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Am meisten gefiel ihm das elegante Tanzlokal „Wiener Saal“, das 1822
erbaut worden war. Spaͤtere Lokale erhielten sich zahlungsfaͤhige Besucher
durch einen geschickten Kniff: sie verlangten ein betraͤchtliches Eintrittsgeld.
In den fuͤnfziger Jahren war dann Krolls Etablissement mit seinen glaͤnzend
geschmuͤckten Saͤlen und seinen italienischen Naͤchten in dem illuminierten
Garten das Paradies der marchands d'amour, wie sie damals oft genannt
wurden. Nach den Kriegen war das Orpheum das vielgepriesene Lokal.
Es war ein Sinnbild der Zeit, der lebelustigen Gruͤnderzeit. Wir sind ge—
wohnt, die Gruͤnderzeit, also die Jahre nach dem Krieg mit Frankreich von
1870/71, als eine besonders wilde, verschwenderische und uͤppige zu betrachten.
Aber allzu uͤppig ist es damals sicher nicht hergegangen. Man wollte wohl
glaͤnzen und reich erscheinen, aber ein wenig vergoldeter Stuck genuͤgte schon,
um elegant und vornehm zu gelten. Und dann, wie armselig und duͤrftig
war es denn das ganze Jahrhundert in Deutschland zugegangen! Man hatte
sich groß gehungert — in den beschraͤnkten Verhaͤltnissen — wie so viele kleine
Leute sich eine Altersrente zusammendarben. Ploͤtzlich kam ein bißchen Gold
in den Beutel. Da glaubte alle Welt, sie sei verschwenderisch, wenn sie fuͤr
die Luxusbeduͤrfnisse des Lebens auch einige Taler ausgebe, wenn sie nicht
nur von Kartoffeln und Mehlsuppe lebe.
So ward denn auch von Berlin und seinen Tanzlokalen ein großes
Wesen gemacht. Ja, die Berliner bruͤsteten sich selbst damit. Am meisten
wurde vom Orpheum geprahlt. Das war uͤbrigens nicht ein Produkt der
Gruͤnderzeit, ebensowenig wie alle anderen Lokale, die ich hier schildern will.
Aber die Gruͤnderzeit hat auch nicht erst mit dem Milliardensegen begonnen.
Schon lange vorher war das Gruͤnden von Eisenbahngesellschaften und
allerlei anderen Aktiengesellschaften im Schwange gewesen. Nur wurde
durch den siegreichen Krieg und seine Folgen das Gruͤndungsfieber bis zur
Krisis empor gesteigert; seinen Ursprung aber hatte es uͤberhaupt in der ganzen
wirtschaftlichen Entwicklung des Jahrhunderts. Wie aber das Gruͤnden in
einen Taumel ausartete, so mag auch die Vergnuͤgungslust ploͤtzlich sich Bahn
gebrochen haben. Man hatte gesiegt. Und wollte doch was davon haben. ...
Das Orpheum wurde von den Zeitgenossen sehr wichtig genommen.
Journalisten, die Berlin schilderten, schwaͤrmten von ihm, es sei eine Haupt—
sehenswuͤrdigkeit. Die vielen Spiegel und Gemaͤlde, der vergoldete Stuck,
Fontainen, Laubgirlanden und die vielen farbigen oder weißen Lichter und
Flammen blendeten die Besucher, die sich Weltstaͤdter duͤnkten, wenn sie an
dem Kankantrubel teilnehmen konnten, der jede Nacht veranstaltet wurde.
Die Kankantaͤnzer sollten eigens verschriebene Pariser sein. Es waren aber
meistens Berliner Kaufleute und Friseurgehilfen. Und von den Damen
des Orpheums wurde gesagt: „Das Damenpublikum des Orpheums entspricht