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maͤrkischen Familie entstammte und nicht wußte, was er in dem von Emp—
findsamkeit angekraͤnkelten Zeitalter beginnen sollte. Leider konnte sie zu
Heinrich von Kleist nicht in naͤhere Beziehungen kommen. Sonst haͤtte sie
ihn wohl vor der ihn zermalmenden erbaͤrmlichen Brotarbeit bewahrt und
ihn dem Leben und dem Schaffen erhalten. War sie doch nach seinem Tode
die einzige, die ihn nicht schmaͤhte, sondern ihn betrauerte.
Auch Varnhagen, der ihr Mann werden sollte, war eigentlich eine an—
lehnungsbeduͤrftige Natur. Er war einer von jenen juͤngeren Maͤnnern, die
sich stets aͤteren Frauen anschließen, die also im Weibe wohl mehr die Mutter
als die Geliebte suchen.
Er kam auch gerade in ihrer Verlassenheit zu ihr, als sie verarmt und
oereinsamt sich hatte bescheiden zuruͤckziehen muͤssen, als die Haͤrte der fran—
zoͤsischen Eroberer auf die Verhaͤltnisse und Menschen wie ein grauer Alb
druͤckte. Ihr wurde Varnhagen wirklich viel — wohl weil sie ihre uͤber—
sprudelnde Kraft in ihn hineingießen konnte. So hatte sie nun wieder einen
Wirkungskreis. Aus ihrem eigenen kleinen Kreis vermochte sie hinauszu—
treten.
Rahel war nicht minder patriotisch gesonnen als andere edle Frauen.
Sie stimmte ihrem Varnhagen zu, als er Kriegsdienste gegen Napoleon nahm
und war unermuͤdlich taͤtig, als es galt, Verwundete zu pflegen, Kampflustige
neu einzukleiden und Hilfsbeduͤrftigen
Rat, Trost und Unterstuͤtzung zu ver—⸗
schaffen. Ja, sie war geradezu gluͤck—
lich, anderen helfen zu koͤnnen. Wo
ihr selbst die Mittel fehlten, nutzte sie
ihre reichlichen Verbindungen. Aber
nicht nur materiell sprang sie ein,
sondern wußte auch dem Gemuͤt zu
geben. So hatte sie am Weihnachts—
abend 1813 zwei verwundete Jaͤger
zum Kaffee bei sich — und ließ den
einen den andern beschenken, mit
Gaben, die sie selbst gespendet. All
ihre Guͤte, ihre liebevolle Natur
konnte so recht schwelgen. . . In Karls—
ruhe, wo ihr Mann mehrere Jahre
preußischer Geschaͤftstraͤger war,
sehnte sie sich, als echte Großstaͤdterin,
heraus aus der beschraͤnkten und
duͤnkelhaften Residenz heim nach
Karikfatur 1826.