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und Leben fuͤr ihre Jugendkraft — und finden schließlich ein Zerrbild davon,
stehen wohl voll Hohn und Neid als abgelebte Dirnen am Straßenrand, wenn
die kommende Jugend aus dem Weinlokal taumelt und im Auto heimfaͤhrt. ...
Diese suͤßen Maͤdels fallen nicht immer aus Leidenschaft, sondern aus Ver—
gnuͤgungs- und Abenteuersucht. Sie gewoͤhnen sich durch die leichtfertigen
Liebschaften an einen Lebensaufwand, der ihnen nie ohne persoͤnliche Opfer
auf die Dauer zufaͤllt. Und wenn auch manche aus den heikelsten Situationen
mit Gewandtheit und Lebenskenntnis heil herauskommt, — es raͤcht sich doch
manchmal, daß sie einem fremden Herrn zur Tasse Schokolade oder zum Glase
Wein folgten: der kann's ja bezahlen! — Aber oft muͤssen sie es viel teurer
mit einem verpfuschten Leben begleichen. An ihrem Materialismus, an ihrer
Ideallosigkeit gehen viele zugrunde. Heinrich Sohnrey hat das in seinem
Roman „Grete Lenz“ durchaus richtig geschildert. Die Jugend braucht den
Hinweis auf den Wert der eigenen Persoͤnlichkeit und auf die Ausbildung,
auf die Entwicklung der Person; der fehlt ihr jetzt.
Viele dieser Maͤdchen aus dem Volke aber lassen sich von der Treib—
hausluft des Berliner Vergnuͤgens, in die sie fast alle einmal ihre Nase hinein—
stecken, nicht betaͤuben. Sie finden auch nur aͤußerst selten Geschmack am
Alkohol. Gewoͤhnlich stehen die Bier- und Weinglaͤser in den Lokalen mit
schalem Inhalt vor den Maͤdchen. Kommt doch auch nur ungefaͤhr eine
Geisteskranke auf zehn maͤnnliche Geisteskranke, bei denen die Ursache der
Krankheit im Trunk zu suchen ist. Das gar nicht so schlechte Befinden des
Arbeiterstandes, das gute Familienleben und die relative
Gesundheit des Volkes ist den Frauen zu danken.
Selten verfaͤllt eine dem Trunke. Die „Pennschwestern“,
ganz tief stehende Schnapstrinkerinnen, die sich auf den
Guͤterbahnhoͤfen, auf Hafenplaͤtzen und auf Fuhrhoͤfen
herumdruͤcken, sind meist durch Alkoholgenuß gaͤnzlich
gesunkene Frauen aus buͤrgerlichen Kreisen. Auch jetzt,
wo in den Arbeitervierteln die Frauen immer haͤufiger
die Maͤnner abends in die vielen Kneipen begleiten, aus
denen Orchestrions und Grammophons heraus laͤrmen,
ist eine Betrunkene eine fast nie zu findende Seltenheit.
Das Heim lockt die Frau nicht mehr, die in ihrer Jugend
und auch vielleicht jetzt noch in die Fabrik oder ins Ge—
schaͤft gehen mußte. Der Zug der Zeit, der auch die
Buͤrgerfrau zur Begleiterin des kneipenden Gatten ge—
macht hat, fuͤhrt auch die Arbeiterin in die Lokale. Der
Geselligkeit schadet das nicht. Und die Kneipe ist nun
einmal bei den traurigen Wohnungszustaͤnden der Ort,