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das von Fischer in der Koͤnigstraße 44, wo—
selbst man fuͤr einen Silbergroschen „die
Wilddiebe oder der bayrische Hiesel“ sehen,
komische Gesangsvortraͤge, auf einem Wimmer—
holz (Guitarre) begleitet, hoͤren, ungeheure
Hitze, unertraͤglichen Rauch einatmen und
noch unertraͤglichere Redensarten hoͤren und
Rippenstoͤße fuͤhlen konnte. Die Haute volée
war es nicht, welche sich um Julius Lindes
Buͤhne versammelte. Erst in den letzten
Jahren tauchte er auch hier und da in
besseren Lokalen auf, wo ihn der Buͤrgers—
mann „des Ulks halber“ auch einmal gern
hoͤrte oder sah; er wurde da als Zugmittel
fuͤr schwachbesuchte Lokale von halb ruinierten
Wirten engagiert resp. einmal geduldet. Als
die Stadt sich rascher der Million naͤherte, als
die Maschinenfabriken immer groͤßer wurden
und bei Borsig am Oranienburger Tor und
bei Schwartzkopf am Stettiner Bahnhof
Schneider und Schuster als Dreher ange—
stellt wurden, die sich dann auch den stolzen
Titel des Maschinenbauers gaben, gingen die Arbeiterfrauen wohl auch
einmal in der Woche mit ihren Kindern in den Berliner Prater, in Puhl—
manns Lokal, in Weimanns Volksgarten auf dem Gesundbrunnen, in den
Schweizergarten, in den „Eiskeller“ am Wedding oder zu Schoͤnrock nach
Ploͤtzensee. Diese Lokale waren bis in die Gegenwart sehr beliebt. Aber
ihre Glanzzeit faͤllt doch in die Zeit von 1870 bis 1900. Rodenberg
schilderte sie noch 1891:
Mit dem ersten Pfingsttag und einem Fruͤhkonzert eroͤffnen sie ihre
„Saison“. Dann werden Puhlmanns Garten, die Neue Walhalla und der
Berliner Prater mit Tausenden gefuͤllt sein. Im Hintergrunde steht ein
kleines Theater, auf welchem, unter freiem Himmel, abwechselnd senti—
mentale Saͤngerinnen und Tanzkuͤnstler sich produzieren, Komoͤdien und
Zauberpossen aufgefuͤhrt werden, von denen jedoch nicht der dritte Teil der
bis an den aͤußersten Rand gedraͤngt stehenden oder sitzenden Zuschauer ein
Wort verstehen oder einen Ton erhaschen mag, wie gespannt sie auch lauschen.
Gleichzeitig ist vorn in einem Saal am Eingang „Ball“, wird geschossen,
gewuͤrfelt, „gewogen“, die „Kraftprobe“ gemacht und Billard gespielt;
werden an einem Tische „belegte Stullen“ und Wuͤrste verkauft, an zwei