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Die Damen

Full text: Sittengeschichte Berlins / Ostwald, Hans (Public Domain)

124 — 
Der Herzog hatte die Genugtuung, daß Frau von Paalzow sich fuͤr uͤberwunden 
erklaͤrte. 
Frivolere Spielereien konnte man wohl nicht gut treiben, als es diese 
den ruͤckstaͤndigen Kreisen Angehoͤrende getan. Da ging es in den Salons 
der Juͤdinnen doch ernster und bedeutsamer zu. Berdrow bringt in seinem 
Werk uͤber die Rahel einen Bericht uͤber einen Abend in ihrem Salon, von 
dem ich einiges mitteilen moͤchte, um einen Einblick in das gesellschaftliche 
Leben von damals zu vermitteln: 
„Ich war zeitig auf dem Platze und vernahm, Frau von Varnhagen 
sei noch ganz allein. Ein erstes Zimmer ließ durch offene Fluͤgeltuͤren in 
ein zweites blicken, wo ich sie an einem Tisch sitzen und lesen sah, waͤhrend 
ein Kind an ihrer Seite eingeschlafen lag. Ich stand einen Augenblick und 
sah mir das Bild an. Ernste Gemuͤtsruhe und heiteres Wohlwollen waren 
der Ausdruck ihrer Zuͤge, die sich nicht belauscht ahnten; ihre kleine, gedrungene 
Gestalt, ihr klares, feines Gesicht, trotz der Jahre und langwieriger Kraͤnk— 
lichkeit noch von bewundernswerter Frische, ihre feste und leichte Haltung, 
alles war in einer gewissen Übereinstimmung, die meinen Sinn lebhaft 
ansprach. Als sie meine Tritte hoͤrte, schob sie den Tisch etwas ab, wandte 
sich mir entgegen und sagte, mit leiser Stimme auf das schlafende Kind 
deutend, ich moͤchte verzeihen, sie habe nicht den Mut, das Gluͤck zu stoͤren! 
Ich bat natuͤrlich, dies ja nicht zu tun. Wir sprachen dann das noͤtige von 
Frau von Helwig und ihren Einfuͤhrungszeilen, von meinem bisherigen 
Aufenthalt und seiner ferneren Dauer. Auf meine Frage, ob das Kind 
ihre Nichte, erwiderte sie: Es ist die Tochter meiner Nichte, aber ich liebe 
es wie mein eigenes Kind. In ihrem Tone war dabei eine zaͤrtliche Innigkeit, 
die mir zu Herzen drang, ich fuͤhlte die lebendige Wahrheit ihres einfachen 
Wortes. 
Frau von Varnhagen sagte, ich sei ihr als Musikfreund empfohlen, 
und freute sich, daß ein paar schoͤne Stimmen sich zum Abend bei ihr an— 
gesagt, auch wuͤrde vielleicht Fuͤrst Radziwill kommen, der jede Gelegenheit, 
Musik zu hoͤren und zu uͤben, gern wahrnehme; er sei der groͤßte Musikfreund, 
den sie je gesehen; er uͤbertreffe darin weit den beruͤhmten Fuͤrsten Lobkowitz, 
der freilich groͤßere und laͤrmendere Mittel aufzuweisen gehabt. Aber Rad— 
ziwills Leidenschaft sei ernster und tiefer, und seine Kompositionen zu Goethes 
Faust reihten ihn den großen Meistern an. Wir sprachen nun vom Gesang 
und namentlich von Liedern und deren Vortrag, wo denn Frau von Varn— 
hagen der einfachen großartigen Weise, wie Madame Milder deutsche Lieder 
zu singen pflegte, volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, aber hinzufuͤgte, 
eigentuͤmlicher und ruͤhrender habe sie dergleichen nie singen hoͤren, als 
oor mehreren Jahren von einem Schwaben Gruͤneisen, der habe ihr ordentlich
	        
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