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Die Damen

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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ein wenig gedruͤckte Arbeitersekretaͤr und Abgeordnete weiß nicht recht, 
wie er mit dem Tischbesteck die Moraͤne zerlegen soll. Heimlich 
guckt er es dem neben ihm sitzenden blonden, eleganten Grafen ab, 
der mit einem silbernen Obstmesser den Sekt im Glase schlaͤgt: „Um 
die Kohlensaͤure zu enffernen. Daunn — ist er bekoͤmmlicher! Wenn man 
eben erst aus dem Sanatorium kommt, muß man vorsichtig sein!“ Er 
lacht gezwungen und fragt dann den Herrn zur Rechten, was das Aller— 
neueste in der Zeitung waͤre. Der sieht zwar gar nicht aus wie ein 
Journalist, sondern gleicht mit seinem glatten Gesicht, seinem verschnitte⸗ 
nen Schnurrbart und den gelassenen Bewegungen irgendeinem gluͤcklich 
handelnden Kaufmann. Aber er bleibt bis zuletzt in den Raͤumen, geht 
zum Schluß noch einmal durch die hell erleuchteten, verlassenen Zimmer — 
durch den weißgoldenen Barocksalon mit seinen rotseidenen' Damaststuͤhlen 
und den vielen Meißner Figuren — durch das gotische Arbeitszimmer, wo 
die Buͤcher der Biologen und Rasseforscher auf dem Buͤcherbrett unter der 
echten, geschnitzten Madonna liegen, — durch das getaͤfelte Renaissance— 
zimmer und durch den großen Eßraum, in dem noch die letzte Gruppe sitzt: 
der Dramatiker mit einigen alten Damen und dem Obersten. Die Dame 
kommt auf den Journalisten zu, fragt ihn, ob die Zigarre seinem Geschmack 
entspreche — sie hatte jedem Herrn ein Etui mit einigen auserwaͤhlten, 
koͤstlich nach Havannas Sonne duftenden Marken uͤberreichen lassen — und 
geleitet ihn hinaus. Auf dem Flur, wo die Zofe — weißbehaubt und weiß— 
beschuͤrzt uͤber schwarzem Kleide — dem zufriedenen Zeitungsmenschen 
in seinen Pelz hilft, auf dem Flur noch 
macht sie ihm klar, daß sie sich freue, 
keine Aristokratin zu sein, die an die 
Wege ihrer Familie gebunden waͤre. 
Sie verehre die Biologie. Die habe ihr 
den Glauben an sich selbst gegeben. — 
Unter ihren Vorfahren seien Fabri— 
kanten, Volksfuͤhrer, Verwaltungs— 
beamte — und in ihr seien nun gewiß 
alle die Eigenschaften zusammenge— 
flossen, sie zu solchem unruhigen Wesen 
zu machen. Übrigens — ob sie nun aus 
dem Elsaß oder aus Ostpreußen sei, 
das waͤre ja ganz unwesentlich. Sie sei 
nun einmal so, daß sie in diesem Berlin 
sich wohlfuͤhle — gerade in diesem 
Berlin, daß ihr alle Moͤglichkeiten biete, 
Pfui Deibel! — Noch eenen! 
(Vor der Schnapskneipe 1830.)
	        
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