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Der Herzog hatte die Genugtuung, daß Frau von Paalzow sich fuͤr uͤberwunden
erklaͤrte.
Frivolere Spielereien konnte man wohl nicht gut treiben, als es diese
den ruͤckstaͤndigen Kreisen Angehoͤrende getan. Da ging es in den Salons
der Juͤdinnen doch ernster und bedeutsamer zu. Berdrow bringt in seinem
Werk uͤber die Rahel einen Bericht uͤber einen Abend in ihrem Salon, von
dem ich einiges mitteilen moͤchte, um einen Einblick in das gesellschaftliche
Leben von damals zu vermitteln:
„Ich war zeitig auf dem Platze und vernahm, Frau von Varnhagen
sei noch ganz allein. Ein erstes Zimmer ließ durch offene Fluͤgeltuͤren in
ein zweites blicken, wo ich sie an einem Tisch sitzen und lesen sah, waͤhrend
ein Kind an ihrer Seite eingeschlafen lag. Ich stand einen Augenblick und
sah mir das Bild an. Ernste Gemuͤtsruhe und heiteres Wohlwollen waren
der Ausdruck ihrer Zuͤge, die sich nicht belauscht ahnten; ihre kleine, gedrungene
Gestalt, ihr klares, feines Gesicht, trotz der Jahre und langwieriger Kraͤnk—
lichkeit noch von bewundernswerter Frische, ihre feste und leichte Haltung,
alles war in einer gewissen Übereinstimmung, die meinen Sinn lebhaft
ansprach. Als sie meine Tritte hoͤrte, schob sie den Tisch etwas ab, wandte
sich mir entgegen und sagte, mit leiser Stimme auf das schlafende Kind
deutend, ich moͤchte verzeihen, sie habe nicht den Mut, das Gluͤck zu stoͤren!
Ich bat natuͤrlich, dies ja nicht zu tun. Wir sprachen dann das noͤtige von
Frau von Helwig und ihren Einfuͤhrungszeilen, von meinem bisherigen
Aufenthalt und seiner ferneren Dauer. Auf meine Frage, ob das Kind
ihre Nichte, erwiderte sie: Es ist die Tochter meiner Nichte, aber ich liebe
es wie mein eigenes Kind. In ihrem Tone war dabei eine zaͤrtliche Innigkeit,
die mir zu Herzen drang, ich fuͤhlte die lebendige Wahrheit ihres einfachen
Wortes.
Frau von Varnhagen sagte, ich sei ihr als Musikfreund empfohlen,
und freute sich, daß ein paar schoͤne Stimmen sich zum Abend bei ihr an—
gesagt, auch wuͤrde vielleicht Fuͤrst Radziwill kommen, der jede Gelegenheit,
Musik zu hoͤren und zu uͤben, gern wahrnehme; er sei der groͤßte Musikfreund,
den sie je gesehen; er uͤbertreffe darin weit den beruͤhmten Fuͤrsten Lobkowitz,
der freilich groͤßere und laͤrmendere Mittel aufzuweisen gehabt. Aber Rad—
ziwills Leidenschaft sei ernster und tiefer, und seine Kompositionen zu Goethes
Faust reihten ihn den großen Meistern an. Wir sprachen nun vom Gesang
und namentlich von Liedern und deren Vortrag, wo denn Frau von Varn—
hagen der einfachen großartigen Weise, wie Madame Milder deutsche Lieder
zu singen pflegte, volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, aber hinzufuͤgte,
eigentuͤmlicher und ruͤhrender habe sie dergleichen nie singen hoͤren, als
oor mehreren Jahren von einem Schwaben Gruͤneisen, der habe ihr ordentlich