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Von Bürgern und Kindern

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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und aufruͤttelndes Erlebnis verschaffen und 
erstach sich. Sie nutzte ihm und seinem 
Talkent zwar nicht. Aber sie hatte doch be— 
wiesen, daß es auch in Berlin stark emp— 
findende Frauen gab. Ja, es gab zu allen 
Zeiten in Berlin solche Frauen, die dem 
Ungewissen und allem, was von Gefahr be— 
droht war, mit Schwaͤrmerei ergeben 
waren. Zu nennen waͤren viele. Aber ich 
will hier nur auf eine hinweisen, auf Emma 
Siegmund, die Braut Georg Herwegh's. 
Als Tochter eines bekannten Berliner Groß— 
kaufmanns wußte sie eine gewaͤhlte kuͤnst— 
lerische und gelehrte Gesellschaft um sich 
zu scharen. Ihre Briefe an ihren Braͤuti— 
gam sind von großer Begeisterung erfuͤllt 
und zeugen von einer tiefen Neigung fuͤr 
den bewunderten Geliebten, der sich im vormaͤrzlichen Deutschland als 
ein Rufer fuͤr politische Freiheit und gegen jede Engherzigkeit unmoͤglich 
gemacht hatte und der von den Maͤchtigen verfolgt wurde. Wer mit 
ihm war, setzte sich vielen Gefahren aus, durfte nicht kleinmuͤtig sein. 
Auch die vielen Liebestragoͤdien, die wir in der Gegenwart erleben, zeugen 
von einer Kraft des Gefuͤhls, die bis zum Letzten Stand haͤlt. 
An feinerem Gefuͤhl mangelte es den Berlinerinnen auch nicht immer. 
Washington Irving erzaͤhlt in seinem „Skizzenbuch“: „Als ich in Berlin 
war“, „folgte ich dem beruͤhmten Iffland zum Grabe. In der Pracht 
des Begraͤbnisses konnte man auch viel wirkliches Gefuͤhl unterscheiden. 
Mitten in der feierlichen Handlung ward meine Aufmerksamkeit durch ein 
junges Maͤdchen angezogen; sie stand auf einem mit frischem Rasen bedeckten 
Huͤgel, den sie aͤngstlich vor den Fuͤßen der voruͤberdraͤngenden Menge be— 
schuͤtzte. Es war das Grab ihrer Eltern; und die Gestalt dieser liebenden 
Tochter erschien mir wie ein Denkmal, ergreifender als das kostbarste Werk 
der Kunst.“ 
Die Mehrzahl der Berliner Buͤrgerinnen aber brachte nicht immer 
solch feines und starkes Empfinden zum Vorschein. Ein sehr gutes Beispiel 
erzaͤhlte Parthey aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts: „Die alten Beamten— 
frauen und besseren Buͤrgerinnen hielten vielfach mit verwandten und be— 
freundeten Familien ein Abendkraͤnzchen, das bei den Mitgliedern herumging 
und jedesmal gewaltige Vorbereitungen von Tee und Backwerk erforderte. 
Das Gespraͤch verlor sich sehr bald in ein allgemeines lautes Geschwaͤtz, ver—
	        
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