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Die Damen

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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weniger geachtet. Ein anderer Reisender“* wieder sagt in seiner drastischen 
Weise: 
„Nimm eine Marionettenpuppe, ausstaffiert mit Flitterstaat, und 
eitlem Prunk in Berlin gedrechselt und stattlich nach der Mode geformt, und 
doch Koͤrper ohne Seele, die erst durch den Draht des Marionettenspielers 
muß regiert werden, und sieh da, du hast ein richtiges Konterfait des großen 
Teils des hiesigen weiblichen Geschlechtes.“ 
Auch er gab, wie so viele andere, der mangelhaften Erziehung schuld; 
die jungen Damen wuͤrden zu fruͤhe dazu angefuͤhrt, die Rolle einer Koketten 
zu spielen, den Busen zu luͤften, auf Baͤlle und Picknicks geschleppt und sich 
selbst uͤberlassen. Ihre Gespraͤche seien abgeschmackt, ihr Witz fade, der Verstand 
durchloͤchert, und ihr laͤcherlicher Stolz verdiene nur Verachtung. Nur unter 
denen, die erst aus der Provinz nach Berlin gezogen, treffe man gute, ehrbare 
Geschoͤpfe, Tugend und Unschuld, volle Wangen und frische Farben. Ideale 
von Schoͤnheit aber treffe man nicht, die Dauer der Reize sei zu kurz — eine 
unausbleibliche Folge der Baͤlle, des Tanzens, des erhitzten Blutes. Der 
Verfasser der Charakteristik faͤhrt wenig schmeichelnd fort: 
„Der Verstand ist beim hiesigen weiblichen Geschlechte ein Ding, das 
man bloß auf franzoͤsisch radebrechen, Epigramme zu enthuͤllen und Liebes— 
Romane anzuzetteln reduziert; suchst Du weiter, so findest du alles versperrt, 
alles wuͤst und leer. Ihre Sprache kennen sie nicht, und wenn sie auch affek— 
tieren einen Wieland und Goethe zu lesen, so verstehen sie ihn nicht und 
saugen Gift aus den Veilchen. Die Geschichte ihres Landes ist ihnen vollends 
unbekannt, und sie belustigen sich mit Stadtmaͤrchen und altem Weiber— 
klatsche, was auf dem Fischmarkt und Troͤdelkram zu Existenz kommt und in 
die großen Assembleen eindringt. Sie besuchen das Schauspiel um zu glaͤnzen, 
plaudern mit ihrem Cicisbeo, den sie dahin zu Rendezvous bestellet, und 
empfinden garnichts.“ 
Einem Mann, der so herzhaft und deutlich seine Meinung sagte — die 
wahrscheinlich eine durch irgendeinen Haß oder durch Vorurteile erzeugte 
Meinung war, die aber doch eine gewisse Berechtigung in sich haben mochte — 
einem solchen Mann mußte es auch auffallen, daß die Damen vom Adel 
sich durch besonders großen Stolz auszeichneten. Seine saftigen Worte 
moͤgen fuͤr ihn sprechen: 
„Mit welcher hohen Miene die gnaͤdige Frau mit ihrem wohlausge— 
bruͤteten Gaͤnslein Tochter aus dem obersten Stockwerk auf die buͤrgerliche 
Canaille herabblickt, wie sie gleich dem Pfau einher stolziert, sich uͤber das 
buͤrgerliche Grobzeug moquieret, daß es sich besser und geschmackoller kleide 
Charakteristik von Berlin, 1784.
	        
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