Richter: Sie sollen verschiedenen Leuten die Karten gelegt
haben. — Kartenlegerin: Das stimmt! Sehen Sie, Herr Ge—
cichtshof, ich bin eine zu gutmütige Frau, und wenn mir einer um
vas bittet, kann ich es ihm nicht abschlagen. — Richter: Sie
jsaben sich aber Ihre Gutmütigkeit regelmäßig mit 226 Silber—
groschen bezahlen lassen. Natürlich sind auch Ihre Prophezeiungen
niemals eingetroffen. — Kartenlegerin: Herr Gerichtshof, ver—
langen Sie etwa, daß es für 25 Silbergroschen auch noch ein—
reffen soll?
Zeichnung aus dem Kleinbürgerleben um 1870
lichen Formen viel mehr wirkliche Religioͤsitaͤt und wahres Menschen—
tum zu finden hoffte. Trotz Aufklaͤrung und Philosophie aͤußerte sich aber
noch oft der Hang zum Aberglauben. Mercier schilderte in seinem Gemaͤlde
h»on Berlin 1798 eine kleine Entdeckungsfahrt in diesen dunklen Winkel:
„Eines Abends begegnete ich vier schoͤnen jungen Damen in einem
oon ihrer Wohnung ganz entlegenen Viertel der Stadt, es war kurz vor
Mitternacht, und die Neugierde hieß mich ihre Spur verfolgen, weil ich sie
persoͤnlich kannte. Endlich erreichten sie eine Vorstadt, pochten in einer engen
Gasse an einem Fensterladen, und stiegen durch die aufgeschlossene Tuͤre eine
schmutzige Treppe hinunter in eine unterirdische Hoͤhle.
Ich hatte mich unterdessen vor einem der Fensterladen gelagert, dessen
Spalten mir die Übersicht des ganzen Loches gewaͤhrten; im Hintergrunde
sag eine scheußliche Gestalt auf einem Bette von zusammengerafften Lumpen,
und nur an der schwachen Stimme konnte ich ein altes Muͤtterchen erkennen.
Eine der Damen hielt eine kurze Anrede, mit einigen Lobeserhebungen
untermischt, wie man ungefaͤhr einen großen Gelehrten zu bekomplimen—