandsbewegung.23 Teilweise posieren die Mitglieder solcher Gruppen mit Waffen oder geben an, im Umgang damit geschult zu sein. Von diesem radikalisierten und waffenaffinen Personenkreis geht eine wachsende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung und auch ganz konkret für das Leben Einzelner aus. Den entsetzlichen Höhepunkt dieser Entwicklung stellt die Tötung eines Mannes im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein dar. Am 18. September ist dort der Mitarbeiter einer Tankstelle von einem Mann erschossen worden, den er zuvor auf die Einhaltung von Corona-Schutz-Maßnahmen hingewiesen hatte. Die szeneinternen Reaktionen auf diese Tat passen ins Bild. Zwar wurde die Tötung auch in einschlägigen Kreisen mehrheitlich verurteilt, es gab aber auch Stimmen, die sich davon eine Signalwirkung erhofften. In einem Messengerdienst kommentierte das Mitglied einer Chatgruppe die Tötung mit den Worten: „Wird jetzt bald noch mehr werden, warte mal ab. Wenn jetzt die Regierung nicht zurück rudert, wird es noch mehr Tote geben.“24 30 Die Radikalisierung über Messengerdienste nahm in den ­letzten Monaten des Jahres noch einmal deutlich zu. Neue Beschränkungsmaßnahmen infolge stark gestiegener Corona-­Fallzahlen, vor allem aber die Debatte über eine mögliche Impfpflicht führten zu emotionalisierten und zunehmend enthemmten Debatten innerhalb der Szene der Staatsdelegitimierer. Dem Staat und der parlamentarischen Demokratie wurde jede Legitimation abgesprochen. Die Aufrufe zu einem „Widerstand mit allen Mitteln“ wurden lauter und zahlreicher. Videos, die Angriffe auf Polizeikräfte zeigten, wurden in diesem Zusammenhang mit den Worten „So sieht Widerstand aus, bald auch hier“25, kommentiert. Diese Entwicklung blieb nicht ohne Folgen. Es kam bundesweit zu Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Politikerinnen und Politiker. In einem Messenger-Chat wurden sogar Pläne zur Ermordung eines Ministerpräsidenten geschmiedet. Parallel dazu nahm auch die Zahl von Gewalttaten, die im Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung standen, bundesweit zu. Es kam zu Brandstiftungen und Buttersäure-Anschlägen auf Teststationen und Impfzentren. So wurden auf eine Corona-SchnelltestStation in Spandau im August zwei Brandanschläge verübt. Im selben Monat versuchten unbekannt gebliebene Täter, ein Corona-Testzentrum am Bahnhof Lichtenberg in Brand zu setzen. Menschen, die auf die Einhaltung der Maskenpflicht hinwiesen, wurden beleidigt, bedroht und physisch attackiert. In Berlin wurde ein Mann am 9. Dezember von einer Person, die er zuvor auf die in der Tram geltende Maskenpflicht hingewiesen hatte, mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der Täter schlug den Mann zu Boden und trat danach weiter auf ihn ein. Das Opfer musste mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. Das alles zeigt, welches Ausmaß die auch über Messengerdienste massiv befeuerte Radikalisierung von Teilen der Szene der Staatsdelegitimierer mittlerweile angenommen hat. BESTREBUNGEN ZUR DELEGITIMIERUNG UND DESTABILISIERUNG DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG BESTREBUNGEN ZUR DELEGITIMIERUNG UND DESTABILISIERUNG DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG ALS BLEIBENDES PHÄNOMEN Die Entwicklungen des Jahres 2021 haben gezeigt, dass das Phänomen der Staatsdelegitimierer keine vorübergehende Erscheinung ist. Aus Teilen des zunächst diffusen und heterogenen Protests gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat sich eine gefestigte Szene entwickelt, deren Ziel die Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist. Über „Alternative Medien“ und Messenger-Dienste werden ungebrochen Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen verbreitet, die einen diffusen Hass auf Eliten, Sehnsüchte nach einer autoritären Führung und zunehmend auch Gewaltfantasien gedeihen lassen. Nach wie vor gilt es dabei zu differenzieren. Es sind nicht die Corona-Proteste in Gänze, die als verfassungsfeindliche Bestrebung bewertet werden. Aber wenn durch Einzelpersonen oder Gruppierungen gewählte Volksvertreter beleidigt, bedroht und bedrängt werden, der Sitz des Deutschen Bundestages zum Angriffsziel erklärt wird, Journalistinnen und Journalisten in ihrer Arbeit behindert, angespuckt und geschlagen und auf Forschungsinstitute Brand- und Sprengstoffanschläge verübt werden, dann hat das mit legitimem Protest nichts mehr zu tun. Es sind vielmehr Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung. Sie sind ein deutliches Indiz dafür, wie sehr sich mindestens ein harter Kern der Szene mittlerweile radikalisiert hat. Die Gefahr, die von Teilen der Staatsdelegitimierer für Einzelne, aber auch die freiheitliche demokratische Grundordnung insgesamt ausgeht, ist 2021 deutlich größer geworden. 31 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 32 3 RECHTSEXTREMISMUS Entwicklungen 2021 35 Instrumentalisierung des Corona-Protestgeschehens 36 „Staatsversagen“ und Rassismus – rechtsextremistische Propaganda jenseits von Corona 37 Zentrale rechtsextremistische Akteure in Berlin  39 Rechtsextremistinnen, Rechtsextremisten und Reichsbürger in Sicherheitsbehörden  41 Personenpotenzial 43 33 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 IDEOLOGIE Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen dem traditionellen Rechtsextremismus und der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten. Während der traditionelle Rechtsextremismus seine extremistische Agenda weitestgehend am historischen Nationalsozialismus orientiert, versucht die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte ihre menschenfeindliche Ideologie ohne diese NS-Bezüge für eine Mehrheit der Bevölkerung anschlussfähig zu machen. Jede rechtsextremistische Ideologie ist jedoch gegen das grundgesetzlich garantierte Gleichheitsprinzip gerichtet, indem sie Menschen auf Basis ethnischer oder kultureller Zuschreibungen auf- bzw. abwertet. 3 Rechtsextremismus 34 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 • Anders als im Vorjahr war die Corona-Pandemie nicht mehr das alles dominierende Thema innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Stattdessen versuchte die Szene andere Entwicklungen für sich zu instrumentalisieren. Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli, der Abzug der ­Bundeswehr aus Afghanistan und die Entwicklungen an der polnisch-belarussischen Grenze nahm die rechtsextremistische Szene zum Anlass, ein vermeintliches Staatsversagen zu propagieren und Ängste vor einer „Flüchtlingskrise“ heraufzubeschwören. • Im traditionellen rechtsextremistischen Spektrum Berlins wird die neonazistische Partei Der III. Weg zunehmend zum dominierenden Akteur. Der Berliner Ableger der Partei konnte die Zahl seiner Mitglieder und Unterstützer ­verdoppeln. • Zwischen 2017 und 2021 wurden insgesamt 74 mutmaßlich rechtsextremistische Fallkomplexe mit 93 betroffenen ­Personen in Berliner Sicherheitsbehörden bekannt. Vor dem Hintergrund, dass von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden eine große Gefahr ausgeht, arbeiten der Berliner Verfassungsschutz und die Berliner Polizei entschlossen daran, solche Fälle aufzudecken und die erforderlichen Maßnahmen zu ermöglichen und zu ergreifen. PERSONENPOTENZIAL 2021 Rec c h a ft e n) in Parteien 240 partei­un­abhängige Strukturen 450 ie d s hts e xtre m weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial 850 14 mi ch is m us Mehrfachmitgliedschaften) tgl Rechtsextremismus 1440 (abzüglich 40 (a b z ü g l i c h h Me rfa 35 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 INSTRUMENTALISIERUNG DES CORONA-PROTESTGESCHEHENS richteten. Im Vorfeld verbot die Berliner Versammlungsbehörde vier dieser Versammlungen. Die Versammlungsverbote hatten jedoch kaum Auswirkungen auf das Mobilisierungsgeschehen. Zahlreiche Profile in den Sozialen Medien riefen dazu auf, dennoch nach Berlin zu kommen und sich dort den Versammlungen anzuschließen, die nicht verboten worden waren. Bis in das Frühjahr hinein blieb die Corona-Pandemie zunächst eines der dominierenden Themen innerhalb der rechtsextremistischen Szene Berlins. Wie bereits im Jahr zuvor suchten Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten Anschluss An der Mobilisierung beteiligte sich auch die rechtsextremisan die Corona-Proteste, auch um diese Proteste weiter zu tische Szene. Die neonazistische Partei Der III. Weg beradikalisieren. Dafür vermischten Rechtsextremistinnen und hauptete, bei dem Gesetz handele es sich um eine „SelbstRechtsextremisten ihre Kritik an den Maßnahmen zur Einermächtigung der Bundesregierung, [um] sich umfassende dämmung der Pandemie weiterhin regelmäßig mit Verschwödiktatorische Vollmachten zu erteilen.“26 Auf einem Flugblatt rungserzählungen sowie antisemitischer und rassistischer Propaganda. Wiederholt verbreiteten sie auch sogenannte der Partei hieß es: „Tag X–Fantasien“, d. h. Vorstellungen von der bewaffneten Überwindung des demokratischen Verfassungsstaates. „Das System ist gefährlicher als Corona! Deshalb lasst uns gemeinsam gegen diesen Wahnsinn aktiv werden!“ 27 Eine detaillierte Betrachtung der Beteiligung von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten am Corona-ProtestgescheAls Schwerpunkt des Versammlungsgeschehens am 21. April hen zeigte aber auch, dass diese Einflussnahme nicht wie kristallisierte sich eine Kundgebung auf der Straße des 17. Juni heraus. Unter den in der Spitze bis zu 10 000 Teilnehmenden von der Szene erhofft gelang. Dies hatte zur Folge, dass das befanden sich auch zahlreiche Rechtsextremisten, darunter Interesse und auch die Beteiligung der rechtsextremistischen ein ehemaliger Landesvorsitzender der Berliner NPD, AktiSzene an den Corona-Protesten abnahmen. visten des III. Wegs, der rechtsextremistische Videoblogger „Der Volkslehrer“ sowie Anhängerinnen und Anhänger der Die ersten größeren Proteste fanden in Berlin im April im ­Identitären Bewegung. Zusammenhang mit der vom Bundestag beschlossenen sogenannten Bundesnotbremse statt. Für den 21. April, den Tag Aufgrund der Nichteinhaltung der Hygienevorschriften, wurde der Abstimmung über die entsprechenden Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, waren insgesamt zehn Versammlungen die Versammlung vorzeitig aufgelöst. Im Anschluss kam es zu Angriffen auf Polizeikräfte und auf einen ­Pressevertreter. angemeldet, die sich gegen die geplante Gesetzesänderung 36 RECHTSEXTREMISMUS Versuche einiger Teilnehmender, spontane Aufzüge zu organisieren, konnten durch die Polizei unterbunden werden. Die NPD veröffentlichte im Nachgang der Versammlung einen Videofilm, in dem durch die Wiedergabe von aus dem Kontext gerissenen Bildern der Eindruck erweckt werden sollte, die Polizei sei mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen ­Demonstrierende vorgegangen.28 Solche Versuche, das Versammlungsgeschehen zu instrumentalisieren, blieben jedoch die Ausnahme. Anders als noch im Vorjahr fielen die Reaktionen der rechtsextremistischen Szene auf das Veranstaltungsgeschehen zurückhaltend aus. Das war auch Ausdruck der Tatsache, dass es der Szene nicht gelungen war, sich im Rahmen der Proteste öffentlichkeitswirksam zu inszenieren oder einen bestimmenden Einfluss auf das Protestgeschehen auszuüben. Weitere größere Corona-Proteste in Berlin waren für das Pfingstwochenende vom 21. bis zum 24. Mai angekündigt. Allerdings war nur noch eine der vielen für dieses Wochenende geplanten Versammlungen von einem Rechtsextremisten angemeldet worden. Auch die Mobilisierung für das Pfingstwochenende fiel innerhalb der rechtsextremistischen Szene verhalten aus. An den Veranstaltungen selbst beteiligten sich nur noch einzelne Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, darunter Anhänger des III. Wegs. Die Berliner NPD, die zuvor regelmäßig für die Corona-Proteste mobilisiert hatte, thematisierte das Protestgeschehen gar nicht mehr. Noch sichtbarer wurde das nachlassende Interesse der rechtsextremistischen Szene an den Corona-Protesten während entsprechender Veranstaltungen im August. Berliner Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten hatten weder eine der vielen für den 1., 28. und 29. August geplanten Protestveranstaltungen angemeldet noch großflächig beworben. Die Szene thematisierte auch das Veranstaltungsgeschehen selbst nur noch vereinzelt. Einige Akteure aus dem muslimen- und migrationsfeindlichen Spektrum, wie beispielsweise die Gruppierung Patriotic Opposition Europe (POE), hatten bereits im Vorfeld angekündigt, sich nicht an den Protesten beteiligen zu wollen. Tatsächlich waren auf den Veranstaltungen im August nur noch wenige Szeneangehörige festzustellen. Darunter befanden sich Anhängerinnen und Anhänger des III. Wegs und der Identitären Bewegung. Da es Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten in Berlin nicht gelungen war, dauerhaft Anschluss an das Protestgeschehen zu gewinnen oder Einfluss darauf auszuüben, stellte die rechtsextremistische Szene ab Mitte des Jahres zunehmend andere Themen in den Mittelpunkt ihrer Propaganda. Im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen versuchten sich Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten als „Kümmerer“ zu inszenieren. Die Machtübernahme der Taleban in Afghanistan und die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze instrumenta- lisierte die Szene, um mit rassistischer Propaganda Stimmung gegen Geflüchtete zu machen. „STAATSVERSAGEN“ UND RASSISMUS – RECHTSEXTREMISTISCHE PROPAGANDA JENSEITS VON CORONA Die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-West­ falen versuchte die rechtsextremistische Szene zu einem breiten Staatsversagen zu skandalisieren. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten vermischten solche Vorwürfe regelmäßig mit Fundamentalkritik an den Politikerinnen und Politikern vor Ort und nicht selten mit abwertenden Kommentaren über die Demokratie in Gänze. Auf diese Weise bemühten sie sich gezielt die Not der Menschen vor Ort für ihre eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren. Die Szene rief dazu auf, zu spenden, in die Katastrophengebiete zu reisen und dort Hilfe zu leisten. Der schwer von der Flut betroffene Ort Bad Neuenahr-Ahrweiler in RheinlandPfalz entwickelte sich rasch zum Anlaufpunkt extremistischer Akteure. Eine in der Gemeinde befindliche Grundschule diente dabei als zentrale Anlaufstelle, in der sich zeitweise zwischen 80 und 100 Personen befanden, die dem rechtsextremistischen und dem Reichsbürger-Spektrum angehörten. Auch Berliner Rechtsextremisten begaben sich in das ­Katastrophengebiet. Mit selbst erstellten Videos inszenierten sich Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten als Helfer und „Kümmerer“. Parallel dazu versuchten sie durch das Verbreiten von Falschmeldungen das Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben und die verzweifelte Lage der Anwohnerinnen und Anwohner auszunutzen. Am 20. Juli warnte die Polizei Koblenz etwa davor, dass „Fahrzeuge mit Lautsprechern, die polizeilichen Einsatzfahrzeugen ähneln, […] die Falschmeldung [verbreiten], dass Polizei- und Rettungskräfte die Anzahl der Einsatzkräfte reduzieren“.29 In solche Falschmeldungen mischten sich auch rassistische Töne. Auf seinem Telegram-Kanal verlinkte beispielsweise der „Volkslehrer“ eine vermeintliche „journalistische Recherche“ in der u. a. behauptet wurde, dass: „[...] Horden von Männern von 15 bis 45 Jahren mit auffallend dunklem Teint, von überwiegend migrationsstämmigen Gruppen, die nicht etwa mit anpacken und helfen, sondern frei im Katastrophengebiet vagabundieren – und, jedenfalls manche von ihnen plünderten.“30 Aktivitäten im Zusammenhang mit Geflüchteten Auch den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan im August versuchte die rechtsextremistische Szene dafür zu nutzen, um in rassistischer Diktion Ängste vor einer „Flüchtlings- und ­Migrationskrise“ heraufzubeschwören. Das Jahr 2015 wurde 37 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 zu einem Code, mit dem Ängste vor einer neuen „Flüchtlingswelle“ geschürt werden sollten. Die NPD veröffentlichte beispielsweise ein Posting, in dem es hieß: „Scharia in Deutschland? Nicht mit uns. Afghanen-Invasion verhindern.“31 Die rechtsextremistische Gruppierung Patriotic Opposition Europe rief in einem auf Facebook veröffentlichten Video zum Widerstand gegen die Aufnahme Schutzbedürftiger aus Afghanistan auf. Wörtlich hieß es dabei: „Wenn wir nicht aktiv werden, gehen wir gezielt unserem Untergang entgegen.“ Ein „neues 2015“ müsse verhindert werden.32 Dieselben rassistischen Töne schlug die rechtsextremistische Szene im Zusammenhang mit den Ereignissen an der polnisch-belarussischen Grenze an. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten zeichneten Schreckensszenarien von ­Wellen illegaler Grenzübertritte, die in Kürze auch Deutschland erreichen würden. Vor allem Der III. Weg instrumentalisierte die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze für seine eigene Agenda. Medienwirksam wurden sogenannte „Grenzgänge“ beworben, mit denen Anhängerinnen und Anhänger der Partei wenig verklausuliert dafür warben, etwaige Übertritte an der deutsch-polnischen Grenze eigenständig und auch gewaltsam zu verhindern. Für den 23. Oktober rief der Stützpunkt Uckermark des III. Wegs zu direkten Aktionen an der Grenze zu Polen auf. Es sollten „illegale Grenzübertritte“ von Einwanderern aus Nicht-EU-Staaten verhindert werden.33 Rund 50 Mitglieder, Aktivisten und Unterstützer des III. Wegs folgten dem Aufruf und versammelten sich in den Abendstunden des 23. Oktober u. a. im brandenburgischen Guben. Die Aktion, die im Vorfeld erhebliche mediale Aufmerksamkeit erfuhr, konnte durch die Polizei verhindert werden. Rechtsextremisten, die sich zu einem Vorabtreff versammelten, erhielten Platzverweise. Bei der Feststellung ihrer Personalien wurden zahlreiche Waffen, darunter Schlagwerkzeuge, M ­ acheten und Reizstoffsprühgeräte, sichergestellt. An der Aktion ­beteiligten sich Rechtsextremisten aus Berlin, Brandenburg, ­Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Auch die NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN) führte Aktionen im deutsch-polnischen Grenzgebiet durch. Über einen Kurznachrichtendienst postete die Gruppierung Bilder, die Aktivisten der JN bei einer Banner-Aktion im Grenzgebiet zeigten. Daneben wurden Flugblätter verteilt und plakatiert, auf denen in polemischer Weise die Schließung der Grenze zu Polen gefordert wurde.34 38 Die Themen „Geflüchtete“ und „Migration“ werden auch zukünftig zentrale Felder bleiben, mit denen die rechtsextremistische Szene versucht, Stimmungen zu erzeugen und neue Unterstützer zu rekrutieren. Das Beispiel der sogenannten „Grenzgänge“ zeigt, dass sie dabei weiterhin sowohl auf rassistische Propaganda als auch auf aggressive und gewalttätige Aktionsformen zurückgreift. Wahlen 2021 Die im September durchgeführten Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag, dem 19. Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen thematisierte die traditionelle rechtsextremistische Szene Berlins dagegen kaum. Von den zwei in Berlin diesem Spektrum zuzurechnenden Parteien – Der III. Weg und die NPD – trat nur letztere mit einer eigenen Landesliste und eigenen wenigen Direktkandidaten zu den Wahlen an. Die Berliner NPD konnte nur noch wenige Stimmen für sich gewinnen, und sie verlor im Vergleich zu den Wahlen des Jahres 2016 noch einmal deutlich. Ihr Stimmenanteil sank von 0,6 % 2016 (rund 9 500 Stimmen) auf nur noch 0,1 % 2021 (rund 2 300 Stimmen). Noch stärker als für die NPD ist die Teilnahme an Wahlen für den III. Weg von nur strategischer Bedeutung. Der eher kameradschaftsmäßig organisierten Gruppierung, die sich ihrem Selbstverständnis nach mehr als politische Bewegung denn als Partei versteht, soll die Teilnahme an Wahlen in erster Linie das staatliche Parteienprivileg sichern. Das Parteienprivileg ist Ausdruck der besonderen Bedeutung politischer Parteien für die parlamentarische Demokratie. Der Begriff meint das Folgende: Bis zur förmlichen Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit sind politische Parteien in ihrem Bestand geschützt und dürfen in ihrer politischen Tätigkeit nicht behindert werden. Insbesondere dürfen Aktivitäten einer nicht verbotenen Partei nicht durch Versammlungsverbote eingeschränkt werden. Für extremistische Parteien wie beispielsweise den III. Weg ist das Parteienprivileg von besonderer Bedeutung. Während reinen Event-Veranstaltungen (z. B. Konzerten) insbesondere der rechtsextremistischen Szenen häufig durch geeignete versammlungs- oder gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen entgegengewirkt werden kann, führt die Vermischung mit Parteiveranstaltungen zu Abgrenzungsschwierigkeiten, die ein Einschreiten insbesondere von Polizei- und Ordnungsbehörden erschweren. RECHTSEXTREMISMUS ZENTRALE RECHTSEXTREMISTISCHE AKTEURE IN BERLIN „NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS“ (NPD) GRÜNDUNG: 1964 PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 180 (2020: 200) Die NPD ist die älteste aktive rechtsextremistische Partei der Bundesrepublik. Ihre Bundesgeschäftsstelle befindet sich seit dem Jahr 2000 in Berlin. Sie verfügt mit den Jungen Nationalisten (JN) über eine Jugend- und dem Ring Nationaler Frauen (RNF) über eine Frauenorganisation. Die NPD vertritt eine rassistische und antisemitische Ideologie und verfolgt das Ziel der Schaffung einer ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“. Sie ist neonazistisch ausgerichtet und orientiert sich in ihrer Programmatik teilweise am historischen Nationalsozialismus. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2017 allerdings, die NPD nicht zu verbieten. Sie verfolge zwar verfassungsfeindliche Ziele, es sei aber nahezu ausgeschlossen, dass sie diese Ziele tatsächlich erreichen könne. In der Folge reichten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung im Juli 2019 einen Antrag auf Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung beim Bundesverfassungsgericht ein. In der rechtsextremistischen Szene Berlins sind sowohl Akteure des traditionellen Rechtsextremismus als auch der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten aktiv. Dabei ist es weniger die ideologische Ausrichtung, die beide Spektren unterscheidet. Insbesondere rassistische Positionen finden sich in beiden Lagern. Während traditionelle Rechtsextremisten allerdings stark auf Gewalt und öffentliche Aktionen setzen, zielen Anhängerinnen und Anhänger der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten vor allem darauf ab, rechtsextremistische Positionen anschlussfähig zu machen und gesellschaftliche und politische Diskurse in ihrem Sinne zu verschieben. Dafür werden bestimmte Themen wie etwa Migration, soziale Fragen oder Kriminalitätsbelastung vereinnahmt und zugespitzt, um dadurch Vorurteile gegen bestimmte Gruppen von Menschen – vor allem Migrantinnen und Migranten sowie Musliminnen und Muslime – zu schüren. Gezielt suchen Anhängerinnen und Anhänger der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechte Anschluss an nichtextremistische Kreise. Vor allem über Kampagnen in den sozialen Medien werden Themen unterschwellig mit rechtsextremistischen Thesen durchsetzt, um sie so möglichst weit zu verbreiten. Mit dieser Strategie der „Entgrenzung“ sollen die Grenzen zwischen verfassungskonformen und verfassungsfeindlichen Positionen aufgeweicht werden. Der III. Weg Zum zentralen Akteur des traditionellen rechtsextremistischen Spektrums in Berlin hat sich in den vergangenen beiden Jahren die neonazistische Partei Der III. Weg entwickelt. Obwohl bereits im März 2015 ein „Stützpunkt“ der Partei in Berlin gegründet wurde, trat sie hier lange Zeit öffentlich kaum in Erscheinung. Das hat sich in den letzten beiden Jahren spürbar verändert. Aktivisten des III. Wegs verteilten verstärkt Propagandamaterial und Flugblätter, sie richteten Infostände aus und führten Demonstrationen durch. Die Partei fiel dabei auch mit gezielten Provokationen auf. ­ So veröffentlichte der Berliner „Stützpunkt“ auf seiner Internetseite am 13. August einen Artikel anlässlich des 60. Jahrestags des Mauerbaus. Dieser Artikel thematisierte eine Plakataktion am Brandenburger Tor, bei der Aktivisten des III. Wegs ein Plakat mit der Aufschrift „Kommunisten töten.“ aufgehängt hatten. Eine ähnliche Aktion führte Der III. Weg im Rahmen des Bundestagswahlkampfes in den Bundesländern Bayern und Sachsen durch. Hier hatte die Partei Wahlkampfplakate aufgehängt, auf denen der Schriftzug „Hängt die Grünen!“ zu lesen war. Mit Beschluss vom 17. September untersagte das Landgericht München der Partei, den Slogan weiter zu verwenden. 39 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Politiker. Ziel der „Anti-Antifa-Arbeit“ ist es, die Betroffenen einzuschüchtern und in ihrer Arbeit zu behindern. DER III. WEG GRÜNDUNG: 2015 PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 60 (2020: 30) Nach seiner Gründung 2013 war Der III. Weg zunächst vor allem im Süden und Osten Deutschlands aktiv. Seit März 2015 ist die Partei mit einem Stützpunkt in Berlin aktiv. Die Parteigründung im September 2013 fiel in den Zeitraum des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der Verbotsüberlegungen gegen das neonazistische Netzwerk Freies Netz Süd in Bayern und war ein weiterer Versuch von Rechtsextremisten, Strukturen zu schaffen, für die deutlich höhere Verbotshürden gelten als für Vereine und andere Organisationsformen. Die Aktivisten versuchen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Kampagnen, die sich insbesondere gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik richten, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Ideologisch vertritt die Partei Der III. Weg offen neonazistische und migrationsfeindliche Positionen, weshalb der Berliner Ableger insbesondere für Aktivisten des Netzwerks Freie Kräfte, denen die NPD zu moderat agiert, attraktiv ist. Netzwerke Rechtsextremistische Musik und Freie Kräfte Ebenfalls dem Spektrum des traditionellen Rechtsextremismus sind die beiden informellen Netzwerke Rechtsextremistische Musik und Freie Kräfte zuzurechnen. Das Netzwerk Freie Kräfte ist ein lose organisiertes Netzwerk größtenteils neonazistisch geprägter Rechtsextremisten, das seine Ursprünge in der Kameradschaftsszene der frühen 2000er Jahre hat. Dem Netzwerk gehören in Berlin rund 140 Personen an. Zum Aktionsrepertoire des Netzwerks Freie Kräfte gehören auch Straftaten wie z. B. Sachbeschädigungen, Bedrohung und Körperverletzungen. Zentrales Aktionsfeld des Netzwerks Freie Kräfte ist die „Anti-Antifa-Arbeit“. Diese Selbstbezeichnung verwenden Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten für Aktivitäten, mit denen sie gezielt gegen „politische Gegner“ vorgehen. Betroffen sein können davon Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, Journalistinnen und Journalisten und auch Politikerinnen und 40 Das Netzwerk Rechtsextremistische Musik ist eng mit anderen rechtsextremistischen Strukturen und Akteuren, etwa dem Netzwerk Freie Kräfte und der NPD verzahnt. Insbesondere Parteistrukturen und die mit dem Parteienstatus einhergehenden Privilegien werden zur Organisation von Veranstaltungen im Bundesgebiet genutzt. In Berlin fanden 2021 keine rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen statt. Dem Netzwerk Rechtsextremistische Musik sind etwa 180 Personen zuzurechnen, darunter auch die Bands Deutsch, Stolz, Treue (D.S.T.), Die Lunikoff-Verschwörung, Legion of Thor, Macht & Ehre sowie der Rapper Villain 051 (A3stus). Für das Netzwerk stehen die Produktion und der Vertrieb rechtsextremistischer Musik sowie die Durchführung bzw. ­Beteiligung an Szenekonzerten im Vordergrund. Gerade diese Szenekonzerte hatten sich vor der Corona-Pandemie zu regelrechten Großevents mit z. T. mehreren tausend Teilnehmenden entwickelt. Diese Veranstaltungen dienen der Kontakt- und Netzwerkpflege. Regelmäßig wird bei solchen Events rassistische, antisemitische und gewaltaffine Propaganda verbreitet und die Szene setzt dort nicht unerhebliche Summen um, die in rechtsextremistische Strukturen und Aktionen fließen. Die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte Schließlich gehören zur rechtsextremistischen Szene in Berlin auch mehrere Gruppierungen der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten. Öffentlich traten sie 2021 weniger in Erscheinung als in den Jahren zuvor. Eine Ausnahme bildete die muslimen- und migrationsfeindliche Gruppierung Patriotic Opposition Europe (POE), deren maßgebliche Führungsperson regelmäßig zu Corona-Protesten mobilisiert und auch daran teilgenommen hatte. Die POE tritt seit 2019 öffentlich in Erscheinung. Ihre Aktivitäten beschränken sich überwiegend auf Berlin und die sozialen Medien. POE ist Teil des Netzwerkes von muslimen- und migrationsfeindlichen Rechtsextremisten, einem losen Verbund rechtsextremistischer Einzelpersonen und Kleingruppen. RECHTSEXTREMISMUS DIE VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE NEUE RECHTE IN BERLIN Unter dem Begriff der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten werden rechtsextremistische Bestrebungen zusammengefasst, die sich vordergründig vom historischen Nationalsozialismus distanzieren. An die Stelle herkömmlicher rechtsextremistischer Argumentationsmuster treten aktuelle politische Themen wie etwa Migration, soziale Fragen oder Kriminalitätsbelastung. Diese Themen werden vereinnahmt und zugespitzt. Die Migration von Menschen aus bestimmten Regionen wird als grundsätzlich negativ und unvereinbar mit einer vermeintlichen spezifisch deutschen oder europäischen Kultur dargestellt. Diese Migration führte – so gängige Argumentationsmuster der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten – ausschließlich dazu, dass das Sozialsystem belastet und Kriminalität zunehmen werde. Auf diese Weise werden Vorurteile gegen bestimmte Gruppen von Menschen – vor allem Migranten und Muslime – geschürt. Damit ist die Ideologie der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten darauf ausgerichtet, Menschen zu stigmatisieren und herabzuwürdigen. Anders als der traditionelle Rechtsextremismus, der sich zum Großteil innerhalb seiner eigenen Subkultur bewegt, sucht die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte gezielt Anschluss an nichtextremistische Kreise. Zum Spektrum der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten zählen in Berlin u. a. die Identitäre Bewegung Regionalgruppe Berlin (IB B) und die Patriotic Opposition Europe, die Teil des Netzwerks von muslimen- und migrationsfeindlichen Rechtsextremisten ist. An den Corona-Protesten beteiligten sich zu Beginn des Jahres auch noch mehrere Anhängerinnen und Anhänger der Identitären Bewegung (IB). Die IB trat auch in den sozialen Medien als Fundamentalopposition gegen die Corona-Politik der Bundesregierung auf.35 Diese Aktivitäten wurden jedoch vor allem vom Bundesverband der IB und einigen regionalen Gruppen getragen. Der Identitären Bewegung Regional­ gruppe Berlin (IB B) gelang es 2021 hingegen nicht mehr, eigene ­Aktionen durchzuführen. Der Rückgang der Aktivitäten der IB B ist auch Ausdruck des Drucks, der von Politik, Gesellschaft und Sicherheitsbehörden auf die IB in Deutschland und Europa ausgeübt wird. Bereits 2020 waren mehrere Konten der IB auf Twitter und Youtube gesperrt worden. Im März hatte die französische Regierung die französischen Identitären, die Generation Identitaire, verboten. In Österreich hatte das Parlament im Juli ein Verbot der öffentlichen Verwendung von Symbolen der Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ) beschlossen. ­Begründet wurden beide Verbote u. a. damit, dass die von den Identitären verbreitete Ideologie, insbesondere die Verschwörungserzählung vom „Großen Austausch“, den Nähr­ boden für Terror und Gewalt bildet. RECHTSEXTREMISTINNEN, RECHTSEXTREMISTEN UND REICHSBÜRGER IN SICHERHEITSBEHÖRDEN Das Thema „Rechtsextremistinnen, Rechtsextremisten und Reichsbürger in Sicherheitsbehörden“ hat für den ­Berliner Verfassungsschutz höchste Priorität. Aufgrund ihrer z. T. speziellen Fähigkeiten, dem Zugang zu Waffen und dem Zugriff auf sensible Daten geht von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden eine große Gefahr für Staat und Gesellschaft aus. Die Verfassungsschutzbehörden sind daher gefordert, Informationen über Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden zu sammeln, auszuwerten und – zur Einleitung weiterer Maßnahmen – zu teilen. Bereits 2020 hat der Verfassungsschutzverbund ein strukturiertes Verfahren zur Erfassung entsprechender Vorkommnisse geschaffen. Am 6. Oktober 2020 v­ eröffentlichte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Lagebericht zu „Rechtsextremisten in Sicherheitsbörden“.36 Dieser Bericht stellte eine erste Bestandsaufnahme dar, die inhaltlich und methodisch weiterentwickelt und fortgeschrieben wird. Für die Fortschreibung dieses Berichts stellten die Verfassungsschutzbehörden Informationen zu rechtsextremistischen Verdachtsfällen in Sicherheitsbehörden für den Zeitraum 1. Januar 2017 bis 31. August 2021 zusammen. Als Verdachtsfälle wurden solche Fallkomplexe gezählt, aufgrund derer dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen wegen des Verdachts von rechtsextremistischen Einstellungen oder Verhaltensweisen oder Strafverfahren eingeleitet wurden. Für Berlin beläuft sich die Zahl der entsprechenden Verdachtsfälle von Januar 2017 bis einschließlich August 2021 auf insgesamt 74 mit 93 betroffenen Personen. Es bleibt damit zentrale Aufgabe sowohl für den Verfassungsschutz Berlin als auch für die Berliner Polizei, jeden einzelnen Verdachtsfall detailliert zu untersuchen. Im Zentrum der qualitativen Analyse der entsprechenden Verdachtsfälle steht die Frage, ob sich aus diesen Fällen Hinweise für die Existenz von rechtsextremistischen Netzwerken innerhalb des öffentlichen Dienstes in Berlin und insbesondere der Berliner Sicherheitsbehörden ergeben. Aus den bislang bekannten Fällen haben sich dafür keine Verdachtsmomente ergeben. Der gesamte öffentliche Dienst Berlins und die Berliner ­ icherheitsbehörden im Besonderen sind gehalten, jeder S Form von rechtsextremistischem und menschenverachtendem Gedankengut entschlossen entgegenzutreten. Zu diesem Zweck hat die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport in Zusammenarbeit mit der Polizei Berlin bereits 41 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 2020 ein „Konzept zur internen Vorbeugung und Bekämpfung von möglichen extremistischen Tendenzen“ – den sogenannten „11-Punkte-Plan“ – erarbeitet, der erfolgreich umgesetzt und fortentwickelt wird. Der „11-Punkte-Plan“ beinhaltet u. a. die Anpassung der Rechtsgrundlagen für Zuverlässigkeitsüberprüfungen der Mitarbeitenden und Bewerbenden der Polizei Berlin und der Berliner Feuerwehr, die Einsetzung einer Extremismusbeauftragten bei der Polizei Berlin, die Vereinheitlichung der Erfassung politisch motivierter Dienstvergehen, das Monitoring und die Supervision von Dienstkräften und die Durchführung einer wissenschaftlichen Studie zu Einstellungsmustern und Wertvorstellungen unter den Mitarbeitenden der Berliner Polizei. Der Berliner Verfassungsschutz führt zudem im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags regelmäßig Informationsveranstaltungen zum Thema „Rechtsextremismus“ für Angehörige des öffentlichen Dienstes und der Sicherheitsbehörden durch und wirkt bei der Bewertung extremistischer Verdachtsfälle im öffentlichen Dienst mit. Hierbei liefert er z. B. den jeweiligen Verwaltungen Erkenntnisse zu, um eine Entfernung von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten aus dem öffentlichen Dienst zu unterstützen. 