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staͤdte wie Schoͤneberg, Rixdorf, Charlotten—
burg und Wilmersdorf sind schon so ver—
wachsen mit Berlin, so berlinisch geworden,
daß ihre Kinder nicht anders aufwachsen
wie Weltstadtkinder.
Und wie ist das nun?
Da sah ich neulich von der Hochbahn
aus auf einem richtigen Berliner Hof einen
kleinen Jungen stehen. Einen Jungen,
dessen Geschwister wohl zur Schule ge—
gangen waren und der nun auf sich allein angewiesen war. Er stand
da, die eine Hand an der blauen Schuͤrze, die andere verlegen am Mund.
Hilflos sah er sich um auf dem asphaltierten Hofe. Nichts als grauer Stein...
so ganz abgeschlossen von der lebendigen Erde, mit der er haͤtte spielen koͤnnen.
Was hatte er davon, daß er die Hochbahn und die Elektrische, die vielen
Autos und die Omnibusse sehen konnte? Am Ende stand er doch da, wie
wenn er gefangen waͤre...
Dieser traurige Junge auf dem asphaltierten, engen, luft- und sonnen—
losen Hof ist das Sinnbild des Lebens der Weltstadtkinder. Ihnen fehlt der
frische Sauerstoff, der aus den lebenden Pflanzen und aus der Erde aufsteigt.
Ihnen fehlt die Sonne, die nicht in die hochummauerten schachtartigen Hoͤfe
hinein kann und die selbst in die Straßen nur kurze Zeit ihre Waͤrme hinab—
schickt uͤber die hohen Haͤuserreihen.
Am schlimmsten sind jene Kinder dran, deren Eltern erwerbsunfaͤhig
sind, oder die als Heimarbeiter sich ein kaͤrglich Brot verdienen. Allein in der
Konfektion sind mehr als hunderttausend Heimarbeiter in Berlin beschaͤftigt;
Sosemann 1860: Mädchenspiele.