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zogen sich vom Familientisch zuruͤck,
wenn die aufgezwungenen Gaͤste
um die Ehre des gemeinsamen
Mittagsmahl baten. Spaͤter wuß—
ten sie sich besser zu beherrschen
und fuͤhlten sogar eine gewisse
Teilnahme fuͤr solche Offiziere,
die sehnsuͤchtig von Weib und Kind
daheim sprachen. Doch versteckten
sie sich meist in den abseits gelege—
nen Zimmern und erleichterten
auch Armeren die Lasten der
Einquartierung.
Aber andere hochadlige Fa—
milien empfingen die Franzosen
wie liebe Gaͤste. Sie sollten mit
ihnen Erfahrungen machen, die sie
von den Fremden mit den ver—
feinerten Umgangsformen nicht
erwartet hatten. Die eleganten
und schoͤn gekleideten Sieger waren
gewohnt, die Frauen der erober—
ten Laͤnder als Beute zu betrach—
ten. Und sie haben sicher in Berlin keine Ausnahme gemacht. Die Ber—
linerinnen, voll vom Ruhm, der dem siegreichen Feinde vorausgeeilt,
werden oft vergessen haben, daß ihre Bruͤder und Landsleute geschlagen
und gefangen waren. Viele der reichen Damen heirateten einen Franzosen.
So auch Dorothea, die schoͤne Tochter der Herzogin vom Kurland, die
nach Paris an den Hof ging.
Auch Eberty meint in seinen Jugenderinnerungen: — Leider laͤßt
sich nicht leugnen, daß die Frauen und Maͤdchen Deutschlands und namentlich
in Berlin den fremden Eroberern und Unterdruͤckern gegenuͤber sich vielfach
nicht so benahmen, wie es ihrer wuͤrdig gewesen waͤre, und wie es bekanntlich
die Franzoͤsinnen im Jahre 1870 und 1871 im umgekehrten Falle in sehr
achtbarer und anerkennenswerter Art getan haben. Vielmehr muß man
eingestehen, daß seit jenen Tagen unendlich viel franzoͤsisches Blut
in deutsche Adern uͤbergegangen ist, was nicht wenig dazu beigetragen
hat, den leichtlebigen und beweglichen Geist der Berliner zu steigern
und ihnen ein gewisses Etwas beizubringen, was an franzoͤsische
Art erinnert.