Die Grisette
Hatten im Mittelalter die Freudenmaͤdchen einen gewissen Schutz
genossen, so wollte die mit der Reformation einsetzende klein-buͤrgerlich be—
schraͤnkte Sittenanschauung strengere Ansichten durchsetzen. Erst wurden
alle Dirnen verjagt — aber die Angriffe auf ehrbare Frauen und Maͤdchen
und viele andere Vorkommnisse noͤtigten zur Duldung von Freudenhaͤusern.
Der Dreißigjaͤhrige Krieg hatte dann die Unterschiede zwischen Sitte und
Unsitte sehr verwischt. Erst im Jahre 1690 ging Friedrich J., der aus Berlin
eine glanzvolle Koͤnigstadt machen wollte, gegen die vielen Freudenhaͤuser
oor. Er befahl, sie zu tilgen und glaubte damit die Prostitution zu beseitigen.
Aber auch diesmal waren die Zustaͤnde nicht geeignet, das notwendige
Fundament zu einem idealen Sittenleben zu bieten. Es wurde durch die
Verfolgungen nur noch schlimmer. Und die Freudenhaͤuser wurden wieder
erlaubt.
Diese Haͤuser waren nun aber nicht mehr auf die Rosengasse beschraͤnkt.
Auf der eoͤllnischen Seite der Stadt hatte schon, solange Coͤlln noch selbstaͤndig
war, in der Spreegasse bei der wohl spottweise so genannten Jungfernbruͤcke
ein Bordell bestanden. Inzwischen hatten sie sich auf die verschiedensten
Teile der sehr vergroͤßerten Stadt ausgedehnt.
In den folgenden Jahrzehnten nahmen sie noch zu. Friedrich Wilhelm J.
dachte hier sehr weitherzig, wenn es galt, sich die geliebten Soldaten zu er—
halten. Er goͤnnte ihnen alle moͤglichen Erholungen, die sich mit dem Dienste
vertrugen. So nahm unter ihm die Zahl der Bordelle zu — und als 1717 die
Bordelle und Hurenwinkel visitiert wurden, stellte es sich heraus, daß die
Insassinnen zum groͤßten Teil Soldatenkinder waren, die aus Mangel an
Erziehung und schicklichem Broterwerb das Laster zu ihrem Erwerb gemacht
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