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waͤre Preußen nicht zugrunde ge—
gangen. Der Kreis um Napoleon
war ja auch kein Tugendbund. Aber
in Frankreich waren die Folgen der
Maͤtressen- und Guͤnstlingswirtschaft
laͤngst beseitigt worden. In Preußen
jedoch noch lange nicht. Die ganze
Gesellschaft am Ende des 18. Jahr-—
hunderts war von ihr durchseucht.
Die groͤßte, einflußreichste, be—
gabteste und gefaͤhrlichste Maͤtresse,
die je in Berlin gelebt hat, war die
Graͤfin Lichtenau. Wie die Graͤfin
Wartenberg stammte auch sie aus
Kleinbuͤrgerkreisen: Sie war die
Tochter eines Militaͤr-Musikers. Daß
sie eine so uͤberragende Stellung ge—
winnen konnte, war zweifellos ein
Verdienst ihrer Faͤhigkeiten wie auch
der Unfaͤhigkeiten ihres Verehrers,
des Koͤnigs Friedrich Wilhelm II.
Er hatte schon als Prinz unterge—
ordneten Umgang, konnte sich nie
zusammenhaͤngend ausdruͤcken und
fiel so in die Haͤnde derer, die am
leichtesten den Sinn seiner Worte
verstanden. Politik war ihm gleich—
guͤltig; Kunst und Literatur aber interessierten ihn gar nicht. Vom Ge—
praͤnge des Hofes mochte er nichts wissen und ging am liebsten in einem
blauen Frack. Über seine Sucht, dem Theater, Konzerten und allerlei kleinen
Haͤndeln seine Tage, den Ministern aber nur Minuten zu widmen, berichteten
Mirabeau und viele andere. Schon waͤhrend seiner ersten Ehe war er mit
der Graͤfin Lichtenau bekannt geworden. Sie hieß damals noch Wilhelmine
Enke. Der zweiundzwanzig Jahre alte Prinz lernte die Vierzehnjaͤhrige
bei ihrer Schwester kennen, die von den Eltern als Figurantin bei der
italienischen Oper angebracht und sich, gestuͤtzt von der Gunst vornehmster
Herren, ein eigenes Hauswesen halten konnte. Als der Prinz bei seinen
Besuchen sah, daß Wilhelmine von ihrer Schwester schlecht behandelt
wurde, fuͤhrte er die Mißhandelte ihren Eltern zu und befahl ihnen, auf
seine Kosten fuͤr ihre sorgfaͤltige Erziehung zu sorgen. Nach einem Jahr
Sommermode 1795