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keit in seinem Stift gehabt, daß
wir ihn doch auch einen Frauen⸗
maler nennen muͤssen, um
den wir unsere Großvaͤter
und Großmuͤtter beneiden
koͤnnen. Mit einem feinen Ver⸗
staͤndnis fuͤr die persoͤnliche
Linie jeder einzelnen Frau hat
er uns eine Reihe von Por—
traͤten hinterlassen, die alle
Wesenszuͤge der Portraͤtierten
und alle Reize ihrer Zeit uͤber—
mitteln. (Siehe S. 31, 120, 126.)
Immer tritt uns die Ge—
schlossenheit der Mode jener
Zeit entgegen. Prinzessinnen,
Kuͤnstlerinnen, die Damen des
vornehmen Buͤrgertums und
die weiblichen Angehoͤrigen
des Kleinbuͤrgerstandes — alle
betonen ganz typische Mode—
linien. Waͤhrend noch einige
Jahre vorher der lose Haͤnger
und die hochgeschnuͤrte Brust
der klassischen Periode allein—
herrschend gewesen war, hatte
sich durch eine altertuͤmelnde
Richtung im Anfange der
zwanziger Jahre des neun—
zehnten Jahrhunderts wieder die feste Taille, die Hervorhebung der
besonderen weiblichen Linien durchgesetzt. Die Gretchentracht des Mittel—
alters blieb in der romantisch empfindenden Zeit, als in allen Almanachen
Rittergeschichten standen, nicht ohne Einfluß. Aber niemand ahmte
sie stlavisch nach. Als Kruͤger seine Studien machte, waren die alter—
tuͤmelnden Anklaͤnge kaum noch zu erkennen. Sie waren ganz in die ge—
schlossene, allumfassende Grazie des Biedermeierischen Stils uͤbergegangen. Die
fuͤrchterlichen hohen spanischen Kragen (S. 142) aber waren laͤngst einer kuͤnst—
lerisch reizvolleren Freiheit des weiblichen Halses und der Schultern gewichen,
und die Schlankheit der Taille schien durch mehr senkrechte Linien schmieg—
samer, zierlicher und jugendlicher zu werden. Durch verschieden angeordnete
Franz Krüger: Paul und Marie Taalioni.