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familien, die ihn heute nur noch vom Hoͤrensagen kennen. Der Witz
wandte sich gegen alles Unpraktische, Unklare und Nebelhafte. Die
schweren Jahre nach der Katastrophe von 1806 waren bald vergessen.
In jener Zeit hatten sich die Berliner Buͤrgerinnen uͤbrigens recht gut be—
nommen. Das Wehen der Tuͤcher aus den Fenstern, das von den Frauen
gewuͤnscht worden war, mußten die einziehenden Sieger vermissen. Aber
die Frauen wurden doch durch die Artigkeit der Fremden erobert. Schließlich
erwartete man auch von den Franzosen eine Befreiung von vielen mittel—
alterlichen Ruͤckstaͤndigkeiten. Die besiegten Soldaten und vor allem ihre
Offiziere hatten sich im Buͤrgertum keine Freundschaft zu erwerben gewußt.
Besonders hatten die huͤbschen Buͤrgertoͤchter unter dem Übermut der
adligen Offiziere zu leiden gehabt. Doch als nun die Franzosen die erhoffte
Freiheit nicht brachten, als das goldene Zeitalter nicht mit ihnen kam, als die
Buͤrger in eine große Notlage gerieten, Beamte und Pensionaͤre unregel—
maͤßige oder gar keine Bezuͤge erhielten und alle Einwohner, selbst die Dienst—
boten besteuert wurden, als ein Pfund Butter einen Taler, ein Ei zwei
Groschen kostete, mag manche Buͤrgerin gedacht haben wie die Prediger—
tochter Karoline Sack, die auf ihrem Zimmer speiste, wenn Franzosen zu
Tisch waren. Freilich gab es auch Maͤdchen, die anders dachten.
Ludwig Geiger meint: Ziemlich frivol wird die Anhaͤnglichkeit der
Berliner Frauenzimmer an die fremde Einquartierung in einem erst nach
dem Abzug der Franzosen entstandenen Spottgedicht „Die Berlinische
Jungfrau“ dargelegt; die zaͤrtliche Sehnsucht der Verlassenen nach den aus—
laͤndischen Kriegern, die in diesen Versen ausgedruͤckt wird, fand ihre An—
klaͤnge wohl bei vielen Berliner Maͤdchen.
„Im allgemeinen dagegen wußten sich die Berliner Damen mit viel
Wuͤrde gegen die Franzosen zu benehmen, mit jener Zuruͤckhaltung, die ihnen
gegen den Feind ihrer Vaͤter, Maͤnner und Bruͤder geziemte.“ Dies kon—
statiert Woltmann, der damals in Berlin lebte.
Und 1813 gaben die Berlinerinnen an Tapferkeit keiner deutschen Frau
nach. Als das feindliche Heer ganz in der Naͤhe stand, flohen zwar einige
Familien, aber die meisten Frauen wollten das Schicksal ihres Mannes teilen
und blieben in der Stadt. Sie hatten in den letzten Jahren zu viele Drangsale
uͤberstehen muͤssen, als daß sie nicht zuletzt haͤtten gleichguͤltig oder heroisch
haͤtten werden muͤssen. Ja, die kleine Lili Parthey wollte sogar Navoleon
mit eigener Hand erstechen, um das Vaterland zu retten.
Das Leidenschaftliche und Temperamentvolle mag nun gerade nicht
immer Sache der Berlinerin sein. Aber es fehlt ihr durchaus nicht an Ro—
mantik. Das tragische Schicksal von Charlotte Stieglitz ist ja ziemlich bekannt.
Sie wollte ihrem Manne, den sie fuͤr einen großen Dichter hielt, ein tiefes