394
Sie wohnen oft genug auf den Berliner
Hoͤfen. Die haben ihr eigenes Leben. Am
buntesten ist es bei der „Hofmusik“.
Ein Berliner Hof: Glatte, hellgetuͤnchte
Mauern mit regelmaͤßig uͤbereinander hin—
laufenden Fensterreihen schließen ein Viereck
ein. Nur an der hinteren Seite ist ein Spalt,
der unten auch noch durch kleine Schuppen
abgeschlossen wird. Daruͤber hinweg geht
der Blick in eine ganze Reihe gleicher, von
glatten, hellgetuͤnchten Mauern umschlossener
Hoͤfe.
Es ist Vormittag. Hoch oben woͤlbt sich
der lichte, graublaue Himmel. Die Fenster
sind alle geoͤffnet. Doch klingt kein Laut,
keine Stimme heraus. Es ist, wie wenn das
Haus unbewohnt waͤre. Nur an dem einen
Kuͤchenfenster schnitzelt eine Frau gruͤne
Bohnen. Von den anderen Hoͤfen her dringt
das schrille Surren einer Dampfmaschine.
Und von der Geschaͤftigkeit der Straßen und
Fabriken zittert hier noch ein verworrenes Brausen.
Ein altes Maͤnnchen druͤckt sich durch die große Tuͤr. Ganz leise schleicht
er uͤber den Asphalt bis an den Holzklotz. Den staͤubt er vorsichtig ab und setzt
sich. Erst nimmt er die lappige Muͤtze ab und trocknet den Schweiß von dem
kahlen Schaͤdel und dem mit Haar uͤberwucherten Gesicht. Dann sieht er an den
Mauern hoch, forschend, abschaͤtzend. Hm, hm! das kann heute, am Sonnabend
Vormittag, eine schlechte Sache werden. Bedaͤchtig nimmt er einen schwarzen
Packen hoch, den er neben sich gestellt hatte. Seine krummen, steifen Finger
zittern; langsam schnuͤren sie den Packen auf. Vorsichtig wird die schwarze
Huͤlle abgestreift. Etwas Buntes, Glitzerndes kommt heraus. Der Alte
fingert daran herum — — „Drunten im Unterland, da ist's halt fein!“ Er
singt mit duͤnner, muͤder Stimme zu den Toͤnen seiner Harmonika.
An den Fenstern wird's jetzt lebendig. Überall recken sich Koͤpfe heraus.
Aus den Kuͤchenfenstern der Vorderwohnungen, eins uͤber dem andern,
die Dienstmaͤdchen. Hinten Frauen und Kinder, nur mit dem noͤtigsten
bekleidet. Oben ein ganzes Buͤndel Maͤdchenkoͤpfe aus einer Naͤhstube. Unten
beim Tischler, pfeift der Geselle: „Mein Herz, das ist ein Bienenhaus.“
Alle singen mit: „Ich bete an die Macht der Liebe.“ Man ist uͤberall still und
lauscht andaͤchtig.