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F. Bolt: Der Dichter Christian von Kleist mit seiner Frau.
kreis im großen. Ihr Beispiel wirkt unendlich. Die gluͤcklichen Eken werden
wieder haͤufiger, und die Haͤuslichkeit wird mehr als Mode. Sie wird zugleich
ein echtes Muster weiblicher Kleidung . . . Vordem mußte man vor den Hoͤfen
wie vor einem Ort der Ansteckung mit Weib und Kindern fluͤchten. An diesen
Hof wird man sich jetzt vor der allgemeinen Sittenverderbnis retten koͤnnen.“
Nur wo es das Hofzeremoniell unbedingt erforderte, erschien Luise in
Prachtgewaͤndern. Sonst sah man sie immer in leichten Mousselinkleidern,
die damals ja allgemein getragen, von ihr aber bevorzugt wurden und in
die sich wegen ihrer weiblichen Anmut auch die Berlinerinnen mit Vorliebe
kleideten. Luise hatte bei der Zusammenstellung der einzelnen Gewaͤnder
die geschmackvolle und erfindungsreiche Schauspiclerin Unzelmann hinzu—
gezogen. Das war ein Ausdruck ihrer freien Lebensanschauung. Sie war
zwar eine Frau, die sich im engen Familienkreis am wohlsten fuͤhlte. Aber
ihre Ansichten waren durchaus nicht enge und beschraͤnkt. Bei den Huldigungs—
feierlichkeiten in Magdeburg fragte die Koͤnigin eine Majorin: „Was sind Sie
fuͤr eine Geborene?“ Verwirrt antwortete die Gefragte: „Majestaͤt, ich bin
gar keine Geborene!“ Die Umstehenden verbissen sich mit Muͤhe ein hoͤhnisches
Lachen. Da nahm die Koͤnigin mit lauten Worten die Partei der Majorin
und tadelte heftig die Einbildung jener, die „von Geburt sind“. Sie sagte u. a.:
„Außere gluͤckliche Vorzuͤge und Umstaͤnde kann man erben, aber innere per—
soͤnliche Wuͤrdigkeit muß doch jeder fuͤr sich erwerben.“ Auch wendete sie sich
heftig gegen die Unterschiede, die zwischen verschuldeter und unverschuldeter