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Die Halbwelt

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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Beschaffung von Kleidungsstuͤcken usw. verursacht hatte, wurden sofort drei— 
und vierfach auf ihr Konto geschrieben. Außerdem mußte sie alle Gegen— 
staͤnde, deren eigene Anschaffung ihr oblag, namentlich Waͤsche, Unter— 
kleider, Schuhe und dergleichen, und uͤberhaupt alles, was sie kaufte, durch 
die Bordellwirtin ankaufen lassen, von der sie natuͤrlich nicht selten uͤber— 
vorteilt wurde. Da die Maͤdchen von ihrem Verdienste gewoͤhnlich nur den 
sechsten Teil behalten durften und fuͤnf Sechsteile an die Wirtin abliefern 
mußten, so waren sie fast niemals imstande, ihre Schulden zu tilgen, vielmehr 
gerieten sie tiefer in solche und hiermit zugleich in voͤllige Abhaͤngigkeit von 
den Kupplern. 
Wenn trotzdem einzelne Dirnen Summen bis zu 100 Thalern auf der 
Sparkasse stehen hatten, so hatten sie solche gewoͤhnlich nur dadurch zu er— 
schwingen vermocht, daß sie Betrug mit Betrug vergolten hatten. 
Die Behandlung, welche den Dirnen von seiten der Kuppler zu teil 
wurde, war zwar in einzelnen Wirtschaften eine ziemlich anstaͤndige, in den 
meisten aber eine sehr harte und unguͤnstige, die freilich wohl nicht selten 
auch notwendig sein mochte. Gesetzlich stand dem Kuppler sogar ein Zuͤch— 
tigungsrecht gegen die Dirnen zu, von welchem auch haͤufig genug Gebrauch 
gemacht wurde. Von einem Gefuͤhl der Schonung, der Anhaͤnglichkeit und 
der Achtung konnte natuͤrlich zwischen den Dirnen und den Bordellwirten 
nie die Rede sein. Einer suchte den anderen zu uͤbervorteilen, wo sich nur die 
Gelegenheit fand, und namentlich die Dirne war dem Bordellwirt in den 
meisten Faͤllen nichts als ein Stuͤck Lastvieh, welches, wenn es nicht mehr 
soviel zu verdienen imstande ist, als sein Futter kostet, auf den Anger ge— 
trieben oder mit Schlaͤgen und Fußtritten zum Hause hinausgejagt wird. 
Eine Teilnahme an dem spaͤteren, gewoͤhnlich so traurigen Schicksal der 
Dirnen, die den Wirt zum reichen Manne gemacht hatten, war eine in den 
Annalen der Berliner Prostitution unerhoͤrte Erscheinung. 
Die Bordelldirnen standen des morgens erst gegen 9 Uhr auf, reinigten 
sich oberflaͤchlich und begaben sich dann in das Versammlungszimmer zum 
gemeinschaftlichen Fruͤhstuͤck, das gewoͤhnlich in Kaffee bestand. War dieses 
eingenommen, so begann die große Toilette in eben demselben Zimmer. Die 
Maͤdchen setzten sich bei solcher ohne weiteres an die Fenster und gaben sich 
den Blicken der Voruͤbergehenden schamlos preis. In jedem Bordelle war 
eine Frisiermamsell (gewoͤhnlich eine ausgeschiedene Dirne) angestellt, welche 
jeder Dirne Tag fuͤr Tag teils mit dem eigenen, teils mit falschem Haar eine 
turmhohe mit Blumen und grobem Schmuck bekleidete Frisur auf dem Kopfe 
bildete. Durch diese vielfache Kasteiung der Haare, durch das fortwaͤhrende 
Binden und Brennen erzeugten sich kahle Stellen auf den Koͤpfen der Lohn— 
dirnen.
	        
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