42 Personenpotenzial Rechtsextremismus 1440 (+10) (abzüglich Mehrfachmitgliedschaften: 100 (+0)). Davon: gewaltorientierte Rechtsextremisten 750 ( 40 ) +10 NPD 180 (-20) P a r te ie n 2 Parteien 240 (+10) Der III. Weg 60 (+30) Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial In ­parteiunabhängigen bzw. parteiunge­ bundenen Strukturen 850 (+50) 450 (-50) In Klammern Veränderungen in absoluten Zahlen zum Vorjahr. PERSONENPOTENZIAL Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Berlin hat sich leicht auf 1 440 Personen vergrößert. Zurückzuführen ist das auf den Mitgliederzuwachs der neonazistischen Partei Der III. Weg, die die Zahl ihrer Mitglieder und Unterstützer von 30 auf 60 verdoppeln konnte. Mehr als die Hälfte des rechtsextremistischen Personenpotenzials in Berlin ist dem sogenannten „weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial“ zuzurechnen. Dazu zählen Personen, die nicht innerhalb bzw. ohne feste Anbindung an rechtsextremistische Strukturen agieren. Es handelt sich u. a. um Personen, die als rechtsextremistische Straf- und Gewalttäter bekannt sind oder an rechtsextremistischen Szeneveranstaltungen teilnehmen. Diese Personen werden vor allem im Zusammenhang mit überregionalen ­Musikund Kampfsport- oder sonstigen für die Szene relevanten Veranstaltungen mobilisiert. Immer wieder lockern sich auch zuvor fest strukturierte Gruppierungen so weit auf, dass deren Anhängerschaft in den Bereich des „weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials“ fällt. 2021 traf dies auf die Berliner Regionalgruppe der Identitären Bewegung (IB B) zu. Deren etwa 40 Anhängerinnen und Anhänger werden – anders als im Vorjahr – dem „weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial“ zugerechnet. Dem Netzwerk von muslimen- und migrationsfeindlichen Rechtsextremisten werden unverändert etwa 100 Personen zugerechnet. Das Potenzial rechtsextremistischer Reichsbürger liegt ebenfalls unverändert bei 150 Personen. Von den 1 440 Personen, die dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum in Berlin zugerechnet werden, gelten etwa 750 unverändert als gewaltorientiert. 43 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 44 4 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Entwicklungen 2021 47 Reichsbürger-Aktivitäten jenseits der Corona-Proteste48 Verstärkte Aktivitäten von ReichsbürgerGruppierungen48 45 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 IDEOLOGIE Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem leugnen und ablehnen. Sie teilen überwiegend die Vorstellung, Deutschland würde von einer „BRD GmbH“ verwaltet oder sei weiterhin von den Alliierten besetzt. Rechtsextremistische Reichsbürger vertreten neben Verschwörungserzählungen zudem auch revisionistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen. Für die Umsetzung ihrer Ideologie treten sie aktiv ein, z. B. mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Vertretern von Gerichten und Behörden. 4 Reichsbürger und Selbstverwalter 46 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 • Anders als noch im Vorjahr gelang es Reichsbürgern und Selbstverwaltern 2021 deutlich seltener die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie als öffentlichkeitswirksame Bühne für die Verbreitung ihrer eigenen ideologischen Mischung aus Verschwörungserzählungen und Demokratieverachtung zu nutzen. • 2021 rief die Szene wieder vermehrt zu eigenen Kundgebungen auf, an denen sich in der Regel jedoch vor allem Szeneangehörige beteiligten. • Im vergangenen Jahr traten in Berlin mehrere neue Reichsbürger-Gruppierungen auf, die bislang keine personellen und strukturellen Überschneidungen zu bestehenden Gruppierungen aufweisen. PERSONENPOTENZIAL 2021 Rei 70 davon rechtsextremistisch 150 sb ge l te ch ür r6 Reichsbürger und Selbstverwalter 670 r un d S e lb st v a w r e 47 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 REICHSBÜRGER-AKTIVITÄTEN JENSEITS DER CORONA-PROTESTE Im heterogenen Spektrum der Reichsbürger und Selbstverwalter nahm das Interesse an den Corona-Protesten 2021 deutlich ab. Noch im Vorjahr war es das zentrale Thema für die Szene gewesen. Reichsbürger und Selbstverwalter waren an nahezu allen öffentlichen Protestveranstaltungen in Berlin beteiligt. Mit ihrer Affinität für Verschwörungserzählungen und ihren Behauptungen von einer vermeintlichen „Illegitimität“ staatlichen Handelns in Deutschland fanden Reichsbürger und Selbstverwalter zunächst durchaus Anschluss an die Corona-Proteste. Zu den Reichsbürger-Gruppierungen, die in Berlin regelmäßig öffentliche Veranstaltungen, zumeist vor dem Reichstagsgebäude, durchführen, gehören die Gelbe Westen Berlin und staatenlos.info. Erstgenannte Gruppierung versucht bereits seit 2018, den Protest der gilets jaunes (Gelbwesten) in Frankreich für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Gelbe Westen Berlin führte regelmäßig Mahnwachen vor dem Reichstagsgebäude durch. Die Gruppierung staatenlos.info ist bereits seit Jahren in Berlin aktiv. Auf ihrer Internetpräsenz verbreitet die Gruppierung zahlreiche Stellungnahmen und Videos mit verschwörungserzählerischen und geschichtsverfälschenden Inhalten. staatenlos.info führte regelmäßig Kundgebungen vor dem Reichstagsgebäude durch. Dabei fordert sie u. a. in reichsbürgertypischer Diktion dazu auf, In Berlin ist daraus allerdings keine tragfähige Verbindung geworden. Waren die regelmäßigen Veranstaltungen von Berliner Reichsbürger-Gruppierungen wie etwa staatenlos.info Comedian e. V. (staatenlos.info) 2020 noch zentrale Anlauf„die deutsche Frage lösen und uns aus der Treuhand Bundespunkte während der größeren Corona-Protestveranstaltungen republik Deutschland Verwaltung Deutschland Aktiengesellgewesen, blieben Reichsbürger und Selbstverwalter bei ihren schaft Germany [zu] befreien.“37 Veranstaltungen 2021 zumeist unter sich. Sie konnten keinen VERSTÄRKTE AKTIVITÄTEN VON steuernden Einfluss auf das Protestgeschehen nehmen und zogen sich daraufhin wieder in ihre eigene ideologische REICHSBÜRGER-GRUPPIERUNGEN Nische zurück. Ebenso wie Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten wurden auch Reichsbürger und Selbstverwalter zu Verfassunggebende Versammlung einer Randerscheinung der Corona-Proteste. Infolge dieser Bereits seit 2020 sind in Berlin verstärkte Aktivitäten der Entwicklung traten Reichsbürger-Gruppierungen in Berlin wieder vermehrt mit eigenen Kundgebungen in Erscheinung. Reichsbürger-Gruppierung Verfassunggebende Versammlung festzustellen. Die Gruppierung lehnt das Grundgesetz ab und beruft sich stattdessen auf die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849, die von der Frankfurter Nationalversammlung ausgearbeitet wurde, jedoch nie in Kraft trat. Die RECHTSEXTREMISTISCHE REICHSBÜRGER Verfassunggebende Versammlung betrachtet sich selbst als Übergangsregierung eines „Bundesstaates Deutschland“. Sie tritt überwiegend virtuell in Erscheinung. Im Internet unterhält die Gruppierung einen eigenen Webauftritt. Dort findet sich Die meisten Reichsbürger haben kein geschlossenes eine von ihr erstellte „Verfassung“, die für ganz Deutschland ideologisches Weltbild. Ihre Argumentationen kreisen gelten soll. Darüber hinaus werden regelmäßig eigene Fantahäufig in pseudojuristischer Diktion um den Versuch, sie-Gesetze erlassen oder auch ein eigenes „Zahlwesen“, mit eine vermeintliche Nichtexistenz der Bundesrepublik beispielsweise Fantasie-Längenmaßen, entworfen. Daneben Deutschland zu belegen. In Verbindung damit wird hat die Gruppierung u. a. im Bezirk Lichtenberg Flugblätter in z. B. auf das Deutsche Kaiserreich, die preußische Briefkästen verteilt. Auf diesen rief sie die Bevölkerung dazu Verfassung, die Weimarer Reichsverfassung oder auf auf, nicht an der Bundestagswahl teilzunehmen, sondern sich Fantasiereiche Bezug genommen, in deren Rechtstradistattdessen an einer Abstimmung für ein „freies und souvetion sich die Reichsbürger sehen. Rechtsextremistische ränes Deutschland“ zu beteiligen. Wörtlich hieß es in dem Reichsbürger dagegen verbinden häufig die BehaupFlugblatt: tung, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat, mit fremdenfeindlichen Einstellungen oder „Wenn Sie eine Partei in der BRD wählen (EGAL WELCHE einem ausgeprägten Antisemitismus. In ihrer Vorstellung ­PARTEI), dann wählen Sie den Fortbestand der Besatzungs­ wurden historische Ereignisse, wie z. B. der Zweite regeln, Fortbestand der Gültigkeit der Feindstaatenklausel Weltkrieg oder die Gründung der Bundesrepublik bei der UNO, Fortbestand des weltweit geltenden KriegsDeutschland, von einer imaginierten jüdischen Weltverrechts und Fortbestand der Herrschaft von Lobbyisten aus schwörung ausgelöst. Einige der rechtsextremistischen Wirtschaft und Bankwesen.“38 Reichsbürger leugnen den Holocaust. 48 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Die Verfassunggebende Versammlung verbreitet auch Fantasiedokumente, z. B. sogenannte „Immunitätsbescheinigungen“. Dabei handelt es sich um Pseudoausweise, die dem Inhaber angeblich „Immunität“ gegenüber den in Deutschland geltenden Gesetzen verleihen. Zu dem von der Gruppierung angestrebten „Bundesstaat Deutschland“ gehören auch solche Gebiete, die sich auf polnischem, französischem und tschechischem Staatsgebiet befinden. Vaterländischer Hilfsdienst Mit dem Vaterländischen Hilfsdienst (VHD) war im vergangenen Jahr eine weitere Reichsbürger-Gruppierung in Berlin aktiv. Sie ist ein Ableger der 2018 in Mecklenburg-Vorpommern gegründeten Reichsbürger-Gruppierung „Bismarcks Erben“. Ziel des VHD ist die „Reorganisation“ der Bundesrepublik Deutschland als Deutsches Kaiserreich. In reichsbürgertypischer Manier wähnen sich die Mitglieder des VHD in einer Art Kriegszustand, der bereits seit Juli 1914, dem Beginn des Ersten Weltkrieges, fortbestehen soll. Die Gruppierung behauptet, dass nach 1918 erlassene Gesetze keine Gültigkeit besäßen. Reichsbürger-Szene bleibt aktiv Reichsbürger und Selbstverwalter traten 2021 weniger ­ ffentlichkeitswirksam in Erscheinung, als noch im Vorjahr. Die ö Szene bleibt allerdings aktiv. Neben Einzelpersonen beteiligen sich auch diverse Gruppierungen und Netzwerke an der Verbreitung der Reichsbürger-Ideologie in Berlin. Thematisch spielte die Corona-Pandemie für die Szene nur noch eine untergeordnete Rolle, auch da Reichsbürger und Selbstverwalter immer weniger Einfluss auf das Protestgeschehen nehmen konnten. Die Szene hat sich insofern im vergangenen Jahr wieder stärker in ihre eigene ideologische Blase aus Verschwörungserzählungen, der Vorstellung „alternativer Verfassungen“ oder auch der Ausgabe von Fantasiedokumenten zurückgezogen. Dies bedeutet jedoch keine Entwarnung. Bereits vor der ­Pandemie hatte diese toxische ideologische Mixtur der Reichsbürger die Radikalisierung Einzelner forciert und zu Gewalttaten animiert. Diese Gefahr besteht unverändert fort. Name und Zweck der Gruppierung sind offenbar an das ­„Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst“ von 1916 angelehnt, mit dem alle Kräfte für den Krieg mobilisiert, einer Revolution von „links“ vorgebeugt und so der Erhalt der Monarchie sichergestellt werden sollte. Der Vaterländische Hilfsdienst vertritt gebietsrevisionistische und antisemitische Thesen, die er über eine eigene Internetpräsenz verbreitet. Geeinte deutsche Völker und Stämme Die Reichsbürger-Gruppierung Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) fiel seit 2017 durch eine Vielzahl teils ­aggressiver Schreiben an staatliche Stellen und Privatper­ sonen auf. In diesen Schreiben wurde die „Reaktivierungen von Hoheitsgebieten“ erklärt und die Übergabe von Amtsgebäuden an die Gruppierung gefordert. Am 19. März 2020 wurden die GdVuSt durch den Bundesminister des Innern verboten. Die Gruppierung verstieß gegen geltende Gesetze und richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Infolge des Verbots wurden insbesondere die Internetpräsenzen der GdVuSt sowie der YouTube-Kanal einer Funktionärin der Gruppierung abgeschaltet. Allerdings traten Anhängerinnen und Anhänger der Gruppierung auch nach dem Verbot mit Schreiben an öffentliche Einrichtungen in Erscheinung, die im Namen der GdVuSt versendet wurden. Zudem bietet eine führende Funktionärin der Gruppierung weiterhin Seminare an, in denen sie reichsbürgertypische Inhalte propagiert, die sie auch auf einem Telegram-Kanal verbreitet.39 49 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 50 5 ISLAMISMUS Entwicklungen 2021 53 Salafistische Aktivitäten in Berlin 54 Antisemitismus und Israelfeindschaft – Aktivitäten des nicht-salafistischen islamistischen Spektrums in Berlin 55 Die Machtübernahme der Taleban in Afghanistan und mögliche Auswirkungen auf Berlin 58 Personenpotenzial61 51 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 IDEOLOGIE Islamismus bedeutet die Ideologisierung des Islam und steht für den Anspruch, der Islam sei nicht nur Religion, sondern auch Herrschaftsideologie und Gesellschaftsordnung. ­Islamismus beinhaltet die Forderung nach Anwendung der islamischen Rechts- und Werteordnung Scharia. Die Ausrichtung an der Scharia begrenzt die Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit ebenso wie die Rechte von Frauen und Minderheiten. Islamismus ist daher nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Zum Islamismus gehören sowohl nicht-gewaltorientierte, legalistische ­Gruppen als auch gewaltbefürwortende und terroristische Gruppen. 5 Islamismus 52 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 • Am 25. Februar hat die Senatsverwaltung für Inneres und Sport die jihad-salafistische Gruppierung Jama’atu Berlin verboten, da sie sich gemäß der Verbotsverfügung in kämpferisch-aggressiver Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie die Völkerverständigung gerichtet hatte. • Die nicht-salafistischen islamistischen Organisationen in Berlin reagierten auf die Eskalation des Nahost-Konflikts mit einer massiven antisemitischen und israelfeindlichen Mobilisierung. Das prägte die öffentlichen Veranstaltungen, die von diesem Spektrum im Mai durchgeführt wurden. • Teile des islamistischen Spektrums begrüßten die Machtübernahme der Taleban in Afghanistan und erhoffen sich davon eine Signalwirkung. Vor allem nicht-salafistische Organisationen kommentierten die Entwicklungen in Afghanistan positiv. PERSONENPOTENZIAL 2021 Transnationaler islamistischer Terrorismus mind. 40 Sonstige gewaltorientierte islamistische Gruppierungen 520 Legalistischer Islamismus 600 Salafistische Bestrebungen 1100 Islamismus 2260 Isl am is m us 22 6 0 53 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 SALAFISTISCHE AKTIVITÄTEN IN BERLIN SALAFISMUS Das Verbot einer jihad-salafistischen Vereinigung Am 25. Februar hat die Senatsverwaltung für Inneres und Sport eine islamistische Missionierungsvereinigung unter dem Namen Jama’atu Berlin alias Tauhid Berlin verboten und aufgelöst. Der Vereinigung ist damit jede Tätigkeit untersagt. Nach der Verbotsverfügung erfolgte das Verbot auf der Grundlage von Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 3 des Vereinsgesetzes. Demnach habe sich die Gruppierung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport führte zur Begründung an, dass die Vereinigung den bewaffneten Jihad und Terroranschläge auf Zivilisten befürwortet, einen Märtyrerkult propagiert, der die Bereitschaft zu Attentaten erhöhen soll, und für die Ideologie der Terrororganisation Islamischer Staat geworben habe. Die Verbotsverfügung führt weiterhin aus, dass die Vereinigung zudem das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ablehnt und eine Ordnung angestrebt habe, in der Gott der alleinige Souverän und die Scharia das einzig legitime Gesetz sei. Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Vertreter seien von der Vereinigung rigoros abgelehnt und die Legitimität staatlicher Institutionen geleugnet worden. Die Vereinigung habe aus einer Frauen- und einer Männergruppe bestanden. Beide Gruppen sollen sich regelmäßig in Privatwohnungen und Parks zu Unterrichten und Gebeten getroffen haben. Ihre Ideologie habe die Vereinigung über das Internet und bei Flyerverteilungen im öffentlichen Raum verbreitet.40 Die Vereinigung hat gegen das Verbot Klage erhoben. Salafistische Moscheevereine und Veranstaltungen Obwohl die Prediger in den salafistischen Moscheevereinen Berlins 2021 erneut deutlich zurückhaltender und vorsichtiger agierten als in früheren Jahren, bilden diese Vereine dennoch weiterhin wichtige Plattformen zur Verbreitung der salafistischen Ideologie sowie zur Vernetzung ihrer Anhänger. In Berlin zählen das Furkan Zentrum sowie die Al-Nur-Moschee, aber auch der nach wie vor existierende Verein As-Sahaba/ Die Gefährten e. V. mit dem bundesweit aktiven Prediger „Abul Baraa“ zur salafistischen Szene. 54 PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 1 100, davon gewaltorientiert: 450 (2020: 1 100, davon gewaltorientiert: 450) Der Begriff „Salafismus“ bezeichnet eine sunnitische Bewegung, die auf den Lehren des im 18. Jahrhundert lebenden Muhammad Ibn Abd al-Wahhab begründet ist. Der nach ihm benannte „Wahhabismus“ wird vorrangig in Saudi-Arabien praktiziert. Die Anhänger des Salafismus nehmen für sich Anspruch, die einzig wahre Lehre des Islam zu vertreten. Der Salafismus besteht aus unterschiedlichen Strömungen. Der Verfassungsschutz beobachtet den politischen und den jihadistischen Salafismus. Beide Strömungen stellen eine verfassungsfeindliche Ideologie dar, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist. Politischer und jihadistischer Salafismus unterscheiden sich prinzipiell in der Wahl der Mittel. Der politische Salafismus stützt sich auf Propaganda zur Verbreitung seiner Ideologie. Der jihadistische Salafismus setzt hingegen auf eine Strategie der Gewaltanwendung. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend. Furkan Zentrum / Furkan e. V. In den vergangenen Jahren haben sich die Erkenntnisse über eine salafistische Ausrichtung des bereits 2014 gegründeten Furkan Zentrums in Neukölln zunehmend verdichtet. Beispielsweise wird dort regelmäßig das für den Salafismus zentrale Konzept „Loyalität und Lossagung“ (arab.: „al-wala‘ wa-al-bara‘“) propagiert. „Loyalität“ steht dabei für die Treue zu Gott, den Muslimen und dem Islam, während „Lossagung“ die Aufforderung bezeichnet, sich von Nicht-Muslimen ebenso wie von nicht rechtgläubigen Muslimen so weit als möglich zu distanzieren, sie zu verachten und ihnen sogar Feindschaft entgegen zu bringen. Durch Aussagen wie diese intendieren Salafisten eine Spaltung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Solche Ausführungen verdeutlichen zudem eine ­kategorische Ablehnung der Integration in eine säkulare Gesellschaft. ISLAMISMUS Das Besucherspektrum der Moschee ist überwiegend arabisch geprägt. Darüber hinaus besuchen auch Personen türkischer Abstammung und vereinzelt deutsche Konvertiten den Verein. In der Vergangenheit war das Furkan Zentrum Anlaufstelle für ehemalige Besucherinnen und Besucher anderer einschlägiger salafistischer Einrichtungen – etwa der Fussilet 33-Moschee,41 der As-Sahaba-Moschee oder der Ibrahim alKhalil-Moschee. Die beiden letztgenannten Moscheen wurden jeweils zum Jahresbeginn 2020 und 2021 geschlossen.42 Al-Nur-Moschee Die Verantwortlichen der Neuköllner Al-Nur-Moschee sind bereits seit längerer Zeit darum bemüht, der Öffentlichkeit ein moderates Bild ihrer Einrichtung zu vermitteln. Dennoch fallen in den Freitagspredigten immer wieder salafistische ­Aussagen. So äußerte etwa ein Imam, dass Jerusalem geschützt werden müsse. Es werde der Tag kommen, an dem nach Gottes Willen ganz Jerusalem wieder den Muslimen ­gehören und von den „Besatzern befreit“ werde. Mit der Verwendung des Begriffs „Besatzer“ macht der Imam deutlich, dass Israel kein legitimes Recht auf die Stadt habe. Insoweit erklärt er Jerusalem in seiner Gesamtheit zu unveräußerlichem muslimischen Territorium und negiert damit die politischen Ansprüche Israels in Jerusalem. ANTISEMITISMUS UND ISRAELFEINDSCHAFT – AKTIVITÄTEN DES NICHT-SALAFISTISCHEN ISLAMISTISCHEN SPEKTRUMS IN BERLIN Die in Berlin aktiven nicht-salafistischen islamistischen Gruppierungen sind eng an die jeweiligen Mutterorganisationen ihrer Heimatländer, wie HAMAS oder Hizb Allah gebunden. Diese Organisationen bestimmen auch die Strategie und Taktik ihrer Ableger in Deutschland. Ihre Anhängerinnen und Anhänger agieren in Berlin weitgehend konspirativ. Kern der Ideologie dieser islamistischen Organisationen ist die Islamisierung von Staat und Gesellschaft, die nicht mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Einige Gruppen sind nicht gewaltorientiert; andere befürworten Gewaltanwendung oder agieren im Nahen Osten sogar mit militärischen und terroristischen Mitteln. Allen gemeinsam ist ein Antisemitismus und insbesondere ein israelbezogener Antisemitismus. In der Al-Nur-Moschee fanden an Wochenenden im August und Oktober mehrere Islamseminare für Frauen mit Vorträgen, Workshops, gemeinsamem Essen und Übernachtung statt. Die Zahl der Besucherinnen lag teilweise bei bis zu 40 Personen. Der Vorstand der Al-Nur-Moschee wird von Salafisten dominiert. Zu den Besuchern gehören – ebenso wie im Falle des Furkan Zentrums – zahlreiche Personen, die früher regelmäßig an den salafistischen Veranstaltungen in der As-SahabaMoschee sowie der Ibrahim al-Khalil-Moschee teilgenommen haben. Neben den Predigten in Moscheen und sozialen Netzwerken gab es auch mehrere Verteilaktionen von salafistischen Flyern und Büchern sowie Islamseminare und Vortragsveranstaltungen. Beispielhaft dafür ist ein „Aqidah43-Seminar“, das im September von einem Berliner sowie einem aus Bayern stammenden Reise-Prediger abgehalten wurde. Beide Personen sind aus dem salafistischen Spektrum bekannt und auch bundesweit als Redner aktiv. Wie aus dem entsprechenden Flugblatt hervorgeht, mit dem für diese Veranstaltung geworben wurde, basierte das Seminar auf der Doktrin der „Ahl as-Sunnah wa-l-Jama’a“ („Leute der Prophetentradition und der Gemeinschaft“). Bei diesem arabischen Begriff handelt es sich um eine typische Eigenbezeichnung von Salafisten. Sie erheben damit den Anspruch, die einzigen Vertreter des „wahren Islams“ zu sein, während die Mehrheit der Muslime dem Islam nur noch nominell angehöre und vom „rechten Glauben“ abgefallen sei. HIZB ALLAH (PARTEI GOTTES) GRÜNDUNG: 1982 im Libanon IDEOLOGIE: schiitisch-islamistisch; terroristisch PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 300 (2020: 250) Die libanesische Hizb Allah (Partei Gottes) negiert ­Israels Existenzrecht und bekämpft es militärisch, ­weshalb die USA, Großbritannien und Israel die ­Organisation als Terrororganisation einstufen. Seit dem 30. April 2020 unterliegt sie in Deutschland einem Betätigungsverbot. Ihr schlagkräftiger militärischer Arm („Islamischer Widerstand“) wird auf der EU-Terroristenliste geführt. Die Hizb Allah wird von Iran und Syrien unterstützt. Ihre Anhänger agieren in Deutschland selten offen. Sie unterstützen die Organisation vor allem durch das Sammeln von Spenden und nehmen am jährlichen al-Quds-Tag teil, der in diesem Jahr allerdings pandemiebedingt abgesagt wurde. 55 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Gewalttätiges und antisemitisches Demonstrationsgeschehen Im Mai kam es in Berlin zu einem massiven antisemitischen und israelfeindlichen Demonstrationsgeschehen mit etwa 20 pro-palästinensischen Veranstaltungen. Hintergrund war die erneute Eskalation des Nahostkonflikts in Israel und den palästinensischen Gebieten. Diese Eskalation hatte sich an Zwangsräumungen palästinensischer Häuser im Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah, dem Vorgehen der israelischen Polizei auf dem Tempelberg und in der al-Aqsa-Moschee sowie der Absage der Parlamentswahlen durch die palästinensische Autonomiebehörde entzündet. Im Zuge dieser seit 2014 größten Gewalteskalation hatten terroristische palästinensische Organisationen wie die HAMAS Raketen auf israelisches Staatsgebiet abgeschossen. In der Folge war es zu Luft- und Artillerieangriffen Israels auf den Gazastreifen und zu gewaltsamen Ausschreitungen arabischer Israelis gekommen. Die militärischen Auseinandersetzungen haben mehrere hundert Tote gefordert und wurden erst mit einer Waffenruhe am 21. Mai beendet. HAMAS (BEWEGUNG DES ISLAMISCHEN WIDERSTANDS) GRÜNDUNG: 1987 im Gazastreifen IDEOLOGIE: sunnitisch-islamistisch; terroristisch PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 100 (2020: 80) Die HAMAS entstammt dem palästinensischen Zweig der Muslimbruderschaft (MB). Sie negiert das Existenzrecht Israels und strebt nach Befreiung des gesamten historischen Palästinas und nach Errichtung eines „Islamischen Staates“. Dazu setzt sie auch auf gewaltsame Mittel. Ihr militärischer Arm nennt sich Izz al-Din al-Qassam-Brigaden. Die Gesamtorganisation ist von der EU seit 2003 als terroristisch gelistet. In Berlin nutzen HAMAS-Anhänger verschiedene Moscheen und Islamische Zentren. In Berlin wiesen mehrere Demonstrationen, die im Zusammenhang mit der Eskalation des Nahostkonflikts stattfanden, 56 eindeutige Organisationsbezüge durch die Anmelder oder Teilnehmenden zu verfassungsfeindlichen islamistischen oder säkularen palästinensischen Organisationen auf. Vier Demonstrationen – am 9., 14., 15. und 19. Mai – wurden von einem Anhänger der säkular-marxistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP)44 initiiert; eine Demonstration am 16. Mai wurde aus dem Umfeld der islamistischen HAMAS angemeldet.45 In der Regel mobilisierten die Anhänger beider Organisationen gegenseitig für die jeweiligen Versammlungen und nahmen gemeinsam daran teil. Eine für den 22. Mai vorgesehene, allerdings im Vorfeld verbotene Veranstaltung wurde aus dem Umfeld der islamistischen Hizb ut-Tahrir (HuT) organisiert. HIZB UT-TAHRIR (HUT, PARTEI DER BEFREIUNG) GRÜNDUNG: 1953 in Jordanien IDEOLOGIE: sunnitisch-islamistisch; gewaltbefürwortend PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 70 (2020: 60) Die Hizb ut-Tahrir (HuT) ist eine pan-islamistische Organisation, die im Nahen Osten und in Zentral- und Südostasien offen oder im Untergrund agiert. Sie lehnt die parlamentarische Demokratie ab, fordert einen militanten Jihad und strebt die Anwendung der Scharia, die Einführung einer weltweiten Kalifatsherrschaft sowie die Vernichtung des Staates Israel an. In Deutschland unterliegt die HuT aufgrund antisemitischer Hetze und Aufrufen zur Zerschlagung Israels seit 2003 einem Betätigungsverbot. Sie agiert hier seither überwiegend konspirativ und rekrutiert vor allem in universitären Kreisen Mitglieder. Bei mehreren dieser Veranstaltungen kam es zu massiven Gewaltausbrüchen. Dies gilt vor allem für eine Demonstration, die am 9. Mai unter dem Motto „Solidaritätskundgebung mit der palästinensischen Bevölkerung in SehekJarh in Jerusalem“46 stattfand und zu der durch die PFLP und HAMAS-nahe Vereine mobilisiert wurde. Nach dem Zusammentreffen mit einer zweiten Demonstration war keine Einflussnahme auf das Versammlungsgeschehen mehr möglich. Daher wurde die Demonstration aufgelöst, wobei es zu massiven Ausschrei- ISLAMISMUS tungen und Angriffen von Demonstrationsteilnehmenden auf die Polizei kam. Es kam zu zahlreichen Straftaten, darunter schwerer Landfriedensbruch, Widerstand, tätliche Angriffe und versuchte Gefangenenbefreiung. Auch die Veranstaltung am 15. Mai zum Thema „Tag der politischen Gefangenen“ endete mit Angriffen auf die Polizei. schaft vorhandenes Solidaritätsgefühl mit dem Anliegen der Palästinenserinnen und Palästinenser für ihre israelfeindliche Agenda zu instrumentalisieren. Dass diese Strategie verfing, zeigte sich nicht nur auf der Straße, sondern spiegelt sich auch in den gestiegenen Anhängerzahlen dieser Gruppierungen wider. Antisemitische, israelfeindliche und gewaltverherrlichende Slogans prägten das Versammlungsgeschehen. So wurde beispielsweise auf den Demonstrationen, die am 14. und 15. Mai stattfanden, der Schlachtruf „Khaybar, Khaybar, oh ihr Juden! Muhammeds Armee kehrt zurück!