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Gerade nuͤchterne Straßen. Eine, wie die andere. Selten unterbrochen
oon einem kleinen Schmuckplatz oder einer breiteren Straße, deren Baͤume
ebenso am Sauerstoffhunger leiden wie die Weltstadtkinder. Und die Be—
wohner dieser Straßen? Außer den kleinen Geschaͤftsinhabern fast alle
Lebensgenossen jener Familie. Auf gleichem Flur mit ihr wohnt ein ehe—
maliger Bauarbeiter, der jetzt den ganzen Tag mit einer Schnapsbruͤder⸗
kolonne an der Ecke bei einer Destillation steht, abends betrunken nach Hause
ommt und seine Frau und Kinder schlaͤgt. Die Frau ernaͤhrt die ganze
Familie — sie geht waschen.
Die Kinder aber sind sich den ganzen Tag selbst uͤberlassen. Wenn die
Weihnachtszeit naht, ziehen sie nach der Friedrichstraße, nach dem Leipziger
Platz und anderen westlichen Laufgegenden und schreien mit klaͤglicher
Stimme: „'n Sechser de laufende Maus!“ „Een' Iroschen der Hampelmann!“
Mit aufgeweichten Schuhen stehen sie bis in die Nacht auf dem naßkalten
Pflaster.
Ein anderer Nachbar jener
Familie ist die Frau, deren
Mieterinnen bis in den Nach—
mittag hinein schlafen, dann
halbangekleidet in derWohnung
herumlaufen, in den Fenstern
liegen und abends aufge—
donnert auf die naͤchtliche
Straße gehen. Manchmal wer—⸗
den sie wohl auch von Schutz—
leuten fortgefuͤhrt. Und der
Hallo, der dann entsteht! Die
Redensarten und Schimpf—
worte! Das ist dann ein
Hauptvergnuͤgen fuͤr die joh—
lende Kinderschar, die bis zum
Polizeibureau hinschwaͤrmt und
wartet, bis die „Gruͤne Minna“
— der Polizeiwagen — die
Haͤftlinge nach dem Alexander⸗
platz schafft.
Wahrlich, ein weltstaͤdtischer
Eindruck.
Was bleiben den Kindern
dieser Arbeiterstraßen noch fuͤr