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Dies kleinbuͤrgerliche Leben
enthielt noch wenig Zuͤge von der
Erschuͤtterung, die das Jahr 1848
brachte. Von weltstaͤdtischen Zeichen
war noch wenig zu spuͤren. Die
Rinnsteine, die sich zwischen Buͤrger⸗
steig und Fahrdamm befanden,
nahmen alles das auf, was heute
in die Kanalisation fließt. Bis
lange nach 1870 waren diese Un—
ratgraͤben und die daruͤber fuͤhren—
den Bruͤcken ein Tummelplatz der
Kinder. Primitivo wie Pflaster
und Straßenreinigung, die noch
von den Hauswirten jede Woche
zweimal besorgt wurde, war auch
die Beleuchtung. Die vielen Ol—
funzeln und die wenigen Gas—
laternen wurden nur angezuͤndet,
wenn „kein Mondschein im Ka—
lender stand“. Schmiede, Boͤttcher,
Holzhauer — alle arbeiteten auf
der Straße. Und da fast alle Ofen mit Holz geheizt wurden, standen uͤberall
Gruppen von saͤgenden und schlagenden Holzhauern. Diese Holzhauer
fabrizierten auch die Pyramiden, die als Weihnachtsbaum fruͤher den
Kindern leuchteten. Ehe es Eisenbahnen gab, konnte der Weihnachts—
baum auch in Berlin nicht zur Herrschaft gelangen. Die Stelle des
Baumes ersetzte damals die Pyramide oder, wie der Berliner gern sagte,
„Perjamide“, ein aus Holz und Papier gefertigtes Kunstwerk in Pyramiden—
form, das mit Lichtern, bunten Baͤndern usw. geziert wurde. Alle Festlich—
keiten wurden uͤberhaupt sehr wichtig genommen — wie auch heute
noch im Volke, wo ein Geburtstag oder eine Taufe zu den hoͤchsten Feiertagen
gerechnet wird. Fuͤr Hochzeiten gab eine „anstaͤndige Familie“ oft zwei
Drittel ihrer Ersparnisse aus. Leute, die sonst so duͤrftig wie nur irgend
moͤglich lebten, die sich von Kartoffeln, Kaffeeaufguß und Schmalz naͤhrten,
mußten in der Galaequipage zur Kirche fahren, wenn ein Familienmitglied
heiratete. Hier wollten die Frauen, die sonst filzig und knauserig sich allen
Luxus und alle Vergnuͤgungen der Großstadt versagten, geradezu leichtfertig
werden. Solche Feste waren eben Hoͤhepunkte ihres Lebens. Und sie hielten
es vor den Maͤrztagen im Übrigen schon so, wie es spaͤter dem Volke im