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Von Bürgern und Kindern

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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recht zur Wirkung. Von 1850 bis 1860 stieg die Zahl der Besucherinnen 
der hoͤheren Toͤchterschulen fast auf die doppelte Zahl. Die Maͤdchen 
sollten doch alle ein bißchen franzoͤsisch koͤnnen und feinere Art an— 
nehmen. Aber so entstand auch die unleidliche hoͤhere Tochter. Ohne 
wirkliches Wissen, ohne vornehmere Charaktererziehung, ausgestattet 
mit dem Hang zur Kritik, der gerade in gewissen Jahren so stark und so un— 
berechtigt ist, wurde die hoͤhere Tochter in den achtziger Jahren schließlich zu 
einer Plage. Leixner aͤußerte sich damals recht herb uͤber sie. Er aͤußerte 
auch uͤber die Toͤchter aus Handwerker- und Arbeiterfamilien, daß sie huͤbsch 
und richtig schreiben, gut lesen, und sicher rechnen koͤnnten und daß sie das 
in der Volksschule gelernte sicher anwenden konnten. Von den „hoͤheren 
Toͤchtern“ war Leixner nicht so begeistert; ihm wurden sie in der hoͤheren 
Maͤdchenschule zu sehr mit Dingen vollgestopft, die es geradezu unmoͤglich 
machten, daß sie gute Haus— 
frauen, Gattinnen und Muͤtter 
oder erwerbsfaͤhige Maͤdchen 
werden konnten. Einige konnten 
sich wohl ein wirkliches Wissen 
auf einem bestimmten Gebiet 
aneignen. Aber viele von ihnen 
bezahlten das mit ihrer Gesund— 
heit. Eine Menge von Maͤdchen 
litt an Blutleere und trugen dann 
die Keime der Hysterie in die Ehe. 
Neben der Überbuͤrdung durch die 
Schule kommt noch die durch 
unvernuͤnftige Kunstspielerei. 
Jede hoͤhere Tochter soll perfekt 
Klavierspielen, malen und wer 
weiß was noch. Die wenigsten 
hatten es noͤtig. Und in den 
Ateliers der bekannten Maler 
quaͤlen sich 3060 meist talent— 
lose Maͤdchen — um schließlich 
aur aͤsthetisch aufgeputztemMuͤßig⸗ 
gang nachzugehen und die so kost— 
bare Gesundheit zu verlieren. 
Nur in den hoͤchsten Kreisen und 
reichsten Familien gab man auch 
fruͤher schon auf Koͤrperpflege;
	        
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