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Die Damen

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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gebrochenen zu interessieren, ihm ihren Trost zu spenden und ihm 
ihre Hilfe angedeihen lassen zu koͤnnen. Was sie selbst nicht leisten kann, er— 
reicht sie durch Andere; wenn ihre Mittel und ihre Kraͤfte nicht ausreichen, 
aimmt sie die von Freunden und Bekannten in Anspruch. 
Und bei all diesem findet sie noch Zeit fuͤr ihre Familie, findet sie noch 
Kraft, entscheidend auf Familienangehoͤrige einzuwirken. Damit ihre Tochter 
einst wirtschaftlich klar sehen koͤnne, ließ sie das siebzehnjaͤhrige Maͤdchen 
ein Jahr von einem Bankbeamten unterrichten. Und als einOffizier um die Hand 
der Tochter warb und sich auf gewisse Auszeichnungen berief, meinte sie zu 
ihm, es gaͤbe viel Protektion. Erst als er eine Schrift uͤber Armeeverpflegung 
ausgearbeitet hatte, glaubte sie an ihn und gab ihren Segen. 
Da ist ein neunjaͤhriger Junge, Stiefsohn einer Verwandten der Dame. 
Nie hat er seinen Eltern einen „Guten Morgen“ geboten. Nie hat er ihnen 
irgendeine Freude gemacht. Vor einiger Zeit kommt die Familie zur Dame 
auf einige Wochen zu Besuch. Die Dame ist außer sich uͤber den Jungen — 
und zwar vor allem seinetwegen. Sie sieht die Konflikte, die ihm spaͤter 
bevorstehen, wenn seine Entwicklung nicht in eine andere Sonne kommt. 
Und sie nimmt sich den Jungen vor und spricht energisch auf ihn ein: Jeder 
Mensch muͤsse fuͤr das, was man ihm antue, auch Gegenleistungen erweisen. 
Die Eltern koͤnnten fuͤr alle Liebe auch Gegenliebe verlangen. Außerdem: 
wenn er von ihr immer gut behandelt sein wolle, duͤrfe er sich auch bei ihr 
nuͤtzlich machen. Seitdem erfreut der Junge seine Eltern mit einem innigen 
Morgengruß und ordnet seiner „Tante“ die Zeitungen und macht ihr allerlei 
Handreichungen. Vor allem: Eines Mittags wollte ihm sein Vater Cham— 
pagner eingießen. Der Junge weigerte sich standhaft, ihn zu trinken. Und 
es stellte sich nach der Mahlzeit heraus, daß die Dame ihm gesagt hatte, sie 
wuͤrde vom Tische aufstehen und nie wieder mit ihm und seinen Eltern zu— 
sammen an einem Tische essen, wenn er einen Schluck Wein trinken wuͤrde. 
Soviel Macht hatte die Dame uͤber ihn — mehr Macht, als die eigenen 
Eltern. 
Das ist schließlich auch ein Streben der Dame — Macht zu bekommen. 
Sie weiß, was Macht und Einfluß bedeuten und vermoͤgen. Und sie ist eifrig 
bemuͤht, ihren Einfluß zu erweitern und zu staͤrken. Sie freut sich auf— 
richtig, wenn sie oft in den Zeitungen erwaͤhnt wird. Neulich brachte 
die Post ihr einen Stoß Zeitungen, in denen erzaͤhlt wurde, sie haͤtte einen 
alten gotischen Kirchenleuchter dem und dem Museum geschenkt. Sie wußte, 
manche von ihren Freundinnen und Freunden wuͤrden sagen, sie haͤtte es 
eben nur getan, um in die Zeitung zu kommen. Aber diesmal hatte sie nichts 
davon gewußt. Umso groͤßer war ihre Freude. Erstens glaubt sie, ihr Einfluß 
gewinne dadurch. Und zweitens freut sie sich selbst auch fuͤr ihr eigen Teil
	        
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