“47 skandiert. Darüber hinaus riefen die Demonstrierenden auch verschiedene andere gewaltverherrlichende Losungen wie etwa „Die Intifada [dt. Aufstand] ist die Lösung!“ und „Rakete nach Rakete! Gaza wird immer stolzer! […] Die Steine wurden zur Kalaschnikow!“, die den bewaffneten Kampf gegen Israel beschworen. Auch Slogans wie „Bombardiert Tel Aviv!“ und „Stich die Siedler ab!“ wurden skandiert. Mit dem Schlachtruf „Zur Al-Aqsa-Moschee, Fedajin! Schlagt zu, Al-Qassam-Brigaden!“ wurde das Agieren der „Opferbereiten“ (arab. Fedajin) und des militärischen Arms der HAMAS glorifiziert. Diese Botschaften wurden zudem von Demonstrationsteilnehmenden durch Flaggen und Stirnbänder der HAMAS und der Izz al-Din al-Qassam-Brigaden verstärkt.48 Israelfeindschaft bei nicht-gewaltorientierten legalistischen Organisationen Darüber hinaus waren auf den Demonstrationen auch Plakate mit der Parole „Kindermörder Israel“ zu sehen. Zudem wurden mehrfach Losungen skandiert, die sich gegen das Existenzrecht Israels richteten, wie sie auch im Zusammenhang mit Boykottaufrufen gegen Israel verwendet werden („Israel does not exist – it’s all Palestine“ [„Israel gibt es nicht – es ist alles Palästina“] und „From the river to the sea, Palestine will be free“ [„Vom [Jordan-]Fluss bis zum [Mittel-] Meer, Palästina wird frei sein“]). Das von Israelfeindschaft, Antisemitismus und Gewalt geprägte Demonstrationsgeschehen in Berlin macht deutlich, dass die hiesigen islamistischen Gruppen und ihre Anhänger in diesem Konflikt eine gemeinsame Stoßrichtung verfolgen. Die hierbei auch öffentlich vertretenen politischen Einstellungen belegen einmal mehr, dass israelfeindliche-antisemitische Grundhaltungen – bei aller Verschiedenheit der Ausrichtung islamistischer Gruppen – zum Kernbestandteil ihrer Ideologie gehören. In ihrer Ablehnung des Staates Israel agieren sie darüber hinaus gemeinsam mit säkularen verfassungsfeindlichen Organisationen wie der PFLP. Die ideologischen Differenzen islamistischer Organisationen mit der laizistischen PFLP haben bei diesem Thema keine Relevanz. Auch wenn viele der Demonstrationsteilnehmenden nicht unmittelbar verfassungsfeindlichen Organisationen zuzurechnen sind, waren diese Gruppen jedoch maßgeblich an der Mobilisierung und auch der Organisation dieser Veranstaltungen beteiligt. Islamistischen und säkularen verfassungsfeindlichen Organisationen ist es gelungen, ein in Teilen der Gesell- Die Negierung des Existenzrechts Israels kennzeichnet alle islamistischen Organisationen (und auch die säkulare PFLP), so auch die legalistische Muslimbruderschaft (MB). Legalistische Islamisten verzichten auf Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele und streben die Macht auf parlamentarischem und zivilgesellschaftlichem Wege an. Sie reklamieren, sämtliche Muslime zu repräsentieren, und beanspruchen eine Deutungshoheit über den Islam. Ihre Ableger verfügen in Deutschland inzwischen über beträchtlichen Einfluss, der auf die Verankerung islamistischer Positionen in öffentlichen Diskursen zielt. Von Anhängern der MB in Berlin gab es keine offiziellen Reaktionen auf die Eskalation des Nahostkonflikts. Sie beteiligten sich jedoch am israelfeindlichen Demonstrationsgeschehen im Mai. MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB)/DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V. (DMG) GRÜNDUNG: 1928 in Ägypten (MB)/1960 in Deutschland (DMG, ehemals IGD49) IDEOLOGIE: sunnitisch-islamistisch; nicht-gewaltorientiert, legalistisch PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 150 (2020: 150) Die Muslimbruderschaft (MB) ist die älteste arabische islamistische Gruppierung und unterhält auch Zweige im Nahen Osten und in Westeuropa. Sie strebt nach Gründung eines „Islamischen Staates“ bzw. eines „Zivilstaates mit islamischem Referenzrahmen“. Dies bedeutet die Schaffung eines politisch und juristisch an die Scharia gebundenen Staatswesens sowie die „Islamisierung der Gesellschaft“. In Deutschland gilt die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) mit Sitz in Berlin als wichtigste und mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern. 57 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Nicht gewaltorientiert und legalistisch-islamistisch ist auch die Millî Görüş-Bewegung (MGB), zu der die Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei, SP) in der Türkei gehört, die auch in Europa vertreten ist. Unter Bezug auf die erneute Eskalation des Nahostkonflikts plädierte der Parteivorsitzende der SP für den Einsatz des türkischen Militärs und rief zur Zerschlagung Israels auf: „Der Zionismus will den Boden des Gelobten Landes, von dem er glaubt, dass er ihm versprochen ist, an sich reißen und vollständig beherrschen. […] Es ist der Tag [gekommen], als gesamte islamische Welt wie ein Vorschlaghammer auf Israel niederzugehen.“50 MILLÎ GÖRÜŞ-BEWEGUNG (MGB) IDEOLOGIE: sunnitisch-islamistisch; nicht-gewaltorientiert, legalistisch PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 450 (2020: 450) Begründer der Millî Görüş-Bewegung ist Necmettin ­Erbakan, der das laizistische politische System der Türkei abschaffen und durch ein islamistisches Staatswesen ersetzen wollte. Erbakans Modell einer Großtürkei, das türkischen Nationalismus (Millî Görüş: Nationale Sicht) und Islamismus (Adil Düzen: Gerechte Ordnung) verbindet, lehnt demokratische Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus ab und ist antisemitisch. Sein Staatsmodell hat in der MGB auch nach seinem Tod 2011 Gültigkeit. 58 DIE MACHTÜBERNAHME DER TALEBAN IN AFGHANISTAN UND MÖGLICHE AUSWIRKUNGEN AUF BERLIN Gründung des Islamischen Emirats Afghanistan Nach der Vereinbarung des „US-Taleban-Abkommens“ am 29. Februar 2020 in Doha/Katar begann ab Mai 2021 der ­militärische Abzug der internationalen Staatengemeinschaft aus Afghanistan. Die Taleban starteten im Juli eine Großoffensive und übernahmen die Macht im Land. Am 15. August verkündeten sie die Gründung des „Islamischen Emirats Afghanistan“. Seit dem 7. September haben sie eine Interimsregierung gebildet, die ausschließlich aus Taleban-Angehörigen besteht. Frauen, Minderheiten sowie Mitglieder anderer Parteien sind dort nicht vertreten. In direkter Konkurrenz zu den Taleban steht der in Afghanistan operierende regionale IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK)51. Der ISPK führte eine Reihe von Anschlägen durch, denen afghanische Zivilisten, aber auch eine Reihe von US-Soldaten und Taleban zum Opfer fielen. Diese Anschläge sind auch ­Angriffe auf den Machtanspruch der Taleban. Reaktionen der islamistischen Szene Die Reaktionen der jihad-salafistischen Szene in Deutschland auf die Ereignisse in Afghanistan fielen unterschiedlich aus. Während die al-Qaida-Unterstützerszene die Machtübernahme der Taleban teilweise euphorisch kommentierte, äußerten sich Anhänger des IS größtenteils kritisch. Das liegt zum einen an ideologischen Differenzen zwischen dem IS und den Taleban52 und zum anderen an der in Afghanistan herrschenden militärischen Konkurrenzsituation zwischen beiden Gruppierungen. Die nicht-salafistischen islamistischen Organisationen in Deutschland kommentierten die Machtübernahme der Taleban weitaus intensiver und durchweg positiv. Anhängerinnen und Anhänger der Hizb Allah und der HAMAS feierten den „Sieg der Taleban“ vor allem als Niederlage der „US-amerikanischen Besatzung“ und als „Krönung eines langen Jihads“.53 Die HAMAS verband den Sieg der Taleban darüber hinaus mit ihrem eigenen militanten „Widerstand“ gegen Israel. Der „große Sieg“ in Afghanistan sei nicht durch falschen Glauben an politische Illusionen errungen worden, sondern allein durch den Einsatz des militanten Jihad, durch den die ­Muslime ihre „Fähigkeit zur Zerschlagung der Feinde“ ­bewiesen hätten.54 ISLAMISMUS Auch die in Deutschland einem Betätigungsverbot unterliegende gewaltbefürwortende Hizb ut-Tahrir (HuT) sowie Anhängerinnen und Anhänger des mit ihr verbundenen Netzwerks Generation Islam (GI) begrüßten den Sieg der Mujahidin über die USA. Aus Sicht der HuT soll Afghanistan den Beginn der globalen Einheit aller Muslime (arab.: Umma) markieren und dort ein islamisches Kalifat errichtet werden.55 Eine Berliner Führungsperson von GI drohte darüber hinaus damit, dass auch in Europa eine Generation von Mujahidin entstehen könne: „Genauso wie die Afghanen Mujahidin hervorbringen können, können wir auch Mujahidin hervorbringen.“56 Mit mehreren Glückwunschschreiben gratulierte schließlich auch die legalistische Muslimbruderschaft (MB) den Taleban zur „Vertreibung der US-amerikanischen und europäischen Invasoren“. Der Abzug der ausländischen Truppen aus ­Afghanistan sei ein „klarer Erfolg und Sieg über die Invasoren, ein Glück für [sie] selbst und die islamische Umma“.57 Dieser Sieg sei vor allem durch „Jihad, Geduld und Opfer“ zustande gekommen, weil die Taleban und in den Jahren davor die afghanischen Mujahidin stets das „Banner der islamischen Scharia“ hochgehalten hätten.58 Mögliche Auswirkungen auf Berlin Die Entwicklungen in Afghanistan haben auch Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Berlin. Ein Großteil der islamistischen Propaganda feierte die Machtübernahme der Taleban vor allem als eine „Niederlage des Westens“. Nach der territorialen Zerschlagung des Islamischen Staates in Syrien und Irak könnte dieses Narrativ vor allem Anhänger der jihadsalafistischen Szene wieder stärken. Radikalisierte Einzelpersonen und Kleingruppen könnten sich durch diese Entwicklung ermutigt fühlen, eigene Aktionen zur „Schwächung des Westens“ durchzuführen, was auch die Begehung von Anschlägen einschließt. Dies führt jedoch bisher nicht zu einer Änderung der Gefährdungsbewertung, die wie vor den Ereignissen in Afghanistan weiterhin abstrakt hoch ist. Darüber hinaus hat die Machtübernahme der Taleban auch zu einer erhöhten Anzahl von Geflüchteten aus Afghanistan geführt. Hier gilt es zu prüfen, ob sich darunter auch Anhänger von Kern-al-Qaida oder des ISPK befinden könnten. Beide Terrorgruppierungen verfolgen eine global-jihadistische Agenda und streben danach, Anschläge im Westen zu verüben. Für Berlin liegen bislang allerdings keine Erkenntnisse über eine konkrete Gefährdung durch Personen vor, die aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet sind. 59 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Ob es durch die Machtübernahme der Taleban zu einer verstärkten Ausreise von Islamistinnen und Islamisten nach Afghanistan kommt, ist allerdings noch nicht absehbar. Innerhalb der islamistischen Szene Berlins sind solche Ausreise­ absichten bisher nicht breiter thematisiert worden. 60 m istis c h e r Te rro mind. 4 0 ( +1 0 ) ris s mu In Klammern Veränderungen in absoluten Zahlen zum Vorjahr. Islamistische nordkaukasische Szene is la 40 (+10) le r mindestens 40 (+10) Millî GörüşBewegung (MGB) Tra n sn at i a on Transnationaler islamistischer Terrorismus MujahidinNetzwerke (keine gesicherten Zahlen) 450 (+0) Salafistische Bestrebungen 1100 (+0) Le ga Muslimbruderschaft (MB) (inkl. DMG) 150 (+0) lis HAMAS Legalistischer Islamismus 600 (+0) c he 0) tis 100 (+20) rI sl a m is m u s 6 00 (+ Hizb ut-Tahrir 70 (+10) Sonstige So n 50 (+0) Sonstige gewaltorientierte islamistische Gruppierungen 520 (+80) sti ge wa lto r Hizb Allah 300 (+50) i e n tie rt e st sc 20 mi (+ 8 is la 0) ge i he G ru e p pi er u n g n 5 Personenpotenzial Islamismus 2260 (+90) PERSONENPOTENZIAL Nachdem der Salafismus über viele Jahre die am dynamischsten wachsende islamistische Bestrebung gewesen war, stagniert das Personenpotenzial in den vergangenen beiden Jahren. Durch die territoriale Verdrängung der Terrorgruppierung Islamischer Staat (IS) hat die Ideologie des Salafismus an Strahlkraft verloren. Diese Stagnation erklärt sich auch durch die größere Vorsicht und Zurückhaltung der salafistischen Szene infolge zahlreicher Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden. Allerdings ist das salafistische Personenpotenzial in Berlin unverändert hoch. Die Anhängerschaft der nicht-salafistischen islamistischen Organisationen ist gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Dies betrifft vor allem das Personenpotenzial der Hizb Allah, der HAMAS und der gewaltbefürwortenden Hizb ut-Tahrir (HuT). Viele der Anhängerinnen und Anhänger dieser Organisationen agierten bislang vor allem im Verborgenen. Bei den antisemitischen und israelfeindlichen Protesten im Mai traten sie jedoch verstärkt öffentlich auf. Sichtbar wurde hier vor allem ein antisemitisch orientiertes Personenpotenzial, das zumindest in Teilen von islamistischen Gruppen mobilisiert werden konnte. 61 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 62 6 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Entwicklungen 2021 65 Ülkücü-Bewegung  66 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 67 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 68 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 68 Personenpotenzial  69 63 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 IDEOLOGIE Unter diesem Sammelbegriff bearbeitet der Verfassungsschutz verfassungsfeindliche Bestrebungen, wenn sie aus dem Ausland heraus entstanden sind, jedoch in Deutschland wirken und nicht islamistisch sind. Diese Bestrebungen sind heterogen: Sie können sowohl links- als auch rechtsextremistisch, jedoch ebenso gegen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben der Völker im Sinne von Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes gerichtet sein. 6 Auslandsbezogener Extremismus 64 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 • Die verbalen Attacken türkischer Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten vor allem gegen Kritikerinnen und Kritiker der türkischen Regierung haben zugenommen. In der ­Folge gab es in Berlin Angriffe auf einzelne Personen. • Anhängerinnen und Anhänger der PKK führten in Berlin ­erneut mehrere öffentliche Veranstaltungen durch. Unverändert werden vor allem junge Erwachsene von PKKStrukturen für den bewaffneten Kampf in Syrien und Irak rekrutiert. • Anhängerinnen und Anhänger der terroristischen PFLP waren integraler Bestandteil der antisemitischen und israelfeindlichen Veranstaltungen, die im Mai in Berlin stattfanden. PERSONENPOTENZIAL 2021 Extreme Nationalisten 400 Linksextremisten 1250 n be us sla 16 Au ds 50 Auslandsbezogener Extremismus 1650 zo g e ner Ex i m e tr sm 65 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 ÜLKÜCÜ-BEWEGUNG Die Ülkücü-Bewegung, deren Anhängerinnen und Anhänger auch als „Graue Wölfe“59 bezeichnet werden, spielt bis heute in der Türkei auch als politische Kraft eine wichtige Rolle. Als politische Vertretung der Ülkücü-Bewegung agiert vor allem die 1969 gegründete MHP, Partei der Nationalistischen ­Bewegung, (türk. Milliyetçi Hareket Partisi). In Deutschland sind die Ülkücü-Anhänger zumeist in Verbänden mit einer Vielzahl von Ortsvereinen organisiert. Die Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF) 60 ist der größte Dachverband in Deutschland. Bei diesem Verein handelt es sich um eine Auslandsorganisation der MHP. Ein weiterer Ülkücü-Dachverband ist die Föderation der Weltordnung in Europa (ANF).61 Dieser Dachverband gehört zur BBP, der Partei der Großen Einheit (türk. Büyük Birlik Partisi), die als stärker religiös orientierte Abspaltung aus der MHP hervorgegangen ist. ÜLKÜCÜ-BEWEGUNG IN BERLIN VERTRETENE VERBÄNDE Die Berliner Ülkücü-Vereine treten selten öffentlich in Erscheinung. Während sie nach außen bemüht sind, ein friedliches und gesetzestreues Bild abzugeben, agieren sie intern als strukturierendes Element der Szene und können der Weiterverbreitung der Ülkücü-Ideologie dienen. Neben diesen festen Ülkücü-Strukturen existiert in Berlin auch eine unorganisierte Szene, die vornehmlich im kleineren Rahmen mit Gleichgesinnten aus dem eigenen Umkreis agiert. Dieses unorganisierte Ülkücü-Unterstützerpotenzial ist vor allem in sozialen Netzwerken aktiv. Dort kommt es immer wieder zu verbalen Ausfällen gegen Einzelpersonen und Gruppen, z. B. gegen kritische Journalistinnen und Journalisten oder kurdische und türkischstämmige Aktivistinnen und Aktivisten, die die Ülkücü-Ideologie als Feindbilder definiert. Dabei sind die Übergänge von türkischem Patriotismus zu rechtsextremistischen Einstellungen fließend. Das hat offensichtlich Folgen. So kam es im Juli in Neukölln zu einer Attacke, bei der ein in Deutschland im Exil lebender regierungskritischer türkischer Journalist geschlagen und getreten wurde. 66 ADÜTDF (Föderation der türkisch-­ demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.; kurz auch: Türkische Föderation (türk. Türk Federasyon) Politische Anbindung in der Türkei: MHP – Partei der Nationalistischen ­Bewegung) ANF (Föderation der Weltordnung in Europa, frühere Bezeichnung: ATB (Verband der türkischen K ­ ultur­vereine in Europa) Politische Anbindung in der Türkei: BBP – Partei der Großen Einheit) IDEOLOGIE: rechtsextremistisch-nationalistisch, gewaltbefürwortend PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 400 (2020: 400) Die Ülkücü-Ideologie basiert auf einem Überlegenheitsanspruch des Türkentums gegenüber anderen Ethnien, Nationen und Religionsgemeinschaften. Sie ist gegen die Menschenwürde, den Gleichheitsgrundsatz und den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Zum ideologischen Kern der Bewegung gehören rassistische und antisemitische Argumentationsmuster. Diese gehen auf den „Vater des türkischen Nationalismus“, Ziya Gökalp (1876-1921), sowie auf den Ülkücü-Ideologen Nihal Atsız zurück.62 Dieser erklärte 1941 insbesondere Juden, Kurden, Griechen, Kaukasier, Armenier, Christen und Kommunisten zu „Feinden der Türken“. Zur Ülkücü-­ Bewegung zählen in Deutschland neben mehreren Dachverbänden auch unorganisierte Anhängerinnen und Anhänger. AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) Unter den nicht-islamistischen extremistischen Bestrebungen mit Auslandsbezug ist die PKK weiterhin die größte. Die Partei verehrt ihre Kämpfer als „Märtyrer“ und pflegt einen ausgeprägten Personenkult um ihren „Führer“ Abdullah Öcalan, der auch nach über zwanzigjähriger türkischer Haft noch immer als unumstrittene Leitfigur gilt. eine Demonstration am 27. November, bei der mehr als 2 000 Menschen unter dem Motto „Weg mit dem PKK-Verbot“ durch Kreuzberg und Neukölln zogen. Aufgerufen hatten unter anderem der bundesweite Dachverband PKK-naher Vereine KON-MED und der Berliner PKK-Tarnverein. In der Berichterstattung deutscher Medien fanden ihre Aktionen kaum Beachtung. PKK-ORGANISATIONEN IN DEUTSCHLAND ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) GRÜNDUNG: 1978 IDEOLOGIE: marxistisch-separatistischnationalistisch; terroristisch PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 1 100 (2020: 1 100) Die 1978 gegründete Partîya Karkerên Kurdistan (PKK) ist eine ursprünglich marxistisch ausgerichtete Kaderpartei, die ab 1984 einen Guerillakrieg für ein unabhängiges Kurdistan im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien führte. Seit 1999 beschränkt sie sich offiziell auf Forderungen nach autonomer Selbstverwaltung der mehrheitlich kurdischen Gebiete. In Deutschland verübten PKK-Anhänger vor allem 1992 und 1993 Brandanschläge auf türkische Einrichtungen. Die PKK ist seitdem auf der europäischen Liste der terroristischen Organisationen verzeichnet und unterliegt in Deutschland einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot, das sich auch auf ihre Nachfolgeorganisationen erstreckt. In Berlin tritt die PKK-Anhängerschaft vor allem im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen in Erscheinung. Die Anmeldenden der entsprechenden Demonstrationen und Kundgebungen, die vor allem an für die PKK bedeutsamen Jahrestagen stattfinden, stammen regelmäßig aus dem Umfeld des PKKTarnvereins Freie kurdische Gemeinde Berlin e. V. / Navenda kurdistanîyên Berlînê e. V. oder anderer PKK-naher Vereine. Obwohl die Anzahl der Veranstaltungen in etwa wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreichte, gelang es der PKK nicht, die für sie so wichtige Außenwirkung zu erzielen. An den Demonstrationen der PKK beteiligten sich meist lediglich Personen im unteren dreistelligen Bereich. Die größte Veranstaltung war Die Anhänger in Deutschland sind in örtlichen (Tarn-) Vereinen aktiv oder gehören „Massenorganisationen“ an. Hierzu zählen u. a. die Jugendverbände Tevgera Ciwanên Şoreşger (Bewegung der Revolutionären Jugend, TCŞ) und Jinên Ciwanên Tekoşer (Bewegung der kämpferischen jungen Frauen, TekoJIN), die Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJKE), der Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) sowie die Islamische Gemeinschaft Kurdistans (CİK). Die örtlichen Vereine gehören wie die in Berlin und im Osten Deutschlands aktive Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland (FEDKURD) dem gemeinsamen Dachverband Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland (KON-MED) an. Die zentrale Rolle bei der Steuerung des Demonstrationsgeschehens in Europa und in Berlin übernimmt der europäische PKK-Dachverband KCDK-E.63 Er gibt mit sogenannten „Aktionskampagnen“ und „Protestaktionen“ die Themen vor, zu denen die PKK-Anhängerinnen und -Anhänger Veranstaltungen durchführen sollen. Im Mittelpunkt der Proteste stehen regelmäßig die Inhaftierung Öcalans und türkische Militäroperationen gegen PKK-Stellungen in Syrien und Irak. In Berlin gab es im Februar, April und Oktober mehrere öffentliche Veranstaltungen zu diesen Themen. Die öffentlichen Aktivitäten zeigen jedoch nur eine Seite der PKK, die sich gern als legitime kurdische Interessenvertretung darstellt. Es gab in den vergangenen Jahren jedoch mehrere Fälle, in denen vor allem junge Erwachsene für den bewaffneten Kampf in der Türkei, Syrien und Irak rekrutiert wurden. 2020 wurde der Fall einer bereits 2019 von der PKK in Berlin rekrutierten Frau öffentlich. Von der jungen Frau, die sich dem bewaffneten Kampf der PKK angeschlossen haben soll, fehlt weiterhin jede Spur. Die Mutter der Vermissten erklärte im Juni gegenüber türkischen Medien erneut, dass ihre Tochter von der PKK „verführt oder mit Gewalt in die Berge verbracht“64 worden sei. Währenddessen ruft die PKK in organisationsnahen Zeitschriften sowie im Internet unverändert vor allem Jugendliche dazu auf, sich dem Guerillakampf anzuschließen. Auf einer Internetseite der PKK-Jugend heißt es etwa: 67 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 „Wir erklären, dass wir den revolutionären Kampf Kurdistans zum Sieg führen werden […] und dass wir dafür sorgen werden, dass das faschistische türkische Regime zusammenbricht und zerstört wird. Auf dieser Grundlage rufen wir alle patriotischen Jugendlichen Kurdistans auf, sich den Reihen des revolutionären Kampfes der PKK in den Bergen Kurdistans […] anzuschließen.“ REVOLUTIONÄRE VOLKSBEFREIUNGSPARTEI-FRONT (DHKP-C) VOLKSFRONT FÜR DIE BEFREIUNG PALÄSTINAS (PFLP) PFLP-Anhänger treten in Berlin vor allem im Rahmen anti-­ israelischer Proteste öffentlich auf. Das war in diesem Frühjahr während der Eskalation des Nahostkonfliktes besonders häufig der Fall. Mehrere Demonstrationen, bei denen es zu antisemitischen und israelfeindlichen Ausfällen und zu gewalttätigen Angriffen auf Polizeikräfte kam, waren von der PFLP initiiert worden, wie im Kapitel zum Islamismus dargestellt wird.65 Auch Anhängerinnen und Anhänger der linksextremistischen DHKP-C traten in Berlin öffentlich in Erscheinung. Mit mehreren Mahnwachen versuchten sie auf die Situation der aus ihrer Sicht „politischen Gefangenen“ in der Türkei und in Griechenland aufmerksam zu machen. Als Teil einer bundesweiten Solidaritätskampagne führte die DHKP-C im April einen „Langen Marsch“ unter dem ­Motto „Wir wollen unser Aufenthaltsrecht zurück“ durch. Dieser „Marsch“ führte die Teilnehmenden auch nach Berlin. REVOLUTIONÄRE VOLKSBEFREIUNGSPARTEI-FRONT (DHKP-C) GRÜNDUNG: 1994 IDEOLOGIE: linksextremistisch; terroristisch PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 30 (2020: 30) Die Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (DHKP-C) entstand aus der 1978 in der Türkei gegründeten Organisation Devrimci Sol (Revolutionäre Linke). Devrimci Sol wurde 1983 verboten. Als Ersatzorganisation erstreckt sich dieses Verbot auch auf die DHKP-C. Seit 2002 ist sie zudem auf der EU-Terroristenliste verzeichnet. Die DHKP-C strebt für die Türkei eine marxistischleninistische Gesellschaftsordnung an und verübt dort Anschläge auf türkische und amerikanische Einrichtungen. In Deutschland führt sie vor allem Demonstrationen und „Märtyrer“-Gedenkveranstaltungen durch. Ihre Anhänger treffen sich in Vereinen, die ihre Verbindung zur DHKP-C geheim halten. 68 VOLKSFRONT FÜR DIE BEFREIUNG PALÄSTINAS (PFLP) GRÜNDUNG: 1967 IDEOLOGIE: terroristisch; linksextremistisch PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 40 (2020: 30) Die 1967 gegründete Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP) ist eine säkulare Organisation, die sich ursprünglich am Marxismus-Leninismus orientierte. Heute verfolgt sie vor allem eine nationalistische Agenda mit dem Ziel der Gründung eines (sozialistischen) palästinensischen Staates in den Grenzen des historischen Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt. Ihr bewaffneter Arm im Nahen Osten, die Abu Ali Mustafa-Brigaden (AAMB), agiert in Israel und im besetzten Westjordanland auch mit terroristischen Mitteln. Sowohl die EU als auch die USA führen die PFLP als terroristische Organisation. Personenpotenzial Auslandsbezogener Extremismus 1650 (–10) Extreme Nationalisten (Ülkücü-Bewegung) 400 (+0) PKK 1100 (+0) Sonstige 80 (–20) PFLP 40 (+10) Linksextremisten 1250 (–10) DHKP-C 30 (+0) Lin ks ex tr em is te n 1250 (– 1 0) In Klammern Veränderungen in absoluten Zahlen zum Vorjahr. PERSONENPOTENZIAL Das Personenpotenzial des auslandsbezogenen Extremismus blieb 2021 weitgehend unverändert. Leicht gestiegen ist allerdings das Personenpotenzial der PFLP. Dies ist auch Ausdruck ihrer vielfältigen Aktivitäten im Zusammenhang mit den antisemitischen und israelfeindlichen Demonstrationen im Mai. 69 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 70 7 LINKSEXTREMISMUS Entwicklungen 2021 73 Autonome – Mit Aggression und Gewalt gegen den Bedeutungsverlust  74 Postautonome76 Personenpotenzial79 71 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 IDEOLOGIE Als Linksextremismus werden Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bezeichnet, die auf einer Verabsolutierung von Freiheit und Gleichheit beruhen, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus abbildet. Dabei ist nicht das Ziel einer Beseitigung des Kapitalismus bzw. der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung ausschlaggebend für ihre Einordnung als extremistisch, sondern das Bestreben, die repräsentative Demokratie abzuschaffen. Diese soll entweder durch die Herrschaft einer zentralistischen Partei, durch dezentrale Selbstverwaltungen oder die Beseitigung jeglicher Regierungsstrukturen ersetzt werden. 7 Linksextremismus 72 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 • Das Personenpotenzial im gewaltbereiten ­linksextremistischen Spektrum ist weiter rückläufig. • Obwohl sich die Autonome Szene massiv für den ­Erhalt szenerelevanter Objekte einsetzte, konnte sie deren ­Räumungen nicht verhindern. Die daraus resultierende Frustration kann zu einer weiteren Radikalisierung von ­Teilen der gewaltbereiten linksextremistischen Szene führen. • Postautonome agieren weiterhin als Scharnier zwischen linksextremistischen und zivilgesellschaftlichen Strömungen. Vor allem die Themen Gesundheit, Wohnen und Klimaschutz sind nach wie vor zentrale Agitations- und Aktionsfelder postautonomer Gruppierungen. PERSONENPOTENZIAL 2021 Linksextremistische Parteien 150 Gewaltbereite Linksextremisten 950 Nicht-gewaltbereite Linksextremisten 2 700 0 Linksextremismus 3800 38 s u 0 Li n kse xtre m i s m 73 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 AUTONOME – MIT AGGRESSION UND GEWALT GEGEN DEN BEDEUTUNGSVERLUST Linksextremistische Aktivitäten im Zusammenhang mit Räumungen Während das Personenpotenzial des traditionellen Autonomen Spektrums in Berlin seit Jahren abnimmt, ist die Gewaltbereitschaft nach wie vor hoch. Die Tonlage hat sich in den vergangenen Jahren verschärft, Angriffe wurden zunehmend persönlicher. Im Januar drang eine Personengruppe in das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ein, um einen Stadtrat im Zusammenhang mit der Brandschutzbegehung im Szeneobjekt Rigaer94 „zur Rede zu stellen“.66 Im April veröffentlichte ein einschlägig bekanntes Szenemedium persönliche Daten von Vollzugsbeamten mit der Aufforderung, „Feind*innen der Freiheit anzugreifen“.67 Und nach einer Attacke mehrerer Personen mit Molotow-Cocktails auf das Gebäude des Zentralen Objektschutzes der Polizei Berlin im September war in einem Bekennerschreiben zu lesen: „Das Ziel unserer Aktion waren die Fahrzeuge auf dem eingezäunten Gelände, in dem Wissen, dass sich die Bullen ebenfalls auf dem Gelände im Bungalow aufhalten.“68 Solche Äußerungen unterscheiden sich von Szenebekundungen, wie sie bis Anfang der 2010er Jahre üblich waren und nach denen Sachschäden legitim seien, aber Personen nicht verletzt werden dürften. Zentrales Thema für die Szene war wie in den Vorjahren der Kampf um sogenannte Freiräume. Unter dem Motto „One Struggle One Fight!“ beschworen Akteure den gemeinsamen Kampf um bedrohte Objekte. Hintergrund dieser Entwicklungen dürfte die seit langem anhaltende strukturelle Schwächung des Autonomen Spektrums sein. Auch 2021 gelang es der Szene nicht, strategische Impulse für eine Neuausrichtung zu setzen. Auseinandersetzungen mit der Polizei z. B. anlässlich des 1. Mai oder im Rahmen von Protesten gegen die Räumung szenenaher Objekte verdeutlichen, dass das Gewaltpotenzial nach wie vor hoch ist. Auch wenn der Widerstand gegen Räumungen letztlich erfolglos blieb, könnten diese Frustrationserfahrungen eine Radikalisierung von Teilen der Autonomen, insbesondere Angehörige der Anarcho-Szene im Autonomen Spektrum,69 weiter befeuern. 