352
war das anders. Da bildete Berlins Bevoͤlkerung wirklich ein volkstuͤmlich
Ganzes. Die Menschen der Biedermeierzeit waren durchaus nicht einseitig.
Romantische Empfindsamkeit galt ebensoviel wie die bescheidene buͤrgerliche
Idylle. Behaͤbigkeit fehlte der Biedermeierzeit auch nicht. Und an Scherz
und Satire scheint sie erst recht keinen Mangel gelitten zu haben. In dem Berlin
der Biedermeiertage ist jedenfalls der eigentliche berlinische Witz zum ersten—
mal vollendet in die Erscheinung getreten. Die verschiedenen fremden Ele—
mente, aus denen ja Berlins Bevoͤlkerung schon seit Jahrhunderten besteht,
— D00
staͤndig eingewurzelt. Die kuͤnstlerisch Regsamen gruppierten sich um den
alten Schadow, um Rauch, Kruͤger — alles echte Berliner. Die politisch
Regsamen verkehrten wohl bei Varnhagen und Rahel. Wissenschaftlich
Interessierte traten mit den beiden Humboldts, mit Schelling und all den
andern Groͤßen in Verbindung, die in der ersten Haͤlfte des neunzehnten
Jahrhunderts die Berliner Universitaͤt schmuͤckten. Alle diese Kreise lebten
nun wiederum nicht fuͤr sich
ein abgeschlossenes Leben, son—
dern beruͤhrten fortwaͤhrend
einander und nahmen am
Wohl und Wehe des andern
nachbarlichen Anteil.
Berlin war noch klein. Wer
in der Leipziger Straße wohnte,
wie Mendelssohns, der wohnte
schon weit draußen. Das geistige
Berlin lebte zwischen dem Schloß
und der Mauerstraße. So konn—
ten alle in kurzer Zeit zusammen—
kommen und in persoͤnlichem
Verkehr sich anregen, Ansichten
und Absichten austauschen.
Das Leben der ganzen
Stadt hatte etwas Einheitliches,
was ihm heute fehlt: es war
buͤrgerlich. Das Buͤrgertum
hatte durch seine fleißige Arbeit
die Aristokratie ziemlich uͤber—
wunden. Viele vornehme Fa—
milien hatten auch in den Na—
poleonischen Kriegen ihre Be—
Hans Baluschek 1900: „Wie kannste voch bei
die Hitze so ville saufen!“