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drucks, dem charakteristischen und doch poetischen Spiel durch den Uberschwang
Schillers drohten und ließ sich ihre Rollen wie Prosa ohne Absatz aufschreiben,
um, soweit es moͤglich war, die natuͤrliche Art der Rede durchzufuͤhren. So
ist es auch zu begreifen, warum Schiller an Koͤrner uͤber eine Berliner Auf—
kuͤhrung der „Maria Stuart“ schrieb: „Die Bethmann spilet die Maria mit
Zartheit und mit großem Verstande; ihre Deklamation ist schoͤn und sinnvoll,
aber man moͤchte ihr noch etwas mehr Schwung und einen mehr tragischen
Stil wuͤnschen. Das Vorurteil des beliebten Natuͤrlichen beherrscht sie noch
zu sehr, ihr Vortrag naͤhert sich dem Konversationston, und alles wurde mir zu
virklich in ihrem Munde. Das ist Ifflands Schule, und es mag in Berlin all—
gemeiner Ton sein.“
Leider konnte sich die von Goethe und Schiller angegriffene Tradition
der Ekhof-Schroͤderschen Schauspielkunst nur noch einige Jahre fest erhalten.
Das weimarische Pathos zerstoͤrte nach und nach die charakterisierende
Natuͤrlichkeit und das mag auch mitgewirkt haben, daß neben dem Tragischen
sich in Berlin schließlich nur noch die Posse behaupten konnte.
Goethes Anschauungen waren zwar zu Anfang in Berlin auf Widerstand
gestoßen. Selbst Lessing lehnte „Werther“ ab, und es bedurfte des feinen
Verstaͤndnisses feinsinniger Frauen, um den Unverstand zu besiegen und
um das nuͤchterne Berlin zur Anbetung zu zwingen. Karoline Boͤhmer, die
spaͤter A. W. Schlegel heiratete, war die erste, die fuͤr Goethes Herrschaft ein—
trat. Sie fuͤhrte die Romantiker in sein Wesen ein. Rahel gab ihr nichts nach.
Voll inniger und heiliger ÜUberzeugung wußte sie seinen Werken und Worten
hren Weg zu bahnen und sie in alle empfaͤnglichen Herzen einzupflanzen,
zur Bluͤte zu bringen. Seinen eigentlichen Erfolg in Berlin hatte Goethe
den neugebildeten Salons zu verdanken. Sie waren ein Nachrichtenbureau,
eine Zeitung, ein Parlament, wo jeder fuͤr seine Überzeugung und fuͤr seine
Heiligen werben konnte. Weder Zeitung noch Parlament waren in ihrer
heutigen Form vorhanden. Da mußte fuͤr die neuen geistigen Beduͤrfnisse
was Neues geschaffen werden. Und das persoͤnliche Aufeinandertreffen
verfeinerte die Kultur. Heute, wo jede Kraft sich betaͤtigen muß, waͤre der
geschaͤftige Muͤßiggang eines Salons ein Unding. In dem kleinen Berlin
hon damals war er eine Notwendigkeit. Berlin war noch so klein, daß man
in wenigen Minuten alle wichtigen Punkte erreichen konnte. Was war
natuͤrlicher, als einander sich so oft wie moͤglich zu sehen und sich aussprechen
uͤber die Dinge, die einen bewegten? Die Schoͤngeisterei hatte natuͤrlich den
Vorzug. Und die Romantiker beherrschten mit ihrer neuen mystisch-sinnlichen
Prophetie bald die Damen des Salons. Es wurde zur Modesache, August
Wilhelm Schlegels Vorlesungen uͤber Kunst und schoͤne Literatur zu hoͤren.
Die Beckmesser, die sich stets der Poesie und dem Neuen entgegenstellen,