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hrem Berlin; nach dem Berlin beim Rathaus, bei der Post, bei der See—
handlung. Als sie aber 1819 zuruͤckkehrten, fuͤhlten sie sich doch nicht recht
wvohl in diesem Berlin mit seiner reaktionaͤren Luft und seiner freudlosen,
gedruͤckten Bevoͤlkerung, wo selbst Stuͤcke wie Egmont und Tell nicht gespielt
werden durften und viele andere nur kastriert auf der Buͤhne erschienen.
Von all den Hoffnungen und Zukunftswuͤnschen, von all der Begeisterung
der Freiheitskriege war nichts mehr zu spuͤren. Spaͤter, als ihr Salon wieder
auflebte, sah sie allerdings ein, welche Vorteile ihr Berlin bot. Sie schrieb:
„Auch muß ich der Gesellschaft, die
Stadt im Winter allenthalben zu
ihre Gerechtigkeit oerspuͤren und auch
widerfahrenlassen: hier nicht ohne
es ist gewiß die Wirkung ist.“
reichste, vielfaͤltigste Auch zur
und vielhaltigste Frauenbewegung
deutsche Stadt in nahm Rahel Stell⸗
Ruͤcksicht des ge— ung. Die Frauen—
selligen Umganges. frage datiert ja
Mehr Frauen, die nicht erst seit heute.
haͤuslich empfan— Die Aufklaͤrungs—
gen, findet man zeit, die franzoͤsische
wohl außer in Paris Revolution und
nirgends: mehr auch die Romantik
Streben zum brachten die Pro—
Wissen und Sein bleme der Frauen—
wohl auch schwer— dewegung immer
lich, trotz der all— vieder auf die
gemeinen Zerstoͤ— Tagesordnung.
rung und neuen Und so ist es wohl
Aufbauung der erklaͤrlichdaß Rahel
sie auch gruͤndlich durchdachte. Sie selbst lebte ja im Ideal der Frauen—
»ewegung, bestimmte ihr Leben selbst und wollte, daß auch ihre Geschlechts—
genofssinnen reif wuͤrden, ihr Leben selbst zu uͤberlegen, zu pruͤfen und
sich eine freie Ausbildung aller Kraͤfte zu verschaffen. Auch sollte das Weib
sich von allen gesellschaftlichen Vorurteilen frei machen. Sie selbst lebte
edenfalls so cinfach, daß sie unwillkuͤrlich putzsuͤchtige und eitle Weiber
unausstehlich finden mußte.
Die Freiheit ging ihr uͤber alles. Ihre moderne Lebensanschauung
war von der patriotischen Hochflut und der folgenden reaktionaͤren Ver—
wuͤstung nicht versandet.