74 ANTI-GENTRIFIZIERUNG Der Kampf gegen städtebauliche Umstrukturierungen mit der Folge einer Aufwertung von Kiezen – auch „Gentrifizierung“ genannt – ist ebenso wie der Widerstand gegen vermeintliche Repression eng mit der Genese der Autonomen als politischer Bestrebung verbunden. Im Gegensatz zu vielen Stadtteil- und Mieterinitiativen geht es ihnen jedoch nicht um den Erhalt sozial- und wohnräumlich gewachsener Strukturen, sondern um die Etablierung sogenannter „Autonomer Freiräume“, die dem Zugriff des Staates entzogen und in denen rechtsstaatliche Normen außer Kraft gesetzt werden sollen. Als „Freiraum“ deklarierte Gebiete oder Gebäude werden gegen rechtmäßige Räumungen gewaltsam „verteidigt“ und auch nach erfolgten Sanierungen immer wieder angegriffen. Dabei entstehende Drohkulissen sind gewollt und zielen auf Machtausübung in Teilen des öffentlichen Raums. Im Gegensatz zu 2020, als das für die linksextremistische Szene international bedeutsame Projekt Liebig34 geräumt wurde, handelte es sich bei den im Berichtsjahr geräumten LINKSEXTREMISMUS Objekten nicht um Szeneobjekte im engeren Sinne. Dennoch traten linksextremistische Akteure massiv für deren Erhalt ein und stilisierten die angekündigten Proteste zu widerständigen Momenten. Dies traf beispielsweise auf die Räumung eines Obdach­ losencamps in der Rummelsburger Bucht im Februar zu, gegen deren geplante Umstrukturierung Teile der Szene schon länger agitieren. Im Anschluss an diese Räumung erschien auf einer einschlägigen Internetseite ein Beitrag, in dem Verantwortliche für das dort geplante Bauprojekt mit Namen und Anschriften aufgeführt waren.70 In einem Flugblatt wurden zudem persönliche Daten einer für dieses Projekt mitverantwortlichen Person veröffentlicht. Mehrere Linksextremistinnen und Linksextremisten suchten die Betroffene zudem an ihrem Wohnort auf, um sie öffentlich bloßzustellen und einzuschüchtern. Die Botschaft solcher Aktionen ist klar. Die Betroffenen werden nicht mehr nur in ihrer dienstlichen oder Geschäftssphäre, sondern auch im privaten Bereich attackiert. Darüber hinaus blieben die Proteste gegen die Räumung des Camps jedoch hinter den Ankündigungen zurück. Auch der Versuch linksextremistischer Akteure, eine Protestdemonstration gegen die Räumung des Camps am 14. März zu vereinnahmen, scheiterte. Sie verlief weitgehend ohne Störungen. Besondere symbolische Bedeutung für die linksextremistische Szene besaß der am 15. Oktober geräumte „Köpi“-Wagenplatz im Bezirk Kreuzberg. Im Vorfeld war dem – überwiegend dem subkulturellen Milieu zuzurechnenden – Objekt überregionale Solidarität und Unterstützung zugesichert worden. Die linksextremistische Szene kündigte auch hier erbitterte Gegenwehr an und setzte sich zumindest verbal an die Spitze des Protests. In einem auf einer von der linksextremistischen Szene genutzten Internetseite veröffentlichten Beitrag hieß es, dass man die Räumung „zu einem politischen Desaster für Politiker*innen, Bullen und Investor*innen machen“ wolle.71 Faktisch bestand der am Räumungstag entgegengesetzte Widerstand in erster Linie aus baulichen Befestigungen sowie dem Anketten von Personen auf dem Gelände. Verbalaggressiv verliefen mehrere Demonstrationen gegen die Räumung. Zudem warfen Demonstrierende Flaschen und brannten Pyrotechnik ab. Unbekannte setzten Gegenstände und Fahrzeuge in Brand. Die Demonstration am Abend des 15. Oktober unter dem Motto „Köpi Wagenplatz bleibt! Keine Räumungen in Berlin“ feierte die Szene als „Wutausbruch“, der vermeintlich unkontrollierbare Momente geschaffen habe und Hoffnung machen sollte auf weitere „widerständige“ ­Situationen.72 Mehrere tausend Menschen beteiligten sich an der Demonstration, in deren Umfeld es zu Sachbeschädigungen und Angriffen auf Einsatzkräfte kam. Diese gewalttätige Eskalation blieb jedoch singulär und ohne nachhaltige Auswirkungen auf die Proteste gegen andere Räumungsverfahren. Linksextremistische Akteure befeuerten auch andere Proteste gegen Räumungen mit teils martialischen Ankündigungen. Rund um die Räumungen kam es zu Sachbeschädigungen, Brandstiftungen und Protestdemonstrationen. Der ersehnte „Funke“ eines Gewaltausbruchs zündete jedoch nicht. Rigaer94 Auch Rigaer94 als Autonomes Szeneobjekt mit überregionaler Bedeutung geriet weiter unter Druck. Bereits im Sommer 2020 waren Brandschutzmängel im Gebäude in der Rigaer Str. 94 festgestellt worden. Nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg fand am 17. Juni unter Polizeischutz eine Brandschutzbegehung im Objekt statt.73 Rigaer94 versuchte, diese Begehung als ersten Schritt zu einer vermeintlich beabsichtigten Räumung des Gebäudes und damit zum drohenden Verlust des von ihr selbst definierten „Autonomen Freiraums“ umzuinterpretieren.74 RIGAER94 GRÜNDUNG: 1990 PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: ca. 30 (2020: 30) Bei Rigaer94 handelt es sich um einen Personenzusammenschluss, der sich aus Teilen eines Wohnprojekts sowie der Veranstaltungsstätte „Kadterschmiede“ in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zusammensetzt. Das Projekt hat für die linksextremistische Szene eine hohe symbolische wie auch praktische Bedeutung. In Selbstdarstellungen bekennen sich die Akteure von Rigaer94 zum Anarchismus sowie zum Hass auf „Bullen, Staat und Repression“. Am Tag vor der Begehung kam es zu einem massiven Gewaltausbruch. Einige Dutzend Vermummte hatten auf der Rigaer Straße Barrikaden errichtet und angezündet. Die anrückenden Polizeikräfte attackierten sie mit Steinen und Flaschen. Etwa 60 Beamte wurden verletzt. Die Brandschutzbegehung selbst verlief am nächsten Tag ohne nennenswerte Zwischenfälle. Allerdings kam es im Nachgang im gesamten Stadtgebiet zu Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. 75 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Nach der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten fand am 6. Oktober eine Begehung des Objektes Rigaer94 statt, um die Personalien der Bewohnerinnen und Bewohner sowie die tatsächlichen Wohn- und Mietverhältnisse festzustellen. Die Autonome Szene reagierte auf die Maßnahme verbal aggressiv. Tatsächliche Proteste, wie eine Demonstration am Abend der Begehung, blieben jedoch verhalten. Dass die Brandschutzbegehung im Juni und die Feststellung der im Objekt anwesenden Personen im Oktober durchgesetzt wurden, hat den Druck auf Rigaer94 spürbar erhöht. Dadurch gerät der vom harten Kern der Autonomen AnarchoSzene beanspruchte Sonderstatus, dem zufolge Gesetze und Regeln im selbstdeklarierten „Autonomen Freiraum“ nicht gelten sollen, zunehmend ins Wanken. Darüber hinaus hat Rigaer94 in der Vergangenheit Solidarität und Unterstützung des erweiterten Umfelds eingebüßt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sowie im Kontext der Räumung der benachbarten Liebig34 im Jahr zuvor steht das Szeneobjekt weitgehend isoliert da. Bis auf wenige, oft ritualisiert wirkende Aufrufe, kam es im Zusammenhang mit Liebig34 – einem zuvor von der linksextremistischen Szene zu einem unverzichtbaren „Autonomen Freiraum“ definierten Objekt – nur noch vereinzelt zu Aktionen. So wurde etwa im Januar ein Wachschützer des Gebäudes in der Liebigstraße 34 angegriffen. Die Rigaer94 besitzt jedoch nach wie vor eine hohe Strahlkraft für die Autonome Szene in Berlin und darüber hinaus. Revolutionärer 1. Mai Auch die Ereignisse rund um die „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ spiegeln ambivalente Entwicklungen in der linksextremistischen Szene wider. Hauptorganisator des Szene­events war ein Bündnis, das sich selbst als „migrantisch“ bezeichnet. Es bildete den traditionell bedeutsamen ersten Block im Demonstrationszug. Die ehemals führende Gruppierung des Autonomen Spektrums radikale linke | berlin, die lange Zeit den „Revolutionären 1. Mai“ organisiert hatte, war dagegen nicht mehr wahrnehmbar. Im Rahmen der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“ zeigte sich jedoch erneut das Gewaltpotenzial der Autonomen. Es kam zu Übergriffen auf Einsatzkräfte durch Flaschen- und Steinwürfe. Müllcontainer und Paletten wurden auf die Straße gezerrt und angezündet. Insgesamt wurden 93 Polizistinnen und Polizisten verletzt. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Mobilisierung und Verlauf der Demonstration wurden von der linksextremistischen Szene als Erfolg gefeiert. In Stellungnahmen schrieb die Szene anschließend der Polizei die Schuld an der Eskalation zu. Sie habe die Demonstrierenden u. a. durch Corona-Auflagen provoziert. In einem Fazit hieß es: 76 „Die Demonstration war deeskalativ geplant und sollte allen Menschen ein sicherer Ort sein, das konnte sie nach den Angriffen der Bullen aber nicht mehr sein. Anschließend eskalierte die Situation ‚kurzfristig‘ (…). Dabei verloren die Bullen komplett die Kontrolle und mussten sich immer wieder ängstlich (...) zurückziehen. Für mehrere Stunden bekamen sie keinen richtigen Zugriff auf den Kiez aber dafür die stärksten Mai-Krawalle in den letzten 10 Jahren zu spüren.“75 Autonome bleiben gewaltbereit Unabhängig von den gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um die „Revolutionäre 1. Mai Demonstration“ befindet sich die Autonome Szene Berlins aktuell in einer Phase struktureller Schwäche. Es fehlen insbesondere tonangebende Akteure. In diversen Veröffentlichungen wird der Zustand zwar als Krise benannt. Es bleibt jedoch bei der Zustandsbeschreibung, ohne Auswege aufzuzeigen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass Kleingruppen des Autonomen Spektrums ihrer Frustration auch weiterhin durch Gewaltausübung nachgehen werden. Für das gesamte Autonome Spektrum ist nach wie vor eine grundsätzlich hohe Gewaltbereitschaft anzunehmen, die sich in geeigneten Situationen jederzeit entladen kann. POSTAUTONOME Im Gegensatz zum Autonomen Spektrum, das seine politischen Ziele im Rahmen vermeintlich selbstbestimmter „Autonomer Freiräume“ oder über offensive politische Auseinandersetzung in Form von Demonstrationen oder unmittelbarer Gewaltausübung zu realisieren versucht, verfolgen Postautonome eine im weitesten Sinne entristische Strategie, d. h. des gezielten und unerkannten Eindringens in Organisationen und soziale Bewegungen. Angehörige dieses Spektrums vermitteln nach außen den Eindruck, Lösungsansätze für gesellschaftlich relevante Problemlagen anbieten zu wollen. Ihre Vorschläge sind häufig vordergründig anschlussfähig und werden in Form professionell gestalteter Kampagnen in die Gesellschaft hineingetragen. Die tatsächlichen Ziele Postautonomer Gruppierungen reichen jedoch weiter und zielen letztlich auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Konkrete gesellschaftliche Problemlagen dienen dabei als Mittel dazu, möglichst breite Bevölkerungsteile im eigenen Sinne zu politisieren. Dabei werden Problemlagen genutzt, die geeignet sind, das politische System und seine Repräsentantinnen und Repräsentanten zu diskreditieren. LINKSEXTREMISMUS Die dominierende Gruppe dieses Spektrums in der Hauptstadt ist die Interventionistische Linke Berlin (IL Berlin). Ein nach eigener Aussage der Stadt-AG der IL Berlin zugehöriges Mitglied skizzierte in einem auf der Internetseite der Bundesorganisation veröffentlichten Papier unter dem Titel „Politik in der Krise – 15 Thesen“ grundlegende Haltungen. Dort heißt es u. a., dass in den letzten Jahren neue Ansprüche an gesellschaftliche Teilhabe entstanden seien, die sich zunehmend in Konflikten manifestierten. Genannt werden u. a. Klimaschutz und Daseinsvorsorge. Diese Problemlagen böten „Gelegenheitsfenster“, die genutzt werden könnten, um soziale Konflikte zu grundlegenden Bruchstellen zu vertiefen.76 Vor diesem Hintergrund muss beispielsweise das Engagement der IL Berlin im Rahmen von sogenannten Vergesellschaftungsdebatten betrachtet werden. Auch wenn die IL Berlin ­keinen steuernden Einfluss auf die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hatte, hieß es im August im Rahmen eines bundesweiten Demonstrationsaufrufes selbstbewusst: „Als Interventionistische Linke sind wir schon lange aktiv bei ‚Deutsche Wohnen & Co. Enteignen!‘ und in anderen mietenpolitischen Kämpfen, lokal und bundesweit. Für uns ist klar: Wer für die Stadt für Alle ist, wählt Enteignung.“77 Es geht der IL Berlin dabei nicht nur um eine konstruktive Lösung bestehender Probleme und damit um das Gemeinwohl. Vielmehr sollen beispielsweise die Bereiche Wohnen, Gesundheit und Pflege durch eine vermeintliche Vergesellschaftung – die wohlweislich nicht Verstaatlichung genannt wird – in Gemeinschaftseigentum überführt werden. Strategisch gehe es nach eigenen Aussagen darum, über konkrete Forderungen, die breit anschluss- und durchsetzungsfähig seien, eine gesellschaftliche Dynamik zu entfalten, die sukzessive einen Bruch möglichst breiter Bevölkerungskreise mit dem politischen System bewirken soll. Über diesen Bruch soll schließlich ein im weitesten Sinne kommunistisches System etabliert werden. INTERVENTIONISTISCHE LINKE (IL) GRÜNDUNG: 1999 PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 280-300 (2020: 290–310) Interventionistische Linke (IL) ist ein bundesweiter Zusammenschluss überwiegend Postautonomer Gruppierungen, der mit dem Ziel gegründet wurde, die gesellschaftliche (und politische) Isolation „klassischer“ Autonomer zu überwinden. Der Aufbau überregionaler Strukturen, die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen sowie ein gemäßigteres Auftreten sollen eine Anschlussfähigkeit an breite Bevölkerungskreise ermöglichen. Durch gemeinsame politische Arbeit soll innerhalb des „Systems“ Akzeptanz für eine mehrheitsfähige revolutionäre Organisation als Alternative zu den bestehenden Verhältnissen geschaffen werden. Revolutionäre Zielsetzungen müssten deshalb mit nachvollziehbaren und erreichbaren Tagesforderungen verbunden werden. Im Rahmen von Aktionen setzt sie vor allem auf zivilen Ungehorsam. Dabei versucht sie unter Vorspiegelung von Legitimität möglichst viele Menschen zum Rechtsbruch zu bewegen und zu radikalisieren. Im Laufe des Jahres wurden u. a. seitens IL Berlin auch Forderungen nach einer Enteignung von Pharmafirmen im Zusammenhang mit der Diskussion um die Covid19-Impfstoffverteilung erhoben. Privateigentum produziere „Elend“ und demokratisch nicht legitimierte Macht. In der beschriebenen strategisch-taktischen Ausrichtung unter anderem der Berliner Ortsgruppe der IL werden die Begriffe „Demokratisierung“ bzw. „demokratisch legitimiert“ jedoch nicht im Sinne politischer Partizipation auf der Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verwendet. Gemeint ist stattdessen eine Form politischer Teilhabe, durch die eine grundlegende Veränderung der staatlichen Ordnung hin zu einem kommunistischen System erreicht werden kann.78 77 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 ANTI-KAPITALISMUS Anti-Kapitalismus in linksextremistischem Verständnis bezieht sich auf Karl Marx, nach dessen Theorie durch die Produktions- auch die Herrschaftsverhältnisse überwunden werden sollen. Der Kampf gegen das „kapitalistische System“ hat für Linksextremistinnen und Linksextremisten deshalb nicht nur die Abschaffung der marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern auch der parlamentarischen Demokratie zum Ziel. Im Kapitalismus sehen sie u. a. die Ursache für Krieg (Imperialismustheorie) und Faschismus (Dimitroff-These). Durch weltweite Wirtschafts- und Finanzkrisen zu Beginn des neuen Jahrtausends hat die Marxsche Kapitalismusanalyse und damit der „klassische“ Anti-Kapitalismus eine Renaissance erlebt. Viele Menschen fühlen sich zudem dem ökonomischen, politischen, sozialen und auch kulturellen Veränderungsdruck einer „entfesselten“ Globalisierung nicht gewachsen. Linksextremisten versuchen daher gerade Zugang zu an sich nicht extremistischen, z. B. globalisierungskritischen, Bewegungen zu erhalten, um diese als Verbündete und Deckmantel für ihre systemüberwindenden Ziele zu gewinnen. Die Ablehnung zentraler Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die IL Berlin zeigte sich auch in einem Beitrag zur Bundestagswahl, in dem es hieß, es sei trügerisch, darauf zu hoffen, dass über Wahlen oder Regierungspolitik eine „Systemüberwindung“ erreicht werden könne. Entscheidend sei der Kampf auf der Straße.79 Rote Hilfe e. V. Die zahlenmäßig größte Gruppierung innerhalb des linksextremistischen Spektrums Berlins bleibt die Berliner Ortsgruppe des Vereins Rote Hilfe e. V.. Sie agiert gewaltfrei, und nicht jedes Mitglied der Berliner Ortsgruppe des Rote Hilfe e. V. ist per se dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Der Verein nimmt gleichwohl eine wichtige Rolle innerhalb der linksextremistischen Szene Berlins ein. Als juristisches Rückgrat linksextremistischer Strukturen solidarisierte sich Rote Hilfe e. V. beispielsweise mit Rigaer94 oder mit dem Beschuldigten im RAZ-Verfahren. Der Verein unterstütze auch die Solidaritätskampagne für einen inhaftierten griechischen Linksexterroristen, in deren Folge kurzzeitig das griechische Konsulat in Berlin besetzt wurde. Es ist Ziel des Vereins, Beschuldigte zu unterstützen. Abhängig gemacht wird diese Unterstützung allerdings u. a. von der Bereitschaft jeder und jedes Einzelnen, nicht mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Die Berliner Ortsgruppe des Rote Hilfe e. V. ­formuliert auf ihrem Internetauftritt unmissverständlich, dass 78 man sich bei der Polizei, Staatsanwaltschaft und vor Gericht unter keinen Umständen zur Sache einlassen soll, um den „Repressionsorganen des Staates keinen Einblick in die eigenen Strukturen zu gewähren“.80 Andernfalls gewährt der Rote Hilfe e. V. keine Unterstützung oder entzieht sie. ROTE HILFE e. V. (ORTSGRUPPE BERLIN) GRÜNDUNG: 1995 PERSONENPOTENZIAL IN BERLIN: 2 350 (2020: 2 100) Die Rote Hilfe wurde unter historischer Bezugnahme auf einen von 1924 bis 1936 bestehenden gleichnamigen Vorläufer 1975 als eingetragener Verein neu gegründet. 1995 entstand die Ortsgruppe Berlin, die sich mittlerweile zur mit Abstand größten linksextremistischen Organisation der Stadt entwickelt hat. Die Rote Hilfe versteht sich gemäß Satzung als „linke Schutz- und Solidaritätsorganisation“ für alle, die aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt würden. Sie unterstützt von Strafermittlungen Betroffene materiell und politisch. Ausschlaggebend ist allein die politisch linke Motivation der Tat. Sie sieht sich als Gegengewicht zu „staatlichen Repressionsorganen“, welche die bestehenden „Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse“ verteidigen würden. Trotz der eindeutigen Ausrichtung verfolgen nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen. Die Gegnerschaft der Organisation und ihrer Entscheidungsträger zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung führt jedoch zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Da alle Mitglieder Beiträge zahlen und zudem Spenden akquiriert werden, verfügt die Rote Hilfe über erhebliche finanzielle Mittel. Personenpotenzial Linksextremismus e re i te Li n k s e x t re m i en Ge a lt b st w 3800 (+200) 950 (-3 0) Autonome Linksextremistische Parteien 550 (-20) 150 (+0) Sonstige 350 (-20) (vorwiegend orthodoxe Linksextremistinnen und Linksextremisten) Postautonome 3 (+ 2 0) 400 (-10) Gewaltbereite Linksextremisten 950 (-30) 2700 Rote Hilfe e. V. 2350 (+250) Nicht-gewaltbereite Nic ht al m -g ew is t en Linksextremisten 2700 (+230) tb e r e i te ex Li n k s t re In Klammern Veränderungen in absoluten Zahlen zum Vorjahr. PERSONENPOTENZIAL Der Anstieg des linksextremistischen Personenpotenzials auf 3 800 ist auf einen erneuten Anstieg des Unterstützungspotenzials der nicht gewaltorientierten Roten Hilfe zurückzuführen. Das Personenpotenzial der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ist dagegen weiter rückläufig. Das betrifft sowohl das Autonome als auch das Postautonome Spektrum. Zumindest zum Teil sind dafür auch die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie verantwortlich. Rekrutierungen und Vernetzungen innerhalb der Szene waren unter Pande­mie­­ bedingungen nur noch eingeschränkt möglich. Auch der Verlust von Szeneobjekten bzw. Objekten mit zumindest ­symbolischer Bedeutung haben Teile der linksextremistischen Szene weiter geschwächt. 79 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 80 8 SPIONAGEABWEHR UND ­WIRTSCHAFTSSCHUTZ Entwicklungen 2021 82 Spionageabwehr83 Cyberspionage85 Wirtschaftsschutz86 81 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 • Berlin bleibt unverändert für andere Nachrichtendienste von besonderem Interesse. Die operativen Schwerpunkte dieser Dienste reichen von der politischen Ausforschung über die Beschaffung wirtschaftlicher und technologischer Informationen bis zur Überwachung oppositioneller Organisationen aus den Herkunftsländern. • Die Zunahme virtueller Kommunikation infolge der Corona-­Pandemie hat die potenzielle Angriffsfläche für Cyberangriffe auf Politik, Verwaltung, Wirtschaft und ­Forschung deutlich vergrößert. • Der Berliner Verfassungsschutz berät im Rahmen seiner „Zentralen Ansprechstelle Wirtschaftsschutz“ (ZAW) Berliner Unternehmen und Forschungseinrichtungen bei der Abwehr von Bedrohungen durch ausländische Nachrichtendienste. 8 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 82 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 SPIONAGEABWEHR Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer geopolitischen Lage in Europa, ihrer Rolle in der Europäischen Union (EU) und der Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für ausländische Nachrichtendienste attraktiv. Diese Dienste sind in unterschiedlicher Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort Legalresidenturen. Darunter sind Stützpunkte eines Nachrichtendienstes zu verstehen, die in einer Botschaft oder einem Konsulat eingerichtet sind. Die dort als Diplomatinnen und Diplomaten getarnt arbeitenden Mitarbeiter betreiben, offen oder verdeckt, operative Informationsbeschaffung oder unterstützen nachrichtendienstliche Aktivitäten, die von den jeweiligen Zentralen in ihren Herkunftsländern geführt werden. Schwerpunkte In Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz ist die Präsenz ausländischer Nachrichtendienste hoch. Die jeweiligen operativen Schwerpunkte orientieren sich in der Regel an aktuellen politischen Vorgaben des jeweiligen Staates, wirtschaftlichen und technologischen Prioritäten sowie militärtaktischen und -strategischen Interessen. Angesichts dieser Aufgabenkataloge reichen die Ziele fremder Nachrichtendienste von der offenen und konspirativen Beschaffung von Informationen aus relevanten Objekten bis hin zur Infiltration in Deutschland ansässiger Organisationen, aber auch der Ausspähung von Bürgerinnen und Bürgern, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Russische Nachrichtendienste Die russischen Nachrichtendienste haben nach wie vor einen hohen Stellenwert in der russischen Gesellschaft und sind ein fester Bestandteil der russischen Sicherheitsarchitektur. Der militärische Nachrichtendienst Glavnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU) untersteht dem Verteidigungsministerium der Russischen Föderation. Zu den operativen Aufgaben des Dienstes zählt die strategische und taktische Militäraufklärung sowie die Beschaffung militärisch nutzbarer Technologien. Ihm ist auch eine eigene operative Spezialeinheit unterstellt, die sogenannte „Speznas“. Der zivile Auslandsnachrichtendienst Slushba Wneschnej Rasweki (SWR), der auch aus der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin heraus agiert, arbeitet operativ auf allen Gebieten, wie Wissenschaft und Technologie, Politik, Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden sowie der funkelektronischen Aufklärung. Er versucht, ein prorussisches Klima zu forcieren und mit Cyberoperationen Informationen zu erlangen. Darüber hinaus hat auch der Inlandsnachrichtendienst Federalnaja Slushba Besopastnosti (FSB) operative Aufgaben, die sich im Rahmen des „Dienstes für Spionageabwehr“ abbilden. 83 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Auch 2021 wurden wieder mehrere Sachverhalte öffentlich, die die anhaltenden Spionageaktivtäten Russlands unter­ mauern. Am 10. August wurde eine Ortskraft der britischen Botschaft in Potsdam festgenommen. Der Generalbundesanwalt teilte hierzu mit, dem Mann werde vorgeworfen, im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erlangte Dokumente an einen Vertreter eines russischen Nachrichtendienstes weitergegeben zu haben. Als Gegenleistung soll er Bargeld in unbekannter Höhe erhalten haben. Am 11. August hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten in Vollzug gesetzt.81 einem unter Legende agierenden russischen Staatsangehörigen im Auftrag russischer staatlicher Stellen erschossen. Die politische Motivation für die Tat ergibt sich aus der Rolle des Opfers im Zweiten Tschetschenienkrieg als Milizenführer im Kampf gegen Russland und seiner ablehnenden Haltung zum russischen Zentralstaat. Am 15. Dezember verurteilte das Kammergericht den Täter inzwischen rechtskräftig wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und stellte darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld fest. In ihrer Urteilsbegründung bewertete der 2. Strafsenat des Kammergerichts die Tat als „Staatsterrorismus“.83 Am 28. Oktober verurteilte das Kammergericht mittlerweile rechtskräftig einen deutschen Staatsangehörigen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für den russischen Militärgeheimdienst GRU zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Der Mann hatte 2017 eine CD-ROM mit Grundrissdaten von Liegenschaften, die durch den Deutschen Bundestag genutzt werden, an die Russische Botschaft weitergegeben. Zugang zu diesen Daten hatte er als Beschäftigter einer Sicherheitsfirma, die u. a. elektronische Geräte in den Liegenschaften des Deutschen Bundestages überprüfte.82 Chinesische Nachrichtendienste Einer der gravierendsten Fälle geheimdienstlicher Aktivitäten Russlands in Berlin war der Mord an einem georgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Abstammung im Tiergarten. Das Opfer wurde nach den Feststellungen des Gerichts am 23. August 2019 im „Kleinen Tiergarten“ von 84 Das chinesische Ministerium für Staatssicherheit (MSS) vereint den zivilen In- und Auslandsnachrichtendienst der Volksrepublik China. Diverse Büros des Nachrichtendienstes befassen sich neben der Informationsbeschaffung auch mit der Spionageabwehr, der inneren Sicherheit (einschließlich Kommunikationstechnik) sowie der Beobachtung und Verfolgung von Oppositionellen. Auch die Wissenschafts- und Technik-Spionage hat für den chinesischen Nachrichtendienst eine große Bedeutung, insbesondere um den wirtschaftspolitischen Masterplan „Made in China 2025“ zu bedienen. Dabei handelt es sich um einen strategischen Wirtschaftsplan, der China bis zum Jahr 2025 zu einer Industriemacht transformieren soll. Insbesondere die Schwerpunkte Informations- und Kommunikationstechnologien, High-End gesteuerte Werk-  zeugmaschinensysteme und Robotertechnologie, Elektrizitätsanlagen, Luft- und Raumfahrttechnikanlagen, neue Werkstoffe, Schienenverkehrsanlagen und High-Performance-Medizingeräte sowie Landmaschinen, Schiffbautechnik, Energieeinsparungen und Elektromobilität werden darin genannt. In diesem Zusammenhang sind auch Berliner Unternehmen von Interesse für den chinesischen Nachrichtendienst. Entsprechende Cyberoperationen (z. B. APT 1084) mit dem Ziel, Unternehmen auszuspionieren, konnten auch schon in Deutschland festgestellt werden. Zudem gelten der Politik in Deutschland sowie oppositionellen chinesischen Gruppen die besondere Aufmerksamkeit der chinesischen Nachrichtendienste. Das Aufklärungsinteresse richtet sich dabei vorrangig gegen ethnische Minderheiten und Menschen, die sich in Gegnerschaft zur Politik Chinas befinden. Türkische Nachrichtendienste Vor allem der mit Exekutivbefugnissen ausgestattete zivile türkische Nachrichtendienst Millî İstihbarat Teşkilâtı (MIT) operiert im In- und Ausland. Zu seinen Aufklärungszielen gehören die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) oder – vor allem nach Juli 2016 – oppositionelle Gruppen, Einzelpersonen oder Institutionen, die gegenüber der türkischen Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) eine tatsächliche oder vermeintlich kritische Grundhaltung aufweisen. Primär sind hier Anhängerinnen und Anhänger der Gülen-Bewegung zu nennen.85 Weitere Nachrichtendienste Dass darüber hinaus noch weitere Nachrichtendienste in Berlin aktiv sind, zeigt die rechtskräftige Verurteilung eines ehemaligen Mitarbeiters des Bundespresseamtes wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für den ägyptischen Geheimdienst. Das Kammergericht verurteilte den Mann am 2. März zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun ­Monaten auf Bewährung, da er den ägyptischen Geheimdienst General Intelligence Service (GIS) spätestens seit 2010 bei der Informationsbeschaffung unterstützt hatte. SPIONAGEABWEHR UND ­WIRTSCHAFTSSCHUTZ CYBERSPIONAGE Die voranschreitende Digitalisierung eröffnet auch der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung immer neue Möglichkeiten. Die Informationsbeschaffung durch menschliche Quellen wird immer öfter durch die Beschaffung von Informationen auf technischem Weg ergänzt oder gar ersetzt. Cyberangriffe haben sich als wichtige Spionage- und Sabotagemethode anderer Nachrichtendienste etabliert. Solche Angriffe können das Ausspähen von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, den Missbrauch fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme computergesteuerter und netzgebundener Steuereinrichtungen beinhalten. 2021 wurden insgesamt 19 Angriffe86 mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund auf politische und wissenschaftliche Einrichtungen, Verbände oder Unternehmen in Berlin festgestellt. Damit hat sich die Zahl der erkannten Cyberangriffe mit vermutlich nachrichtendienstlichem Hintergrund binnen eines Jahres verdoppelt (2020: neun). Um dieser Bedrohung wirksam zu begegnen, arbeiten in der deutschen Cybersicherheitsarchitektur viele Behörden zusammen. Zur Intensivierung und Koordination der Zusammenarbeit ist bereits 2011 das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ) gegründet worden, in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vertreten ist. Für den Berliner Verfassungsschutz nimmt das BfV die Aufgabe der Cyberabwehr wahr. Hierzu wurde bereits 2019 eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung geschlossen, um Kompetenzen und Ressourcen zu bündeln. CYBERSPIONAGE Stille Angriffe über die IT-Infrastruktur sind mittlerweile weit verbreitet. Neben der Informationsbeschaffung ­fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Elektronische Angriffe haben sich zu einer wichtigen Methode der Informationsgewinnung für andere Nachrichtendienste entwickelt und ergänzen als zusätzliche Informationsquelle die nachrichtendienstliche Ausforschung mit menschlichen Quellen. Cyberspionage ist ein zunehmend häufiger eingesetztes Mittel der Nachrichtengewinnung mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit. Neben den Nachrichtendiensten Russlands und Chinas ist auch der Iran mit Cyberspionageaktivitäten gegen Deutschland aktiv. 