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tieren pflegt. — Ein junges Maͤdchen, wahrschein—
lich die Tochter der Alten, trug sogleich ein Spiel
Karten vor das Bette der Wahrsagerin. Fuͤhrwahr
eine malerische Gruppe, der Tod im Bette, das
Leben vor demselben, und die Unschuld des die—
nenden Maͤdchens! Nun begann die Prophezei—
ung, ein Geschwaͤtze von Wahrscheinlichkeit und
Moͤglichkeit, von Hoffnungen und Versprechungen,
mit welchen aber die horchenden Damen nicht
wenig zufrieden zu sein schienen. Das huͤbsche
Maͤdchen allein lehnte sich an den Ofen mit einer
Miene, als wenn die ganze Szene wenig oder gar
kein Interesse fuͤr sie haͤtte. Jetzt konnte die Alte
vor Schwachheit nicht mehr reden, und die Tochter
ging mit einem Teller bei den Damen herum, die
milden Beitraͤge zu sammeln. Wie gerne haͤtte ich dem armen Kinde auch
geopfert! Es war aber Zeit, mich zuruͤckzuziehen, die Damen kamen mir
auf der Ferse nach, und stritten sich heftig um die wahren oder falschen
Gruͤnde der Prophetin. Das Sonderbarste von allem war dieses, daß sich
eine Dame in dieser Gesellschaft befand, deren Beruf es ist, solche Szenen
auf dem Theater laͤcherlich zu machen; aber eben sie glaubte am meisten
an den Wahrsagungsgeist der alten Luͤgnerin und warum? weil der vornehme
Liebhaber, mit welchem sie gerade um diese Zeit umging, ihr zum Manne
verheißen ward. Solcher Schlupfwinkel gibt es hier eine Menge.“
Die vielen extremen Erscheinungen einer Großstadt traten im noͤrd—
lichen Deutschland eben zum erstenmal auf und erregten die Gemuͤter. Berlin
zaͤhlte am Ende des 18. Jahrhunderts doch schon 150 000 Einwohner. Da trat
denn auch die Verlockung durch den Reichtum an die aͤrmeren Buͤrgertoͤchter
heran. Schriftstellern aus jener Zeit fiel es auf, daß die jungen Buͤrgermaͤdchen
große Putzsucht zeigten und auch gefaͤhrliche Wege nicht scheuten — um zu
huͤbschen Kleidern und Huͤten zu kommen. Aber das wird wohl in Berlin nicht
schlimmer gewesen sein als an anderen Orten und zu anderen Zeiten. Eine
andere Zeit als die bisherige, in der das niedere Volk noch geduzt worden war,
meldete sich.
Friedrich Gedike berichtet daruͤber: „Noch sichtbarer ist das Hinauf—
draͤngen der niederen Klassen bei dem weiblichen Geschlechte, was unter
anderem schon aus dem jetzt haͤufiger gewordenen Gebrauche der franzoͤsischen
Anrede Madame und Mademoiselle oder wenigstens Mamsell — denn dem
Sprachgebrauche nach scheint allerdings diese verstuͤmmelte Form um einen
Grad tiefer zu stehen als die vollstaͤndige franzoͤsische — hervorgeht. Die