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Kleinbürgertum und Proletariat

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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stammt von einem solchen Fest der Fleischerzunft — so machten sie auch jetzt, 
in den Tagen groͤßerer Sicherheit, gern ihre Ausfluͤge. Welch realen Sinnes 
sie dabei waren, zeigt das Blatt von Chodowiecki: Wallfahrt nach Franzoͤsisch 
Buchholz. Der gute Happen Pappen gab die Hauptlust. Das war ja auch 
das Selbstverstaͤndliche in einer Zeit, die oft den Wert des irdischen Lebens 
betonte und die sich bemuͤhte, den religioͤsen Verstiegenheiten ein Ende zu 
machen und an Stelle der unduldsamen Glaubensschaften eine erkennende 
Wissenschaft zu setzen. Trotzdem das Nebeneinanderleben verschiedener Be— 
kenntnisse nun auch die Toleranz und religioͤse Freiheit im berlinischen Volke 
foͤrderte — man ließ schon lange jeden nach seiner Fasson selig werden, ja 
manche zweifelten, ob ihr Gott denn besser waͤre als der Gott des Nachbars 
und resignierten — wollten sich doch die Glaͤubigen nicht das alte Gesangbuch 
nehmen lassen, in dem neben widerlichster Blutruͤnstigkeit geile Wollust sich 
breit machte. Einige Lieder hatten den gleichen Gedankengang wie die 
schluͤpfrigsten Schaͤferlieder. Die große Masse machte sich jedoch schon nichts 
mehr aus solchen kirchlichen Zwistigkeiten. Sie war von der Kirche abgeruͤckt. 
Pastor Ziethe berichtet zwar, daß wohl einer der Hauptgruͤnde der Abkehr 
von der Kirche in der Einfuͤhrung eines neuen Gesangbuches gelegen habe, 
das Friedrich II. um 1780 verordnete und dem die damals recht aufklaͤrerisch 
gesonnenen Prediger vergeblich Anerkennung verschaffen wollten. Die besten 
Lieder, selbst die von Gerhard, waren herausgestrichen (Friedrich II. nannte 
das praͤchtige „Nun ruhen alle Waͤlder“ dummes Zeug) und die Buͤrger 
waͤren so erbost worden, 
daß sie die Kirchen mieden. 
Aber Pastor Ziethe nahm 
hier zu Unrecht Partei. 
Wohl waren einige gute 
Gemeindelieder gestrichen, 
die Mehrzahl der beseitigten 
Lieder war roh und ordi— 
naͤr gewesen. Und wegen 
einiger Lieder haͤtten sich 
die Berliner gewiß nicht 
von der Kirche abgewendet. 
Das lag vielmehr in der 
Zeit, die sich von dem 
uͤbertriebenen und in UÜUber— 
hebung verfallenen pietisti— 
schen Zwang abwendete, 
die außerhalb der kirch— 
1860 —1880
	        
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