85 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 WIRTSCHAFTSSCHUTZ Wirtschaftsschutz Wirtschaftsspionage Eine im globalen Wettbewerb erfolgreiche Wirtschaft ist die zentrale Voraussetzung für Wohlstand, soziale Sicherheit und damit gesamtgesellschaftliche Stabilität. Entscheidendes Kriterium für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg ist die Innovationskraft einer Volkswirtschaft. Wirtschaftsspionage umschreibt die Absicht anderer Nachrichtendienste, Wirtschaftsunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland auszuspähen, Informationen zu beschaffen sowie Know-how, Geschäftsgeheimnisse und sonstige geschützte Informationen abzuschöpfen. Besonders betroffen sind speziell die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Technologie. Die Interessen der jeweiligen Dienste unterscheiden sich und sind vor allem abhängig vom technologischem Entwicklungsstand des Angreifers. Staaten mit Technologierückstand sind zumeist bestrebt, Technologiedefizite auszugleichen sowie Entwicklungszeit und -kosten einzusparen. Technologisch und wirtschaftlich hoch entwickelte Staaten zielen indessen mehr auf die strategische Ausrichtung von Unternehmen ab. In allen Fällen ist Wirtschaftsspionage darauf gerichtet, der eigenen Volkswirtschaft Vorteile zu verschaffen. Motor im Bereich Forschung und Entwicklung sind die – vor allem kleinen und mittleren – Unternehmen. Unternehmerspezifisches Know-how entscheidet über Markt- und Zukunftschancen. Deutsche Unternehmen sind häufig Vorreiter des technologischen Fortschritts. Dies weckt speziell im Ausland vielfältige Interessen und Begehrlichkeiten. Um die Wissensvorsprünge zu erhalten, müssen Know-how und sensible Daten vor fremden Zugriffen geschützt werden. Es liegt im vordringlichen staatlichen Interesse, die Unternehmen bei ihren Schutzanstrengungen zu unterstützen. Diese Aufgabe wird vom behördlichen Wirtschaftsschutz wahrgenommen. In Berlin ist eine europaweit einzigartige Wissenschafts- und Forschungslandschaft entstanden. Darüber hinaus ist Berlin mit im Jahr 2020 etwa 40 000 Gewerbeanmeldungen und mehr als 500 Startup-Gründungen auch die Gründerhauptstadt Deutschlands. Es sind gerade die innovativen und technologieorientierten kleinen und mittleren Unternehmen Berlins, die internationales Interesse wecken und daher besonders vor Ausspähversuchen und Sabotage geschützt werden müssen. Der Berliner Verfassungsschutz ist im Rahmen des behördlichen Wirtschaftsschutzes für die Beobachtung von Wirtschaftsspionage zuständig. Ein Ziel ist dabei die Stärkung der unternehmenseigenen Abwehrkräfte und Detektionsmechanismen (Hilfe zur Selbsthilfe) durch Sensibilisierung für Angriffsstrategien und aktuelle Gefährdungslagen. Dazu zählen auch Bedrohungen durch die verschiedenen Formen von Extremismus und Terrorismus. 86  Zentrale Ansprechstelle Wirtschaftsschutz Für die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist die „Zentrale Ansprechstelle Wirtschaftsschutz“ (ZAW) beim Verfassungsschutz eingerichtet worden, die im September 2020 ihre Arbeit aufgenommen hat. Als zentraler Anlaufpunkt steht sie seitdem Berliner Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Fragen des Wirtschaftsschutzes zur Seite. Bei der ZAW können Verdachtsfälle und Anliegen im Zusammenhang mit Wirtschaftsspionage gemeldet und erörtert werden, auch wenn Unternehmen – was häufig der Fall ist – unsicher sind über die Urheberschaft und den Deliktcharakter eines möglichen Angriffs (Wirtschaftsspionage, Konkurrenzausspähung, allgemeine Wirtschaftskriminalität). Kontaktaufnahmen und Informationen bleiben streng vertraulich. Mit den Betroffenen kann –unter Wahrung der Unternehmensinteressen – das weitere Vorgehen besprochen und das Anliegen – wenn gewünscht – auch an andere Stellen weitergeleitet werden. Ein derart konsensuales Vorgehen ist möglich, da der Verfassungsschutz im Unterschied zur Polizei und Staatsanwaltschaft nicht zur Strafverfolgung verpflichtet ist und daher in engem Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen handeln kann. SPIONAGEABWEHR UND ­WIRTSCHAFTSSCHUTZ Ziel der Maßnahmen und Aktivitäten im Bereich des Wirtschaftsschutzes ist die Entwicklung und Gestaltung eines engen Kooperationsverhältnisses zu den Berliner Unternehmen und Forschungseinrichtungen, der Aufbau von Vertrauen und die Gewährleistung eines breiten und zügigen Informationsflusses. Denn für alle Sicherheitsbehörden gilt, dass für einen wirksamen und effektiven Wirtschaftsschutz zeitnahe Informationen aus den Unternehmen unerlässlich sind. Nur so können neue Bedrohungslagen und Angriffsstrategien erkannt, Warnungen ausgesprochen und auch Schutzmaßnahmen entwickelt werden. Die ZAW offeriert vor allem Unternehmen und Forschungseinrichtungen – pandemiebedingt auch digital – ein Beratungsangebot, das in erster Linie der Sensibilisierung für die Gefahren und verschiedenen Erscheinungsformen von Wirtschaftsspionage dient. Ergänzend liefert der Webauftritt des Verfassungsschutzes Berlin ein umfangreiches Informationsangebot zu den vielfältigen Aspekten des Wirtschaftsschutzes. Seit März unterstützt die ZAW auch den seitdem vierteljährlich erscheinenden Newsletter „Unternehmenssicherheit: Tipps aus Berliner Expertenkreisen“, der von der Industrie- und Handelskammer Berlin herausgegeben wird.87 Der digitale Newsletter enthält Beiträge der insgesamt sechs hier miteinander kooperierenden regionalen Wirtschafts- und Sicherheitsakteure88 zu Themen der Unternehmenssicherheit und gibt ferner Auskunft über Veranstaltungen und Ansprechstellen. 87 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 88 9 SCIENTOLOGY ORGANISATION Entwicklungen 2021 91 Aktuelle Entwicklungen 92 89 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 IDEOLOGIE Die Scientology Organisation (Scientology) wurde 1954 in den USA und der deutsche Ableger 1970 in München gegründet. Die Scientology-Ideologie basiert auf den Ideen des amerikanischen Science-Fiction-Autors L. Ron Hubbard. Er behauptete, die Welt von Armut, Krieg, Verbrechen, Krankheit und anderen Übeln befreien zu können. Ihre Ideologie verbreitet Scientology weltweit durch Publikationen, in Kurssystemen und Veranstaltungen sowie im Internet. Ihr Ziel ist es, eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt zu schaffen. Die Scientology-Ideologie behauptet, jeder Mensch besitze einen „Thetan“. Dieser sei gewissermaßen die unsterbliche Seele eines Menschen. Diese sei vor Jahrtausenden durch einen außerirdischen Herrscher „traumatisiert“ worden. Die Anwendung scientologischer Ideologie und Techniken verspricht, den „Thetan“ von diesem Trauma zu „reinigen“ („clearen“) und so den perfekt funktionierenden Menschen, den „Clear“, hervorzubringen. Die Scientology verfolgt das langfristige Ziel, eine Gesellschaftsordnung unter Führung von Scientology zu etablieren. In dieser kämen nur solchen Menschen Bürgerrechte zu, die den Status eines „Clear“ ­innehätten. 9 Scientology Organisation 90 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 ENTWICKLUNGEN 2021 Die Versuche der Scientology Organisation, in Berlin neue Mitglieder zu rekrutieren, blieben 2021 erfolglos. Auch das Thema „Corona“, bei dem sich Scientology als Hilfsorganisation zu inszenieren versuchte, die der Pandemie besonders effiziente Maßnahmen entgegenzusetzen habe, brachten der Organisation weder öffentliche Aufmerksamkeit noch neue Interessenten. PERSONENPOTENZIAL 2021 Scientology Organisation 130 91 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 AKTUELLE ENTWICKLUNGEN Die Entwicklung der Scientology Organisation bleibt weiterhin wenig dynamisch. Obwohl sich die Deutschland-Zentrale der Gruppierung in Berlin-Charlottenburg befindet, entfaltet die Organisation hier kaum Außenwirkung. Bei ihren Versuchen, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen, versucht Scientology in der Regel aktuelle politische oder gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und im Sinne der eigenen Ideologie umzudeuten. Auch mit dem Thema „Corona“ versuchte Scientology neue Mitglieder zu werben. Anders als andere Verfassungsfeinde leugnet Scientology die Pandemie nicht. Vielmehr weist sie auf die von dem Virus ausgehenden Gefahren hin und setzt sich als Organisation in Szene, die den von dem Virus ausgehenden Gefahren besonders effiziente Maßnahmen entgegenzusetzen habe. So behauptet Scientology, tausende „Aufklärungsbroschüren“ verbreitet und in ihren „Kirchen“ eine „Hygienekampagne“ durchgeführt zu haben. In anderen Berichten spricht Scientology davon, südafrikanischen Polizeibehörden und Feuerwehren bei der Pandemiebekämpfung geholfen zu haben. So versucht sich Scientology auch als Organisation darzustellen, die vermeintlich vorhandene staatliche Versorgungslücken schließe.89 Die eigens von der Organisation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie produzierte Broschüre „Wie man gesund bleibt“ wurde im Internet und auch in Berlin bei Aktionen auf 92 der Straße verteilt. In der für SO durchaus typischen Weise ist die Broschüre auf den ersten Blick nicht als ScientologyProdukt zu erkennen. Sie enthält zahlreiche Hygienetipps und lediglich auf der letzten Seite einen Hinweis auf die Church of Scientology International. Diese Vorgehensweise ist durchaus üblich. Menschen sollen zunächst über ein aktuelles Thema angesprochen und dann sukzessive zum Einstieg in die Organisation bewegt werden. Dieser Einstieg erfolgt in der Regel durch einen kostenfreien „Persönlichkeits- oder Stresstest“, der als vermeintlich individuelle Lebenshilfe angeboten wird. Seine Auswertung durch speziell geschulte Scientologen wird immer Defizite aufzeigen, welche durch – dann kostenpflichtige – Seminare korrigiert werden sollen. Durch derartige Kurse manipuliert Scientology ihre Anhänger, unterwirft sie einer ständigen Kontrolle und beutet sie finanziell aus. Neben der Corona-Pandemie war das Thema Psychiatrie wieder von herausragender Bedeutung für Scientology. Die Psychiatrie zählt zu den zentralen Feindbildern der Organisation. Ihrer Auffassung nach mache sie Menschen massenhaft und systematisch krank. Sie setzte der Psychiatrie ihre eigenen Kursangebote entgegen, denn nur diese könnten zu geistiger Gesundheit führen und den Menschen „clearen“. Scientology behauptet darüber hinaus, dass „die Psychiatrie“ sich nicht nur an der Ausführung von Euthanasie im Nationalsozialismus beteiligt habe, sondern durch ihre Therapien und SCIENTOLOGY ORGANISATION damit verbundene Beeinflussung von Menschen sei erst der Weg in den Holocaust geebnet worden. Bei ihren Aktivitäten instrumentalisiert die Organisation auch das Gedenken an den Holocaust für ihre eigenen Zwecke. Am 27. Januar – dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des ­Holocaust – führte Scientology bundesweit Aktionen durch, die unter dem Motto „Psychiatrie, Wegbereiter und Architekt des Massenmords“ standen. In Berlin hielt die ScientologyTarnorganisation Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) eine entsprechende Kundgebung im Zentrum Berlins ab. An der Aktion beteiligten sich nur wenige Berliner Anhängerinnen und Anhänger. 93 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 94 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 III HINTERGRUND Verfassungsschutz Berlin 96 Geheimschutz100 Ideologien verfassungsfeindlicher Bestrebungen 102 Tabellarische Übersicht der Personenpotenziale 106 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 110 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 114 Endnoten126 Personen- und Sachregister  128 Bildnachweise131 Publikationsübersicht132 95 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Verfassungsschutz Berlin Gesetzliche Grundlagen Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, seiner Befugnisse und der Kontrollverfahren gesetzlich festgelegt. Von Bedeutung sind neben dem Grundgesetz (Art. 73 und 87 GG) und der Verfassung von Berlin insbesondere das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln), das Bundesverfassungsschutzgesetz90 (BVerfSchG), das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G10) sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel-10-Gesetzes (AG G10) und das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG). Aufgaben Der Verfassungsschutz ist ein Frühwarnsystem, um Gefährdungen unserer Demokratie rechtzeitig zu erkennen. Die Freiheit, die unsere Verfassung allen Bürgerinnen und Bürgern garantiert, ist ein hohes Schutzgut. Im verfassungsrechtlichen Rahmen der Bundesrepublik haben auch radikale politische Ansichten ihren Platz. Die Grenzen der Freiheit werden allerdings überschritten, wenn Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auf deren Abschaffung hinarbeiten oder Grundwerte unserer Verfassung beseitigen wollen. In diesem Rahmen ist es Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes, „den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung [...] zu unterrichten. Dadurch soll es den staatlichen Stellen insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen“ (§ 5 VSG Bln). Zu diesem Zweck sammelt und analysiert der Verfassungsschutz Informationen über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen, die sich gegen • die freiheitliche demokratische Grundordnung, • den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder • die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wurde durch das Bundesverfassungsgericht definiert, als „[...] eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und der Gleichheit darstellt.“ Zu den wichtigsten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören: 96 • die Wahrung der im Grundgesetz konkretisierten ­Menschenrechte • die Volkssouveränität • die Gewaltenteilung • die Verantwortlichkeit der Regierung • die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung • die Unabhängigkeit der Gerichte • das Mehrparteienprinzip • die Chancengleichheit für alle politischen Parteien • das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und ­Ausübung einer Opposition. Außerdem ist der Verfassungsschutz für die Spionageabwehr zuständig und übernimmt Aufgaben des Geheimschutzes. Hierbei berät und unterstützt der Verfassungsschutz Verantwortliche in öffentlichen Stellen und sensiblen Wirtschaftsbereichen. Er führt die gesetzlich vorgesehenen Sicherheitsüberprüfungen von Personen durch, die an sicherheitsempfindlichen Stellen eingesetzt werden oder die Zugriff auf staatliche Verschlusssachen erhalten sollen (personeller Geheimschutz). Zudem zeigt er Möglichkeiten auf, wie Informationen und Vorgänge geschützt werden können, deren Bekanntwerden die Sicherheit oder Interessen des Bundes oder eines seiner Länder gefährden können (materieller Geheimschutz). Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Sicherungsmaßnahmen, damit geheim zu haltende Informationen nicht Unbefugten in die Hände fallen. Von besonderer Bedeutung ist der Schutz von Informationen, die in Datenverarbeitungssystemen gespeichert sind. Der Verfassungsschutz wirkt ferner bei zahlreichen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen mit (z. B. bei Einbürgerungen, der Erteilung von Visa und Aufenthaltserlaubnissen oder dem Zutritt zu sicherheitssensiblen Bereichen, etwa an Flughäfen). Im Rahmen dieser Mitwirkungsangelegenheiten fließen die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes in den Entscheidungsprozess der anfragenden Behörden ein. Aufgaben werden vom Verfassungsschutz darüber hinaus auch im Bereich des Wirtschaftsschutzes wahrgenommen. Dabei geht es im Kern darum, das Know-how der insbesondere kleinen und mittleren Berliner Wirtschaftsunternehmen sowie auch der Berliner Forschungseinrichtungen vor Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage, d. h. dem Zugriff ausländischer Geheimdienste, zu schützen. Im Mittelpunkt steht dabei, durch Präventionsarbeit (Information und Sensibilisierung) für das notwendige Problem- und Gefährdungsbewusstsein zu sorgen und den Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen bei der Entwicklung notwendiger Schutzmechanismen beratend zur Seite zu stehen. VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Arbeitsweise Der Verfassungsschutz erhält einen großen Anteil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. Eine zentrale Informationsquelle ist dabei das Internet, das von verfassungsfeindlichen Organisationen und Gruppierungen für Propaganda-, Vernetzungs- und Rekrutierungszwecke genutzt wird. Neben der Auswertung des Internets gewinnt der Verfassungsschutz seine Informationen zudem aus Zeitungen, Flugblättern, Parteiprogrammen oder anderen Publikationen. nicht mittelbar gestärkt werden. Gleichwohl ist der Einsatz menschlicher Quellen in vielen Fällen unverzichtbar, um Einblicke insbesondere in klandestin operierende Kleingruppen zu gewinnen. Dies dient auch dazu, das Bedrohungspotenzial zutreffend einschätzen zu können. Die durch die Informationsbeschaffung gesammelten Rohdaten müssen systematisiert und analysiert werden. Dabei ist das Arbeitsaufkommen durch die Internetauswertung in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Bestandteil des Prozesses ist auch die Bewertung der Glaubhaftigkeit d ­ er Die Informationsgewinnung aus offenen Quellen stößt jedoch erhobenen Informationen. Der Informationstechnik kommt an Grenzen, wenn verfassungsfeindliche Gruppierungen ihre wahren Absichten nicht nach außen erkennen lassen. Daher für die Verarbeitung großer Datenmengen eine wichtige räumt das Gesetz dem Verfassungsschutz in begründeten Rolle zu. Als bundesweite Verbunddatei verfügen die VerfasFällen die Möglichkeit ein, Informationen verdeckt – mit nach- sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder über das „Nachrichtendienstliche Informationssystem“ (NADIS). Die richtendienstlichen Mitteln – zu gewinnen. Voraussetzung ist, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die betrof- Speichervoraussetzungen richten sich nach dem Bundesverfene Person weniger beeinträchtigende Weise nicht möglich fassungsschutzgesetz.91 Der weit überwiegende Anteil der im ist und die Anwendung des jeweiligen Mittels im Verhältnis zur NADIS gespeicherten Datensätze entfällt auf die SicherheitsBedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. und Zuverlässigkeitsüberprüfungen, die nur mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgen. Die übrigen verteilen sich auf die Phänomenbereiche Rechts- und Linksextremismus, Nachrichtendienstliche Mittel sind z. B. der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen), die Observation oder die Spionageabwehr, Salafismus und islamistischer Terrorismus, verdeckte Bild- und Tonaufzeichnung. Unter engen Voraussonstiger Islamismus und Extremismus mit Auslandsbezug. setzungen ist auch eine Überwachung des Post- und Telekommunikationsverkehrs nach dem Artikel-10-Gesetz zulässig. Kontrolle Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes unterliegt einer vielDie Überwachung darf nur erfolgen, wenn sie erforderlich ist, um drohende Gefahren für die freiheitliche demokratische fältigen Kontrolle auf unterschiedlichen Ebenen. Zuständig Grundordnung oder den Bestand bzw. die Sicherheit des hierfür ist zunächst die für Inneres zuständige Senatorin als Bundes oder eines Landes abzuwehren, tatsächliche Anhaltspolitisch Verantwortliche. Sie wird durch eine besondere Organisationseinheit für die Kontrolle des Verfassungsschutzes, punkte für bestimmte, schwerwiegende Straftaten vorliegen die beim Staatssekretär für Inneres angesiedelt ist, unterstützt. und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Die Überwachung wird Darüber hinaus finden Kontrollen durch den behördlichen von der für Inneres zuständigen Senatorin angeordnet und Datenschutzbeauftragten und die Berliner Beauftragte für bedarf der Genehmigung der G10-Kommission des Abgeord- Datenschutz und Informationsfreiheit statt. Für die parlamentarische Kontrolle sieht die Verfassung von Berlin in Art. 46a netenhauses von Berlin. einen besonderen Ausschuss des Abgeordnetenhauses vor. Zur Aufklärung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Dieser tagt grundsätzlich öffentlich, für Erörterung geheimBestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehhaltungsbedürftiger Angelegenheiten kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Der Senat ist verpflichtet, den men, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit der werden. Gerade bei der Beobachtung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es wesentlich auf die Aufklärung von Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von beReiserouten, Finanzierungsströmen, Kontakten und Kommunisonderer Bedeutung zu unterrichten. Der Ausschuss hat das kationsverbindungen ankommen. Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Dienstkräften. Gemäß § 36 VSG Bln hat Ein oftmals kontrovers diskutiertes nachrichtendienstliches Mittel ist der Einsatz von Vertrauenspersonen. Diese sind der Ausschuss auch die Möglichkeit, eine Vertrauensperson keine Angehörigen des Verfassungsschutzes; sie bewegen zu beauftragen. Die Vertrauensperson kann Untersuchungen durchführen und dem Ausschuss über das Ergebnis in nicht sich in der Regel in verfassungsfeindlichen Gruppierungen öffentlicher Sitzung berichten. Kommunikationsüberwachunoder ihrem ideologischen Umfeld und sind aus unterschiedlichen Gründen bereit, den Verfassungsschutz über deren gen nach dem Artikel-10-Gesetz und Anfragen an Finanz, Aktivitäten und Pläne zu informieren. Die InformationsgewinFlug- und Telekommunikationsunternehmen unterliegen einer nung mittels V-Personen bewegt sich in einem Spannungsfeld, speziellen Kontrolle durch die G10-Kommission. macht sich doch der Verfassungsschutz das Insiderwissen von Extremisten zunutze und muss dabei stets darauf achten, dass extremistische Bestrebungen durch diese Zusammenarbeit 97 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Zusammenarbeit Der Berliner Verfassungsschutz ist Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Die Aufgaben des Inlandsnachrichtendienstes werden in der föderalen Struktur Deutschlands vom Bundesamt für Verfassungsschutz und den 16 Landesbehörden gemeinsam wahrgenommen. Der Vorteil liegt darin, dass die eigentliche Beobachtung abgestimmt auf die jeweiligen Extremismusschwerpunkte auf Landesebene erfolgen kann, wo ein guter Einblick in die regionale extremistische Szene und eine eingespielte Zusammenarbeit mit den übrigen Landesbehörden besteht, die Beratung der Politik stattfindet und lokale Netzwerke für Deradikalisierung und Prävention ins Leben gerufen werden. Es besteht keine Überordnung oder Weisungsbefugnis des Bundesamtes gegenüber den Landesbehörden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat jedoch als Zentralstelle die Aufgabe, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zu koordinieren. Von der Polizei unterscheidet sich der Verfassungsschutz dadurch, dass er nicht für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr zuständig ist, sondern im Rahmen seiner Strukturaufklärung im Vorfeld konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit tätig wird. Er verfügt dabei nicht über polizeiliche Zwangsbefugnisse. Auch organisatorisch müssen Verfassungsschutz und Polizei getrennt sein (organisatorisches Trennungsgebot). Darüber hinaus muss der Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei den Anforderungen des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten informationellen Trennungsprinzips genügen. Dementsprechend ist die Informationsübermittlung für ein mögliches operatives polizeiliches Tätigwerden nur zum Schutz eines herausragenden öffentlichen Interesses zulässig. Ein solches Interesse ist beispielsweise die Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder die Verhinderung oder Verfolgung verfassungsfeindlich motivierter Straftaten. Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus haben die Innenminister die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren ausgebaut. 2004 hat das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) in Berlin-Treptow seine Arbeit aufgenommen. Neben Vertretern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Generalbundesanwalts (GBA) ist auch der Berliner Verfassungsschutz neben allen weiteren Landesbehörden für Verfassungsschutz dort vertreten. Das GTAZ ermöglicht, Informationen zum islamistischen Terrorismus umgehend gemeinsam zu analysieren und die operativen Maßnahmen abzustimmen. Gerade bei der Bewältigung besonderer Gefährdungslagen hat sich diese Kooperationsund Informationsanbahnungsplattform als nützlich erwiesen. Nach der Aufdeckung der Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) und ihrer Mordserie wurde analog zum Bereich des islamistischen Terrorismus auch bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus eine 98 Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf den Weg gebracht. Im Dezember 2011 wurde das „Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus“ (GAR) eingerichtet. Es dient der engeren Koordination und Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten und den Polizeibehörden von Bund und Ländern und wurde im Herbst 2012 in das neue „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ (GETZ) für alle Phänomenbereiche (außer Islamismus) eingegliedert. Auch der Berliner Verfassungsschutz ist dort mit einem Verbindungsbeamten vertreten. 2019 wurde zur Förderung der engeren Zusammenarbeit bei der Aufklärung rechtsextremistischer Strukturen und Straftaten in Berlin das „Gemeinsame Informations- und Bewertungszentrum Rechtsextremismus“ (GIBZ) unter der Geschäftsführung des Berliner Verfassungsschutzes gegründet. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die Information von Politik und Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die zentrale Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes.92 Er informiert den Senat, das Abgeordnetenhaus und die Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern – so weitgehend und intensiv wie möglich. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag zur Extremismusprävention. Der Verfassungsschutz informiert nicht nur in unterschiedlichen Publikationen und über das Internet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten auch Vorträge für Bildungseinrichtungen und interessierte Organisationen. Zudem veranstaltet der Berliner Verfassungsschutz Symposien zu seinen Themenfeldern. Publikationen Der Berliner Verfassungsschutz hat mehrere Publikationsreihen entwickelt, um dem unterschiedlichen Informationsbedarf gerecht zu werden. Alle Publikationen können schriftlich bestellt werden und sind im Internet abrufbar.93 Neben Broschüren, die Einzelphänomene verfassungsfeindlicher Bestrebungen beleuchten, gibt der jährliche Verfassungsschutzbericht eine Gesamtübersicht über Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne von § 5 Abs. 2 VSG Bln. Auch eine Publikation, die über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes informiert, liegt vor. Veranstaltungsarbeit Der Berliner Verfassungsschutz hat zahlreiche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurde sowohl über die Extremismusfelder, die der Verfassungsschutz beobachtet, als auch über die Arbeitsweise des Nachrichtendienstes informiert. Die Vortragsveranstaltungen wurden insbesondere von Polizei und Justiz sowie von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern angefragt. VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen Der Berliner Verfassungsschutz beteiligt sich in der Gremienarbeit am Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Er arbeitet mit anderen Akteuren im „Berliner Beratungsnetzwerk“ gegen Rechtsextremismus zusammen. Zudem ist der Berliner Verfassungsschutz Teil des Deradikalisierungsnetzwerks gegen Salafismus. Internet Über den Internetauftritt unter www.verfassungsschutz-berlin.de können Informationen über die Grundlagen der Verfassungsschutzarbeit sowie die Veranstaltungen des Verfassungsschutzes Berlin und die Publikationen abgerufen werden. Bürger- und Hinweistelefon Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer 030 90129-440 oder unter der E-Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de. 99 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Geheimschutz Ziel des Geheimschutzes ist der Schutz von staatlichen Verschlusssachen, um geheim zu haltende Informationen und Materialien vor unbefugtem Gebrauch und vor unerlaubter Einsichtnahme und Weitergabe zu schützen. Dieser Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bundesländer gefährden kann, ist unverzichtbar. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.94 Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebens- und verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport hat diese Einrichtungen durch Rechtsverordnung festgelegt.95 Dazu zählen u. a. die Behörden zum Schutz der inneren Sicherheit und die Lagezentren und Leitstellen von Polizei und Feuerwehr. Die Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz.96 Zum Zweck des personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen ebenfalls gesetzlich vorgesehen. Die Verfassungsschutzbehörde wird nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde tätig, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist. Im Jahr 2021 führte der Berliner Verfassungsschutz 963 Überprüfungen durch (2020: 633). Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundes- und Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund oder Ländern einbezogen werden. Es sollen Sicherheitsstandards eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes oder eines Landes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags mit Verschlusssachen. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige 100 Aufträge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: „Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen.“ Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist die Verfassungsschutzbehörde.97 2021 wurden 190 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2020: 158). Um die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, unterstützt der Berliner Verfassungsschutz den Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg (SIBE-AK BR-BB) durch fachkundige Vortragende und die Bereitstellung von Informationsmaterialien bei Seminaren und Tagungen. Dieser Arbeitskreis soll den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Austauschforum bieten. Mitwirkung bei gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Der Verfassungsschutz wirkt bei Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren mit.98 Auf Antrag der Einbürgerungsbehörde wird geprüft, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Dabei geht es insbesondere um eine Prüfung,99 ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Antragstellenden Bestrebungen verfolgen oder unterstützen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind oder Hinweise auf sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. 