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mein einst war“ zu ihrem Lieblingslied er—
waͤhlt hatte. Gutzkows Wally, die hoch zu
Roß, an der Spitze eines ganzen Trupps
von Anbetern sich sehen ließ, die alle Ringe,
die ihre Courmacher ihr schenkten, an ihre
Reitgerte steckte, unter der Langeweile der
großen Dame litt, witzig, spielerisch und
abweisend sich unterhielt, das Hasardspiel
liebte, keinen Sinn fuͤr die Schoͤnheiten
der Landschaft hatte, nicht das Ungluͤck
anderer fuͤhlte und nicht selbst gluͤcklich
werden konnte, weil sie nicht andere zu be—
gluͤcken vermochte — diese Dame, die so
ziemlich der Aristokratin Ida Hahn-Hahn glich,
war auch im vormaͤrzlichen Berlin heimisch.
— Die genialen Damen mit Madonnen—
gesichtern, schillernden, launischen Augen,
mit der Faͤhigkeit, sich gehen zu lassen und
doch immer die Dame zu sein, die wie ein Mysterium von Flammen
umzuͤngelt wird, die ein kaltes, unnahbares Goͤtzenbild bleibt. Scheinbar
hat sie eine tiefe, nie zu ergruͤndende Seele. Aber das ist nur Seelenlosigkeit
und der Wunsch, diese langweilende Seelenlosigkeit auszufuͤllen.
Und ebenso wie die religioͤse Mystik
dazu gebraucht wurde, ebenso wurden auch
die weltlichen Freuden benutzt. Die Kultur—
welt war fuͤnfundzwanzig Jahre lang durch
Krieg und Kriegsgeschrei beunruhigt worden.
Nun wollte sie leben und genießen. Wenn
auch die Mittel knapp waren, so war die
Lebenslust um so kraͤftiger. Sie kam ja
auch in der weiblichen Kleidung zum Vor—⸗
schein, die mit der deutlichen Betonung
der weiblichen Reize nicht kargte. Die
Fuͤlle der Brust wurde durch bauschige
Falten gestaͤrkt, die Taille durch festes Zu—
sammenpressen schlanker und die Woͤlbung
der Huͤften durch krinolinenfoͤrmige Roͤcke
recht augenfaͤllig gemacht. Ganz be—
stimmte lebensfreudige Zuͤge des Rokoko
kehrten wieder. Das Heroische der klassischen
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