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Von Bürgern und Kindern

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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spaͤnnigen Karossen nach Kroll hinaus gefahren. — In manchen jungen 
Maͤdchen war schon der Geist der Selbstaͤndigkeit und der persoͤnlichen 
Freiheit lebendig, von dem wir glauben, er stamme aus unsern Tagen. 
Eine Gruppe, unter der sich auch Agathe Rutenberg, die Tochter des ersten 
Redakteurs der Nationalzeitung, befand, wanderte haͤufig nach Stralau 
hinaus, trank dort in der Taverne des Segelklubs mit jungen Studenten 
Kaffee, ruderte und wanderte mit ihnen und zog abends gemeinsam mit 
den buntbemuͤtzten jungen Leuten heim, wobei von allen die lustigen oder 
sentimentalen Studentenlieder gesungen wurden. 
Noch vor sechzig Jahren lebte man an vielen Stellen Berlins wie auf 
dem Lande oder wie in einer Kleinstadt. Vor der Stadtmauer, deren Linien 
aoch heute von der Ringbahnlinie der elektrischen Straßenbahn umfahren 
werden, gab's nur wenige Haͤuser; 
fast uͤberall zogen sich Felder und 
Wiesen entlang. Die Hausfrauen 
konnten ihre Betten noch im 
Freien sonnen, die Kinder konn— 
ten unbehelligt auf den Stra— 
ßen spielen — hoͤchstens ein— 
mal in Angst gejagt von einer 
durchgehenden Kuh, die nicht auf 
den Hof irgendeines Schlaͤchter— 
meisters wollte. Ja, viele Kinder 
brauchten nur wenige Minuten 
zu gehen, um auf einer Wiese sich 
gelbe Butterblumen zu Kraͤnzen 
flechten zu koͤnnen. Andere 
wiederum fanden noch Gaͤrten 
an ihren Haͤusern, z. B. in der 
Wilhelmstraße, Friedrichstraße 
und auch in manchen oͤstlichen 
und noͤrdlichen Vierteln, wo heute 
nicht ein Trieb aus dem Asphalt 
oder den Steinmauern sprießen 
kann. Die Schuͤlerinnen der 
Elisabethschule konnten auf dem 
weiten luftigen Hof ihres Direk— 
tors Ranke unter den Baͤumen 
ihre kindliche Lust austoben. 
Allerdings wurde auch noch nicht 
* 
„Boldt: Lendemain.
	        
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