2021 wurden 11 729 Anfragen bearbeitet (2020: 10 562). Vergleichbare Sicherheitsanforderungen gelten auch für das Aufenthaltsrecht von Ausländern.100 Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet hat oder sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewaltdelikten beteiligt.101 Zur Feststellung von Versagungsgründen können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die von ihnen erhobenen Personalien übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde dann mit, ob aus ihrer Sicht Versagungsgründe oder Sicherheitsbedenken vorliegen.102 2021 wurden 17 662 Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde bearbeitet (2020: 18 490). VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Bei Flughäfen und kerntechnischen Anlagen handelt es sich um besonders schützenswerte Objekte. Unbefugte Handlungen durch Beschäftigte können Gefahren für das Objekt und für Leib und Leben anderer Menschen zur Folge haben. Aus diesen Gründen werden gem. § 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) und § 12 b Atomgesetz (AtomG) Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt, an denen der Verfassungsschutz mitwirkt. Im Jahr 2021 wurden nach dem LuftSiG zwei Anfragen durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2020: 1 286). Nach dem AtomG wurden 69 Anfragen (2020: 158) bearbeitet. Seit dem Jahr 2005 gibt es gesetzliche Regelungen über die Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und der Bewachungsverordnung. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder werden an der Überprüfung von Personen beteiligt, die gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit solchen Stoffen betreiben wollen.103 Zuständige Behörde für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung in Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und technische Sicherheit. 2021 erfolgten 481 Anfragen (2020: 414). Verfassungsfeinde legal in den Besitz von Waffen kommen bzw. diese behalten können. Im Jahr 2021 wurden 9 197 Regelanfragen bearbeitet (2020: 5 530).107 Ebenfalls zu den Mitwirkungsangelegenheiten gehören auf Grund des 7. Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 16. Mai 2007 auch Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem BVFG. Durch die Überprüfung soll sichergestellt werden, dass gewaltbereite Extremisten nicht auf dem Weg des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern nach Deutschland kommen können. 2021 gab es keine Anfragen mit Bezug zum BVFG. Wer gewerbsmäßig Leben und Eigentum fremder Personen bewachen will, bedarf einer Erlaubnis auf der Grundlage der Bewachungsverordnung durch die Gewerbeämter der Berliner Bezirke. Zum 1. Juni 2019 wurde durch die Vorgabe im Gesetz zur Änderung bewachungsrechtlicher Vorschriften vom 4. November 2016104 ein zentrales Bewacherregister beim Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA) errichtet. Das zentrale Bewacherregister soll den Vollzug des Bewachungsrechts vereinfachen und verbessern. Mit dem 2. Gesetz zur Änderung der bewachungsrechtlichen Vorschriften105 wurde festgelegt, dass bundesweit Daten zu Bewachungsgewerbetreibenden und Bewachungspersonal elektronisch auswertbar erfasst und auf den aktuellen Stand gehalten werden. Über das Register erfolgt die verpflichtende Regelanfrage bei der jeweiligen Landesbehörde für Verfassungsschutz bei bestimmten Bewachungsunternehmen und Wachpersonen.106 Mit der Einführung der Regelanfrage stieg die Zahl der Anfragen deutlich an. 2021 wurden 4 650 durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2020: 7 293). Bei der Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit bei erstmaliger Erlaubniserteilung sowie bei den Folgeüberprüfungen der Zuverlässigkeit besteht seit dem Jahr 2020 eine gesetzliche Regelung für Regelanfragen der Waffenbehörden bei den jeweils zuständigen Landesverfassungsschutzbehörden. In Berlin ist die zuständige Behörde für die Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit das Landeskriminalamt Berlin. Mit den Regelanfragen soll verhindert werden, dass 101 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Ideologien verfassungsfeindlicher Bestrebungen Rechtsextremismus Es gibt keine einheitliche Definition des traditionellen Rechtsextremismus-Begriffs. In der Öffentlichkeit werden rechtsextremistische Personen nicht selten synonym als „Rechtsradikale“ oder „Neonazis“ bezeichnet. Die Begriffsvielfalt spiegelt zugleich auch die Heterogenität einer Szene wider, die verschiedene ideologische, strategische und organisatorische Konzepte verwendet. Allerdings ist ein Aspekt allen rechtsextremistischen Ideologien gemeinsam: Die Ablehnung des verfassungsrechtlich garantierten Gleichheitsprinzips. Dieses Prinzip garantiert allen Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder politischer Anschauung, Gleichheit vor dem Gesetz. Das Gleichheitsprinzip ist als fundamentaler Grundsatz der Gleichbehandlung und Gleichwertigkeit von Menschen zu verstehen. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten kategorisieren und diskriminieren Menschen auf der Grundlage von ethnischen, kulturellen, geistigen, körperlichen oder politischen Eigenschaften und Einstellungen. Diese Diskriminierung führt dazu, dass Personen und ganzen Personengruppen elementare Grund- und Menschenrechte aberkannt werden. Aus dieser Abwertung von Menschen erwächst in letzter Konsequenz die Rechtfertigung von Gewalt und Terror gegen all jene, die von der rechtsextremistischen Ideologie als „fremd“, „anders“ oder „minderwertig“ diffamiert werden. Rechtsextremisten behaupten, Menschen und Menschengruppen besäßen auf Grundlage von Ethnie oder Kultur unveränderbare „Wesensmerkmale“. Diesen „Wesensmerkmalen“ kommt im Rechtsextremismus eine Schlüsselrolle zu. Rechtsextremisten erheben die Ethnie oder Kultur zum obersten Kriterium der Identität eines jeden Menschen. Die eigene Ethnie und Kultur werden überhöht und als überlegen gegenüber anderen definiert. Auf dieser Basis streben Rechtsextremisten eine ethnisch und kulturell homogene „Volksgemeinschaft“ an. Mit dem Demokratie- und auch dem Rechtsstaatprinzip haben weitere zentrale Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung keinen Platz in der rechtsextremistischen Ideologie und werden von Rechtsextremisten abgelehnt und bekämpft. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen traditionellem Rechtsextremismus und der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten. Traditioneller Rechtsextremismus Der traditionelle Rechtsextremismus ist keine geschlossene politische Ideologie. Er beschreibt vielmehr eine Vielzahl von politischen und sozialen Vorstellungen von Ungleichheit. Diese fügen sich zu einer Gedankenwelt zusammen, in der die zentralen Leitsätze und Werte des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaats, seine Institutionen und Prozesse abgelehnt und bekämpft werden. Folgende Inhalte finden sich dabei in allen traditionellen rechtsextremistischen Strömungen: 102 • Ablehnung des Gleichheitsprinzips • Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit • Antipluralismus und Autoritarismus Im traditionellen Rechtsextremismus wird Ungleichheit primär entlang des Kriteriums der Ethnie bzw. „Rasse“ konstruiert. Ungleichheit wird hierbei als Ungleichwertigkeit gedeutet. Damit legitimiert der traditionelle Rechtsextremismus Gewalt gegen als „minderwertig“ diffamierte „Fremde“ und „Andere“. Nicht selten knüpfen traditionelle Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten symbolisch und ideologisch an den historischen Nationalsozialismus an. Die traditionelle rechtsextremistische Szene agiert zunehmend grenzübergreifend und global. Viele traditionelle Rechtsextremisten begreifen sich mittlerweile primär als „White Supremacists“ (englisch für „weiße Vorherrschaft“), also als Angehörige einer „weißen Rasse“, die anderen menschlichen „Rassen“ prinzipiell überlegen sei und daher über diese herrschen müsse. Zum Spektrum des traditionellen Rechtsextremismus zählen in Berlin die Parteien NPD und Der III. Weg sowie die Netzwerke Freie Kräfte und Rechtsextremistische Musik. Hinzu kommt ein Großteil des weitgehend unstrukturierten Personenpotenzials, das sich vor allem an Konzerten, Demonstrationen oder sonstigen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene beteiligt. Darüber hinaus sind auch Einzelpersonen, die sich im Internet rassistisch, antisemitisch und NS-verherrlichend äußern, Teil der traditionellen rechtsextremistischen Szene Berlins. Die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte Unter dem Begriff der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten werden rechtsextremistische Bestrebungen zusammengefasst, die sich vordergründig vom historischen Nationalsozialismus distanzieren. An die Stelle herkömmlicher rechtsextremistischer Argumentationsmuster treten aktuelle politische Themen wie etwa Migration, soziale Fragen, Kriminalitätsbelastung oder aktuell der richtige Umgang mit der Corona-Pandemie. Diese Themen werden vereinnahmt und zugespitzt. Dadurch werden Vorurteile gegen bestimmte Gruppen von Menschen – vor allem Migranten und Muslime – geschürt und verbreitet. Demokratischen Institutionen werden pauschal Unfähigkeit oder ein bewusstes Handeln „gegen das eigene Volk“ unterstellt. Damit ist die Ideologie der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten darauf ausgerichtet, Menschen herabzuwürdigen und den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren. Anders als der traditionelle Rechtsextremismus, der sich zum Großteil innerhalb seiner eigenen Subkultur bewegt, sucht die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte gezielt Anschluss an nichtextremistische Kreise. Mit der massenhaften Verbreitung ihrer Thesen und Propaganda soll der politische Diskurs vereinnahmt und beeinflusst werden. Historisch entwickelte sich dieses Spektrum in Frankreich zunächst als rechtsnationalistischer Gegendiskurs zur soge- VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 nannten „68er“- Bewegung. Ihre Ideologie entlehnt die Neue Rechte u. a. den Vordenkern der „Konservativen Revolution“, einer nationalistischen und antidemokratischen Strömung zur Zeit der Weimarer Republik. Sie zeichnet sich durch eine starke Ablehnung des Liberalismus sowie universalistischer egalitärer Philosophien und der darauf begründeten Menschenrechte aus. Das demokratiegefährdende Potenzial der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten liegt vor allem in der Strategie der „Entgrenzung“. Über Kampagnen in Sozialen Medien werden Themen unterschwellig mit rechtsextremistischen Thesen durchsetzt, um sie so in möglichst weiten Teilen der Bevölkerung zu verbreiten. Auf diese Weise versuchen die Akteure der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten die Diskurshoheit über bestimmte Themen zu erlangen und diese Diskurse in ihrem Sinne zu manipulieren. Auf offen erkennbaren Rassismus, Antisemitismus oder eine Verherrlichung des Nationalsozialismus wird dabei in den meisten Fällen verzichtet. Um eine schleichende Aufweichung der Grenzen zwischen verfassungskonformen und verfassungsfeindlichen Positionen zu erreichen, formulieren Anhänger der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten regelmäßig medienwirksam provokante Thesen, um kurze Zeit später vorzugeben, sich von diesen zu distanzieren. So versuchen sie sich vor der Strafverfolgung zu schützen und generieren gleichzeitig mediale Aufmerksamkeit für ihre rechtsextremistischen Positionen. Ziel ist es, rechtsextremistische Thesen im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern und diese allmählich als „normal“ erscheinen lassen. Der muslimenfeindliche Rechtsextremismus ist eine ideologische Spielart der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten. Auch er bezieht seine rassistische Ideologie nicht in gleicher Weise auf den Nationalsozialismus wie beispielsweise der traditionelle Rechtsextremismus. Der muslimenfeindliche Rechtsextremismus erkennt den Islam nicht als Religion an. Er diffamiert ihn pauschal als archaisches Glaubens- und Wertesystem und wertet Muslime als nicht in die Gesellschaft integrierbare Gruppe ab. Er fordert deshalb, die Zuwanderung von Menschen aus islamisch geprägten Kulturkreisen zu verbieten und will den hier lebenden Muslimen ihre Grundund Menschenrechte aberkennen. Dabei wird nicht zwischen Islam, Islamismus und islamistischem Terrorismus differenziert. In der Folge wollen Gruppen des muslimenfeindlichen Spektrums auch das Recht auf freie Religionsausübung für Muslime einschränken oder es ihnen ganz versagen. Beispielsweise wird ein Verbot des Baus von Moscheen und teilweise sogar die Ausweisung von Menschen muslimischen Glaubens aus Deutschland gefordert. Von zentraler Bedeutung für die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte ist das Konzept des „Ethnopluralismus“. Dieses Konzept ist eine moderne Entsprechung zum traditionellen Rassismus. „Ethnopluralisten“ konstruieren auf der Grundlage kultureller Unterschiede Ungleichheiten zwischen Ethnien. Sie behaupten, es gebe grundsätzliche und unveränderliche Merkmale von Menschengruppen. Jede Gruppe sei dabei umso besser und stärker, je ähnlicher sich ihre jeweiligen Angehörigen seien. Migrationsprozesse werden grundsätzlich als Gefahr definiert, da sie die vermeintliche Homogenität einer Ethnie oder eines Volkes bedrohten und zerstörten. „Ethnopluralisten“ schaffen auf dieser Grundlage Zerrbilder von Zuwanderern und Geflüchteten als eine permanente Bedrohung für die eigene Ethnie. Diese pauschal negative Stigmatisierung ist das sichtbarste Zeichen einer vermeintlichen Ungleichwertigkeit von Menschen, wie sie von allen rechtsextremistischen Ideologien behauptet wird. Auf der Basis „kultureller Zugehörigkeiten“ und Herkunft werden Menschen abgewertet und ausgegrenzt. Insofern handelt es sich beim „Ethnopluralismus“ um eine rassistische Ideologie, die lediglich auf den Begriff der „Rasse“ verzichtet. Unabhängig von ihrer vermeintlichen Distanzierung vom Nationalsozialismus fällt die verfassungsschutzrelevante Neue Rechte immer wieder durch die Relativierung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder die Hervorhebung vermeintlich „positiver Errungenschaften“ der NS-Diktatur auf. Zwischen den Gruppierungen und Anhängern des traditionellen Rechtsextremismus und der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten bestehen daher Schnittmengen. Vereint in der Ablehnung einer pluralistischen Gesellschaft und in ihrem Hass auf Andersdenkende und „Fremde“ sind die Grenzen zwischen beiden Spektren in Berlin fließend. Zum Spektrum der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten zählen in Berlin insbesondere die Identitäre Bewegung und die muslimenfeindliche Gruppierung Patriotic Opposition Europe. Darüber hinaus agiert auch ein wachsender Anteil der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten unabhängig von festen Organisationsstrukturen vor allem im Internet – in Sozialen Netzwerken, Foren, Chats und in diversen Kommentarspalten. Islamismus Islamismus bezeichnet im Nahen und Mittleren Osten entstandene Bewegungen der Neuzeit, die den Islam ideologisieren und danach streben, entweder eine islamistische Herrschaftsordnung zu errichten oder die Gesellschaft zu islamisieren. Islamisten verstehen den Islam nicht allein als eine Religion, sondern als eine Herrschaftsideologie und als ein Gesellschaftssystem. Zum Islamismus gehören sowohl gewaltorientierte Gruppen bzw. Netzwerke als auch nicht-gewaltorientierte Gruppen, die legalistisch agieren. Das Zentrum der Ideologie aller Islamisten bildet die Auffassung, der Islam erhebe auch einen politischen Anspruch und bilde eine unteilbare Einheit von „Religion und Staat“. So streben die meisten Islamisten nach Gründung eines islamistischen Staatswesens („islamischer Staat“) – häufig auf 103 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 der Basis frühislamischer oder mittelalterlicher Herrschaftskonzepte. Dies bedeutet bei sunnitischen Islamisten ein Kalifat mit einem Kalifen, der sowohl die religiöse als auch die weltliche Herrschaft ausübt, bei schiitischen Islamisten ein Imamat, in welchem der ranghöchste schiitische Imam die oberste Gewalt innehat. Unabdingbar ist für Islamisten auch die „Anwendung der Scharia“, der islamischen Rechts- und Werteordnung. Diese betrachten sie nicht allein als ein Recht, sondern als ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip und fordern die Umsetzung sämtlicher ihrer Bestimmungen. Das angestrebte islamistische Staatswesen ist zudem an so genannte „Prinzipien“ bzw. „Normen“ der Scharia gebunden, die die Freiheiten der Meinung, des Gewissens und der Religion sowie die Rechte von Frauen und Minderheiten einschränken. Mit den von ihnen als ewig gültig verstandenen Bestimmungen der Scharia rechtfertigen Islamisten darüber hinaus Programme zur Islamisierung der Gesellschaft sowie teilweise die Anwendung von Gewalt. Die gewaltorientierten Strömungen unter den Islamisten kennzeichnet darüber hinaus, dass sie den vielschichtigen Begriff des „Jihad“ (wörtl.: Anstrengung auf dem Weg Gottes) weitgehend auf die Bedeutung von Kampf und Krieg reduzieren. Sie betonen vor allem die militante Jihad-Variante des „kleinen Jihad“ bzw. „Jihad des Schwerts“, der historisch vorrangig der Verteidigung muslimischen Territoriums diente. Den militanten Jihad konzipieren sie allerdings sowohl als defensive als auch als offensive Kampfform, propagieren ihn als eine von jedem Muslim zu befolgende Glaubenspflicht und fordern dessen Anwendung auf diverse Feinde. Salafistische und nicht-salafistische Strömungen Innerhalb des Islamismus ist zwischen nicht-salafistischen Gruppen und salafistischen Strömungen, deren politische und jihadistische Richtung der Verfassungsschutz beobachtet, zu unterscheiden. Der auf wahhabitischem Gedankengut basierende Salafismus bezeichnet eine Orientierung am Ideal einer muslimischen Urgesellschaft vor 1 400 Jahren. Salafisten meinen, dass die religiösen Quellen des Islam ein Abbild dieser islamischen Frühzeit seien und versuchen, den damals geltenden religiös-gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Dies mündet in eine wörtliche Auslegung des Koran und der Prophetentradition Sunna. Ihre Schriftgläubigkeit und ihr wortgetreues Verständnis religiöser Texte führen dazu, dass Salafisten häufig frühislamische Herrschafts- und Rechtsformen anstreben, die mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Dies betrifft Gedankengut, das sich gegen die Demokratie und den Rechtsstaat richtet, sowie Gewalt im Namen der Religion rechtfertigt. Teile der Salafisten weisen Parlamentarismus und säkulare Gesetzgebung als nicht mit dem Islam vereinbar zurück, lehnen die Gleichberechtigung der Frau ab, entwerfen Feindbilder von Nichtmuslimen als vermeintlichen 104 „Ungläubigen“ und befürworten teilweise offen terroristische Gewalt. Diese Bestandteile salafistischer Ideologie werden pseudoreligiös verbrämt. Im Unterschied zu den nicht-salafistischen islamistischen Gruppen wie HAMAS, Hizb Allah, Hizb ut-Tahrir (HuT), Muslimbruderschaft (MB) und Millî Görüş-Bewegung stellt der Salafismus die radikalste Strömung innerhalb des Spektrums des Islamismus dar. Charakteristisch für Salafisten ist vor allem ein Exklusivanspruch ihres Islam-Verständnisses gegenüber anderen Islam-Interpretationen und sogar gegenüber den Positionen anderer Islamisten. Deutlicher als diese beharren Salafisten zudem auf einem weitgehend ursprünglichen Verständnis der Scharia und lehnen Interpretationen ihrer Bestimmungen, die den Herausforderungen der Moderne entsprechen, vehement ab. Darüber hinaus fordern Salafisten von allen Muslimen die bedingungslose Übernahme salafistischer Ideologie. Linksextremismus Der Begriff Linksextremismus erhält seinen Gehalt in der Verabsolutierung der aufklärerischen Ziele von Freiheit und Gleichheit, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Versuche, diese Konzepte in die Realität umzusetzen, scheiterten sämtlich. Die Idee des Kommunismus fordert die absolute soziale Gleichsetzung der Menschen und macht die kapitalistische Eigentumsordnung für die immensen sozialen Ungleichheiten am Beginn des Industriezeitalters verantwortlich. Marx und Engels unterscheiden in Besitzer („Bourgeoisie“) und Nicht-Besitzer („Proletariat“) von Produktionsmitteln, die ihre gegensätzlichen Interessen nach einem historischen Gesetz („Historischer Materialismus“) im Klassenkampf austragen. Durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie sollten mit den Produktionsverhältnissen („Basis“) schrittweise auch die Herrschaftsverhältnisse („Überbau“) überwunden werden. Über den Sozialismus und die „Diktatur des Proletariats“ führe der Weg in den vollständig egalitären Kommunismus. In der Praxis fand die Arbeiterklasse jedoch nicht über ihr „Sein“ selbständig zum revolutionären „Bewusstsein“. Lenin ergänzte die Theorie daher um eine „Partei neuen Typs“ als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse. Stalin erweiterte den Führungsanspruch der Partei zu einem quasi-religiösen Kult um seine eigene Person. Und Mao schließlich versuchte, nach Ausschaltung der Feinde innerhalb und außerhalb seines Regierungsapparats mit gewaltigen Umerziehungsprogrammen auch die innere Opposition der chinesischen Bevölkerung zu brechen. Am Ende ergab sich in den Fällen des „real existierenden Sozialismus“ nicht eine Diktatur des Proletariats, sondern eine Diktatur über das Proletariat. Der sogenannte Marxismus-Leninismus ist gleichwohl bis heute die programmatische Grundlage kommunistischer Parteien. VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Anders als der Kommunismus verabsolutiert der Anarchismus nicht die Idee der Gleichheit, sondern die der Freiheit. In diesem Sinne soll zunächst nicht das Eigentum abgeschafft werden, sondern der Staat. Das Ziel ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft ohne jegliche „Fremdbestimmung“. Dennoch lehnen auch Anarchisten das Privateigentum als Herrschaftsform der Besitzenden über die Nicht-Besitzenden ab. Der Anarchismus verfügt über kein stringentes und vermeintlich wissenschaftliches Theoriegerüst, wodurch er sich vom Kommunismus unterscheidet. Es existieren eine Reihe von Auslegungen unterschiedlicher Vordenker. Überwiegend gemeinsam ist ihnen die Erwartung, dass die Menschen sich mit der Abschaffung hierarchischer Strukturen selbst organisieren, z. B. in dezentralen Räten. Der Weg dorthin braucht dabei nicht zwingend gewaltsam zu sein, sondern setzt in der syndikalistischen Interpretation z. B. bei einer gewerkschaftlichen Organisierung an. Mit dem Anarchismus historisch verbunden bleiben jedoch die als „Propaganda der Tat“ gedachten Attentate auf zahlreiche Staatsoberhäupter an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die erhoffte Signalwirkung für einen „Aufstand der Massen“ hatten diese jedoch nicht. zwischen legitimen zivilgesellschaftlichen Anliegen, die im Rahmen des demokratischen Meinungspluralismus diskutiert werden und durch die Meinungsfreiheit geschützt sind, und Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Seit den 1980er Jahren wird das Bild des Linksextremismus in Deutschland vor allem von den sogenannten Autonomen geprägt. Autonome grenzen sich vom strengen Dogmatismus und der kaderartigen Organisation kommunistischer Parteien wie auch von Linksterroristen ab. Wie Anarchisten besitzen sie kein geschlossenes Theoriegebäude. Die Unterwerfung unter einen organisierten Willen lehnen sie kategorisch ab. Diese Theorie- und Organisationsferne ist wesentlicher Teil ihrer Ideologie, die das Individuum und seine Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt stellt. Das Prinzip der sogenannten Politik der ersten Person beruht auf dem souveränen Handeln aufgrund individuellen Betroffenseins. Entscheidungen über das eigene Leben sollen nicht von Dritten getroffen werden. Dieses selbstermächtigende Politikverständnis manifestiert sich praktisch u. a. im militanten Widerstand gegen alles, was subjektiv als Missstand empfunden wird – nach dem Motto „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Aus dieser Haltung heraus lehnen Autonome sowohl das Repräsentationsprinzip als auch das staatliche Gewaltmonopol ab. Im historischen Rückblick sind für Berlin drei Strömungen von Autonomen zu unterscheiden: Die Hausbesetzer-Szene Anfang der 1980er Jahre als Reaktion auf zunehmende Wohnraumspekulation, zweitens die „Antifa“ Anfang der 1990er Jahre in Folge einer Welle fremdenfeindlicher Übergriffe sowie drittens die (re)organisierten Postautonomen, die sich vor allem im Zuge von Globalisierungskritik und Finanzkrise konsolidieren konnten. Letztere sind nicht mehr als Autonome im ursprünglichen Sinne zu bezeichnen. Im politischen Protest u. a. gegen Kapitalismus, Gentrifizierung, Repression, Faschismus und Rassismus suchen und finden diese Strömungen in unterschiedlichem Ausmaß Anschluss an subkulturell verwandte oder ideologisch nahestehende Milieus. Der Verfassungsschutz differenziert aus diesem Grund sehr genau 105 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Tabellarische Übersicht der Personenpotenziale PERSONENPOTENZIAL RECHTSEXTREMISMUS IN BERLIN 2020 2021 Parteien, davon: 230 240 NPD 200 180 Der III. Weg 30 60 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen 500 450 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 800 850 Mehrfachmitgliedschaften gesamt 100 100 Gesamt (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) 1 430 1 440 davon: gewaltorientierte Rechtsextremisten 750 750 PERSONENPOTENZIAL REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER IN BERLIN 2020 2021 Gesamt 670 670 davon: rechtsextremistisch 150 150 106 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 PERSONENPOTENZIAL ISLAMISMUS IN BERLIN 2020 2021 Transnationaler islamistischer Terrorismus, davon: mindestens 30 mindestens 40 Mujahidin-Netzwerke (z. B. Islamischer Staat, al-Qaida) keine gesicherten Zahlen keine gesicherten Zahlen Islamistische nordkaukasische Szene 30 40 Salafistische Bestrebungen 1 100 1 100 Sonstige gewaltorientierte islamistische Gruppierungen, davon: 440 520 Hizb Allah 250 300 HAMAS 80 100 Hizb ut-Tahrir (HuT) 60 70 Sonstige 50 50 Legalistischer Islamismus, davon: 600 600 Muslimbruderschaft (MB, inkl. DMG) 150 150 Millî Görüş-Bewegung (MGB) 450 450 Gesamt 2 170 2 260 107 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 PERSONENPOTENZIAL AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS IN BERLIN 2020 2021 Linksextremisten, davon: 1 260 1 250 PKK 1 100 1 100 PFLP 30 40 DHKP-C 30 30 Sonstige 100 80 Extreme Nationalisten (Ülkücü-Bewegung) 400 400 Gesamt 1 660 1 650 PERSONENPOTENZIAL LINKSEXTREMISMUS IN BERLIN 2020 2021 Gewaltbereite Linksextremisten, davon 980 950 Autonome 570 550 Postautonome 410 400 Nicht-gewaltbereite Linksextremisten, davon 2 470 2 700 Rote Hilfe e. V. 2 100 2 350 Sonstige 108 370 350 Linksextremistische Parteien 150 150 Gesamt 3 600 3 800 PERSONENPOTENZIAL SCIENTOLOGY ORGANISATION IN BERLIN 2020 2021 Gesamt 130 130 108 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 109 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Rechtsextremismus Organisation / Gruppierung Seite Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) / Junge Nationaldemokraten (JN) 39 Der III. Weg 40 Netzwerk Freie Kräfte 40 Netzwerk Rechtsextremistische Musik 40 Netzwerk von muslimen- und migrationsfeindlichen Rechtsextremisten 41 Identitäre Bewegung Regionalgruppe Berlin 41 Patriotic Opposition Europe (POE) 41 Reichsbürger und Selbstverwalter Organisation / Gruppierung Seite Staatenlos.info Comedian e. V. 48 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuST) 49 Verfassunggebende Versammlung 48 f Vaterländischer Hilfsdienst 49 Gelbe Westen Berlin 48 110 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Islamismus / islamischer Terrorismus Organisation / Gruppierung Seite Mujahidin-Netzwerke 61 Islamistische nordkaukasische Szene 61 Islamischer Staat (IS) 61 Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) 58 Jama’atu Berlin alias Tauhid Berlin 54 (Kern-)al-Qaida 58 f Salafistische Bestrebungen 54 Die Islamische Gemeinschaft in Berlin – Al-Nur-Moschee e. V. (IGB) 55 Islamische Gemeinschaft Ibrahim Alkhalil Moschee Berlin e. V. 55 Furkan Zentrum / Furkan e. V. 54 f As-Sahaba / Die Gefährten e. V. 54 f Hizb Allah (Partei Gottes) 55 HAMAS (Bewegung des Islamischen Widerstands) 56 Muslimbruderschaft (MB) / Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) 57 Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) 56 Generation Islam (GI) 22, 59 Millî Görüş-Bewegung (MGB) 58 Izz al-Din al-Qassam-Brigaden 56 Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei, SP) 58 Taleban 58 ff Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes namentlich im Verfassungsschutzbericht und in der Auflistung aufgeführt werden. 111 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Auslandsbezogener Extremismus (ohne Islamismus) Organisation / Gruppierung Seite Arbeiterpartei Kurdistans (PKK, Partîya Karkerên Kurdistan) 67 Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E) 67 Bewegung der Revolutionären Jugend (TCŞ, Tevgera Ciwanên Şoreşger) 67 Bewegung der kämpferischen jungen Frauen (TekoJIN, Jinên Ciwanên Tekoşer) 67 Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJKE) 67 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 67 Islamische Gemeinschaft Kurdistans (CİK) 67 Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland (KON-MED) 67 Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland (FED-KURD) 67 Freie kurdische Gemeinde Berlin e. V. / Navenda kurdistanîyên Berlînê e. V. 67 Ülkücü-Bewegung 66 Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF, Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) 66 Föderation der Weltordnung in Europa (ANF) 66 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C, Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi) 68 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP, Popular Front for the Liberation of Palestine) 68 Abu Ali Mustafa-Brigaden (AAMB) 68 112 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Linksextremismus Organisation / Gruppierung Seite Liebig34 74, 76 Rigaer94 75 Interventionistische Linke (IL) 77 Rote Hilfe e. V. (Ortsgruppe Berlin) 78 radikale linke | berlin 76 Sonstige Organisationen / Gruppierungen Organisation / Gruppierung Seite Scientology Organisation 90 ff Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 93 26 ff Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes namentlich im Verfassungsschutzbericht und in der Auflistung aufgeführt werden. 