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eine schlanke Blonde; hinter der eine kleine kindlich Gekleidete mit bunten
Schleifen in dem straff frisierten Haar; hinter der eine, deren gebleichtes Haar
im elektrischen Licht strahlt — dann eine alte Person mit großen falschen
Brillanten und watschelndem Gang und gespitztem, suͤßem Mund, die nur
alten Herren zulaͤchelt.
Solche Maͤrkte hat Berlin in jedem Viertel. Selbst unter den Linden,
wo die bekannten HalbweltdamerBerlins oft in den neuesten und auffallendsten
Moden zwischen den Studierenden oder Schauspielern, Diplomaten oder
Arbeitslosen, englischen Girls oder russischen Schnorrern, neben Spree—
waͤlderinnen, Baronessen, neben Operettensaͤngerinnen, Fluͤgeladjutanten,
neben sozialdemokratischen Agitatoren sich sehen lassen. In den aͤußeren
Vierteln, in den großen Kauf- und Verbindungsstraßen tritt die einfachere
Prostitution auf. Im Osten ist sie seltener und roher. Dort werden die
Maͤdchen nicht verlangt; die Arbeiter haben ihre Schaͤtze. Und von den
Kleinbuͤrgern werden sie roh behandelt. Am lebhaftesten ist das Viertel im
Norden der Friedrichstraße: Ein dunkelster Winkel Berlins, die Gegend am
Oranienburger Tor, hat die hellste Beleuchtung, das bunteste Treiben. Es
ist, wie wenn sich das Laster am grellsten, schreiendsten drapieren muͤßte,
wie wenn dunkles Treiben nicht immer Licht scheut, sondern es nur zu oft
in groͤßter Fuͤlle braucht, es verschwendet, um so recht zur Geltung zu kommen.
Am Ende der Friedrichstraße: eine hohe Haͤuserreihe. Unten eine
glaͤnzende, gluͤhende Glasscheibe, von der Ecke der Elsasser Straße bis zum
vierten, fuͤnften Haus, in alle einmuͤndenden Straßen hinein, wie ein
strahlender Stern. Hohe Glasfenster der Cigarrenlaͤden mit leuchtenden
Transparenten druͤber, verhaͤngte, lockende Lichtoͤffnungen der Cafés und
Einblicke in glitzernde Spiegelraͤume der Restaurants.
Hell und grell waͤlzt sich aus dem Hohlweg der Elsasser Straße ein
elektrischer Wagen der Ringbahn heran. Und vor den Schaufenstern Knaͤuel
und Reihen von Fußgaͤngern: Studenten mit aufgeschlagenem Kragen,
korpulente Geschaͤftsleute mit geoͤffnetem Mantel, eilig heimhastende Ver—
kaͤuferinnen, den Kopf gesenkt vor zudringlichen Blicken, den Filzhut mit
kecker Feder nicht zu schief auf den lose gesteckten Haaren. Dazwischen ein
verfuͤhrerisches Leuchten — die Spitze eines bunten Unterrocks. Aufmunternde
Blicke aus Augen, denen geschwaͤrzte Wimpern helleren Glanz geben ...
Ein Endchen weiter Schaufenster, von oben bis unten mit Plakaten
in schreienden Farben uͤberzogen.
Da huschen sie vorbei in bunten Jacketts, hellen Blusen und fluͤstern:
„Na, Schatz?“
Und selbst in der toten Novalisstraße lockt es zaͤrtlich. Hier sind andere
Farben lebendig. Vor verhaͤngten Kneipenfenstern baumeln rote und blaue