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Kleinbürgertum und Proletariat

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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auch von einem heutigen dargestellt sein, 
koͤnnte auch heute noch sein unverfroren— 
herzloses Wesen treiben. S. 355. 
Doch blieben auch die hoͤheren Kultur— 
gebilde nicht von der Ironie verschont. 
Im biedermeierischen Berlin hatte jede bessere 
buͤrgerliche Familie allwoͤchentlich ihren Tee— 
abend, an dem die Freunde des Hauses 
teilnehmen mußten. An diesen Teeabenden 
wurden nicht nur schoͤngeistige Gespraͤche 
gefuͤhrt; mit besonderer Vorliebe wurde auch 
Musik gemacht. Und die fiel dann nicht 
immer so koͤstlich aus wie im Salon der 
Rahel, wo die Milder und alle anderen 
Groͤßen der Oper und des Konzertsaales die 
anspruchsvollen Ohren der Gaͤste erfreuten. 
In den buͤrgerlichen Familien traten besonders 
die Dilettanten in Aktion. E. T. A. Hoffmann 
schildert in seinen Schriften des Kapell— 
meister Kreisler einmal spoͤttisch, wie die 
Toͤchter des Hauses sich von den Gaͤsten 
quaͤlen lassen, wie sie sich zieren und drehen, nur um zum Gesang genoͤtigt 
zu werden. „Das Talent der Fraͤulein Roͤderlein ist wirklich nicht das 
geringste. Ich bin nun fuͤnf Jahre hier und viereinhalb Jahre im 
Roͤderleinschen Hause Lehrer. Fuͤr diese kurze Zeit hat es Fraͤulein Nanette 
dahin gebracht, daß sie eine Melodie, die sie nur zehnmal im Theater gehoͤrt 
und am Klavier dann hoͤchstens noch zehnmal durchprobiert hat, so weg— 
singt, daß man gleich weiß, was es sein soll. . ..“ 
Hoffmann blieb nicht allein mit seiner Kritik der uͤbertriebenen Hoͤf—⸗ 
lichkeit und gesellschaftlichen Unaufrichtigkeit, durch die junge und alte Dilet— 
tanten zur Preisgabe ihrer Unzulaͤnglichkeit und die Gaͤste zu unechter Be— 
geisterung verurteilt wurden. 
Die ganze Skala der kulturellen Erscheinungen reizte das Berlinertum 
der Biedermeiertage, seinen Witz leuchten zu lassen. 
Vor allem aber erkennen wir, daß im Berlin der Biedermeiertage 
nicht nur romantische Empfindsamkeit oder idyllische Bescheidenheit die 
Hauptziele des Lebens waren. Wo der Witz so hoch im Kurse steht, da ist 
Ruͤhrigkeit und Regsamkeit, da gehen die Ideale des Lebens nicht in genuͤg— 
samer Behaͤbigkeit unter. Und einen solchen Witz besaß Berlin in den Bieder— 
meiertagen. Die besten Persoͤnlichkeiten schufen ihn und erfreuten sich an ihm.
	        
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