113 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin waltung für Zwecke der Personalentwicklung vorbehalten werden. (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in der Fassung vom 25. Juni 2001, geändert durch Art. V des Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBl. S. 305), geändert durch Art. II des Gesetzes vom 5. Dezember 2003 (GVBl. S. 571), geändert durch Art. I des Gesetzes vom 6. Juli 2006 (GVBl. Nr. 26, S. 712), geändert durch Gesetz vom 1. Dezember 2010 (GVBl. S. 534), geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juni 2018 (GVBl. S. 418), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 27. September 2021 (GVBl. 1121). § 4 Zusammenarbeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie z. B. das nachrichtendienstliche Informationssystem des Bundes und der Länder [NADIS] und die Schule für Verfassungsschutz). (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden. ERSTER ABSCHNITT Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde § 1 Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen ­demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der ­Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder. § 2 Organisation (1) Verfassungsschutzbehörde ist die Senatsverwaltung für Inneres. Die für den Verfassungsschutz zuständige Abteilung nimmt ihre Aufgaben gesondert von der für die Polizei zuständigen Abteilung wahr. (2) Die für den Verfassungsschutz zuständige Abteilung ist Verantwortlicher im Sinne des § 31 Nummer 7 des Berliner Datenschutzgesetzes vom 13. Juni 2018 (GVBl. S. 418). Die Übermittlung an andere Organisationseinheiten der Senatsverwaltung für Inneres ist ungeachtet der fach- und dienstaufsichtlichen Befugnisse zulässig, wenn dies für die Aufgabenerfüllung nach § 5 Abs. 1 erforderlich ist. (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbeschadet ihrer Verantwortung gegenüber dem Senator im Übrigen in der Durchführung von Prüfungen und der Beurteilung von Prüfungsvorgängen unabhängig. § 3 Dienstkräfte (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzabteilung haben neben den allgemeinen Pflichten die sich aus dem Wesen des Verfassungsschutzes und ihrer dienstlichen Stellung ergebenden besonderen Pflichten. Sie haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung von Berlin einzusetzen. Die Funktion des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt. (2) Der Senat von Berlin kann jährlich bestimmen, in welchem Umfang Dienstkräften der Verfassungsschutzabteilung freie, frei werdende und neu geschaffene Stellen in der Hauptver- 114 § 5 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu unterrichten. Dadurch soll es den staatlichen Stellen insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und wertet die Verfassungsschutzbehörde Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einbürgerungsverfahren, jagd- und waffenrechtlichen Verfahren sowie bei sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen; die Mitwirkung ist nur zulässig, wenn diese zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder für Zwecke der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist; Näheres wird in einer Verwaltungsvorschrift des Senators für Inneres im Benehmen mit dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit bestimmt. Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. März 1998 (GVBl. S. 26) geregelt. § 6 Begriffsbestimmungen (1) Bestrebungen im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 1 und 3 sind politisch motivierte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organisationen, Personenzusammenschlüssen ohne feste hierarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in § 5 Abs. 2 bezeichneten Schutzgüter. Für eine Organisation oder eine unorganisierte Gruppe handelt, wer sie in ihren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einer oder für eine Organisation oder in einer oder für eine unorganisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, sind solche, die auf die Beseitigung oder Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrundsätze abzielen. Hierzu gehören: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen, 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (4) Auswärtige Belange im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 werden nur gefährdet, wenn innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder durch Handlungen vorbereitet wird und diese sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten richten. § 7 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, darf die Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach § 5 Abs. 2 nur tätig werden, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die Prüfung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, die dazu erforderlichen personenbezogenen Daten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben, speichern und nutzen. Eine Speicherung dieser Daten im nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) oder in anderen Verbunddateien ist nicht zulässig. Eine Speicherung der nach Satz 1 erhobenen personenbezogenen Daten in Akten und Dateien über den Ablauf eines Jahres seit der Speicherung hinaus ist nur zulässig, wenn spätestens von diesem Zeitpunkt an die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen. Dasselbe gilt für das Anlegen personenbezogener Akten. (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Informationen. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige auszuwählen, die den Einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie einen Nachteil herbeiführt, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Sie ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. (4) Soweit in diesem Gesetz besondere Eingriffsbefugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen oder eine nicht unerhebliche Einwirkung auf Sachen. § 8 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten und bei öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen, insbesondere bei Privatpersonen, erheben, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Berliner Datenschutzgesetzes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen; dies gilt auch dann, wenn die betroffene Person in eine Überprüfung im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens eingewilligt hat. 115 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere zur Erhebung personenbezogener Daten, nur in begründeten Fällen folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informanten, zum Zweck der Spionageabwehr überworbenen Agenten, Gewährspersonen und verdeckten Ermittlern, 2. Observation, 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videografieren und Filmen), 4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel, 7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen sowie die Sichtbarmachung, Beobachtung, Aufzeichnung und Entschlüsselung von Signalen in Kommunikationssystemen, 8. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden), 9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 10. Überwachung des Brief-, Post-, und Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel-10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298; 2007 I S. 154), das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 14. August 2017 (BGBl. I S. 3202) geändert worden ist, 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methoden, Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; dem Einsatz derartiger Methoden, Gegenstände und Instrumente hat der Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vorab seine Zustimmung zu erteilen. Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (§§ 53 und 53 a der Strafprozessordnung), darf die Verfassungsschutzbehörde nicht von sich aus nach Satz 1 Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen in Anspruch nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht. Die Behörden des Landes Berlin sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu geben. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten mit den Mitteln gemäß Absatz 2 erheben, wenn 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2 bestehen, 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten gewonnen werden können, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2 erforderlichen Quellen erschlossen werden können oder 116 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen der Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen sich gegen andere als die in § 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 genannten Personen nur richten, soweit dies zur Gewinnung von Erkenntnissen unerlässlich ist. (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine Auskunft nach § 27 gewonnen werden können. Die Anwendung eines Mittels gemäß Absatz 2 soll erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 6 und 7 ist grundsätzlich nur zur Informationsbeschaffung über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zulässig, wenn diese Bestrebungen die Anwendung von Gewalt billigen oder sich in aktiv kämpferischer, aggressiver Weise betätigen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Die Löschung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall dürfen die Daten nicht verwertet werden. (5) Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung der Mittel nach Absatz 2 sind in einer Verwaltungsvorschrift des Senators für Inneres zu regeln, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffung regelt. Die Verwaltungsvorschrift ist dem Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vorab zur Kenntnis zu geben. (6) Für die Speicherung und Löschung der durch Maßnahmen nach Absatz 2 erlangten personenbezogenen Daten gilt § 4 Abs. 1 des Artikel-10-Gesetzes entsprechend (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). § 9 Einsatz technischer Mittel zur Überwachung von Wohnungen (1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln ausschließlich bei der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem Gebiet der Spionageabwehr und des gewaltbereiten politischen Extremismus heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden. Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn sie im Einzelfall zur Abwehr einer dringen- VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 den Gefahr für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, unerlässlich ist, ein konkreter Verdacht in Bezug auf eine Gefährdung der vorstehenden Rechtsgüter besteht und der Einsatz anderer Methoden und Mittel zur heimlichen Informationsbeschaffung keine Aussicht auf Erfolg bietet. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in Wohnungen. Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 dürfen nur auf Grund richterlicher Anordnung getroffen werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht eines Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde, der die Befähigung zum Richteramt hat. (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 3 ist das Amtsgericht Tiergarten. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. (5) Der Senat unterrichtet die Kommission nach § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel-10-Gesetzes in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), das zuletzt durch Artikel I des Gesetzes vom 5. Dezember 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden ist, unverzüglich, möglichst vorab, und umfassend über den Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. § 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz gilt entsprechend. (6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 3 ist nach ihrer Beendigung der betroffenen Person mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erwarten ist. Die durch Maßnahmen im Sinne des Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des § 4 des Artikel- 10-Gesetzes verwendet werden. § 9a Eingriffe, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gleichkommen (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gleichkommt und nicht den Regelungen des § 9 unterliegt, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehört, bedarf der Anordnung durch den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird. (2) Die §§ 2 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz gelten entsprechend. (3) § 9 Abs. 6 gilt entsprechend. § 10 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung - von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, von öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, und 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung, im Falle der Verhinderung der Vertreter. (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und, soweit sie für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nach § 5 Abs. 2 nicht mehr benötigt werden, am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. 117 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 ZWEITER ABSCHNITT Datenverarbeitung § 11 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene personenbezogene Informationen speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2 vorliegen oder 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2 erforderlich ist oder 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen der Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach § 5 Abs. 3 tätig wird. In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personenbezogene Daten auch gespeichert, verändert und genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 zwingend erforderlich ist. (2) In Dateien gespeicherte Informationen müssen durch Aktenrückhalt belegbar sein. (3) In Dateien ist die Speicherung von Informationen aus der Intimsphäre der betroffenen Person unzulässig. § 12 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen Die Speicherung personenbezogener Informationen über Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, ist unzulässig. § 13 Speicherungsdauer (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Die in Dateien gespeicherten Informationen sind bei der Einzelfallbearbeitung, spätestens aber fünf Jahre nach Speicherung der letzten Information, auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Sofern die Informationen Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre nach der zuletzt gespeicherten relevanten Information zu löschen. (2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien oder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gespeichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach § 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur Erfüllung der Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine Fortdauer der Speicherung rechtfertigen. 118 § 14 Berichtigung, Löschung und Einschränkung der ­ erarbeitung personenbezogener Daten in Dateien V (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Informationen zu löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt war, unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt werden. (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Verarbeitung von in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten einzuschränken, wenn die Löschung unterbleibt, weil Grund zur Annahme besteht, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen beeinträchtigt würden. In der Verarbeitung eingeschränkte Daten sind entsprechend zu kennzeichnen und dürfen nur mit Einwilligung der betroffenen Person verwendet werden. (4) Die Verarbeitung von in Dateien gelöschten Informationen ist eingeschränkt. Unterlagen sind zu vernichten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben nach § 5 nicht oder nicht mehr erforderlich sind, es sei denn, dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können. (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke und zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des Berliner Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichneten Handlungen verwendet werden. § 15 Berichtigung und Einschränkung der Verarbeitung ­personenbezogener Daten in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in Akten einzuschränken, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass ohne die Einschränkung schutzwürdige Interessen von betroffenen Personen beeinträchtigt würden und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. In der Verarbeitung eingeschränkte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Einschränkung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 § 16 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung im Benehmen mit der oder dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Eingabeberechtigung, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung, 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, 9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der Erschließung von Akten dienen. Die Verfassungsschutzbehörde führt ein Verzeichnis der geltenden Dateianordnungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. § 17 Gemeinsame Dateien Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. DRITTER ABSCHNITT Informationsübermittlung § 18 Grundsätze bei der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist aktenkundig zu machen. In der entsprechenden Datei ist die Informationsübermittlung zu vermerken. Vor der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt im Hinblick auf den Übermittlungszweck zu würdigen und der Informationsübermittlung zugrunde zu legen. Erkennbar unvollständige Informationen sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen. § 19 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. § 20 Informationsübermittlung an den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die Voraussetzungen aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. § 21 Informationsübermittlung an Strafverfolgungsbehörden in Angelegenheiten des Staats- und Verfassungsschutzes Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2 stehen, erforderlich ist. § 22 Übermittlung von Informationen an den öffentlichen Bereich (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung gewonnenen, nicht personenbezogenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an inländische Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2 oder zur Strafverfolgung benötigt oder nach § 5 Abs. 3 tätig wird. (3) Die empfangende Stelle von Daten nach Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, dass sie die übermittelten personenbezogenen Daten nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. § 23 Übermittlung von Informationen an Personen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und der Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Die Verfassungsschutzbehörde führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wur- 119 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 den. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. § 24 Übermittlung von Informationen an die Stationierungsstreitkräfte Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikpaktes über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden. § 25 Übermittlung von Informationen an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen. Die Übermittlung ist nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten personenbezogenen Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden, und die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Informationen zu bitten. § 26 Unterrichtung der Öffentlichkeit Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 5 Abs. 2. Dabei ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur zulässig, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit an sachgemäßen Informationen das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. § 27 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen bekannt gewordenen Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, über Bestrebungen 120 nach § 5 Abs. 2, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Informationen über Bestrebungen im Sinne des § 5 Abs. 2. (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von jeder der in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen verlangen, dass sie ihr die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten übermittelt, wenn die Informationen nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch eine den Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Es dürfen nur die Informationen übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bereits bekannt sind. (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (4) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach § 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in § 3 des Artikel-10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 übermittelten Informationen findet § 4 Abs. 6, auf die dazugehörenden Unterlagen findet § 4 Abs. 1 Satz 2 des Artikel-10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung ihrer in § 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall ist die Verarbeitung solcher Informationen eingeschränkt und entsprechend zu kennzeichnen. (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermittelnde Stelle die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. § 27a Übermittlung von Informationen durch nicht öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 des Artikel-10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs einholen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 des Artikel-10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genommenen Telekommunikations- und Teledienst-Dienstleistungen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (5) Auskünfte nach den Absätzen 1 bis 4 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist von der Leitung der Verfassungsschutzabteilung, im Falle ihrer Verhinderung von ihrem Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der Senator für Inneres, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär. Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet die Kommission nach § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel-10-Gesetzes über die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann der Senator für Inneres, im Fall seiner Verhinderung der Staatssekretär den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. § 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach den Absätzen 1 bis 4 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat die Senatsverwaltung für Inneres unverzüglich aufzuheben. Für die Verarbeitung der nach den Absätzen 1 bis 4 erhobenen Daten ist § 4 des Artikel-10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht mitgeteilt werden. § 12 Abs. 1 und 3 des Artikel-10-Gesetzes findet entsprechende Anwendung. (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses über die Durchführung der Absätze 1 bis 5; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 4 zu geben. (7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über die nach den Absätzen 1 bis 5 durchgeführten Maßnahmen; Absatz 6 gilt entsprechend. (8) Das Grundrecht des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes, Artikel 16 der Verfassung von Berlin) wird nach Maßgabe der Absätze 2, 4 und 5 eingeschränkt. § 28 Übermittlungsverbote Die Übermittlung von Informationen nach den Vorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, dass die Informationen zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen oder 4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. § 29 Minderjährigenschutz (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach § 13 Abs. 2 erfüllt sind. (2) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder über- oder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 121 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 § 30 Nachberichtspflicht Erweisen sich Informationen nach ihrer Übermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, so hat die übermittelnde Stelle ihre Informationen unverzüglich gegenüber der empfangenden Stelle zu ergänzen oder zu berichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung der Informationen führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist aktenkundig zu machen und in den entsprechenden Dateien zu vermerken. VIERTER ABSCHNITT Auskunftserteilung § 31 Auskunft an den Betroffenen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt einer natürlichen Person über die zu ihr gespeicherten Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf Informationen, die nicht der alleinigen Verfügungsberechtigung der Verfassungsschutzbehörde unterliegen, sowie auf die Herkunft der Informationen und die Empfänger von Übermittlungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Antrag ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenüber dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen Fall hat die Verfassungsschutzbehörde zu prüfen, ob und inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Geheimhaltungsinteresse liegt vor, wenn 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweisen der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Informationen oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen Dritter, geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest insoweit zu begründen, dass eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der Verweigerungsgründe gewährleistet wird, ohne dabei den Zweck der Auskunftsverweigerung zu gefährden. Die Gründe der Ablehnung sind in jedem Fall aktenkundig zu machen. (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder teilweise abgelehnt, ist die betroffene Person darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten für 122 Datenschutz und Informationsfreiheit wenden kann. Der oder dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist auf ihr oder sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen der oder des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, soweit sie nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. § 32 Akteneinsicht (1) Sind personenbezogene Daten in Akten gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Antrag Akteneinsicht gewährt werden, soweit Geheimhaltungsinteressen oder schutzwürdige Belange Dritter nicht entgegenstehen. § 31 gilt entsprechend. (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist insbesondere dann zu versagen, wenn die Daten des Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimhaltungsbedürftigen sonstigen Informationen derart verbunden sind, dass ihre Trennung auch durch Vervielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich ist. In diesem Fall ist dem Betroffenen zusammenfassende Auskunft über den Akteninhalt zu erteilen. (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf die von der Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung für Inneres geführten Akten keine Anwendung. § 32a Unabhängige Datenschutzkontrolle (1) Jede Person kann sich an die Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden, wenn sie der Ansicht ist, bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch die Verfassungsschutzbehörde in ihren Rechten verletzt worden zu sein. (2) Die oder der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit kontrolliert bei der Verfassungsschutzbehörde die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz. Soweit die Einhaltung von Vorschriften der Kontrolle durch die Kommission nach § 2 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel-10-Gesetzes unterliegt, unterliegt sie nicht der Kontrolle durch die Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, es sei denn, die Kommission ersucht die Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten. (3) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, die Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit und ihre oder seine schriftlich besonders Beauftragten bei der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben zu unterstützen. Den in Satz 1 genannten Personen ist dabei insbesondere 1. Auskunft zu ihren Fragen sowie Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Daten und in die Daten- VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 verarbeitungsprogramme, zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Kontrolle nach Absatz 2 stehen, 2. jederzeit Zutritt zu allen Diensträumen zu gewähren. Dies gilt nicht, soweit das für Inneres zuständige Mitglied des Senats im Einzelfall feststellt, dass durch die Auskunft oder Einsicht die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten ohne Beschränkung auf die Erfüllung der Aufgaben nach § 5. Sie gelten entsprechend für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch andere Stellen, wenn diese der Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde nach § 5 dient. § 13 Absatz 1 und 4 des Berliner Datenschutzgesetzes findet in diesen Fällen keine Anwendung. FÜNFTER ABSCHNITT Parlamentarische Kontrolle § 33 Ausschuss für Verfassungsschutz (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle durch den Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin. Die Rechte des Abgeordnetenhauses und seiner anderen Ausschüsse bleiben unberührt. (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz besteht in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Das Vorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl der Mitglieder richtet sich nach der Stärke der Fraktionen, wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied vertreten sein muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. Es werden stellvertretende Mitglieder gewählt, die im Fall der Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds dessen Rechte und Pflichten wahrnehmen. Die Anzahl der stellvertretenden Mitglieder entspricht der Anzahl der ordentlichen Mitglieder. Kann das ordentliche Mitglied seine Rechte und Pflichten nicht wahrnehmen, so wird es durch ein stellvertretendes Mitglied derselben Fraktion vertreten. (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedschaft im Ausschuss für Verfassungsschutz. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. Für stellvertretende Mitglieder des Ausschusses gelten die Vorgaben der Sätze 1 und 2 entsprechend. § 34 Geheimhaltung (1) Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss des Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche Interesse oder berechtigte Interessen eines Einzelnen dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, sind die Mitglieder des Ausschusses zur Verschwiegenheit über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen dabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Ausschuss. