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gestreckt: „Sie werden der Messias des neunzehnten
Jahrhunderts sein.“
Damals im Rausch der unbegrenzten Hoffnun-
gen seiner Zwanzig war ihm dieses Prophetenwort
nicht wundersam erschienen. Damals wußte er selbst
seine große Zukunft. Er hatte nur genickt. Und
Heine war wieder in sich zusammengesunken und
hatte noch leiser wiederholt: „Ja, Sie werden der
Messias des neunzehnten Jahrhunderts sein.“
Aber heute, in den Zweifeln seiner Zweiund-
dreißig, sah er es anders. Wem sollte er der Messias
werden? Wem lohte die Flamme in seinem Herzen?
Wem waren alle diese Geistes- und Willenskräfte
im Hirn aufgespeichert? Wem? Welcher Helfertat ?
Er sann mit gefurchter Stirn. Der Freiheit?
Ach, im tiefsten Innern wußte er, daß die Zeit einem
Kampfe um die politische Freiheit ungünstig war.
Die blutige Reaktion, der „weiße Schrecken“, war
niedergebrochen, als Rochows Kugel den Berliner
Polizeipräsidenten von Hinkeldey im Duell nieder-
streckte und verröcheln ließ, als Prinz Wilhelm den
geisteskranken König ersetzte. Man sprach von
Amnestie der Freiheitskämpfer von 48, von liberalen
Reformen, vom Anbruch einer „neuen Ära“. Er
wußte zwar, sie würde nicht kommen, gewiß. nicht
durch eine englische Prinzessin. Der Prinz, der den
Aufstand in Baden mit blutiger Faust niederkar-
tätscht hatte, der „Erbfeind aller Volksrechte‘‘, der
wegen seiner volksfeindlichen Gesinnung nach Eng-
land hatte fliehen müssen, der Mann, der nichts
als strenger Soldat war, der war nicht der Mann
liberaler Gedanken. Aber man glaubte an ihn, und
im Volk war kein Verlangen nach neuen Kämpfen.