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rette und laͤutere. Auch verdammte sie die Todesstrafe. Sie schreckte nicht
davor zuruͤck, die sozialen, religioͤsen und politischen Mißstaͤnde hervorzuheben.
Und wenn sie sich auch manchmal mit Prophetenschleiern schmuͤckte, so blieb
ihr doch der ideale Flug der Gedanken, das Verstaͤndnis fuͤr die Aufgaben
der Zeit und die Forderungen der Zukunft. Ihr großes uneigennuͤtziges
Herz bewaͤhrte sie ihr ganzes Leben lang. Wer ihre weibliche Groͤße, ihre
bewundernswerte Tapferkeit, ihren von einem heißen Gefuͤhl beseelten un—
gewoͤhnlichen Geist kennen lernen will, der muß ihren prachtvollen Brief—
wechsel mit Friedrich Wilhelm IV* lesen, dessen pietaͤtvolle und mit ausge—
zeichneten Anmerkungen versehene Herausgabe Professor Ludwig Geiger
zu danken ist, dem ich hier manchmal folge. In diesen Briefen spricht sich
eine heldische Frauenseele aus, die so hoch uͤber allem Gewoͤhnlichen steht,
deren Herz so stark schlaͤgt, daß wir wuͤnschen muͤssen, sie moͤge mehr geliebt
und gelesen werden als bisher — sie moͤge unsern Toͤchtern und Frauen
ein Vorbild werden.
Sie mag sich in dem aufgeregten Berlin des Vormaͤrz besonders wohl—
gefuͤhlt haben. Hier gab es was zu erkaͤmpfen. Sie selbst, die auch unter
den kleinlichen Zensurstuͤckkchen der preußischen Beamtenhierarchie zu leiden
hatte, tat einiges fuͤr Erleichterung der Zensur. Sie stand mit allen belebten
Kreisen der preußischen Residenz in Verbindung. Bruno Bauer, der geistige
Meister der „Freien“, zu denen auch Max Stirner, der Verfasser von „Der
Einzige und sein Eigentum“, gehoͤrte, spielte in Bettinas Umgangskreis
eine hervorragende Rolle. Aber auch Rahel und Varnhagen und deren
weitgreifender Kreis erhielt einen Teil seiner Bedeutung durch Bettina.
Sie kaͤmpfte gegen die an—
maßenden und brutalen Über—
griffe der Polizei und fuͤr die
armen Weber Schlesiens. Das
trug ihr vom Minister von Arnim
die Anschuldigung ein, „sie sei die
Ursache des Aufstandes, sie habe
die Leute gehetzt, ihnen Hoff—
nungen erweckt, durch ihre Reden
und Briefe und schon durch ihr
Koͤnigsbuch.“ Solche Anklagen
und Humboldts Rat veranlaßten
—V
das sie plante. Aber ihre Viel—
Glückwunschplakette der Kgl. Eisengießerei.
Bettina von Arnim und Friedrich Wilhelm IV., Frankfurt a. Main 1902.