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit kann von dem Ausschuss aufgehoben werden, soweit nicht berechtigte Interessen eines Einzelnen entgegenstehen oder der Senat widerspricht; in diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 gelten für stellvertretende Mitglieder des Ausschusses entsprechend. § 35 Aufgaben und Befugnisse des Ausschusses (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten; er ­berichtet auch über den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat Anspruch auf Unterrichtung. (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Dienstkräften. Die Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechtigung der Verfassungsschutzbehörde unterliegen. (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einzelne Vorgänge verweigern und bestimmten Kontrollbegehren widersprechen, wenn dies erforderlich ist, um vom Bund oder einem deutschen Land Nachteile abzuwenden; er hat dies vor dem Ausschuss zu begründen. (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuss für einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als Untersuchungsausschuss (Artikel 48 der Verfassung von Berlin) einsetzen. § 3 des Gesetzes über die Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBl. S. 925), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBl. S. 154), findet keine Anwendung. (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin. § 36 Vertrauensperson des Ausschusses für Verfassungsschutz Der Ausschuss für Verfassungsschutz kann zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben im Einzelfall nach Anhörung des Senats mit der Mehrheit seiner Mitglieder eine Vertrauensperson beauftragen, Untersuchungen durchzuführen und dem Ausschuss über das Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung zu berichten. Die Vertrauensperson soll die Befähigung zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer der jeweils laufenden Wahlperiode vom Ausschuss für Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. Die Vertrauensperson erhält für ihre Dienstleistungen im Einzelfall auf Antrag eine Vergütung entsprechend den §§ 8, 9 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 7 Absatz 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Die Höhe des Honorars richtet sich nach der Honorargruppe M 3. 123 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 SECHSTER ABSCHNITT Schlussvorschriften § 37 Einschränkung von Grundrechten Auf Grund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des Grundgesetzes eingeschränkt werden. § 38 Anwendbarkeit des Berliner Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach § 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die Bestimmungen des Berliner Datenschutzgesetzes mit Ausnahme der §§ 2 Absatz 9 und § 13 Absatz 1 und 4 sowie der Bestimmungen der Teile 2 und 3 Anwendung. Die §§ 20a Absatz 2, 31 und 36 Absatz 1 bis 4 und die §§ 37 bis 39, 48, 50, 69 und 70 des Berliner Datenschutzgesetzes sind entsprechend anzuwenden. § 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. § 27a tritt außer Kraft, sobald das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097) geändert worden ist, wieder in seiner am 31. Dezember 2001 maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des Außerkrafttretens ist im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin bekannt zu machen. 124 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 125 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Endnoten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 Vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit wurden bis einschließlich November 2021 95 Übergriffe auf Medienschaffende in Deutschland dokumentiert. So viele wie nie zuvor, seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2015. Vgl. www.ecpmf.eu. Die vollständige Bezeichnung dieses Phänomenbereichs lautet: „Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Vgl. S. 26 ff. Zur besseren Lesbarkeit wird hier die Bezeichnung „Staatsdelegitimierer“ verwandt. Vgl.: Michael Papendick, Yann Rees, Franziska Wäschle, Andreas Zick: „Hass und Angriffe auf Medienschaffende“, 2020, abrufbar unter: www.mediendienst-integration.de. Dieses Spektrum umfasst Nennungen wie rechtsextrem, rechtspopulistisch, aber auch die Nennung spezifischer Organisationen, die diesem Spektrum zugerechnet werden. Grundlegend festgestellt im sog. „Spiegel-Urteil“ vom 5.8.1966 (1 BvR 568/62), auf das sich die Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts immer wieder bezieht. Schriftleitergesetz vom 4.10.1933 unter http://pressechronik1933.dpmu.de. Ab Ende 2014 kam es in mehreren deutschen Städten zu rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Protesten. Mehrere zum damaligen Zeitpunkt neue Gruppierungen protestierten gegen eine vermeintliche „Islamisierung Deutschlands“. Die bekannteste Organisation dieses Spektrums ist die in Dresden aktive PEGIDA-Bewegung („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“). Der Berliner Ableger dieser Bewegung trägt den Namen „BÄRGIDA“. Tagesschau vom 23.3.2021 unter tagesschau.de. CNN am 16.11.2021 unter cnn.com: „This infamous Steve Bannon quote is key to understanding America’s crazy politics“. (Zitat sinngemäß übersetzt: “Der eigentliche Gegner, das sind die Medien. Und der richtige Umgang mit ihnen, ist, sie mit Unsinn zu überfluten.”). Hessischer Rundfunk vom 4.11.2021: „Verschwörungsmythen in Corona-Zeiten. Die Hefe für den politischen Widerstand“. Salafistisches Facebook-Profil, Post vom 20.6.2021. Rocket.Chat-Server „Techhaven“ vom 4.9.2021. Übersetzung aus dem Englischen. Vgl. Nasrallah, Hassan: „Le Hezbollah n‘a pas d‘activité en Allemagne.“ in: „Al Manar TV“ vom 4.5.2020. Videobotschaft von „Abul Baraa“: „Schluss mit der Jahiliyya. Wie verbessere ich meinen schlechten Charakter?“ Veröffentlicht am 18.3.2018. Videobotschaft von „Abul Baraa“: „Und die Juden und Christen werden nie mit dir zufrieden sein, bis du ihrem Glauben folgst.“ Veröffentlicht am 13.7.2018. Die HuT ist seit 2003 in Deutschland mit einem politischen Betätigungsverbot belegt. Vgl. S. 56. Vgl. ein Youtube-Kanal von Anhängern der HuT. Veröffentlicht am 28.1.2021. Vgl. „RBB Kontraste und ihre Hetze gegen Friedrichshainer Hausprojekte – Eine nachbarschaftliche Perspektive“ auf der Internetpräsenz indymedia, abgerufen am 1.12.2021. Ebd. Vgl. „Dem Lokalcholeriker den SUV genommen“, auf der Internet­ präsenz indymedia, abgerufen am 1.12.2021. Vgl. „Hygiene Demos am Rosa-Luxemburg-Platz! Verschwörungsideologen, querfront und Rechte!“, auf der Internetpräsenz indymedia, abgerufen am 1.12.2021. „Indymedia-Debatte: Zum Angriff aufs ZDF...“, auf der Internetseite der „Antifa Berlin“, abgerufen am 1.12.2021. Tagesschau vom 21.9.2021: „Corona-Leugner wähnen sich im Weltkrieg“ auf tagesschau.de. Der Tagesspiegel vom 21.9.2021: „Nach Streit um Maskenpflicht. Rechte jubeln über Mord von Idar-Oberstein“ auf tagesspiegel.de. Telegram-Kanal aus dem Phänomenbericht „Staatsdelegitimierer“, ohne Datum. 126 26 Internetseite des III. Wegs: „Bundesweites Corona-Maßnahmenpaket zur weiteren Einschränkung geplant“ vom 17.4.2021. 27 Flyer des III. Wegs. 28 Vgl. Video auf dem Facebook-Profil der NPD Berlin. Abgerufen am 14.1.2022. 29 Twitter-Profil der Polizei Koblenz. Abgerufen am 21.7.2021. 30 Telegram-Kanal des sogenannten Volkslehrers vom 17.7.2021. 31 Internetauftritt der NPD. Abgerufen am 19.8.2021. 32 Facebook-Profil der POE. Abgerufen am 24.8.2021. 33 Vgl. Internetauftritt Der III. Weg vom 15.10.2021. 34 Vgl. Twitter-Profil der NPD-Jugendorganisation vom 24.10.2021. 35 Vgl. Internetkampagnen-Auftritt der IBD. 36 Vgl. „Lagebericht ‚Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden‘“. Veröffentlicht auf www.verfassungsschutz.de, abgerufen am 6.12.2021. 37 Telegram-Kanal eines Reichsbürgers, Post vom 7.5.2020. 38 Flyer der Verfassunggebenden Versammlung: „Ich stimme für mein Deutschland“. 39 Telegram-Kanal einer Reichsbürgerin, Post vom November 2021. 40 Vgl. Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 25.2.2021. 41 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 63 f. 42 Vgl. dies.: Verfassungsschutzbericht 2020. Berlin 2021, S. 53 f. 43 Arabischer Ausdruck für „Glaubenslehre“. 44 Zur PFLP vgl. S. 68 f. 45 Bei den Demonstrationen konnten zudem einzelne Fahnen und Symbole türkischer Links- sowie Rechtsextremisten festgestellt werden. 46 Schreibweise wie im Original, gemeint ist der Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah. 47 Der Ausruf bezieht sich auf eine Schlacht auf der Arabischen Halbinsel im Jahre 629, bei der Muslime Juden besiegt hatten. 48 Das Zeigen der Symbole der HAMAS, aber z. B. auch der PFLP war zum damaligen Zeitpunkt nicht verboten. Erst am 22.9.2021 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, nach der Propagandamittel und Kennzeichen von Organisationen der EU-Terroristenliste fortan einem Verbot unterliegen. 49 Ehemals unter dem Namen: „Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V.“ (IGD). 50 Facebook-Profil von Saadet Europa Gebiet Köln vom 10.5.2021. 51 Der Begriff „Khorasan“ geht historisch auf eine Region zurück, die das heutige Afghanistan, Pakistan, Indien, die zentralasiatischen Staaten, den südlichen Teil Russlands sowie Teile Chinas und des Iran umfasst. Tatsächlich präsent ist der ISPK jedoch nur in vereinzelten Untergrundzellen in Afghanistan und Pakistan. 52 Die Taleban sind ideologisch in der „Deobandi-Strömung“ verwurzelt, die 1866 in der nordindischen Stadt Deoband entstanden ist. Sie sind Anhänger der islamischen Rechtsschule der Hanafiten und stützen sich zusätzlich auf lokale Bräuche wie etwa den pashtunischen Rechtsund Ehrenkodex („Pashtunwali“). Im Gegensatz dazu basiert die Ideologie des „Islamischen Staats“ (IS) auf der salafistisch-wahhabitischen Strömung. Er lehnt die Befolgung einer bestimmten islamischen Rechtsschule ab und verurteilt die Anwendung lokaler Bräuche als „unerlaubte Neuerungen“ (arab.: „Bida‘“). 53 Vgl. „Haniyya beglückwünscht Taleban zur Vertreibung der Besatzung aus Afghanistan“ (arabischsprachig). Veröffentlicht auf der Internet­ seite der HAMAS am 16.8.2021. 54 Vgl. islamistisches Twitter-Profil, veröffentlicht am 15.8.2021: „Glückwunscherklärung zum Sieg des afghanischen Volkes und zur Vertreibung der US-amerikanischen Besatzung aus Afghanistan“ (arabischsprachig). 55 Vgl. Internetseite der Hizb ut-Tahrir Britain: „Afghanistan should be the start of the ummah’s unification“. Veröffentlicht am 16.8.2021. 56 Islamistischer Youtube-Kanal: „Afghanistan und die Niederlage der USA: Stellungnahme“. Veröffentlicht am 22.8.2021. 57 Arabischer Ausdruck für „Gemeinschaft der Muslime“. 58 Vgl. islamistische Internetseite: „Botschaft von Sheikh Raissuni an das Volk und die Anführer Afghanistans“ (persischsprachig). Veröffentlicht am 17.8.2021. VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 Türk. Bozkurtlar bzw. Bozkurtçular. Türk. Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu. Türk. Avrupa Nizâm-ı Âlem Federasyonu. Die ideologischen Ursprünge gehen bis in die Endphase des Osmanischen Reichs gegen Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als der zunehmende Zerfall des Reiches zur Entstehung des Pan-Turkismus und Turanismus führte, welche die Vereinigung aller Turkvölker in einem gemeinsamen türkischen Großreich („Turan“) als „Ideal“ anstreben. Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E). Sabah vom 15.6.2021: „Diyarbakır anneleriyle omuz omuza“, auf sabah.com. Siehe S. 56. Vgl. linksextremistische Internetseite: „Intervention im Rathaus ­Friedrichshain-Kreuzberg“ vom 20.1.2021. Vgl. „Fascho-Wärterinnen und Repression in Moabit“ auf der ­Internetseite indymedia vom 28.4.2021. Vgl. linksextremistische Internetseite: „Molotow-Cocktail-Angriff auf die Polizeiwache im Berliner Tiergarten“ vom 17.9.2021. Die Anarcho-Szene entwickelte sich aus Teilen der ehemaligen Hausbesetzer-Szene und bildet den militanten Kern der Autonomen Szene Berlins. Zum Spektrum der Autonomen Anarchos zählen Gruppierungen, die anarchistische Ideologiefragmente hervorheben, ohne diese in einem umfassenden Theoriekonzept zu vereinen. Sie lehnen jegliche Art von politischer Herrschaft ab und bringen dies durch eine hohe Gewaltbereitschaft gegenüber staatlichen Institutionen, inbesondere der Polizei zum Ausdruck. Neben dem Engagement für den Erhalt sogenannter „Autonomer Freiräume“ zeichnen sich Anarchos dadurch aus, dass sie die Idee der individuellen Freiheit überbetonen und anlassbezogen in losen sowie konspirativ agierenden Bezugsgruppen tätig werden. Vgl. „Updates zur Räumung der Zeltstadt Rummelsburger Bucht // Weiterbau Coral World?“ auf der Internetseite indymedia vom 10.2.2021. Vgl. „Tag X Demonstration für die Køpi Wagenplatz*“ auf der ­Internetseite indymedia vom 6.10.2021. Vgl. u. a. „(B) Zwei Banken und ein Vonovia-Fahrzeug kaputt – ­Köpiplatz lebt!“ auf der Internetseite indymedia vom 16.10.2021. VG Berlin, AZ: 13 L 68/21 vom 9.3.2021. OVG Berlin-Brandenburg, AZ: 10 S 30/21 vom 16.6.2021 vom 16.6.2021. VG Berlin, AZ: 13 L 203/21 vom 15.6.2021. Vgl. „Rigaer94 zum Putschversuch innerhalb der Polizei und anderen Intrigen im Lager unserer Feinde“ auf der Internetseite indymedia vom 21.10.2021. Linksextremistische Internetseite: „Vorläufiges Fazit der Autonomen zum 1. Mai: Größter Krawall seit 10 Jahren!“ vom 2.5.2021. Vgl. Blog der IL: „Politik in der Krise – 15 Thesen.“ vom Dezember 2020 und Januar 2021. Internetseite der IL: „Unsere Wahl ist Mieter*innen organisieren, Wohnungskonzerne enteignen, Wohnraum vergesellschaften.“ vom 11.8.2021. Internetauftritt und Social Media-Kanäle der IL u. a. vom 8.7.2021, 13.6.2021, 11.6.2021, 10.3.2021 und 18.1.2021. Vgl. Internetseite der IL: „Die Politik der kleinen Schritte ist zum ­Scheitern verurteilt.“ vom 14.9.2021. Siehe auch Twitter-Kanal der IL vom 13.6.2021. Vgl. Internetseite der Roten Hilfe: „Gestern Brandschutz, heute Personalienfeststellung – erneuter Polizeieinsatz in der Rigaer Str. 94.“, vom 6.10.2021. Ebd.: „Prozessbeginn im RAZ-Verfahren.“, vom 4.4.2021. Ebd.: „Presseerklärung von ehemaligen Gefangenen aus der RAF & vom 2. Juni zum Hungerstreik von Dimitris Koufontinas.“, vom 9.3.2021. Ebd.: „Aussageverweigerung.“, abgerufen am 14.1.2022. „Festnahme wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit“, www.generalbundesanwalt.de, abgerufen am 16.12.2021. Pressemitteilung des Kammergerichts vom 28.10.2021: „Kammergericht verurteilt Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma wegen Weitergabe von Liegenschaftsdaten des Deutschen Bundestages zur einer ­Freiheitsstrafe wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit“. 83 Pressemitteilung des Kammergerichts vom 15.12.2021: „Kammergericht verurteilt russischen Staatsbürger wegen politisch motivierten Mordes auf deutschem Boden zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (sog. Tiergartenmord)“. 84 APT (Advanced Persistent Threat – fortgeschrittene andauernde Bedrohung) benennt einen komplexen, zielgerichteten Cyberangriff auf Behörden oder Unternehmen. APT 10 wird der chinesischen Regierung zugerechnet, um an Geschäftsdaten von Unternehmen, aber auch an militärische und politische Staatsgeheimnisse zu gelangen. 85 Die Organisation des Predigers Fethullah Gülen wird von der türkischen Regierung für den versuchten Staatsstreich 2016 verantwortlich gemacht. 86 Stand 31.12.2021. 87 Anmeldung unter: www.ihk-berlin.de/nl-sicherheit. 88 Industrie und Handelskammer zu Berlin (Herausgeberin), SenInnDS, Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Berlin-Brandenburg (VSW BB), IT-Sicherheitsnetzwerk Berlin-Brandenburg (It’s BB), DAB Digitalagentur Berlin, Polizei Berlin. 89 Vgl. Video auf der Internetseite der SO: „Jahresrückblick 2020/21.“ Abgerufen am 22.1.2022. 90 Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in ­Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz. 91 § 6 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG in Verbindung mit §§ 10 und 11 BVerfSchG. 92 § 5 Abs. 1 VSG Berlin. 93 Siehe www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen. 94 § 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, BSÜG vom 2.3.1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 27.9.2021 (GVBl. S. 1 121). 95 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl. S. 316). 96 Der materielle Geheimschutz schafft die organisatorischen und technischen Vorkehrungen zum Schutz von Verschlusssachen. Er beinhaltet Regelungen zum Umgang mit Verschlusssachen, z. B. zur Herstellung, besonderen Kennzeichnung, Transport, Weitergabe und Aufbewahrung (Tresore, elektronische Sicherungen). 97 § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln. 98 § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 VSG Bln. 99 § 11 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) vom 22.7.1913 in der im BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten ­Fassung, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12.8.2021 (BGBl. I S. 3 538). 100 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) i. d. F. vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch 3 des Gesetzes vom 9.7.2021 (BGBl. I S. 2 467). 101 § 54 Abs. 1 Nrn. 2 oder 4 AufenthG. 102 § 73 Abs. 2 u. 3 AufenthG. 103 §§ 7 u. 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz (SprengG), BGBl. I S. 3 518, zuletzt geändert durch Art. 18 des Gesetzes vom 27.7.2021 (BGBl. I S. 3 146). 104 BGBl 2016, I, S. 2 456. 105 Vom 11.12.2018, BGBl I S. 2 666. 106 Dies betrifft Bewachungsunternehmer und Wachpersonen, die Flüchtlingsunterkünfte und zugangsgeschützte Großveranstaltungen bewachen sowie Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei ­Objekten wahrnehmen, von denen im Fall eines kriminellen Eingriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann. 107 § 5 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5 Nr. 4 Waffengesetz (WaffG), BGBl. I S. 3 970, zuletzt geändert durch Art. 228 der Verordnung vom 19.6.2020 (BGBl I S. 1 328). 108 Überwiegend orthodoxe Linksextremistinnen und Linksextremisten. 127 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Personen- und Sachregister A AAMB    68, 112 al-Wahhab, Muhammad Ibn Abd    54    Abu Ali Mustafa-Brigaden   siehe AAMB Abul Baraa    54, 126 Adil Düzen    58 ADÜTDF    66, 112 AG G10    96 f, 117, 121 f Al-Nur-Moschee    54 f, 111 al-Qaida    21, 58 f, 107, 111    al-Quds-Tag    55 „Alt-Right“ – Bewegung    20 al-wala‘ wa-al-bara    54 Anarchismus    72, 75, 104 f Anarcho-Szene    74, 76, 127 ANF    66, 112    Anti-Antifa-Arbeit    40 Antifa    23, 105, 126 Anti-Gentrifizierung    74 Anti-Kapitalismus    78 Antisemitismus    5, 20 f, 48, 55 ff, 103, 133 APT 10    85, 127 Arbeiterpartei Kurdistans    siehe PKK As-Sahaba / Die Gefährten e. V.    54 f, 111 As-Sahaba-Moschee    55 ATB    66 AtomG    101 Atomgesetz    siehe AtomG Atsiz, Nihal    66 AufenthG    127 Auslandsbezogener Extremismus    11, 64 f, 69, 108, 112 Ausschuss für Verfassungsschutz    10, 97, 116, 121, 123 Autonome    5, 23, 70, 73 ff, 79, 105, 108, 127 Autonome Freiräume   75 f, 127 Autonome Szene    5, 23, 73 ff, 127 B Bärgida    126 Berliner Beratungsnetzwerk    99 Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes    siehe Bärgida Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz    siehe BSÜG Bestrebungen zur Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen Demokratischen Grundordnung    4, 26 f, 113, 126 BBP    66 Bewacherregister    101 Bewachungsverordnung    101 BfV    41, 85, 98, 114, 119 f, 127 Bismarcks Erben    49 BKA    98 BND    98, 119 BSÜG    10, 96, 100, 115, 127 Bundesamt für Verfassungsschutz    siehe BfV Bundeskriminalamt    siehe BKA 128 Bundesnachrichtendienst    siehe BND Bundesverfassungsschutzgesetz    siehe BVerfSchG Bundesvertriebenengesetz    siehe BVFG BverfSchG    10, 96 f, 124, 127 BVFG    101 C CİK    67, 112 Clear    90 Cyberabwehr    85 Cyber-AZ    85 Cyberspionage    80, 85 D D.S.T.    40 Delegitimierung und Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (verfassungsschutzrelevante Staatsdelegitimierung)    26 f Der III. Weg    35 ff, 40, 42, 102, 106, 110, 126 Deradikalisierungsnetzwerk gegen Salafismus    99 Der Volkslehrer   36 f, 126 Deutsch, Stolz, Treue    siehe D.S.T. Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (ehem. IGD)    siehe DMG Deutsches Kaiserreich    48 f Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi    siehe DHKP-C Devrimci Sol („Revolutionäre Linke“)    68 DHKP-C    68, 85, 108, 112 Die Lunikoff-Verschwörung    40 Dimitroff-These    78 DMG    57, 61, 107, 111 E Erbakan, Necmettin    58 Ethnopluralismus    103 EU-Terroristenliste   55, 68, 126 F Federalnaja Slushba Besopastnosti    siehe FSB FED-KURD   67, 112 Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu)    siehe ADÜTDF Föderation der Weltordnung in Europa    siehe ANF Frankfurter Nationalversammlung    48 Freie kurdische Gemeinde Berlin e. V. / Navenda kurdistanîyên Berlînê e. V.    67, 112 Freie Kurdistan Föderation Ostdeutschland    siehe FED-KURD FSB    83 Furkan Zentrum / Furkan e. V.   54 f, 111 Fussilet 33-Moschee    55 G G10    10, 96 f G10-Kommission    10, 97 GAR    98 GBA    98 GdVuSt    49, 110 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Geeinte deutsche Völker und Stämme    siehe GdVuSt Geheimschutz    7, 11, 95 f, 100, 127 Gelbe Westen Berlin    48, 110 Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus    siehe GAR Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum    siehe GETZ Gemeinsames Informations- und Bewertungszentrum Rechtsextremismus    siehe GIBZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum    siehe GTAZ Generalbundesanwalt    siehe GBA General Intelligence Service    siehe GIS Generation Islam    siehe GI Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet    siehe AufenthG Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin    siehe VSG Bln Gesetz zur Ausführung des Artikel-10-Gesetzes    siehe AG G10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses    siehe G10 GETZ    98 GI    59, 111 Izz al-Din al-Qassam-Brigaden    56 f GIBZ    98 GIDA-Bewegung    20 GIS    85 Glavnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije    Gökalp, Ziya    66 Graue Wölfe    66 Großer Austausch    41 GRU    83 f GTAZ    98 Kurdische Frauenbewegung in Europa    KVPM    93, 113 siehe GRU H HAMAS    21, 55 ff, 61, 104, 107, 111, 126 Hizb Allah    21, 55, 58, 61, 104, 107, 111 Hizb ut-Tahrir    siehe HuT Hubbard, L. Ron    90 HuT    22, 56, 59, 61, 104, 107, 111, 126 Hygiene-Demonstration    23, 30, 126 I IB    36 f, 41, 43, 103, 110 IB B   41, 43, 110 Ibrahim Alkhalil Moschee   55, 111 Identitäre Bewegung    siehe IB Identitäre Bewegung Regionalgruppe Berlin    siehe IB B IGD   57, 126 IL Berlin    77 f, 113, 127 Imperialismustheorie    78 Interventionistische Linke Berlin    siehe IL IS   5, 21, 54, 58 f, 61, 107, 111, 126 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V.    siehe IGD Islamische Gemeinschaft Kurdistans    siehe CİK Islamischer Staat    siehe IS Islamischer Staat Provinz Khorasan    siehe ISPK Islamischer Widerstand    55 f, 111 Islamistische nordkaukasische Szene    61, 107, 111 Islamseminare    55 ISPK    58 f, 111, 126 J Jama’atu Berlin    53 f, 111 Jihad    54, 56, 58 f, 104 Jinên Ciwanên Tekoşer (Bewegung der kämpferischen jungen Frauen)    JN   38 f, 110 Junge Nationalisten    siehe JN siehe TekoJIN K Kadterschmiede    75 KCDK-E   67, 112, 127 Kern-al-Qaida    59, 111 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte    siehe KVPM Kommunismus    72, 104 f Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland    siehe KON-MED KON-MED    67, 112 siehe TJKE L Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg    siehe SIBE-AK BR-BB Legion of Thor    40 Liebig34    74 Linksextremismus    5, 11, 22, 72 ff, 79, 97, 104 f, 108, 113, 134 Luftsicherheitsgesetz    siehe LuftSiG LuftSiG    101 M Macht & Ehre    40 Marx, Karl    78, 104 Marxismus-Leninismus    68, 104 MB    21, 56 f, 59, 61, 104, 107, 111 MGB    21, 58, 61, 104, 107, 111 MHP – Partei der Nationalistischen Bewegung    66 Millî Görüş-Bewegung    siehe MGB Millî İstihbarat Teşkilâtı    siehe MIT Ministerium für Staatssicherheit    siehe MSS MIT    85 Mohammed-Karikaturen    21 MSS    84 Muslimbruderschaft    siehe MB Muslimenfeindlicher Rechtsextremismus    103 N Nachrichtendienstliches Informationssystem    siehe NADIS NADIS    97, 114 f Nahostkonflikt    56 ff, 68 Nasralla, Hassan    21, 126 Nationaldemokratische Partei Deutschlands    siehe NPD Nationales Cyber-Abwehrzentrum    siehe Cyber-AZ Nationalsozialismus    34, 39, 41, 46, 92, 102 f Nationalsozialistischer Untergrund    siehe NSU 129 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Neonazis   20, 102 Netzwerk „Rechtsextremistische Musik“   40, 102, 110 Netzwerk von muslimen- und migrationsfeindlichen Rechtsextremisten    37, 40 f, 43, 110 Netzwerk Freie Kräfte   40, 110 Neue Rechte    18, 20, 34, 40 f, 102 f Newsletter „Unternehmenssicherheit: Tipps aus Berliner Expertenkreisen“    87 NPD   20, 36 ff, 42, 102, 106, 110, 126 NS-Diktatur    103 NSU    98 O T Öcalan    67 Taleban    37, 53, 58 ff, 111, 126 Tauhid Berlin    54, 111 TCŞ    67, 112 TekoJIN    67, 112 Tevgera Ciwanên Şoreşger („Bewegung der Revolutionären Jugend“)    siehe TCŞ P Partei der Befreiung    56, 111 Partei der Großen Einheit    siehe BBP Partei Gottes    55, 111 Partîya Karkerên Kurdistan    siehe PKK Patriotic Opposition Europe    siehe POE PFLP    56 f, 65, 68 f, 108, 112, 126 PKK    65, 67 ff, 85, 108, 112 POE    37 f, 40 f, 103, 110 Popular Front for the Liberation of Palestine    Postautonome    73, 76 ff, 105, 108 Postautonomes Spektrum    79 siehe PFLP Q QAnon    26 R radikale linke | berlin    76, 113 Rapper Villain 051 („A3stus“)    40 Rasse    102 f Rassismus   37, 103, 105 RAZ    78, 127 Rechtsextremistinnen, Rechtsextremisten und Reichsbürger in Sicherheitsbehörden    41 f Rechtsextremistische Musik    40, 42, 102, 110, 131 Reichsbürger und Selbstverwalter    20, 28, 37, 41, 43, 46 ff, 106, 110 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front    siehe DHKP-C Revolutionäre 1. Mai-Demonstration    76 Revolutionärer 1. Mai    76 Rigaer94    5, 22, 74 ff, 78, 113, 127 Ring Nationaler Frauen    siehe RNF RNF    39 Rote Hilfe e. V.    78 f, 108, 113, 127 S Saadet Partisi, Glückseeligkeitspartei    siehe SP Salafismus    54, 61, 97, 99, 104, 134 Salafistische Bestrebungen    53, 61, 107, 111 Scientology Organisation    90 ff, 108, 113, 132 SIBE-AK BR-BB    100 Sicherheitsüberprüfung    96, 100, 114 Slushba Wneschnej Rasweki    siehe SWR 130 SP    58, 111 Spionageabwehr    11, 82 ff, 96 f, 116 SprengG    101, 127 Sprengstoffgesetz    siehe SprengG Staatenlos.info    20, 48, 110 Staatenlos.info Comedian e. V.    110 Staatsangehörigkeitsgesetz    siehe StAG Staatsdelegitimierer    5, 18 f, 26 f, 29 ff, 126 Staatsterrorismus    84 StAG    127 SWR    83 Szene der Staatsdelegitimierer und –destabilisierer    5, 18 f, 27, 29 ff Thetan    90 TJKE    67, 112 Traditioneller Rechtsextremismus    34 f, 38 ff, 102 f Trennungsgebot    98 Türkische Föderation (Türk Federasyon)    66 U Ülkücü-Bewegung    66, 69, 108, 112 V Vaterländischer Hilfsdienst    siehe VHD Verband der Studierenden aus Kurdistan    siehe YXK Verband der türkischen Kulturvereine in Europa    siehe ATB Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Berlin-Brandenburg 127 Verfassunggebende Versammlung 48 f, 110, 126 Verfassungsschutzrelevante Neue Rechte 18, 20, 34, 39 ff, 102 f Vertrauensperson 10, 97, 123 VHD   49, 110 Volksfront für die Befreiung Palästinas    siehe PFLP VSG Bln 10, 96 ff, 114 ff, 127 W Waffenbehörde 101 Waffengesetz    siehe WaffG WaffG 101, 127 Wahhabismus 54 Weimarer Reichsverfassung 48 White Supremacists 102 Wirtschaftsschutz 11, 82, 86 f, 96 Wirtschaftsspionage 86 f Y/Z YXK   67, 112 ZAW   82, 87 Zentrale Ansprechstelle Wirtschaftsschutz    Zentrales Bewacherregister 101 siehe ZAW VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Bildnachweise Titel jock+scott / Photocase Addicts GmbH Seite 4–5 Volker Renner Seite 6–7 Ryan Connor / iStockphoto.com; Reinhard Krull / EyeEm / stock.adobe.com MichaelJay / iStockphoto.com Seite 16–17 picture alliance / dpa / Christoph Soeder Seite 18 picture alliance / dpa / Christoph Soeder Seite 22 Reinhard Krull / EyeEm/ stock.adobe.com Seite 26–27 Seite 28 Seite 34–35 Seite 36 Mak / stock.adobe.com Seite 39 Logo NPD Seite 40 Logo Der III. Weg Seite 46–47 Seite 49 Seite 52–53 Seite 55 Logo Hizb Allah Seite 56 Logo Hamas Ryan Connor / iStockphoto.com jock+scott / Photocase Addicts GmbH MichaelJay / iStockphoto.com Ralf Pollack / EyeEm / stock.adobe.com themistocles lambridis / EyeEm / stock.adobe.com unsplash.com/@carolinthiergart Logo Hizb ut-Tahrir (Hut) Seite 57 Logo Muslimbruderschaft (MB) Seite 59 picture alliance / dpa / Jörg Carstensen Seite 64–65 Seite 66 Adam Vradenburg / EyeEm / stock.adobe.com Logo Ülkücü-Bewegung Logo ADÜTDF Logo ANF Seite 67 Logo Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Seit 68 Logo Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) Logo Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) Seite 72–73 Reinhard Krull / EyeEm / stock.adobe.com Seite 74 Ingo Jezierski / EyeEm / stock.adobe.com Seite 75 Logo Rigaer94 Seite 77 Logo Interventionistische Linke (IL) Seite 78 Logo Rote Hilfe e. V. Seite 82–83 Seite 84 jock+scott / Photocase Addicts GmbH Seite 90–91 picture alliance / GES / Markus Gilliar Seite 92 Getty Images / iStockphoto Jeeni / Photocase Addicts GmbH 131 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 Publikationsübersicht REIHE IM FOKUS ZERRBILDER VON ISLAM UND DEMOKRATIE LINKE GEWALT IN BERLIN 2009–2013 2. Auflage, Berlin 2016. 156 Seiten. 1. Auflage, Berlin 2015. 70 Seiten. RECHTE GEWALT IN BERLIN 2003–2012 SCIENTOLOGY – EINE KRITISCHE BESTANDSAUFNAHME 1. Auflage, Berlin 2014 (nur im Internet abrufbar). 66 Seiten. 1. Auflage, 2011 (nur im Internet abrufbar). 83 Seiten. 132 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 REIHE INFO ANTISEMITISMUS IN VERFASSUNGSFEINDLICHEN IDEOLOGIEN UND BESTREBUNGEN ISLAMISMUS 4. Auflage, Berlin 2018. 78 Seiten. 1. Auflage, Berlin 2020. 91 Seiten RECHTSEXTREMISTISCHE MUSIK 4. überarbeitete Auflage, Berlin 2016. 70 Seiten. SYMBOLE UND KENNZEICHEN DES RECHTSEXTREMISMUS 9. überarbeitete Auflage, Berlin 2015. 42 Seiten. 133 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2021 REIHE INFO LINKSEXTREMISMUS 1. Auflage, Berlin 2015. 66 Seiten. SALAFISMUS ALS POLITISCHE IDEOLOGIE RECHTSEXTREMISMUS IN BERLIN 2. Auflage, Berlin 2014 (nur im Internet abrufbar). 66 Seiten. 2. Auflage, Berlin 2014 (nur im Internet abrufbar). 58 Seiten. SONSTIGES VERFASSUNGSSCHUTZ BERLIN SICHERHEIT AUFKLÄRUNG TRANSPARENZ Überarbeitete Neuauflage, Berlin 2017. 52 Seiten. Diese sowie weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes können Sie unter der im Impressum angegebenen Adresse sowie telefonisch unter der Nummer (030) 90 129-440 bestellen oder im Internet unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufen. Der Verfassungsschutz Berlin bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusfeldern an. Nähere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter der Nummer (030) 90 129-440. 134 VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 138

Cite and reuse

Cite and reuse

Here you will find download options and citation links to the record and current image.

Volume

METS METS (entire work) MARC XML Dublin Core RIS OPAC
TOC

Image fragment

Link to the viewer page with highlighted frame Link to IIIF image fragment

Citation links

Citation links

Volume

To quote this record the following variants are available:
URN:
Here you can copy a Goobi viewer own URL:

Image

To quote this image the following variants are available:
URN:
Here you can copy a Goobi viewer own URL:

Citation recommendation

2022.
Please check the citation before using it.

Image manipulation tools

Tools not available

Contact

Have you found an error? Do you have any suggestions for making our service even better or any other questions about this page? Please write to us and we'll make sure we get back to you.

How many grams is a kilogram?:

I hereby confirm the use of my personal data within the context of the enquiry made.