Path:
Kleinbürgertum und Proletariat

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

345 
Wasserfahrten nach 
den Vororten sind von je 
beliebt gewesen. Soschnell 
und so weit wie heute mit 
den Spree- und Havel— 
dampfern kam man fruͤher 
natuͤrlich nicht. Aber der 
groͤßte Reiz der maͤrkischen 
Landschaft liegt ja in ihren 
Seen und in den weit 
ausgebuchteten Strom— 
landschaften. Das ist nicht 
erst eine Erkenntnis von 
heute. Die lebenslustigen 
Damen der Zeit Fried— 
richs II. wußten das schon 
und ließen sich, reich ge— 
schmuͤckt und geputzt, zu 
Wasserpartien nach den 
Vororten einladen. Auch 
waren damals Ausfahrten 
in den prunkvollen Chaisen 
und den vergoldeten Ka— 
rossen sehr beliebt. Das Kleinbuͤrgertum begnuͤgte sich mit Fußwanderungen 
nach den Nachbarorten. Die naͤchsten Doͤrfer Schoͤneberg, Franzoͤsisch⸗ 
Buchholz, Treptow, Stralau, Orte, die heute in das weltstaͤdtische Stadt— 
bild von Groß-Berlin aufgegangen und mit ihm verwachsen sind, wurden 
besucht. Solch ein Ausflug war ein wichtiges Ereignis. Die Familien— 
mitglieder wurden mit Proviant beladen, als gaͤlte es, eine wochenlange 
Wallfahrt anzutreten. Der derbe reale Sinn des genußfrohen Zeitalters 
hatte in den deutschen Buͤrgern frohe Proselyten gefunden. Sie schwaͤrmten 
wohl fuͤr die Idylle, fuͤr Spaziergaͤnge im Gruͤnen. Aber diese Spazier— 
gaͤnge mußten auch Gelegenheit zu einem reich ausgestatteten Piäcknick 
geben. So konnte denn Chodowiccki die Kleinbuͤrger mit ihrer Wallfahrt 
nach Franzoͤsisch-Buchholz verspotten. Die jungen Maͤnner zogen mit blauen 
Roͤcken, gelben Westen und Schnallenschuhen hinaus ins Freie. Die 
schoͤnen und zierlichen Maͤdchen aber schmuͤckten sich mit plissierten Reif— 
roͤcken, feinen Handschuhen, Blumen, Federn und Baͤndern, als ginge es zu 
einem großen Tanzfest, aber nicht in Wald und Feld hinaus. — Einige Zeit 
spaͤter zeigten sich schon die ersten Anfaͤnge der romantischen Natur—
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.