Path:
Die Dienstboten

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

278 
heirateten. Das heißt: die Dienstboten heirateten wohl meist nicht so fruͤh— 
zeitig. Es war bei ihnen Sitte, sich eine Aussteuer zu verdienen. Auch heute 
ist das noch manchmal der Fall. Aber die meisten Maͤdchen, die heute als 
Dienstboten gehen, denken nicht an die Zukunft. Sie verspielen ihren Lohn, 
kaufen bei jeder Gelegenheit Ansichtskarten und teure Geburtstagsgratu— 
lationen, tragen auch die neuesten Hutformen — allerdings meist in hoͤchst 
geschmacklosen und uͤberladenen Nachahmungen — und geben einen großen 
Teil ihres Lohnes fuͤr die Stellenvermittlerin und fuͤr die Kosten des fort— 
waͤhrenden Stellenwechsels aus. Unerhoͤrt viele von ihnen sind von der 
modernen Unruhe besessen. Um der geringsten Dinge wegen geben sie eine 
Stelle auf — immer im Glauben, das naͤchste Mal eine ideale Herrschaft zu 
bekommen, sich zu verbessern. Schließlich wird ihnen die monatliche Ver— 
aͤnderung schon fast zur Gewohnheit. Und da das Maͤdchen oft getaͤuscht worden ist 
— viele Hausfrauen haben leider die uͤble Taktik, dem Maͤdchen beim Mieten 
zu erzaͤhlen, daß es fast gar nichts zu tun habe — so wird es dreist und fragt 
jede Dame erst nach der Zahl der Kinder, der Zimmer usw. Die Damen 
sind daruͤber entruͤstet. Aber schließlich: das Maͤdchen hat doch die Arbeit zu 
leisten und ein Recht, sich solche Arbeit auszusuchen, die seine Kraͤfte nicht uͤber— 
steigen. Daß die Verhandlungen nicht immer in den Formen geschehen, die 
von den Damen untereinander beachtet werden, ist auch begreiflich. Wenn 
so ein Maͤdchen einer vielfachen Mutter spoͤttisch ins Gesicht lacht: „Ich danke — 
fuͤnf Kinder! Jeben Se man mein Buch her!“ dann wird sich die Mutter wohl 
verletzt fuͤhlen. Aber Menschen, die solche groben Arbeiten verrichten muͤssen, 
wie die Dienstboten, werden selten sich feinere Umgangsformen aneignen — 
oder sie werden unehrlich kriechen und unaufrichtig, katzenfreundlich. So 
lange die Dienstmaͤdchen 16 Stunden und mehr anderen Menschen zu Dienst 
sein muͤssen, so lange sie keine bestimmte Arbeitszeit und keine bestimmten 
Freistunden haben, so lange sie nie ihre eigene Meinung aͤußern duͤrfen und 
dem laͤngst veralteten Gesinderecht unterstehen, also sogar gezuͤchtigt werden 
duͤrfen, werden sich nur die derberen und schwerfaͤlligeren Elemente diesem 
Berufe zuwenden. Intelligentere Maͤdchen haben heute lockendere Lauf— 
bahnen. Als Geschaͤftsmaͤdchen, als Warenhaͤuslerin, Schreibmaschinistin und 
Beamtin koͤnnen sie moderner leben. Wohl gehen in die besseren Stellen, als 
Stuͤtze oder als Hausmaͤdchen, noch intelligente Kraͤfte. In besseren und 
groͤßeren Haushaltungen haben sie es auch leichter, haben sie oft eine freie 
Stunde. Aber sie muͤssen auch sehr haͤufig bis in die spaͤte Nacht zur Ver— 
fuͤgung stehen, weil die Herrschaft Gaͤste empfaͤngt. Auch muͤssen sie alle 
Launen der nervoͤsen und aufgeregten Damen ertragen koͤnnen. Sie tun das 
ja auch gern. Denn sie leben in einer molligen Schmarotzerstellung. Bis zu 
einem gewissen Grade nehmen sie an dem mehr oder weniger uͤppigen Leben
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.