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Von Bürgern und Kindern

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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unterhaltung die „Lebenden Bilder“, an denen die saͤmtlichen jungen Damen 
des Kreises mitwirken mußten, waͤhrend die Tanten und Muͤtter mit den 
aͤlteren und den meisten juͤngeren Herren zuschauten. Zu den Bildern wurde 
gewoͤhnlich klassische Musik getrieben — was allerdings oft nicht zu den dar— 
gestellten Bildern siimmen wollte. Als Sujets galten mit Vorliebe: Das 
Milchmaͤdchen; Der Raͤuber, von seinem treuen Weibe bewacht; Der Fischer— 
knabe; Ritter und Zigeunerin; Im Walde schlafende Kinder, bewacht von 
Schutzengeln und aͤhnliche Talmi-Romantik. In den kleinen Beamten— 
familien, bei Kanzleiraͤten und Registratoren wurden „vBaͤlle“ veranstaltet, 
wenn die Toͤchter heiratsfaͤhig wurden. Aus Apfelwein wurden Bowlen 
gebraut, Mohnpielen gebacken und im ausgeraͤumten Wohnzimmer getanzt. 
Bessere und gebildete Buͤrgerfamilien zogen nach Schoͤneberg oder auch in 
naͤhere Gartenlokale zum Kaffeekochen. Besonders die vielen Lokale in der 
Naͤhe des Landwehrkanals fuͤllten sich an schoͤnen Sommernachmittagen mit 
buͤrgerlichen Damen, die bei der Handarbeit ihren Kaffee tranken, bis zum 
Abend nichts weiter verzehrten — um sich dann an einer Satte dicker Milch 
mit Zucker und Schwarzbrot guͤtlich zu tun. Im Zoo begnuͤgte man sich noch 
mit einem Glas Milch. Weinterrassen, auf denen geschlemmt wurde, gab es 
damals noch nicht. Und ein Ausflug zu Fuß nach Pichelsdorf, wo die Familien— 
mutter aus mitgebrachten Vorraͤten in irgendeinem Bauernhaus das Mittags— 
mahl bereitete, war vielen eine solche ungewoͤhnliche Erquickung, ein solcher 
Reichtum an Einsamkeit und Idyll, daß er ihnen unvergeßlich blieb. Die 
Kremserfahrten kamen allerdings damals auf. Bis Schlachtensee oder 
Finkenkrug fuhr die Gesellschaft, verlebte den Tag schmausend, tanzend, 
pielend oder schlafend und fuhr abends heim in den Wagen, in denen bunte 
Ballons nur gerade so viel Licht verbreiteten, daß jeder Braͤutigam seine 
Braut finden konnte. 
Das war die Zeit der Heiratsgaͤrten, in denen die jungen Maͤdchen unter 
Aufsicht der Mutter Bekanntschaft mit heiratslustigen Herren suchten. In 
die Familien wurden nur selten Junggesellen eingefuͤhrt. Jeder wollte un— 
zezwungen fuͤr sich leben und keinem verpflichtet sein. Die Maͤdchen wollten 
auch nicht ins Gerede kommen, wenn etwa ein Herr in ihrer Familie verkehrte 
und schließlich ohne Resultat davon ging. So waren denn die Konzertgaͤrten 
immer gut besucht, wo jeder aus seiner Tasche lebte und wo man anstaͤndig 
und besonnen zusammenkam. Das war auch die Zeit der Wespentaille, in 
der man die weiblichen Eigenheiten, den Busen und die Huͤfte, ruͤcksichtslos 
zur Geltung brachte und hier fast mehr Opfer darbrachte, als in Maͤnnerkriegen. 
Und das waren die Jahre, als Friedrich Spielhagen seine „Problematischen 
Naturen“ schrieb, in denen er Menschen schilderte, die sich in der neuen Zeit 
nicht ohne Kampf zurechtfanden und die doch schon eigene Wege gehen wollten.
	        
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