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derart, daß eine gewisse
Ermuͤdung das notwendige
Resultat ist. Aber immer
steht unsere weibliche
Aristokratie an der Spitze.
Ist nicht die Kaiserin selbst
Lady Patroneß, so gewiß
eine der Prinzessinnen,
und fast immer gehoͤren
Damen der Hofstaaten den
betreffenden Komitees an.
In fruͤheren Jahren waren
Schauspielauffuͤhrungen
der Aristokratie zugunsten
der Caritas haͤufiger als
jetzt. Da konnte man
Fuͤrstinnen und Graͤfinnen
als Soubretten und ju—
gendliche Liebhaberinnen
agieren sehen, und das war
natuͤrlich sehr plaͤsierlich.
Ich entsinne mich einer
solchen Gelegenheit, bei
der eine junge Komteß eine
derbe Koͤchin mit so aus—
gesprochenem realistischen Talent spielte, daß die Kritik ihr ernsthaft riet,
sich doch gaͤnzlich der Buͤhne zu widmen. Sie tat es aber nicht, sondern
heiratete schleunigst und vertauschte dabei ihre neunperlige Krone mit einer
geschlossenen. Daß freilich auch auf Komteßchen das „lockere Spiel“ zuweilen
gefahrvoll wirken kann, wissen wir aus einer Affaͤre, die erst letzthin passiert
ist. Das blaue Blut ist Blut wie das rote. Ach du lieber Gott! —
Die Berliner Aristokratin ist natuͤrlich auch Landpommeranze. Das
liegt in der Natur der Sache. Der reichere Landadel hatte fruͤher seine Palaͤste
in Berlin. Er hat sie meistenteils aufgegeben, um der doppelten Besteuerung
zu entgehen. Nun sitzt er obdachlos in den Hotels, wenn er in den Saison⸗
monden zu Hofe kommt. Nur wenige Adelsfamilien von der festen Scholle
haben ihr Berliner Haus behalten, und immerhin: die kann man auch zur
Berliner Aristrokratie rechnen. Dazu kommt noch der Diplomatenadel, der
wenigstens immer fuͤr Jahre an Berlin gebunden ist: die Damen des Corps
diplomatique, die den strahlenden Mittelpunkt unserer Gesandschaftsbaͤlle