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Kleinbürgertum und Proletariat

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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machen. Andere blieben weiblich trotz aller Anfechtungen bis an ihr 
Lebensende, ließen sich von dem spaͤter geheirateten Mann geduldig miß— 
handeln und sorgten wohl gar noch fuͤr ihn. Sie schlugen sich durchs Leben 
und meinten humorvoll: „Herrjott, sind wir verjnuͤgt und haben't jarnich 
noͤtig!“ Sie ließen sich als echte Berlinerinnen nicht unterkriegen und meisterten 
in ihrer Weise ihre Lebensverhaͤltnisse. Sie mußten, um sich erhalten zu 
koͤnnen, praktisch und derb werden. An Pelichtgefuͤhl, Nuͤchternheit und 
einem gewissen gesunden, sparsamen und anstelligen Ordnungssinn fehlte 
es ihnen nicht. Aber manche Frauen aus dem Volke, besonders aus dem ein 
wenig bemittelten Kleinbuͤrgertum, koͤnnen widerwaͤrtig engherzig, neidisch 
und kleinlich sein; andere wieder sind gastlich und durchaus frei von jener 
Kitelkeit, die kleine eigene Taten fuͤr das Bedeutendste haͤlt und daruͤber die 
großen der andern vergißt. 
Aber auch in Berlin hat es Frauen aus dem Volke gegeben, die sich 
großherzig benahmen. Aus dem Mittelalter berichtet Wilcken, wie Kohlhase 
mit seinen letzten Gefaͤhrten im Jahre 1540 in Berlin uͤberlistet wurde. 
Georg Nagelschmidt fand man in einem Hause eines alten Buͤrgers Putlitz. 
Hierauf erging zuerst ein hartes Gericht uͤber den alten Putlitz und seine 
Frau, welche ihren Freund bis zu dem letzten Augenblick zu verbergen ver— 
sucht hatten, sie wurden sogleich in der ersten Hitze auf den Neumarkt gefuͤhrt 
zur Enthauptung auf einem dort aufgerichteten Geruͤste, ohne daß ein 
ruͤhrender Auftritt, der sich ereignete, die 
Gemuͤter der erbitterten Richter erweichte. 
Denn als der alten Frau Begnadigung an— 
geboten wurde, wies sie diese Gnade ab, 
umarmte ihren Mann und segnete ihn mit 
einem Kusse, und beide empfingen hierauf, 
weil sie vor Altersschwaͤche nicht zu stehen 
vermochten, auf Stuͤhlen sitzend, den Todes— 
streich. 
Manche Frau aus dem Volke fiel auch den 
mittelalterlichen Hexenprozessen zum Opfer. 
Aber diese dunklen Zeitumstaͤnde druͤckten auf 
den frohen Lebenssinn des Volkes nicht allzu— 
sehr. Berlin lag zwar zwischen Sumpf und 
Sand. Doch fuͤhrte der wichtige Handels— 
weg vom Osten nach dem Westen, von 
Polen nach Flandern und Holland, vom 
kunstreichen Franken nach dem fernen Mos— 
kau uͤber Berlin, das einen Ubergang durch die 
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