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Die Damen

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

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jungen Deutschland. Und die Hausmuͤtter versteckten ihre gern gelesenen 
weltlichen Buͤcher vor ihren Toͤchtern. Als nach einem bizarren unsteten 
und genußreichen Leben ihre Jugend und Schoͤnheit flohen, trat die 
erfahrene sinnliche Weltdame zum Katholizismus uͤber und ging spaͤter in ein 
Kloster. Ihr Gefuͤhl war also viel staͤrker, ihr Leben logischer als das 
anderer Aristokraten, in deren Kreisen damals ein leidenschaftlicher 
Pietismus Herzen und Koͤpfe beschaͤftigte. Neue Ziele fehlten der 
Aristokratie. Vor dem reifer und staͤrker werdenden Buͤrgertum rettete 
sie sich in eine romantische Sympathie mit dem Mittelalter und in einen 
weltentfremdenden Pietismus hinein. Da aber die Lebenshaltung der 
Aristokratie notgedrungen vielfach nur recht buͤrgerlich sein konnte, blieben 
doch manche Angehoͤrige der Aristokratie ganz unmittelbar im frischen Leben 
festgewurzelt. Sie betaͤtigten ihre Froͤmmigkeit, ihre religioͤsen Empfindungen 
in der Wirklichkeit. Hier war ein Feld, das ihnen nicht verschlossen war und 
das bis heute die Damen der Aristokratie beschaͤftigt. Persoͤnliche Hilfe zu 
bringen, Schwachen beizustehen, war ein Vorrecht auch der innerlich vor— 
nehmen Dame. 
Sie nahm das Leben ihres Schuͤtzlings wohl selbst in die Hand, wie 
Fraͤulein Marie von Olfers, die sich einen unehelichen Saͤugling einer Magd 
ins Haus nahm — trotzdem doch in der eigenen Familie viele eigene Kinder 
vorhanden waren und sie selbst erst 23 Jahre alt war. Viele Bekannte und 
Verwandte waren denn auch außer sich uͤber das Beginnen der jungen Dame, 
die durch ihren Vater, den Museums— 
direktor, den vornehmsten Kreisen an— 
gehoͤrte. Sie pflegte das mit haͤßlichem 
Ausschlag behaftete Kindchen selbst, badete 
es noch oft abends, wenn sie schon in Ge— 
sellschaftstoilette war und ins Theater 
oder auf Hausbaͤlle gehen wollte. So 
wenig wie moͤglich wurde das Kind den 
Dienstboten uͤberlassen und wurde auch 
nicht zum Dienstboten erzogen, sondern 
zwischen die Schwestern, zwischen die 
Kinder des Hauses eingereiht. Sie ge— 
hoͤrte durchaus zur Familie. Und als 
der alte Herr von Olfers eine Pflegerin 
brauchte, durfte nur jene angenommene 
Tochter seiner Tochter um ihn sein. 
Joachim, der im Olfersschen Hause oft 
abends Violine spielte, entdeckte eine
	        
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