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Von Bürgern und Kindern

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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Die Großen waren nicht minder uͤberrascht 
wie die Kleinen. Das war die Zeit der 
Reaktion, als die Beamtenfamilien und auch 
manche anderen Kreise wieder pietistisch ge— 
worden waren. Von den Kindern wurde 
eine uͤbermaͤßige Ehrfurcht verlangt. Jene 
Kameradschaftlichkeit, die heute soviel Eltern 
und Kinder begluͤckt, gab es nicht. 
Im Leben der Schulmaͤdchen spielte 
fruͤher der Lumpenmatz eine wichtige Rolle. 
Er zog mit einem Hundekarren durch die 
stillen Straßen und meldete sich mit einem 
pfiff an. Dann bettelten sich die Kleinen 
von der Mutter Lappen und Flicken zu— 
sammen und liefen an den Wagen des 
Lumpensammlers, der Stecknadeln oder un— 
echte Ringe, die mit bunten Glassteinen 
prahlten, da— 
fuͤr gab. 
Waren die 
Maͤdchen groͤßer, so kamen sie wohl zum 
Kgl. Taͤnzer Thuͤrnagel am Gensdarmen— 
markt, wo bei der Musik eines Geigers ernst⸗ 
haft die Figuren geuͤbt wurden. Wer schon 
ein wenig das Tanzbein schwingen konnte, 
wurde aufgefordert, bei „Großer Musik“ zu 
tanzen. Ein kleines Orchester spielte den 
im Sonntagsstaat sich spreizenden kleinen 
Koketten und ihren Kavalieren auf — die 
sich auf solche Weise fuͤr ihre Teilnahme an 
den großen Baͤllen vorbereiteten, zu denen 
damals* die Juristen-, Architekten-, Stu— 
denten- und Waterlandsbaͤlle gerechnet 
wurden. Die Vaterlandsbaͤlle wurden fast 
nur von Offiziersfamilien besucht. Fast alle 
Baͤlle begannen schon um 7 Uhr nnd die in 
billigen aber duftigen Mullkleidern gehuͤllten 
zjungen Maͤdchen wurden mit großen zwei— 
1 
* Ich berichte hier nach dem Werk von Agathe Nalli-Rutenberg: Mein liebes, altes Berlin!. 
das im Verlaag Continent erschienen ist.
	        
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