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schwaͤrmerei, die gar nicht mehr an die realen Anforderungen des
Lebens dachte. Als „Werthers Leiden“ und die Rousseauschen Schriften in
allen jungen Leuten die Sehnsucht nach der schlichten, nicht von der Kultur
belasteten Idylle ausloͤsten, als die Schoͤnheit einer verfallenen altersschwachen
Weide, aus der ein froͤhlicher Fruͤhling noch frische, gruͤne Triebe und Aste
lockte, den wie Entdeckern aus den gestutzten Gaͤrten des Rokokos in die Natur
Ausziehenden Traͤnen entlockte, da schwaͤrmten die romantischen Geister durch
die naͤchste Nachbarschaft der Staͤdte. Die ganze jugendliche Welt von damals
ging in Naturschwaͤrmerei auf. Liebespaͤrchen kannten nichts Schoͤneres, als
uͤber die reichen Farben des Sonnenuntergangs in Entzuͤcken zu geraten.
Ein Ausflug, der in der deutschen Literatur eine Bedeutung von großer
Traurigkeit gewonnen hat, schloß die romantische Periode jaͤh ab: Kleist, dessen
Groͤße in dem gedruͤckten und zermalmten Berlin von damals kein Mensch recht
beachtete, der sich in der niedrigsten Brotarbeit todwund arbeitete und so
wenig Freunde fand, daß sie ihm nicht einmal die Hoffnung auf eine bessere
Zukunft geben konnten, waͤhlte einen Ausflug zum letzten Lebenswege. Vor
sich die geliebte maͤrkische Landschaft, den großen Wannsee mit seinen Kiefern—
und Birkenufern, so gab er sich den Tod.
Nach diesem tragischen Ausflug setzte wieder eine heitere Periode ein.
Die liebe freundliche Natur, die anspruchslos jedem Wanderer ihre Kraft mit—
teilt, ihn auffrischt und von all den niederdruͤckenden Schlacken der Stuben—
hockerei befreit, die ihre Schoͤnheit frei und offen jedem bietet, der sie mit
oerstaͤndnisvollem Auge betrachtet, soll ja auch eigentlich nicht durch Schwer—
mut und Lebensfurcht entweiht werden. Sie, die Schoͤnste von allen, gibt
ja so reichlich Lebensmut und Lebensfreudigkeit. Das Volk hatte das schon
lange begriffen. In der ihm eigenen Zunftverfassung feierte es Feste, die
mnit dem Handwerksbrauch zusammenhingen: das Mottenfest der Kuͤrschner
Heimkehr des Meisters.