Briefe Gabrieles an ihren Schwager Hedemann 1815. 99
„Tegel, den 6. September 1815.
Aus tiefer Einsamkeit schreibe ich Dir, mein lieber theurer August,
ich habe mich nämlich unter dem Schutz der Frau Majorin auf einige
Tage hier herausbegeben, wo es wirklich sehr hübsch ist, obgleich das
Wetter nicht eben besonders schön ist. Adelheid führt hier mit großer
Würde die Wirthschaft und wird vollkommen als Hausfrau angesehen,
doch schreibt sie Dir so fleißig, daß sie noch gar nicht oder ich glaube
nur einmal auf einen Augenblick den großen hohen Weinberg besucht
hat. Rauch, der, wie Du weißt, sehr boshaft ist, sagt öfters, wenn er
sie nicht im Zimmer sieht: „Die Frau Majorin sitzen wohl wieder tief
im Tintenfaß.“ Es ist aber auch wahr, sie that nichts Anderes als
schreiben.
Wir haben ja die himmlisch schöne Hoffnung, Euch bald, bald
wiederzusehen, wie sehr mich das freut, kann ich Dir nicht mit Worten
beschreiben, der Gedanke bloß, Dich endlich wieder mit Deiner Adelheid
vereinigt zu sehen, macht mich überaus glücklich. Aber so froh mich
auch dies macht, so traurig wird mir auch zu Muthe, wenn ich denke,
daß die Mutter und ich Euch bald wieder verlassen werden müssen,
um nach Paris zu reisen, doch es ist auch wahr, daß der liebe gute
Vater auch endlich will wieder mit der lieben Mutter vereinigt sein,
aber es ist doch für mich sehr traurig. Ich hoffe indessen, es wird
sich bald so machen, daß der Vater nach Berlin käme; ach, was wäre
das doch schön und herrlich! Ich kann Dir wirklich versichern, mein
geliebter Bruder, nirgends hat es mir je besser gefallen als in Berlin.
Deine Frau ist die letzte Zeit her nicht recht wohl gewesen, sie
hatte ein kleines Flußfieber, allein jetzt ist sie wieder ganz wohl, sie ist,
finde ich, recht gewachsen, seitdem Du fort bist, Du kannst Dich nur
darüber trösten, denn das macht ihre Gestalt sehr schön. Sonst finde
ich nicht, daß sie sich verändert hätte, bloß an den Armen ist sie etwas
magerer geworden; sie ist wirklich wunderhübsch. Vor einigen Tagen
hatte sie eine Haube auf, in welcher sie so frauenmäßig wie nur möglich
aussah. Du würdest Dich gewiß recht sehr gefreut haben, sie zu sehen. ...
Nun aber leb' wohl, mein theurer lieber August, grüße den lieben
Vater herzlich von mir und gedenke manchmal
Deiner Dich liebenden Schwester
Gabriele.“
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