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Max Kretzer.
doch! Nimm Vernunft an,“ bat Henriette mit weiner—
licher Stimme. Mit vom Körper gestreckten Händen, als
wollte sie beschwichtigen, mit bittendem Gesichtsausdruch
bewegte sie sich der Ecke zu. Bei diesem Anblick verlor
Marie die Kräfte. Langsam ließ sie die Waffe sinken, schlaff
hingen beide Arme an ihrem Körper. Ihre Mutter umfaßte sie,
entrang ihr den Revolver und ließ sie auf das Sofa nieder.
Koppke stand noch immer unbeweglich auf derselben Stelle.
Der kalte Schweiß war ihm auf die Stirn getreten.
Bereits mehrmals hatte es ziemlich laut an der Tuͤr
geklopft, die nach dem Korridor führte. Jetzt endlich ge—
riet Köppke in Bewegung und öffnete. Theodor erschien.
„Nun, was willst du denn hier?“ Eine gewisse Ver—
aänderung an seinem Schwager fiel ihm sofort auf. Theodor
sah weder schüchtern aus, noch zeigte er jene untertänige
Haltung, die Köppke so oft zum Spott herausgefordert
hatte. Seine Miene war völlig gleichgültig. Mit An—
strengung in die Höhe gereckt, und ohne vor dem Haus—
herrn einen Zoll auszuweichen, schritt er auf das große
Zeichenbrett am Fenster zu, das ihm als Pult diente.
Hier langte er nach der Lampe, rückte sie heran, nahm
Glocke und Zylinder ab und sah sich nach dem Streich—
holzständer um. Währenddessen erwiderte er ruhig:
„Ich soll doch wohl die Abbitte an den Major schreiben.
Marie sagte es mir unten schon.“
Köppke hatte jede seiner Bewegungen schweigend und
mit Verwunderung verfolgt. Empörte sich denn heute
alles gegen ihn, hatte selbst diese wankende Ruine noch
den Mut gefunden, ihn zum Narren zu haben? Sein
Ingrimm wurde noch gesteigert, als Theodor anscheinend
ganz harmlos fragte: